Film

„House of Gucci” inszeniert Regisseur Ridley Scott als schillernde italienische Lovestory mit mörderischem Ausgang. Ein quirlig dreister, eleganter Mix aus Gesellschaftsporträt, Familientragödie, Wirtschaftskriminalität, Mode, Glamour und Satire. Letzteres beabsichtigt, aber offensichtlich nicht goutiert von der englischsprachigen Presse.

 

Vom Sex auf dem Schreibtisch direkt an den Traualtar – der 84-jährige Scott setzt auf harte Cuts, Widersprüche und Kontraste. Lady Gaga spielt nicht Patrizia Reggiani, sie ist es, jene energiegeladene geltungssüchtige Femme Fatale. Das Objekt ihrer Begierde: Gucci Sprössling Maurizio, wundervoll verkörpert von Adam Driver mit sanftem ungelenk selbstironischem Charme.

 

Mailand, Anfang der Siebziger Jahre. Es sind oft die ersten Minuten, die über eine große Liebe oder die Magie eines Films entscheiden: Wenn Patrizia Reggiano aus ihrem Fiat aussteigt und den Parkplatz des väterlichen Transportunternehmens überquert, pfeifen die Lastwagenfahrer ungeniert ihr hinterher, Ausdruck höchster Bewunderung für die Tochter des Chefs. Wir sehen sie von hinten, der leichte Hüftschwung unter dem engen Seidenkleid ist unvergleichlich. Ihre 1,55 plus High Heels signalisieren Entschlossenheit, das ist mehr als nur Sex-Appeal, das ist Lebensfreude pur, ungetrübtes Selbstbewusstsein, sie genießt die Bewunderung anderer, Bewunderung wird bald unverzichtbarer Teil ihrer ehrgeizigen Strategien. Aufmerksamkeit braucht Patrizia wie die Luft zum Atmen. Abends tanzt sie ausgelassen zu Discoklängen auf einem Maskenball der Schönen und Reichen, ihr Name stand bestimmt nicht auf der Gästeliste. An der Bar ordert sie einen Drink, kapiert nicht gleich, warum der vermeintliche Barkeeper sich weigert und ihr behutsam zu verstehen gibt, für diese Tätigkeit nicht zuständig zu sein. Wundervoll, wie sich in Adam Drivers Mimik seine Gefühle spiegeln. Amüsiert, noch ist das versteckte Lächeln eines verwöhnten Nachkommens der Modedynastie etwas herablassend, aber dieses freche Mädchen, die keine Ahnung hat, wer die adligen Gastgeber des Festes sind, schaut aus wie Liz Taylor und weckt seine Neugier. Er mixt ihr einen Martini. Patrizia erstarrt voller Ehrfurcht für einen Moment, als der Unbekannte sich ihr vorstellt: „Maurizio Gucci”, dann zerrt sie den Widerwilligen auch schon auf die Tanzfläche.

 

Nein, kein Date, von einem etwaigen Wiedersehen ist nicht die Rede. Unsere Heldin muss hart kämpfen, um ihr Ziel zu erreichen. Sie improvisiert die nächste eher nicht zufällige Begegnung mit ihrem Schwarm zwischen Stapeln juristischer Fachliteratur, der reagiert kaum, erkennt er seine Liz Taylor nun im braven Trenchcoat nicht wieder oder tut er nur so? Adam Drivers Reaktionen in dieser Rolle sind oft nur schwer einzuschätzen, und grade jemand wie Patrizia lernt nie wirklich das Verhalten der High Society zu dechiffrieren. Noch ist jugendliche Unbedarftheit ihr Trumpf, Bücher langweilen sie, gesteht das Mädchen dem Jurastudenten. Offenheit kann entwaffnend sein, irgendwann in der Ehe verliert ihre naive Dreistigkeit an Zauber. Juristen misstraut Patrizia offensichtlich mehr als Kriminellen. Die Einwände des schlaksigen Hünen lässt sie nicht gelten: Nach dem Motto nur ein toter Anwalt ist ein guter Anwalt. Die erste Anspielung auf das blutige Ende ihrer Beziehung. Dessen ungeachtet kann der Gucci Sprössling den Verführungskünsten nicht lange widerstehen, er verliebt sich, ist bereit, für diese Amour fou sein privilegiertes Leben aufzugeben. Ridley Scott geizt nicht mit edlen Locations, anders als in „Alles Geld der Welt” bleiben sie hier Kulisse, vielleicht nicht überraschend beim Gucci Clan, der arg bemüht ist, sein Image künstlich aufzupolieren und sich nur ungern an die eher bescheidene Herkunft erinnert, steht das Modelabel doch für Tradition. Guccio Gucci hatte vor hundert Jahren sein erstes Geschäft für hochwertige Lederwaren in Florenz eröffnet. Nach dem Bankrott der elterlichen Hutmacherei arbeitet er im Londoner Hotel Savoy als Liftboy oder Kellner, die Berichte weichen voneinander ab, dort auf jeden Fall lernte der Italiener die Bedeutung luxuriösen Gepäcks und die Ansprüche der High Society schätzen. Zu den Kunden der Gucci Stores seiner Söhne in Rom, Mailand und New York zählte die internationale Elite des verwöhnten Geschmacks wie Jacqueline Kennedy und Grace Kelly. Den Verkäufern sagte man nach, genauso versnobt zu sein wie ihre Klientel.

