Die ewige Treue der Unsterblichen – „Only Lovers Left Alive”
- Geschrieben von Anna Grillet -
Jim Jarmusch erzählt von der außergewöhnlichen Liebe zweier Vampire und von sich selbst.
So autobiographisch, so poetisch war keiner seiner Filme je zuvor. Ein Traumpaar über Jahrhunderte hinweg: Adam (Tom Hiddleston) und Eve (Tilda Swinton).
Vampir, das steht hier als Metapher für Kreativität, Bildung, die Sensibilität von Außenseitern, Weltschmerz aber auch Lebensfreude. Fremde überfallen und ihnen das Blut aussaugen gilt im 21. Jahrhundert als peinliche mittelalterliche Praktik. Hinzu kommt die hohe Infektionsgefahr. Adam, genialer Undergroundmusiker und Wissenschaftsfreak versteckt sich vor den Zumutungen der modernen Zivilisation in einer heruntergekommen Villa am Stadtrand von Detroit.
Seine von ihm vergötterte Muse und Gattin Eve hat tausende Kilometer entfernt ihr Refugium in einer romantischen Kasbah von Tanger gefunden. Sie streift wie einst Paul Bowles durch die nächtlichen geheimnisvoll golden schillernden Gassen. Mit Blut höchster Qualität versorgt sie ihr alter Freund und Mentor Christopher Marlowe (John Hurt), der wahre Autor von Shakespeares Werken. Die androgyne Eve mit ihrem bleichen Porzellanteint ist von zeitloser Schönheit und unnachahmlich lässiger Eleganz, doch es gibt Momente, da erinnert plötzlich der Gesichtsausdruck, die eigenartigen strähnigen platinblonden Haaren erschreckend an Murnaus Dracula-Version „Nosferatu” von 1922.
Der Beweis, dass Fernbeziehungen funktionieren können, wird hier im Film überzeugend erbracht. Weder Zeit noch Raum können die beiden trennen, sie sind sich immer unglaublich nah. Ja, Adam ist jünger als Eve, aber alt genug um 1860 zum dritten Mal den Bund fürs Leben mit ihr einzugehen. Diese Untoten sind empfindsame Wesen, keine lüsternen Monster, hochintelligente Schöngeister, die Antiquitäten, Erstausgaben, literarische Raritäten, alte Schallplatten, seltene Instrumente horten wie kleine Schätze. Sie sprechen mit britischem Akzent, haben für alles und jedes den lateinischen Fachbegriff parat und gehen nie ohne Handschuhe aus dem Haus. Warum die Handschuhe? Das weiß auch Jim Jarmusch nicht.
Die Wände von Adams düsteren Haus zieren die Fotos der Weggefährten und Zeitgenossen von einst, Schriftsteller, Musiker, Schauspieler: Franz Kafka, Ornette Coleman, Mark Twain, Edgar Allen Poe, David Forster Wallace, Buster Keaton, Rodney Dangerfield. Der Protagonist vermisst sie. Wie Mick Jagger als Turner in „Performance” verbarrikadiert er sich, komponiert und spielt im Verborgenen, auf altem analogen Equipment. Er fürchtet und verachtet die Normalsterblichen, bezeichnet sie nie anders als „Zombies”, hält die Seelenlosen verantwortlich für den Niedergang der Kultur, die Zerstörung der Umwelt.
Jim Jarmuschs ungewöhnliche Lovestory betört den Zuschauer mit ihrer absurden sanften Komik, lyrisch, lakonisch, nicht ohne Pathos, auch wenn das nach einem Widerspruch klingen mag. Wie gewohnt jongliert der Kult-Regisseur des amerikanischen Independent Kinos ästhetisch virtuos mit Gegensätzen, zerstört, demontiert das Genre, rekonstruiert die Versatzstücke nach bewährter Manier mit eigenen Fantasieelementen. Der 60jährige Autorenfilmer fühlt sich den Vampiren verbunden: er, der Rockmusiker teilt viele der Ansichten und Vorlieben von Adam, aber genauso von Eve. Er versteht Adams Traurigkeit, besitzt jedoch eher Eves lebensbejahende Einstellung. Die Liebe der Figuren zu Literatur und Wissenschaft ist seine eigene. „Alle Bücher im Film sind nicht zufällig da,” erklärt er in einem Interview, „sondern wurden ausgewählt, weil sie mir etwas bedeuten”.
Einer der wenigen Kontakte des Protagonisten zur Außenwelt ist Ian (Anton Yelchin), wahrlich kein Lakei in der Tradition von Draculas Diener Renfield, aber ein großer Bewunderer von Adam und unendlich betrübt, dass sein Auftraggeber die Öffentlichkeit so radikal meidet. Die Verschwiegenheit und Loyalität des etwas einfältigen wie gutmütigen Youngsters muss sich der Musiker teuer erkaufen. Doch mit großem Talent treibt Ian phantastische alte Instrumente auf, E-Gitarren wie eine Gibson Supra 1959 und eine Gretsch Chet Atkins. So eine habe er Eddi Cochran spiele sehen, verplappert sich Adam, ergänzt schnell „Auf YouTube”.
