Film
„All Is Lost” – Schiffbruch mit Zuschauer

Ein atemberaubender Überlebenskampf auf hoher See von verstörender Eindringlichkeit.
J.C. Chandor inszeniert den Action-Thriller ästhetisch-virtuos als subtile Polit-Parabel fast ohne Worte mit großen Gefühlen und nur einem Darsteller. Grandios: der 77jährige Robert Redford als einsamer Segler. Es ist die faszinierendste Rolle seiner Karriere.

13. Juli, 16.50 Uhr. Blick auf den strahlend blauen Ozean, kein Schiff, kein Horizont in Sicht. Aus dem Off kommt die leise Stimme eines Mannes, es tue ihm leid, sorry, er habe wirklich alles versucht: „...Ehrlich zu sein...und...stark zu sein. Gütig zu sein...und zu lieben. Also das Richtige zu tun. Aber das habe ich nicht. Alles ist verloren...” Er entschuldigt sich wieder und wieder. „Ihr werdet mir fehlen.” An wen er seine Worte richtet, Familie, Freunde, Fremde, wir erfahren es nie. Die Botschaft endet als Flaschenpost im Meer.

Der Film springt acht Tage zurück: Krachen, Splittern, ein Mann (Robert Redford) wird jäh aus dem Schlaf gerissen. Seine zwölf Meter lange Segelyacht hat mitten auf dem Indischen Ozean einen über Bord gegangenen Frachtcontainer gerammt. Durch ein Leck im Rumpf strömt Wasser ein, steigt immer höher, zerstört Funkgerät und das computergesteuerte Navigationssystem. Gelassen, ruhig macht sich der Mann daran das Boot von dem Stahlkoloss zu befreien, pumpt das Wasser ab, rührt Leim an, beginnt die Bordwand zu flicken, trinkt ein Glas Bourbon.

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Wir kennen nicht den Namen des Protagonisten, nur den seiner Yacht, „Virginia Jean”. Im Abspann wird der Skipper als ‚Our Man’, Unser Mann bezeichnet. Die Gründe, warum er sich zu diesem einsamen Segeltörn entschlossen hat, 1.700 Seemeilen von Sumatra entfernt, bleiben im Dunkel. Wir erfahren weder Herkunft, Beruf, Vorgeschichte noch sein Ziel. Es braucht keine Worte ihn zu verstehen. Alles, was wir wissen müssen, geschieht hier vor unseren Augen. Die Nähe zum Geschehen und zum Protagonisten, ist beängstigend intim wie in kaum einem anderen Survival-Epos.

J.C. Chandor inszeniert das fesselnde wie subtile Ein-Personen-Drama in der Tradition von Ernest Hemingway und Herman Meville. „Der Alte Mann und das Meer”, die Assoziationen sind unvermeidlich, obwohl dieser Kampf ganz anderer Art ist. Doch selbst der bedrohliche rostfarbene Stahlcontainer erinnert unwillkürlich an „Moby Dick”, wenn auch jene gefährliche ungelenke Kreatur nicht dem Meer entstammt sondern nur ein Abfallprodukt der Globalisierten Weltwirtschaft ist. Aus dem Container werden bunte Turnschuhe gespült, billige Massenware zu Niedriglöhnen produziert, die nun auf dem indischen Ozean treibt. Naturgewalten und Kapitalismus verbinden sich hier zu einer unheiligen Allianz. Eine Referenz an seinen ersten Spielfilm, „Margin Call”, der ästhetisch virtuose wie intellektuell brillante Wall-Street-Thriller über die Finanzkrise und deren Akteure (Oscar-Nominierung für das Beste Original-Drehbuch).

Die Yacht gerät in ein Unwetter, der Sturm mit der Kraft eines Hurrikans reißt die grade geflickte Bordwand wieder auf. Von diesem Moment an beginnt ein verzweifelter archaischer Überlebenskampf. Manövrierunfähig treibt das Segelschiff auf hoher See. Verletzt, blutend, vom Regen durchnässt, vor Kälte zitternd, wehrt sich der alte Mann Stunde für Stunde, Tag für Tag unerschrocken, hartnäckig gegen die Naturgewalten. Er wird unter Wasser gedrückt, von den tosenden Wellen überrollt, in der Kabine herumgewirbelt wie ein Spielball. Seine Kräfte lassen nach, aber nichts scheint seinen Widerstand brechen zu können. Aufgeben unvorstellbar. All sein Handeln ist nur darauf ausgerichtet eine Lösung zu finden. Eine falsche Bewegung kann ihm zum Verhängnis werden. Kameramann Frank G. DeMarco kreiert eine greifbare, spürbare Gegensätzlichkeit zwischen der Enge der Kabine und der Weite des Ozeans. Blau ist hier keine warme Farbe, sie dominierte schon die gläsernen Büroetagen in “Margin Call”, die oft mit einem Aquarium verglichen wurden. Klaustrophobisch hieß es damals, und klaustrophobisch ist auch jetzt wieder bei vielen Kritikern der erste Eindruck.

