„Michael Kohlhaas” – Cowboy, Querulant oder Revolutionär?
- Geschrieben von Anna Grillet -
Den verzweifelten Kampf um Recht und Gerechtigkeit inszeniert Arnaud des Pallières als archaisch poetischen Western in der rauen Bergwelt der Cevennen.
Unwiderstehlich: Mads Mikkelsen als glückloser Ehrenmann.
Heinrich von Kleists Novelle verlor seit ihrem Erscheinen 1810 nie an politischer Aktualität, im Gegenteil: Regisseur Volker Schlöndorff verfilmte 1969 den Literaturklassiker dem damaligen Zeitgeist entsprechend als engagiert bemühte Parabel auf die weltweiten Studentenunruhen. Des Pallières geht den entgegengesetzten Weg: er konzentriert sich ganz auf seinen Protagonisten, dessen Gefühle, Ideale und inneren Konflikte. Der in Paris geborene Regisseur und Drehbuchautor kürzte den Text radikal, verlegte die Handlung aus dem 16. Jahrhundert von Brandenburg und Sachsen nach Südfrankreich, in die Cevennen: Eine oft karge steinige Landschaft, unwegsam durch ihre tiefe Schluchten und windigen Hochebenen. Hier lebt der Pferdehändler Michael Kohlhaas (Mads Mikkelsen) mit seiner Frau Judith (Delphine Chuillot) und der Tochter Lisbeth (Mélusine Mayance). Ein ruhiges fast idyllisches Dasein.
Doch eines Tages versperrt ein Schlagbaum den Weg zum Markt und der Verwalter des neuen Barons verlangt willkürlich Passierschein wie Wegegeld, notgedrungen überlässt ihm Kohlhaas zwei prächtige Rappen als Pfand unter der Obhut seines Knechts César (David Bennent). Als er die Tiere wieder abholen will, erkennt er sie kaum wieder. Völlig abgemagert und zerschunden von der Feldarbeit stehen zwei wertlose Mähren mit verfilzten Mähnen und voller blutender Wunden vor ihm. Auf den Knecht hat man hat die Hunde gehetzt. Der Pferdehändler klagt auf Wiedergutmachung und Schadensersatz, das Gericht weist die Klage zurück, der Baron und seine einflussreichen Verwandten haben ihren Einfluss geltend gemacht. Statt Kohlhaas macht sich Judith auf ins Schloss, um die Klage der Prinzessin persönlich vorzutragen. Sie wird nicht vorgelassen und von den Wachen schwer verletzt. Wenig später stirbt sie in den Armen ihres Mannes.
Kohlhaas, der stolze Unbeugsame weint. Von nun an will er nur noch eins: Gerechtigkeit. Manche würden es Rache nennen, andere Terror. Er gibt seine Tochter in die Obhut eines jungen Geistlichen und bricht mit seinen bewaffneten Getreuen auf zum Landsitz des Barons. Sie richten ein grausames Blutbad unter dessen Anhängern an, der Gesuchte selbst kann entkommen. Die Kunde von Kohlhaas’ Aufstand macht die Runde, einfache Männer, die sich nicht länger von den Feudalherren unterjochen und ausbeuten lassen wollen, schließen sich der Bewegung an. Bald zittert der Adel vor der Macht des Volkes und seinem Anführer. Ernst Bloch nannte ihn einen “Don Quijote rigoroser bürgerlicher Moralität”, Franz Kafka dagegen rührte sein Schicksal zu Tränen. Bei des Pallières wird Michael Kohlhaas zum einsamen meist schweigsamen Westernhelden, der seine Gefühle verbirgt, nur seinen Zorn nicht. Ein hinterwäldlerischer Rebell ohne Anspruch auf Heldenstatus. Ideale zählen für ihn mehr als sein Leben. Doch er will weder Feldherr noch Revolutionär sein, die Natur ist sein eigentliches Element, die Pferde seine Vertrauten. Die Kamera verbindet sie zu einer Einheit von fast animalischer Schönheit.
Des Pallières zerstört teilweise bewusst die Kleist’sche forsche Eloquenz, ersetzt sie durch Ästhetik und Atmosphäre. Jene bedrohliche Stimmung wachsender Gewalttätigkeit überträgt sich unmerklich auf den Zuschauer. Die, wie aus Granit gemeißelt undurchdringlichen Gesichtszüge von Mads Mikkelsen ähneln den scheinbar feindseligen uneinnehmbaren Felsmassiven, abweisend und anziehend zugleich. Das Rauschen des Windes, das nie wirklich verstummt, düstre Trommelwirbel, der Klang schwerer Schritte, jedes Geräusch schreit fast nach Aufmerksamkeit. Das Wiehern der Pferde, das Scharren ihrer Hufe, man glaubt den Atem der Tiere zu spüren. Der Originalton wird zum Subtext. Dem französischen Regisseur gelingt es so uns ins 16. Jahrhundert zu katapultieren. Er bleibt wie auch in seinen Spielfilmen “Adieu”(2003) oder “Parc” (2008) immer noch Dokumentarfilmer, verzichtet (nicht nur aus Budgetgründen) so oft wie möglich auf Innenaufnahmen. Sein Stil ist nicht der eines Stanley Kubrick, die Faszination seiner Filme ist nicht die Lichtsetzung, sondern die Inszenierung der Realität. Diese kompromisslose Authentizität entspricht dem Charakter des Protagonisten.
