Film
„Feuerwerk am helllichten Tage” – Konkurrenz für Philip Marlowe

Diao Yinan inszeniert seinen makabren düsteren Thriller als bildgewaltige Allegorie auf die heutige Gesellschaft Chinas.
Eine abgehackte Hand zwischen schwarzer Kohle auf einem Förderband, ein menschliches Auge in der Nudelsuppe eines Schnellimbiss’, an den verschiedensten Orten tauchen weitere Leichenteile auf. Im tristen Norden des Landes sind bizarre Verbrechen keine Seltenheit. Die Ermittler glauben dem Mörder auf der Spur zu sein, doch die Festnahme endet als blutiges Fiasko. Zwei Polizisten werden erschossen, der leitende Kommissar, Zhang Zili (Liao Fan) kommt nur knapp mit dem Leben davon, muss seinen Dienst quittieren. Der Fall bleibt unaufgeklärt. Noch kurz zuvor sah der Zuschauer den glücklosen Detektiv auf einem Hotelbett zwischen Spielkarten und wutdurchtränkter Leidenschaft mit seiner Frau: das Abschiedsritual einer zerstörten Ehe. Am Bahnhof die letzte Umarmung, sie gleicht einem tödlichen Angriff und Zhang mehr einem Täter als dem Vertreter von Recht oder Ordnung. Ein Film Noir von abgründiger Schönheit.

Durch eine frappierend inszenierte Tunnelfahrt transportiert der Regisseur Protagonist und Zuschauer aus dem Jahr 1999 in den Winter 2004. Zhang arbeitet als Wachmann in einer Fabrik, hat das eigene Versagen nie verkraftet. Er säuft, richtet sich langsam zu Grunde. Ein verbitterter, aggressiver einsamer Mensch zwischen vielen anderen Verzweifelten in jenen finsteren Kohlerevieren fern der glamourösen Metropolen, Peking und Shanghai, den schillernden Zentren des wirtschaftlichen Booms. Hier profitiert davon niemand. Plötzlich tauchen wieder vereinzelt Leichenteile auf, genauso in Plastikplanen verpackt wie vor fünf Jahren. Der grausige Fund ist ein Signal für Zhang: er erwacht aus seiner Erstarrung, begreift, er muss den mysteriösen Morden auf den Grund gehen, nur so kann er sich rehabilitieren. Sein ehemaliger Kollege Wang (Yu Ailei) unterstützt ihn. Ihre Ermittlungen konzentrieren sich auf Wu Zhizhen (Gwei Lun Mei) als Verdächtige, die Witwe eines der damaligen Opfer, sie arbeitet in einer chemischen Reinigung. Zhang erscheint dort nun öfter als Kunde. Nach Feierabend beschattet er Wu und entdeckt, dass sie von einem Fremden verfolgt wird. Ein Schlittschuh wird zur tödlichen Waffe und die Handlung um vieles komplexer als sonst bei einer Crime Story.

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„Feuerwerk am helllichten Tage” ist eine Offenbarung: Der Autorenfilmer zeigt, was Neo-Noir an Möglichkeiten in sich birgt, fast hatte man es schon vergessen, die Wurzeln im expressionistischen Stummfilm, die Hell-Dunkel kontrastierende Bildgestaltung, hier erreicht sie einen Grad artistischer Meisterschaft. Diao Yinan sprengt nicht die Dimensionen des Genres, er erfindet es neu. Vor den Dreharbeiten sah er sich oft Klassiker an wie John Hustons „Die Spur des Falkens” (1941) oder Carol Reeds „Der Dritte Mann” (1949). Er analysierte die Eröffnungssequenz von Orson Welles’ „Im Zeichen des Bösen” (1958) und zog daraus die Konsequenz, allein dem eigenen Instinkt zu folgen. Er mag starre Einstellungen, aber keine langen Kamerafahrten, narrative Ellipsen, extreme Kompositionen, baut Nebenschauplätze aus, wenn ihm der Sinn danach steht. Er spielt mit den Konventionen, die strikte Grenze zwischen Gut und Böse existiert bei ihm nicht. „Selbst Genrefilme sollten nicht Gefangene ihrer eigenen Regeln sein,” sagt er. Statt regennasser Straßen, in denen sich das Licht spiegelt und der obligatorischen eleganten Femme Fatale auf hohen Hacken, verzichtet er auf das übliche Großstadtflair, verlegt seinen Tatort in eine jener eher trostlosen Provinzstädte im tiefsten Norden. Er ist selbst in so einer aufgewachsen, kennt den unerbittlichen Winter. Schnee und Eis dominieren das Leben der Menschen und die Ästhetik des Thrillers. Eine öde wie geheimnisvolle Industrielandschaft, wo alles möglich scheint. Die Elemente des Film-Noir arrangiert Diao Yinan verblüffend eigenwillig, verleiht Wohlbekanntem eine unerklärliche Einzigartigkeit. Sein Stil erinnert zuweilen an den italienischen Neorealismus. Anders als in den Philip Marlowe-Verfilmungen geizt die gefährliche Schöne hier mit ihren Reizen, schlägt die Augen nieder, wenn sie die Wäsche faltet. Nachts draußen auf dem karg beleuchteten vereisten See drehen sich Paare schwer vermummt im Walzertakt zu den Klängen von „An der schönen blauen Donau”, ein gelblich-grünlich schillernder surrealer Kosmos entsteht, Kamera: Dong Jinsong („11 Flowers”). Aber auch bei Diao Yinan gerät der Detektiv in den Bann einer geheimnisumwitterten Frau. Wu stand in Verbindung zu allen Opfern, Wang sorgt sich um den Kollegen, fürchtet, dass auch er ein böses Ende nehmen wird. Aber Zhang kann sich der Faszination nicht entziehen, zugleich ist er besessen davon, der zierlichen Schönen ihr Geheimnis zu entlocken. Die Liebesgeschichte, die sich allen Widerständen zum Trotz entwickelt, ist seltsam lakonisch, ungelenk, ein wenig grob, aber doch von einer entwaffnenden Ernsthaftigkeit und spröder Zärtlichkeit. So grotesk sich die Akteure gebärden, der Regisseur erlaubt nie, dass sie zur Karikatur werden. Der Zuschauer spürt den tief verwurzelten Respekt für die Arbeiterklasse. Es ist die Gesellschaft, die aus den Fugen geraten ist, nicht nur in China, allerorts, wo die industrielle Revolution Menschen zu einem Werkzeug degradiert.