Unser Mann bleibt weiterhin ‚tough’, pragmatisch, erfinderisch, von stoischer Ruhe, einer der nicht so leicht resigniert, seine Gefühle im Griff hat, mit jeder Herausforderung wächst. Aber sein vom Alter zerfurchtes, wettergegerbtes Gesicht zeugt von ungeheurer Verwundbarkeit, Fragilität. Es erzählt von Triumphen und Enttäuschungen, Erfolgen und Niederlagen. Panik, Hoffnungslosigkeit, Angst, Wut, der Protagonist weiß, solche Emotionen würden ihn nur schwächen, könnten in dieser Situation seinen Tod bedeuten. Und doch gibt zwei, drei kurze Momente, wo die Verzweiflung ihn übermannt. Robert Redford war jahrzehntelang gefeierter Hollywoodstar, wurde später zur Ikone des Independent-Films, 2012 drehte er “The Company You Keep- Die Akte Grant”, aber dies ist die Rolle seines Lebens. Es geht um mehr als das bloße Überleben, um Schuld und Sühne, verpasste Chancen, Fehler, sie sich nicht mehr wiedergutmachen lassen. Ein Zwiegespräch mit sich selbst. Der Film versucht zu ergründen, weshalb wir gegen den Tod kämpfen, wenn es doch ganz offensichtlich Zeit ist zu gehen.

J.C. Chandor verzichtet auf Close-Ups des Gesichts, als wolle er dem einsamen Kämpfer nicht gegen seinen Willen zu nahe kommen. Regisseur und Zuschauer spüren, das wäre Unserem Mann nicht recht. Er ist einer der Freiheit sucht, Distanz braucht, vor allem seine Würde. Darum geht es in „All is Lost”. Das Gesicht soll nicht zum spektakulär sentimentalen Schlachtfeld werden, Wehmut, Melancholie, die Spuren des Alters sind deutlich genug. Aber dann irgendwann im Gegenlicht, an den Schiffsmast gelehnt, erinnert uns der Protagonist plötzlich an Sundance Kid in „Zwei Banditen” (1969) oder den furchtlosen Journalisten aus „Die Unbestechlichen”(1976).

Der namenlose Held wird nie zum modernen Jedermann. Fiktion, Realität und die Filmklassiker von einst lassen sich irgendwann nicht mehr von einander trennen, verschmelzen zu einer Figur, jenem Schiffsbrüchigen auf dem indischen Ozean. Ob „Pferdeflüsterer” Tom Booker (1998) oder Großwildjäger Denys Finch Hatton in „Jenseits von Afrika” (1985), sie liebten ihre Unabhängigkeit. So eine abenteuerliche Auszeit fern der Heimat und Geliebten, hätte zu ihnen gepasst. Selbst zu Robert Redford, dem Nonkonformisten der amerikanischen Kinobranche, abgesehen von der Tatsache, dass er nach eigenen Worten mit Segeln wenig im Sinn hat, um so bewunderungswürdiger seine schauspielerische Leistung. Identifikation funktioniert hier über Erinnerung. Was bei anderen Regisseuren zu einem Desaster geführt hätte, wird bei Chandor zum betörenden Zaubertrick.

Unser Mann muss seine Yacht verlassen, sie versinkt langsam vor seinen Augen. Er nimmt das Notwendigste mit auf ein überdachtes Rettungsfloß und noch immer behält er seine stoische Ruhe. Mit einem Sextanten berechnet er die zurückgelegte Entfernung, hofft auf ein Schiff zu treffen. Er ist ein Robinson Crusoe ohne Freitag, ein Major Tom ohne ‚Ground Control’, ‚Gravity’s’ Astronautin ohne Zuspruch. Seine Einsamkeit wird für den Zuschauer fast unerträglich, schwindelerregend, wir spüren Kälte, die sengende Sonne, Durst, Schmerzen. Dann greift der Protagonist zum Wasserkanister, nimmt den ersten Schluck der eisernen Ration, spuckt ihn aus, das Wasser ist ungenießbar. In diesem Moment bricht der starke muskulöse Mann völlig zusammen, bäumt sich auf, schreit gellend seine Verzweiflung gen Himmel, ein einziges Wort voller Hass, Wut, Enttäuschung: „Fuuuck”. Intelligenz, Mut, Beharrlichkeit, Unerschrockenheit, seemännisches Geschick nichts wurde belohnt. Die Welt hat sich gegen ihn verschworen.

