Diese Schau ist längst eine Institution: Seit 2004 präsentieren die Hamburger Deichtorhallen Jahr für Jahr „Gute Aussichten“ – den einzigen Deutschen Wettbewerb, der Nachwuchsfotografen und -fotografinnen bundesweit in großen Ausstellungshäusern präsentiert.
Nun ist es wieder soweit. Doch zuvor eröffnete das Haus der Fotografie (die südliche Deichtorhalle) „Gute Aussichten Deluxe“ – eine Art „Best Of“ ehemaliger Preisträger.
Keine Abschlussarbeiten vielversprechender Talente, sondern gestandene, gereifte Werke von 25 Foto-Künstlerinnen und Künstlern, die mit hochinteressanten Positionen in den vergangenen Jahren reüssiert haben und die vor Augen führen, wie vielfältig die Bandbreite zeitgenössischer Fotografie heute ist.
Von der „Objektivität des Bildes“, wie sie noch die Düsseldorfer Schule postulierte, hat sich diese Künstlergeneration längst verabschiedet, das wird beim Rundgang durch die Ausstellung schnell klar. Sie spielt vielmehr souverän mit allen Möglichkeiten der Fotografie, lotet Grenzbereiche zur Malerei aus, zur Skulptur, zur Installation und zur Collage; nutzt dabei sowohl analoge wie digitale Technik und hat auch keine Scheu, sich auf große Vorbilder zu beziehen.
So erinnern die Arbeiten aus der Serie „Blindfell“ von Nadja Bournonville an die Fotogramme der 1920er-Jahre. Wie einst Man Ray oder Moholy-Nagy experimentiert die gebürtige Schwedin mit unmittelbarer Lichteinwirkung, Verzerrungen, Fehl- und Doppelbelichtungen, um Fragen der Wahrnehmung zu untersuchen. Die barocken Interieurs von Georg Brückmann dagegen scheinen von Thomas Demand inspiriert. Doch anders als Demand, der Orte täuschend echt aus Papier nachbaut und dann abfotografiert, wirken Brückmanns Räume mehr wie ein bewegtes Papiertheater – dekonstruiert und collagiert.
Im Grunde ist es ungerecht, aus dem Themenreigen der 25 Aussteller einzelne Positionen herauszugreifen. Eindrucksvoll sind sie alle, vielfach ausgezeichnet zudem: Die klaren, in sich ruhenden Porträts junger (Sport-)“Eliten“ von Monika Czosnowska ebenso, wie die wandfüllende Dokumentaraufnahme eines afrikanischen Gräberfeldes mit Trauergästen aus der Vogelperspektive von Nicolai Rapp, die hochartifiziellen „zeitverzögerten“ Blumenporträts von Felix Dobbert, die zeichnerisch-delikaten Fels- und Waldformationen von Thomas Neumann oder Claudia Christoffels Sachaufnahmen von Alltagsgegenständen wie Gürtel, Schwimmflügel, Ei, elektrische Zahnbürste, Krawatte oder Pfannenheber. All diese Dinge haben (neben ihrer „normalen“) eine verborgene Funktion: Als Lust- und Sexhilfsmittel. Die Bremer Künstlerin interessiert, was sich hinter den Dingen verbirgt. Wer weiß, was andere Betrachter in den Aufnahmen noch alles entdecken.
Wie sagte Laslo Moholy-Nagy doch gleich? Der Analphabet der Zukunft sei derjenige, der keine Bilder lesen könne.
„Gute Aussichten Deluxe“ und „Gute Aussichten 2017/2018“
laufen noch bis 21. Mai zeitgleich in den Deichtorhallen Hamburg und im Haus der Photographie, Deichtorstraße 1, 20095 HamburgÖffnungszeiten: Di-So 11-18 Uhr, Jeden 1. Do im Monat 11-21 Uhr.
Weitere Informationen
Abbildungsnachweis:
Header: Detail aus Anna Simone Wallinger, Sodade. © Anna Simone Wallinger
Galerie:
01. Jewgeni Roppel, Svetloyar. © Jewgeni Roppel
02. Georg Brückmanns, Kundmanngasse 19. © Georg Brückmanns
03. Anna Simone Wallinger, Sodade. © Anna Simone Wallinger
04. Felix Dobbert, Some Flowers. © Felix Dobbert
05. Monika Czosnowska, Eliten. © Monika Czosnowska
06. Alba Frenzel, Fotopapier, Licht, Ei, www.guteaussichten.org © Alba Frenzel
07. Julian Slagman, Vergissmeinnicht © www.guteaussichten.org
08. Laura Giesdorf, Full Coverage Makeup Tutorial – Concealing Myself with Flawless Monotony, www.guteaussichten.org © Laura Giesdorf
09. Stephan Bögel, Scenic Utah, www.guteaussichten.org © Stephan Bögel
Kommentar verfassen
(Ich bin damit einverstanden, dass mein Beitrag veröffentlicht wird. Mein Name und Text werden mit Datum/Uhrzeit für jeden lesbar. Mehr Infos: Datenschutz)
Kommentare powered by CComment