 

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Vater Rodolfo (herrlich dekadent Jeremy Irons) würde Patrizia, die einen Klimt nicht von einem Picasso unterscheiden kann, vielleicht als kurzweilige Affäre für seinen Sohn akzeptieren, mehr bitte nicht. Die Reggianis haben einen etwas zwielichtigen Ruf, darauf geht der True Crime Thriller nicht weiter ein, größter Makel scheint für Rodolfo eh das Fehlen von Reichtum und nobler Herkunft zu sein, von dem Mangel an Kultur und Bildung ganz zu schweigen. Maurizio begeht den taktischen Fehler, das Transportunternehmen als Imperium zu bezeichnen. Mit kaum siebzig Trucks etwas übertrieben, solider wohlhabender Mittelstand, in den Kreisen der High Society jedoch unvorstellbar peinlich. Die Drohung, ihn zu enterben, macht wenig Eindruck auf den Sohn. Im Gegenteil, es ist eine Herausforderung, oder besser die perfekte Chance, sich von Konventionen, Familie, Fesseln jeder Art zu befreien. Der Vater, Filmschauspieler und Unternehmer mit exquisitem Geschmack für Mode und Muster, flieht seit dem frühen Tod seiner Frau vor der Realität in Erinnerungen und alte Filme. Dieser Liz Taylor Verschnitt aus dem Mafia Milieu ist seiner Überzeugung nach nur auf das Vermögen der Guccis scharf. Maurizio packt wütend seine Koffer und steht abends vor dem Haus der Reggianis: Er habe kein Geld und es sei auch keines von der Familie zu erwarten, das Jurastudium noch nicht beendet, er bittet den Vater von Patrizia um einen Job und die Hand seiner Tochter. Den nächsten Tag steckt er im Firmenoverall wie die anderen Arbeiter, Ausnahmen werden nicht gemacht.

 

Grade in jenen Jahren fühlten sich einige der Kids aus reichem Haus unwohl ob ihrer Privilegien, man schämte sich für den Hochmut der Väter und deren manchmal skrupellosen Geschäftspraktiken. Ridley Scott trifft damit durchaus den damaligen Zeitgeist. Wenn es in dem Leinwandepos je einen Moment unbeschwerter Ausgelassenheit gibt, dann wenn Maurizio mit den Arbeitern draußen zwischen den Lastern Fußball spielt. Nie zuvor und nie später wird er noch einmal so glücklich sein. Nach der Hochzeit meldet sich Aldo Gucci („Al Pacino”, „Scarface”, „The Irishman”) telefonisch bei dem jungen Paar, Maurizio bügelt grade seine Hemden, der umtriebige joviale Aldo möchte den Neffen als Verbündeten für seinen Expansionskurs in Japan gewinnen, den sein Bruder Rodolfo strikt ablehnt. Er lädt das junge Paar zur Geburtstagsfeier auf das prächtige Landgut ein, hier werden die Rinder gezüchtet für das exquisite Leder der Gucci Produkte. Maurizio weigert sich anfangs, er will nichts mehr zu tun haben mit der Modedynastie. Patrizia beschwört Familienzusammenhalt, bettelt, bittet, natürlich gibt der Ehemann nach, wie er es in der Zukunft noch öfter tun wird. Aus Liebe, aus Bequemlichkeit, mangelnder Courage? Sein Schicksal ist damit besiegelt. Patrizia lässt beim einflussreichen Onkel ihren Charme spielen, aufs Herzen erobern und Intrigieren versteht sie sich. Willkommen daheim, jeder in dieser Sippe ist versessen auf die Firmenanteile der Anderen, Ehrlichkeit notgedrungen ein Tabu. Der Film beginnt als schriller Maskenball und bleibt es bis zum bitteren Ende. Das Drehbuch schrieben Becky Johnston und Roberto Bentivegna, es basiert auf Sara Gay Fordens minutiös recherchiertem Sachbuch „House of Gucci. A Story of Murder, Madness, Glamour and Greed.” Traurig nur, dass jene berührende Geste von Maurizio, die Entscheidung fürs einfache Leben, reine Fiktion ist.