„Schiffbruch mit Zuschauer” nennt Philosoph Hans Blumenberg seine 1979 erschiene Untersuchung über die Rolle des Betrachters und die Metaphorik des Unglücks auf hoher See von der Antike bis ins 20. Jahrhundert. In der Aufklärung wird das Wagnis und der Mut zum Aufbruch positiv gewertet. Émilie du Châtelet (1706-1749) setzt das Liegenbleiben im Hafen mit dem Verfehlen der Lebenschance und dem versäumten Glück gleich. Der Humanist Michel de Montaigne (1533-1592) sieht in der Schiffbruchmetapher auch den Untergang des Staates oder der Welt. William Turner („Der Schiffbruch”, 1805) zieht den Betrachter in die Szenerie auf hoher See mit hinein und macht ihn zum Mitwirkenden bzw. Notleidenden auf einem Rettungsboot oder dem Wrack. Ähnlich fühlt sich oft der Zuschauer von „All Is Lost”. Er glaubt die Bordwand berühren zu können, so nah, real scheint sie. Die permanente Lautkulisse von Wind und Wellen verstärkt die Illusion.

Mit der leicht transparenten Rettungsinsel verändern sich Atmosphäre und Stil des Action-Thrillers, sie werden surrealer, ätherischer. Die Unterwasseraufnahmen von Peter Zuccarini („Life of Pi – Schiffbruch mit Tiger”) sind atemberaubend schön, suggerieren den Übergang in eine andere Sphäre. Der Soundtrack des amerikanischen Singer/Songwriters Alex Ebert („Edward Sharpe and the Magnetic Zeros”), eine einfache eindringliche Melodie, entwickelt sich organisch aus dem Tosen der Wellen, dem Sturm, sie reflektiert die verborgenen Gefühle des Protagonisten, Traurigkeit, Hoffnungen, die wachsende Resignation.

Gerade seine stumme Tapferkeit ist herzzerreißend, wenn er geklagt hätte, geflucht, geweint, mit seinem Schicksal gehadert, es würde weniger schmerzen. Jenes schwer nachzuvollziehende Vertrauen auf Rettung, dieses stoische Beharren des alten Mannes auf eine Zukunft ist großes Kino. Dabei könnte man nicht zurückgenommener spielen, als es Robert Redford tut. Sein intuitiver Minimalismus verzaubert, hypnotisiert uns. Chandor hält meisterhaft die Spannung, baut Widrigkeiten Schritt für Schritt auf. Sein Stil ist trügerisch einfach. Am Horizont taucht ein Containerfrachtschiff auf, kommt näher, ignoriert die Leuchtraketen im Sonnenlicht, gleitet langsam wie ein gigantisches gefühlloses Monster an der winzigen Rettungsinsel vorbei.

Nachts passiert wieder ein riesigeres Containerschiff der dänischen Reederei Maersk. Unser Mann winkt voller Hoffnung, Freude, die Leuchtraketen steigen in die Nacht, die Signale sind nicht zu übersehen. „Help” schreit er jetzt verzweifelt, gellend, nichts geschieht, seine Enttäuschung ist grenzenlos. Wir leben in einem Zeitalter der ungehörten Hilferufe. Leid ist nicht unsichtbar, aber wird übersehen. Am Ende des Films zeigt der Regisseur noch einmal sein ganzes Können. Ein unvergessliches Finale, dramatisch, elegant, von großer Würde. Wie es ausgeht, das entscheidet eigentlich der Zuschauer, die letzte Szene wird völlig gegensätzlich interpretiert, Jenseits oder Diesseits, Illusion oder Realität, Kapitulation oder Rettung.

„Amen” ist der einzige Song des Films, er läuft während des Abspanns, wird das Gegenstück zum Prolog. Alex Ebert schrieb ihn als Huldigung an Robert Redford, Architekt, Ikone einer goldenen Ära, die nun ihrem Ende zugeht. Auch sein Vater gehörte ihr an. “Amen” entwickelte sich aus „Our Man”, damit entsteht eine Brücke zwischen den Generationen.

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Originaltitel: All Is Lost
Regie/Drehbuch: J.C. Chandor
Darsteller: Robert Redford
Herstellungsland: USA, 2013, Länge: 106 Minuten
Verleih: SquareOne Entertainment GmbH, Universum Film GmbH
Kinostart: 9. Januar 2014

Hans Blumenberg: Schiffbruch mit Zuschauer. Paradigma einer Daseinsmetapher. Suhrkamp, Frankfurt 1979, S.11 f. ISBN 978-3-518-22263-8.

Abbildungsnachweis: Fotos & Trailer Universum Film

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