Arnaud des Pallières drehte in extrem langen Einstellungen. Mads Mikkelsen schildert in einem Interview, wie sie die Szene, in der Kohlhaas verzweifelt versucht, seine mit dem Tode ringende Frau zu retten, immer wiederholten, einen ganzen Tag dafür brauchten. Die Obsession nach dem perfekten Moment hatte alle ergriffen. Der Take selbst dauerte dreizehn Minuten, eine Herausforderung für jeden der Beteiligten. Der Regisseur vertraut auf den Zufall, ein Schatten, ein Lichtreflex können eine Szene völlig verändern, ihr einen besonderen, ungewöhnlichen Zauber verleihen. Sein Vorbild war die Dynamik der Panoramabilder in Akira Kurosawas “Die sieben Samurai”(1954). Bisweilen entwickelt der Film einen behäbigen, fast schleppenden Rhythmus, der in krassem Gegensatz zu der drängenden, nie pausierenden Prosa von Kleist steht. Trotz Massaker, Plünderungen, Brandschatzungen, Hinrichtungen und vieler blutiger Gefechte ist es kein Actionfilm. Gewalt wird nie idealisiert, zeigt sich in ihrer ganzen Grausamkeit.
An einer Cowboy-Version von Michael Kohlhaas versuchte sich schon 1999 John Badham in seinem Spätwestern “Reiter auf verbrannter Erde”(“The Jack Bull”) mit John Cusack in der Hauptrolle. Doch Mads Mikkelsen ist überzeugender. Am Ende bietet die Prinzessin freies Geleit, unter der Bedingung, dass alle die Waffen niederlegen. Vor Gericht soll über den Anspruch von Kohlhaas entschieden werden. Für Regisseur des Pallières ist dies der faszinierendste Moment in der Novelle, er bewundert die moralischen Haltung seines Protagonisten, der auf die Machtübernahme im Land verzichtet, seine Gefolgsleute auszahlt und heimschickt. Er hat erreicht, was er wollte: Ein Wiederaufnahmeverfahren vor Gericht und sehnt sich nun nach einem ruhigen Leben auf seinem Hof. Das tragische Ende ist bekannt. Einer der Knechte hat seine Waffen nicht abgeliefert, zwei Lehnsherren werden getötet, die Prinzessin betrachtet die Vereinbarung als gebrochen, die Amnestie ist aufgehoben, Kohlhaas wird wegen Landfriedensbruch zum Tode verurteilt. Seine Rappen erhält Lisbeth, die Tochter.
Die entscheidende Passage auch bei des Pallières bleibt der philosophisch-theologische Diskurs gegen die Selbstjustiz, hier ist es nicht Martin Luther, der dem Rebellen ins Gewissen redet, sondern ein Mann in Schwarz (Denis Lavant) Theologe und Abgesandter der Prinzessin. Er wirft ihm vor, nicht “das Schwert der Gerechtigkeit” zu tragen und “kein Krieger Gottes” zu sein. “Wenn alle so handelten wie Du, gäbe es weder Ordnung noch Gerechtigkeit”. Der Regisseur selbst hält Kohlhaas weder für einen Querulanten noch einen Revolutionär. Ihn überzeugt der Standpunkt des deutschen Rechtsphilosophen Rudolf von Jhering aus dem 19. Jahrhundert, der Kohlhaas einen “Märtyrer seines Rechtsgefühls” nannte, der sein Leben für eine Idee opfert, und zu Unrecht des Individualismus beschuldigt wird, denn für sein eigenes Recht zu kämpfen, heißt auch immer für das Recht der anderen zu kämpfen.
Originaltitel: Michael Kohlhaas
Regie: Arnaud des Pallières. Darsteller: Mads Mikkelsen, Mélusine Mayance, Delphine Chuillot, Dennis Lavant, Bruno Ganz
Herstellungsland: Frankreich, Deutschland
Länge: 122 Minuten
Verleih: polyband Medien GmbH
Kinostart: 12. September 2013
Fotos/Trailer: Copyright polyband Medien GmbH
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