 

Spannend nicht nur, was erzählt wird, sondern auch was der Brite Ridley Scott („The Last Duel”, „Blade Runner”, „Alien”) bewusst ausblendet: Politische Unruhen erschüttern Italien bis Ende der Siebziger: Kommunisten kämpfen gegen Faschisten, Anarchisten gegen den Staat. Studenten gehen für mehr Demokratie auf die Barrikaden. Die Christdemokraten hatten seit Jahren dominiert, gleichzeitig war die Kommunistische Partei so stark wie nirgendwo in Westeuropa. Die Angst vor dem Terrorismus wächst. 17 Menschen sterben am 12. Dezember 1969 beim Bombenattentat an der Piazza Fontana wenige Schritte vom Mailänder Dom entfernt. Am 9. Mai 1978 wird die Leiche von Aldo Moro im Kofferraum eines roten Renault im historischen Zentrum von Rom entdeckt. Der Parteivorsitzende war von den Roten Brigaden entführt worden. Die Beteiligung von Geheimdienst und Politik bleibt im Dunkel. Doch der Gucci Clan scheint von allem unberührt, als lebe er auf einem anderen Planeten, wo nur das Emblem der zwei miteinander verschlungenen „G“s zählt.

 

Scotts Kidnapping Drama „Alles Geld der Welt” (2017) blendete nichts aus, ist mehr Tragödie als Thriller, ein schillerndes, eigenwillig komponiertes ironisches Gesellschaftsporträt der Siebziger Jahre: ’Ndrangheta, reiche Drogensüchtige, Rote Brigaden, Ölscheichs, Produktfälscher, Gangster und Paparazzi. Das ideale Sujet für einen routinierten Ästheten wie Ridley Scott, er verbindet die Disziplin des Chronisten mit der Kreativität des Träumers. Meisterhaft wie es Kameramann Darius Wolski gelingt, Atmosphäre und Zeitgeist einzufangen zwischen Luxus, sozialem Abseits und ständig wechselnden Gefühlslagen: Rom eine Stadt voller Widersprüche, dunkler Geheimnisse, überwältigend und enttäuschend zugleich, trostlos und erhaben, noch wehrt sie sich erfolgreich gegen Massentourismus oder Immobilienhaie. Exquisites Ausstattungskino, das akribisch die Ära vor Smartphone und Internet abbildet, in der sich alles noch mit erstaunlicher Langsamkeit entwickeln konnte, die Entführung des Getty Enkels dauert drei Monate. Es war einer der aufsehenerregendsten Fälle der Kriminalgeschichte und obwohl der Ausgang bekannt ist, besitzt der Film in jeder Phase eine ungeheure Spannung ähnlich „Blade Runner” (1982) oder „Black Hawk Down” (2001), nur ist hier das eigentliche Schlachtfeld die Familie.