Jede Wahrheit entlarvt sich irgendwann wieder als Illusion. Zhang ist keiner jener sarkastischen, coolen Privatdetektive wie Philip Marlowe, ihm fehlt jede Art der Raffinesse, er ist ein schwergewichtiger, eigenbrötlerischer Klotz (für die Rolle hat Liao Fan zwanzig Kilo zulegen müssen), das leicht aufgeschwemmte Gesicht erzählt von Leiden, Verlusten, innerer Zerrissenheit und zu viel Alkohol. Die Suche nach dem mysteriösen Mörder ist zugleich eine Suche nach sich selbst, nach Erlösung, nach dem Sinn seiner Existenz. Er ist jemand, der immer wieder stolpert, riskiert sich lächerlich zu machen, aber grade das wird seine Stärke. Eine grandiose schauspielerische Leistung von Liao Fan. Wenn er über das Eis kriecht, der verdächtigen Geliebten auf der Spur, die ihm auf Schlittschuhen entgleitet oder wenn er allein auf der riesigen Tanzfläche eines Ballsaals völlig entrückt dahertapst einem Braunbären gleich, das sind Momente unglaublicher Intensität. Diao Yinan ist ein scharfsinniger Beobachter, er interpretiert die sozialen Realitäten fern christlich moralischer Klischees. Er mag kleine Städte und Orte, die von den großen Ballungsgebieten abgeschnitten sind: „Veränderungen geschehen dort langsamer, (...) Vergangenheit und Gegenwart können länger nebeneinander bestehen.” Dass Zhang aus dem Staatsdienst ausscheidet und auf eigene Faust ermittelt war, war nicht in der Originalfassung vorgesehen, aber den Zensoren missfiel ein Kommissar, der Alkoholiker ist und sich auch noch in eine des Mordes Verdächtige verliebt. Doch so ist es um vieles überzeugender, anrührender, der Privatdetektiv ohne Auftrag. Nicht weisungsgebunden zu sein wie die Vertreter einer repressiven Staatsmacht gibt dem Protagonisten eine viel größere Freiheit. Und ist auch glaubwürdiger. Die Liebesszene zwischen Zhang und Wu fiel auch der Zensur zum Opfer, doch nur in China. Dort ist der melancholisch absurde Thriller mit dem zuweilen trockenen Humor ein überraschenden Kassenerfolg. Auf der Berlinale wurde „Feuerwerk am helllichten Tage” mit dem goldenen Bären ausgezeichnet und Liao Fan für seine schauspielerische Leistung mit einem silbernen Bären. Bei dieser Gelegenheit wurde der Regisseur immer wieder auf die politische Message seines Films angesprochen. Die ist eigentlich offensichtlich für jeden, kritischer kann man sein eigenes Land kaum schildern. Zu Recht reagierte Diao Yinan leicht enerviert auf den missionarischen Eifer der Journalisten: „Wir wollen durch unsere Filme sprechen. Wir möchten als Gleichberechtigte akzeptiert werden. Wir wollen nicht nur gemocht werden, weil wir politisch kritisch sind oder weil wir die dunkle Seite unserer Gesellschaft zeigen.”

Was westliche Kritiker als seelenlose Industrielandschaft oder verrohte Gesellschaft abtun, dem steht der Regisseur deutlich differenzierteren gegenüber. Er hat fünf Jahre an dem Drehbuch gearbeitet. Die Verbrechen sind zwar ein Spiegel der Gesellschaft, aber die dunkle Seite der Menschen ist seiner Ansicht nach auch eine kreative Kraft, die den Fortschritt bewegt. Die Grenze zwischen Schuld und Unschuld verschwimmt wie zwischen Realität und Traum. Das Motiv für die grausamen Morde ist Liebe. „Auch im Krieg töten die Menschen aus Liebe. Liebe zum Vaterland. Liebe steht auf der einen Seite, das Recht auf der anderen.” Das Schicksal von Zhang erinnert ein wenig an den Protagonisten von Diao Yinans Debütfilm „Uniform”, der nur vorgibt ein Polizist zu sein. „Für mich sind meine Figuren eine Art Alter Ego”, erklärt der Regisseur in einem Interview, „Ausdruck meiner Tagträume. Sie sind ein bisschen egoistisch, ein bisschen zynisch, ein bisschen einsam und clever.” Sie mogeln sich durchs Leben und der Filmemacher versucht ihnen dabei zu helfen sich durchzusetzen.

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Originaltitel: Bai Ri Yan Huo
Regie/Drehbuch: Diao Yinan
Darsteller: Liao Fan, Gwei Lun Mei, Wang Xuebing, Wang Jingchun, Yu Ailei
Produktionsland: China, 2014. Länge: 106 Min.
Verleih: Weltkino Filmverleih
Kinostart: 24. Juli 2014


Fotos & Trailer: Copyright Weltkino Filmverleih

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