Seinen Blutbedarf erwirbt Adam an der Quelle, nicht ganz legal bei einem Arzt im Krankenhauslabor. Er taucht dort immer Undercover im Arztkittel auf, als Dr. Faust oder Dr. Strangelove, das Stethoskop soll zusätzliche Professionalität vortäuschen, sein Verbindungsmann weist ihn darauf hin, dass es aus den Fünfzigern ist. Nach dem ersehnten Trank fallen unsere beiden Bohemians immer in eine Art Trance. Wenn sie entrückt in ihre Kissen sinken, erinnern sie stark an Junkies. Sie kennen aber ihre Grenzen und haben eine große Achtung vor dem lebenswichtigen Elixier. Doch das Blut vertreibt nicht Adams verzweifelte Gedanken, er verfällt immer mehr der Schwermut, will seiner Unsterblichkeit ein Ende setzen. Ian soll ihm eine Patrone mit Holzprojektil besorgen.
Eve spürt beim iChat, dass Adam sich verliert in der Einsamkeit industrieller Einöde. Sie bucht einen Nachtflug auf Daisy Buchnan, den prestigeträchtigen Namen der Protagonistin aus F. Scott Fitzgeralds „Der große Gatsby”, ein Ticket für ihren Ehemann wird später auf Stephan Daedalus ausgestellt mit Anspielung auf James Joyce’ Titelfigur aus „Ein Porträt des Künstlers als junger Mann”. Liebevoll stellt Eve ihre Reisebibliothek zusammen und macht sich auf den Weg nach Detroit. Das Erleben von Kunst, Musik, Literatur, selbst das Berühren alter Folianten oder Instrumente wird bei Jim Jarmusch zum höchst sinnlichen Erlebnis. Vampire sind verwöhnte Ästheten, aber haben ihre animalischen Instinkte noch nicht verloren. Sie fühlen tiefer, intensiver. Wenn Eves Hände über einen Gegenstand gleiten, erspürt sie das genaue Alter der Gitarre oder eines Buches. Die Kamera (Yorick Le Saux) folgt den Protagonisten, erkundet ihre Räume, ihre Stadt, macht Schönheit für den Zuschauer zur intimen Erfahrung.
Die Liebenden könnten nicht gegensätzlicher sein, und doch oder grade deshalb sind sie füreinander geschaffen. Sie schwelgen in Erinnerungen, da sammelt sich während der Jahrhunderte einiges an: „Byron war ein pompöser Langweiler, aber Mary Wollstonecraft war köstlich”. Wie generös von Adam, als er Schubert sein Adagio überließ. Sie genießen die körperliche Nähe und in fein geschliffenen Kristallgläsern ihre bevorzugte Blutgruppe Null negativ.
In Adams eigenhändig aufgemotzten Oldtimer-Jaguar machen sie sich nachts auf zur Sightseeing Tour durch die desolaten, verfallene Fabrikgelände und Straßenzüge, Zeugnis des Niedergangs der Sterblichen. Sie betrachten das Haus des in Detroit geborenen Musikers Jack White, Bandmitglied der Ranconteurs und The Dead Weather. Dann stehen die beiden wie trauernde Hinterbliebene einer untergegangenen Kultur im früheren Michigan Theatre, heute zum Parkhaus degradiert. Adam und Eve starren auf Säulen, Verzierungen, Fresken verlorener Pracht. Sie sinnieren über „Ruin Porn”, so wird von Kritikern der Trend bezeichnet, der urbanen Zerfall der post-industriellen Gesellschaft als Sujet auszubeuten.
Gemeinsam lässt sich alles leichter ertragen, selbst ein irgendwann bevorstehende Weltuntergang. Eve glänzt durch scharfzüngige Bonmots mit Vintage Charme, Adam kümmert sich um die veralteten elektrischen Leitungen. Die Liebe der beiden hat schon Jahrhunderte überdauert, aber ihr Idyll wird jäh zerstört von Eves kleiner Schwester Ava (Mia Wasikowska), kokett, kapriziös, nicht sehr intelligent und grauenevoll egoistisch. Grenzen akzeptiert sie keine, schon gar nicht wenn es um Blut geht. Wie zu befürchten gibt es nun doch einen Toten. Kapitalismuskritik wird mit jener unendlich lässigen Coolness inszeniert, einem metaphysischem Minimalismus, den so nur Jim Jarmusch beherrscht. Er hat Emotionslosigkeit bewusst zum Stilmittel erhoben, erreicht damit mehr als andere mit Gefühlsausbrüchen. Stil ist Thema, nicht bloßer Manierismus oder Mittel zum Zweck. Grandios der Soundtrack von Jozef van Wissem.
Originaltitel: Only Lovers Left Alive
Regie/Drehbuch: Jim Jarmusch
Darsteller: Tom Hiddleston, Tilda Swinton, Mia Wasikowska, John Hurt, Anton Yelchin
Länge: 122 Min. Produktionsland: USA, 2013
Verleih: Pandora Filmverleih
Kinostart: 25. Dezember 2013
Fotos & Video: Copyright Pandora Filmverleih
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