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Zum Beispiel die Solarenergie. Bisher wurden auf die immergleichen Häuser die immergleichen, meist unansehnlichen Solarelemente gepappt. Eine Solarmoderne, die aus den Chancen der regenerativen Energien eine neue Bau-Ästhetik destilliert, gab es bisher kaum. Andere Branchen haben die Chancen ergriffen, hier eine neue Ästhetik zu entwickeln - zum Beispiel die Autobranche. Sie wissen, dass Le Corbusier 1925 gefordert hat, sich beim Bauen am Automobil zu orientieren. Diese Forderung war später ziemlich unpopulär; stellen sie sich einmal vor, in den fortschrittsskeptischen achtziger Jahren, in denen viel von Stadtreparatur und Rückbau und Verkehrsberuhigung die Rede war, hätte einer gesagt: Baut Häuser, wie man Autos baut. Man hätte ihn als unbelehrbaren Modernisten beschimpft, schließlich galt das Auto als Feind der Stadt - obwohl sich zwischen den Betonblumenkübeln der autofreien Fußgängerzonen auch nicht gerade das ersehnte alte Stadtgefühl einstellte.
Aber was soll die Architektur gerade heute von der Autobranche lernen? Vor allem eins: Dass Ökologie nicht nur Verzicht, Entsagung, Reue und Selbstgeißelung bedeuten muss. Nehmen sie das Beispiel des Autoherstellers Tesla. Die Firma baut Elektroautos, die mit dem Strom, den Solarzellen auf dem Garagendach liefern, 25.000 Kilometer im Jahr fahren. Die Botschaft dieser Sport- und Familienwagen, die schneller als ein Porsche beschleunigen, ist vor allem eine: Dass Ökologie Spaß machen kann. Dass sie nicht nur Verzicht, Einschränkung, Gürtel enger schnallen bedeutet - sondern ein aufregendes neues Lebensgefühl.
Soweit ist die Öko-Architektur noch nicht. Auf Kongressen wird man mit staubtrockenen Vorträgen über die Nachhaltigkeit nachhaltigen Bauens ins Schlafkoma getrieben, energiesparende Architektur läuft in Fachkreisen unter der schüchternen Rubrik „Passivhäuser“. Aber möchte man ein „Passivhaus“ haben? „Wir haben jetzt ein Passivhaus“: Das klingt nach herumliegenden Pantoffeln, nach depressiven Abenden im kühlen Wohnzimmer, nach einem Haus, in dem nichts los ist, nach einer Entschuldigung: „Warum steht denn ihr Haus so traurig auf dem Grundstück?“ – „Ich weiß auch nicht, ist halt ein Passivhaus.“ Diese Sprache hat etwas mit Ideologie zu tun: Die Öko-Bewegung war traditionell fortschrittsfeindlich, sie sah im High-Tech - meistens zu recht - eine naturausbeutende, technokratische Ideologie, der sie das vormoderne, rurale Idyll selbstversorgender Landkommunen entgegensetzte, nicht ohne den lustfeindlichen Pietismus, das Muffige, Enge, Abkapslerische und oft Xenophobe jener Referenzsysteme mit zu übernehmen. Ökologie und Nachhaltigkeit scheiterten meist an ihrem freudlosen Auftritt. Öko-Autos sahen bisher aus, als hätte man Fahrradreifen an Tupperdosen montiert, doch das ändert sich gerade grundlegend. Ökologische Architektur leidet darunter, dass sie ästhetisch nicht vermittelt, was sie technisch beherrscht. Die neue, im Automobilbereich zu beobachtende Fusion der ehemaligen Gegenpole Öko und High Tech könnte das ändern.
Es heißt immer, die Zeit der großen Entwürfe sei vorbei. Warum eigentlich? Ein Blick auf das, was in Europa, in den Vereinigten Staaten und in Asien gebaut wird, zeigt, dass das nicht so ist. Gerade in den vergangenen Jahren hat sich auch jenseits der wichtigen Frage von Ökologie und Nachhaltigkeit ein neuer Diskurs über die grundsätzlichen Fragen des Bauens entwickelt. Diese Fragen lauten: Was kann ein Raum jenseits dessen, was wir kennen, sein? Genauer: Wäre es denkbar, Räume zu schaffen, die jenseits der klassischen Aufteilung in privaten und öffentlichen Raum ein neues, ein anderes soziales Miteinander ermöglichen? Es gibt viele Beispiele für ein neues Raumdenken, für eine Architektur, die grundlegend neu sortiert, was öffentlich und was privat ist. Der Architekt Rem Koolhaas, den man nicht für alles mögen muss, was er zwischen Dubai und China plante, hat in Seattle eine Bibliothek gebaut, wie es sie noch nicht gab. In einer Gegend, in der es nur Straßen und Hochhäuser gibt, ist dieses Gebäude mehr als eine klassische Bibliothek. Es ist ein in die Vertikale gefalteter, mit einem Stahlnetz ummantelter öffentlicher Platz. Über einen Spiralweg, der sich wie ein Wurm durch die Bücher der Bibliothek nach oben frisst, wird die Öffentlichkeit in Höhen gebracht, in der bisher nur privater Büroraum zu finden war. In diesem Gebäude sitzt man wie auf einem öffentlichen Platz - und gleichzeitig so intim wie im Wohnzimmer. Kann Kaffeetrinken oder E-Mails schreiben oder flanieren. Banker kommen hierher zum Mittagessen, Studenten zum Lesen, Schulklassen zum Lernen; ein paar Arbeiter bummeln mit ihren Frauen die Rampe hoch, um den Blick auf die Bucht zu genießen, ein Buch zu lesen, einen Kaffee zu trinken. Das öffentliche Haus wird so auch zu einer sozialen Zentrifuge, die das schafft, was Heeren von Integrationsbeauftragten nicht gelang.
Könnte so etwas auch in der HafenCity gelingen: eine Architektur, die nicht nur schicke Fassaden generiert und alte Stadtmodelle imitiert, sondern die ein neues Stadtgefühl, neue Räume für eine veränderte Gesellschaft schafft? Vor gut einem halben Jahrhundert hielt der Philosoph Martin Heidegger seinen berühmten Vortrag mit dem Titel „Bauen Wohnen Denken“. Er kritisierte die technokratische Architektur seiner Zeit und trat für ein Bauen ein, dass sich als Gedächtnis der Wohnwünsche der Menschen begreift, als Speicher für das Wissen darum, wie man sich in der Welt verortet. Vielleicht erkennt man ein gutes Gebäude vor allem daran, dass es Bauen und Architektur wieder zusammen bringt: Daran, dass zu dem von Heidegger geforderten Wissen um die Geschichte des Wohnens und Bauens, die progressive Fähigkeit zur Architektur kommt: die Fähigkeit, sich neue Räume für eine veränderte Gesellschaft vorzustellen, und mit neuen Materialien und Formen auf die Herausforderungen seiner Zeit zu reagieren. Wenn das gelingt, werden sogar nachhaltige Passivhäuser ihren Schrecken verlieren.
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