Joe Wrights Anna Karenina-Adaption entlarvt den Film als das, was er ist: eine Inszenierung.
In diesem Fall eine opulente und gelungene.
Drehbuchautor Tom Stoppard und Regisseur Joe Wright fügen den bisher zehn Verfilmungen eine elfte hinzu: Kühn, berauschend und fantastisch beleben sie Leo Tolstois Romanklassiker „Anna Karenina“ von 1887. Der Inhalt dürfte bekannt sein. Es geht um das Schicksal dreier adeliger Familien, insbesondere um Anna Karenina, die sich, verheiratet mit dem biederen Staatsbeamten Karenin, auf eine leidenschaftliche Affäre mit dem attraktiven Grafen Wronskij einlässt und am Ende Selbstmord begeht.
Keira Knightley spielt wie schon in Wrights „Stolz und Vorurteil“ und „Abbitte“ die Hauptrolle, und auch Matthew McFayden ist wieder dabei, als ehebrechender Fürst Oblonskij und Bruder Annas. Aaron Taylor-Johnson darf als blond gelockter Graf Wronskij den Verführer geben. Leider glänzt der junge britische Schauspieler lediglich mit Aussehen und Eitelkeit, weniger mit Gefühlstiefe. Überhaupt ist es schade, dass Emotionen im Film oft auf der Strecke bleiben.
Etwas ungewohnt wirkt Jude Law als steifer und gottesfürchtiger Ehemann, der die Fehltritte seiner Frau hinnimmt. Und das kauft man ihm wirklich ab. Sein Spiel ist ernst und dabei stets beeindruckend unprätentiös. Keira Knightley ist von Beginn an strahlender und koketter als beispielsweise ihre Vorgängerin Sophie Marceau in Bernard Roses Kinoverfilmung von 1997. Als Anna wird Marceau jedoch wohl kaum zu schlagen sein, nicht zuletzt aufgrund ihrer gesetzten Wärme und der ihr in den braunen Augen schimmernden Leidensfähigkeit, die Knightley nicht besitzt. Dafür passt die ihr typische elegante Frische und Sprunghaftigkeit gut zum Gesamtkonzept der aktuellen Verfilmung. Denn die ist ganz auf das Spiel und die grosse Bühne ausgerichtet.
Wright lässt beinah den gesamten Film im Theater spielen. Nur selten treten die Darsteller in eine realistische Landschaft, der Rest spielt in Vorräumen, großen Sälen, Backstage oder auf dem Rang, sogar das Pferderennen ereignet sich auf der Theaterbühne und statt einer echten fährt schon mal eine kunstschneebedeckte Spielzeugeisenbahn durchs Ankleidezimmer. Leitmotivisch: der Tanz. Die Bilder und Szenen fließen quasi im Takt ineinander über, die Kulissen verändern sich spielerisch, Haarbänder flattern im Wind, Hände gleiten sinnlich über Briefpapier, alles bleibt in Bewegung, absoluter Höhepunkt dabei ist die Ballszene. Während eines Walzers begleiten Anna und Wronskij ihre Tanzschritte mit den wohl elegantesten Armbewegungen, die man je gesehen hat, während um sie herum alles andere wie schockgefroren verharrt. Bilder, die Sogwirkung haben. Selten war eine Literaturverfilmung bildlich so berauschend schön und virtuos, dass man Gänsehaut bekommt.
Bezogen auf die Handlung bleibt diese allerdings aus. Ein in die Kinosessel versunkenes Mitleiden mit den Figuren ist unmöglich. Der Regisseur verweigert gefühlsduselige Teilhabe durch permanente Bewusstmachung seiner Inszenierung. Das ist kreativ und geschickt gemacht, desillusioniert aber auch unangenehm. Jegliches Gefühl wird in dem Moment, in dem es entsteht, als beabsichtigt entlarvt. Sofort verpuffen die Tränchen. Tolstois Roman jedoch ist nicht hyperreal und durchweg ironisch, eben nicht 21. Jahrhundert. Da geht es um große Dinge: den zaristischen Staat, die Bauernbefreiung, Gott und Kirche, die adelige Gesellschaft, aber doch vor allem um Liebe und Leidenschaft. Die wollen wir dann bitte auch auf Leinwand. Muss denn immer alles dekonstruiert werden? Andererseits: Klassische Umsetzungen des Stoffes gab es schon zuhauf. Zudem gehen Tolstoi Ironie und Humor keineswegs ab und genau diese Aspekte werden durch die aktuelle Umsetzung betont.
Der Regisseur verknüpft geschickt mehrere Ebenen. Indem er das Theater als Kulisse wählt, knüpft er eine Parallele zum Thema der Buchvorlage. Tolstoi selbst zeichnet das Leben seiner Figuren als Spektakel, bei dem es darauf ankommt, sich geschickt auf der Bühne des Lebens zu präsentieren. Und vor allem, die Regeln des Spiels zu kennen. Zum anderen verweist Wright auf die Fiktionalität von Roman und Film und versucht, wie schon in „Abbitte“, das Betrachten selbst zu thematisieren. Was sieht die 13-jährige Briony, um es anschließend zu missinterpretieren? Was sieht der Zuschauer? Was und wie inszeniert der Regissuer und welche Wirkung hat es? Selten wurde das so offengelegt wie in dieser Romanverfilmung. Aber muss man so ein Experiment unbedingt mit Tolstoi machen? Ein schaler Geschmack bleibt. Letztlich überwiegt doch die Freude über ein filmisches Wagnis, das in seiner Opulenz zweifelsohne sehr gelungen ist.
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(ca. 2.18 Min.) Trailer Anna Karenina, 2012.
Ab 06.12.2012 im Kino
Genre: Drama
Regie: Joe Wright
Darsteller: Keira Knightley, Jude Law, Aaron Taylor-Johnson, Kelly Macdonald, Matthew Macfadyen.
Fotonachweis/Trailer: Copyright © Focus Features. Universal Pictures International
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