Film
Das traurige Leben der Gloria S. - Ute Schall-Christine Gross

Ute Schalls und Christine Gross neuer Film ist nicht nur eine gnadenlose Abrechnung mit dem zeitgenössischen Film und Theater, sondern auch ein großartiger Spaß mit viel Berliner Hauptstadtkolorit:
Erfolgregisseurin Charlotte Weiss (Nina Kronjäger) hat es nicht leicht. Gefrustet von den Dreherfahrungen ihres letzten Films über das Leben der jungen Ulrike Meinhof, der trotz des politischen Stoffs ihre lange schwelende künstlerischere Sinnkrise nicht beheben konnte, macht sie sich – sehr zum Ärger Ihrer Produzentin – auf zu neuen Ufern. Ihre Mission ist klar: Nach dem großen Kino muss es jetzt etwas Echtes und Authentisches sein. Ein Film, der wachrüttelt und die Gesellschaft verändert: ein schonungslos ehrlicher Dokumentarfilm über eine alleinerziehende Hartz-IV-Mutter.

Also begibt sie sich, mit kleinem Team, auf die Suche nach der geeigneten Protagonistin. Im Schutze eines schweren Geländewagens fahren sie in die Untiefen der Plattenbauquartiere des Berliner Bezirks Marzahn-Hellersdorf. Vergleichbar den Vorstadtghettos und sozialen Brennpunkten anderer Großstädte können sie sich nur mit größter Vorsicht dem erstbesten Wohnblock nähern, nur um sich kurz darauf – und bevor auch nur das erste Gespräch mit den Bewohnern des Problembezirks geführt worden wäre, gegenseitig zu versichern, es sei doch die bessere Lösung, die Protagonistin per Casting auszuwählen.

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Gloria S. (Christine Gross), die das Rennen um die Hauptrolle in der Dokumentation macht, ist zwar keine Hartz IV-Empfängerin, dafür aber mindestens genauso vom Leben gebeutelt: Als Schauspielerin mittleren Alters hat sie es wie fast alle ihrer Kolleginnen und Kollegen nie in das feste Ensemble eines Stadt- oder Staatstheaters geschafft und muss ihr berufliches Dasein fortan in den mittelmäßigen Inszenierungen ebenfalls gescheiterter Regisseure an den Berliner Off-Theaterbühnen fristen. Da kommen ihr die viertausend Euro Aufwandsentschädigung für die Teilnahme an Charlotte Weiss Dokumentarfilm gerade Recht. Doch was tun?

Das Filmteam hält sie ja schließlich für eine waschechte Hartz IV-Empfängerin.
In der Folge entwickelt Gloria S. für den Dokumentarfilm eine fiktive Lebensgeschichte, die nahezu epische Ausmaße annimmt, nur um die vermuteten Erwartungen der Regisseurin an ihr Hartz IV-beziehendes Alter Ego immer besser zu erfüllen. Mit der Zeit verstrickt sich Gloria S. dabei durch ihre Rolle in ein immer aberwitzigeres Beziehungsgespinst, das sich schließlich verselbstständigt und nur dank tatkräftiger Unterstützung durch immer weitere Theaterkollegen aufrechterhalten werden kann. Die Fäden der eigenen Rolle entgleiten Gloria und ihren Kollegen jedoch trotz aller Bemühungen zunehmend und gipfeln schließlich in einer überraschenden Wendung, welche der Regisseurin letztlich doch noch zum erhofften Durchbruch ihres Dokumentarfilms verhilft.

Ute Schall und Christine Gross zeigen sich mit „Das traurige Leben der Gloria S.“ als unbarmherzige und gleichzeitig zum Brüllen komische Anklägerinnen eines pseudo-avantgardistischen Habitus des zeitgenössischen Films und Theaters, den sie in ihrem Film genüsslich demontieren.
Bereits die frühe Szene der abgebrochenen Suche nach einer Protagonistin für den Dokumentarfilm in den Berliner Vorortbezirken ist dabei kennzeichnend für den gesamten Film. Denn über die Dauer des Films von 72 Minuten macht dieser die Figuren zu Gefangenen ihres eigenen, scheinrevolutionären Gestus – selbstverständlich, ohne dass auch nur eine von Ihnen Notiz davon nimmt. Der Antrieb der Protagonisten etwas zu verändern erstirbt noch vor dem eigentlichen Versuch, sich von den Konventionen der Filmindustrie und des Theaters zu befreien – es fehlen die Alternativen, vielleicht aber auch schlichtweg die Phantasie. Damit verkommt der Gestus zur Pose, zum Klischee.

Gerechterweise teilt das theaternahe Regieduo, das aus dem künstlerischen Dunstkreis um die Berliner Volksbühnen-Legende René Pollesch entstammt im Film nicht nur gegen den Film, sondern auch das zeitgenössische Theater herzhaft aus: Aus der Mitte einer überdimensionalen polyestergeschäumten Vagina entschlüpfen die Schauspieler um Gloria S. erfolgloser Theatertruppe und rennen schreiend im Strumpfhosenkostüm über die Bühne. Der milchgesichtige Regisseur der Truppe inszeniert direkt aus dem gelben Reclam-Heftchen und schreit dabei einen nach dem anderen seiner Schauspieler an die Wand. Hier werden dem Publikum sämtliche Klischees über zeitgenössisches Autorentheater innerhalb einer knappen Minute vor Augen gebracht, die es schon immer bestätigt haben wollte.

Dass diese statische Charakterzeichnung von Schall und Gross jedoch nicht in stumpfem Kulturpessimismus ausartet, sondern zu einer wirklich unterhaltsamen Persiflage wird, verdanken wir der Radikalität, mit der sie ihren stillen Spott betreiben. Selten war es für den Zuschauer so anregend und aktivierend, Trägheit in solcher Konsequenz vorgeführt zu bekommen.
Tatsächlich handelt es sich bei diesem Film letztlich um kaum mehr als eine Selbstbeobachtung der aktuellen Film- und Theaterszene Berlins, die seit den späten 90er-Jahren den legendären Ruf der Metropole als unangefochtene Kulturhauptstadt begründete und mit dieser Technik groß wurde. Doch während die Selbstreferenz als Modus der künstlerischen Befragung auf den Bühnen der Hauptstadt nur noch eingeschränkt als Innovationsmotor funktioniert, wirkt sie in diesem Film noch frisch und unverbraucht. So verwundert es wohl auch kaum, dass „Das traurige Leben der Gloria S.“ von der Berliner Volksbühne koproduziert wurde.

 

(ca. 1.58 Min.) Trailer
 


Das traurige Leben der Gloria S.
Ein Film von Ute Schall und Christine Gross
Drehbuch: Ulrike Schall, Christine Gross und Anna Kremser
Verleih: Edition Salzgeber, Kinostart: 12.01.2012

Bildnachweise und Trailer: © alle Edition Salzgeber

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