 

Auch „House of Gucci” will Psychogramm menschlicher Gier sein. Die Mitglieder der Modedynastie taugen nicht für ein Godfather Epos, also gibt Scott sie der Lächerlichkeit preis, retten kann sich davor nur der kühle, zurückhaltende Maurizio. Statt Suspense und differenzierter Emotionen treibt uns der Soundtrack unerbittlich durch die 157 Minuten, New Wave hat sein Revival, Opernmusik von Rossini, Verdi und Puccini im ständigen Wechsel mit Hits von Donna Summer, David Bowie, den Monkees. Blondies „Heart of Glass” liefert uns schon im Trailer den Subtext für enttäuschte Hoffnungen. Das macht durchaus Spaß, auf ihre Art funktioniert die Satire sogar als Kapitalismuskritik, sind doch eigentlich Machtkämpfe innerhalb einer Familie wahrlich grotesk. Lebemann Aldo findet in der ehrgeizigen Patrizia eine Seelenverwandte, mit ihrer Hilfe überredet er Maurizio, die Juristerei an den Nagel zu hängen und ins Unternehmen einzusteigen, taugt sein eigener Sohn doch eher als Witzfigur denn zum Erben eines internationalen Konzerns. Gespielt wird er von Jared Leto („Suicide Squad”, „Dallas Buyers Club”), der US-amerikanische Schauspieler, Sänger, Gitarrist und Songwriter der Musikgruppe Thirty Seconds to Mars ist nicht wieder zu erkennen als glatzköpfiger beleibter Designer, dem seine Angehörigen jegliche Begabung absprechen. Hier sieht Patrizia ihre Chance, der weinerliche Paolo ist leichte Beute, sie horcht ihn aus, entlockt ihm Details über die zwielichtigen Geschäftspraktiken seines Vaters. Hatte ihr angeblich die Familie so am Herzen gelegen, nun heißt es nur noch, unnötigen Ballast abwerfen.

 

Dass manche Figuren bizarren Karikaturen ähneln, liegt auch an der Entscheidung, die Akteure Englisch mit starkem italienischem Akzent sprechen zu lassen, was manche Kritiker erboste. Sinn macht es nicht, doch zwischen Puccini Klängen und Pop Hymen, den vielen schweren Goldketten, wie Rapper sie heute so favorisieren, all der Häme, Gier, Eifersucht und den juristischen Winkelzügen stumpft man als Zuschauer irgendwann ab, konzentriert sich auf schneebedeckte Gebirgszüge und die subtileren Momente des Dramas, wenn Rodolfo von der Beerdigung seiner Frau erzählt. Maurizio war noch sehr klein, als die Mutter starb, der Junge sah all die Kerzen und plötzlich sang er aus tiefstem Herzen: Happy Birthday to You. Patrizia bemerkt nicht, wie das Gesicht ihres Mannes immer kälter, abweisender wird. Am Ende hasst er die einst so vergötterte Frau für den Verrat an der eigenen Familie, verlässt sie so ruhig und gelassen, wie er sich damals von seinem Vater trennte. Bei der weihnachtlichen Bescherung gibt es vom Noch-Ehemann einen Bloomingdale Geschenkgutschein. Welche Demütigung. Im Schlammbad bespricht sie mit ihrer Freundin und Hellseherin (Salma Hayek) die Einzelheiten des Auftragsmordes an ihrem Ehemann. „Verführung ist ein wichtiges Element des Films,” sagt Adam Driver, „Maurizio wird erst von Patrizia verführt, dann von der Macht und schlussendlich von seinem Stolz.” Wenig begeistert von dem Film dürfte Alessandro Michele, Creative Director von Gucci, sein, dem anspruchsvollen Niveau seiner Kunstprojekte entspricht Scotts Vergangenheitsaufarbeitung nicht unbedingt. Aber ein Produkt, wo Gucci darauf steht, wird widerspruchslos gekauft, egal ob fake oder echt.

 

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Originaltitel: House of Gucci

Regie: Ridley Scott
Drehbuch: Becky Johnston, Roberto Bentivegna,
Darsteller: Lady Gaga, Adam Driver, Al Pacino, Jared Leto, Jeremy Irons, Jack Huston, Salma Hayek
Produktionsland: USA 2021
Länge: 157 Minuten
Verleih: Universal Pictures Germany
Kinostart: 2. Dezember 2021

 

Bilder und Trailer: © 2021 Metro-Goldwyn-Mayer Pictures Inc. All Rights Reserved.

 

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