Film

Mit Geschick aber auch Charme hieven Regisseur Detlev Buck und Drehbuchautor Daniel Kehlmann den Klassiker von Thomas Mann in die Ära von #MeToo. Sie wollen ihre „Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull” als „philosophische Komödie” verstanden wissen, statten den Protagonisten mit einem Touch Tragik aus, was die Rolle des galanten Schwindlers, gespielt von Jannis Niewöhner, facettenreicher werden lässt.  
Frappierend, wie jene französische Metropole Anfang des 20. Jahrhunderts unserer nach Aufstieg und Reichtums lechzenden Gesellschaft ähnelt. Die Filmkritiker reagieren recht unterschiedlich auf die schillernde opulente Leinwand-Adaption, viele zufrieden über gediegene Unterhaltung, manche gar hellauf begeistert, andere nörgeln über einen altbackenen Kostümschinken mit Zuckerguss. 


Kein anderes Werk von Thomas Mann (1875-1955) umfasste eine so lange Entstehungszeit wie die fiktive Autobiographie „Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull”, sie wurde unterbrochen und immer wieder aufgenommen, erschien 1954 in der heutigen Fassung, vollendet wurde sie nie. Manchmal seufzte der Schriftsteller, wenn er wie nach dem Abschluss seiner Novelle „Tod in Venedig” Schwierigkeiten hatte, in den parodistischen Ton zurückzufinden. Was mag damals der Anstoß für diesen Schelmenroman gewesen sein, der so viele Jahrzehnte hindurch seine Aufmerksamkeit beanspruchen sollte? Inspiration waren unter anderem die 1905 veröffentlichten Memoiren des rumänischen Hoteldiebes und Hochstaplers Georges Manolescu. Was Mann plante als Parodie auf Goethes „Dichtung und Wahrheit”, enthüllt letztendlich viel mehr von seinen eigenen unterdrückten Sehnsüchten und Träumen, zugleich rückte der Autor die Figur des Künstlers humoristisch in die Nähe des Hochstaplers. Wobei humoristisch nicht heißt, dass es ihm weniger ernst war, es ist Teil seiner Strategie, so die Gesellschaft in all ihrer Lächerlichkeit wie Grausamkeit zu entlarven. Ein Aspekt, den Detlev Buck („Die Vermessung der Welt”) und Daniel Kehlmann („Tyll”, „Ich und Kaminski”) wundervoll herausarbeiten.

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Schon als kleiner, pausbäckiger Junge versteht sich Felix Krull darauf, die Menschen um ihn herum mit seinen Verwandlungskünsten und Rollenspielen zu bezaubern. Doch daheim im Rheingau ist die Zeit rauschender Feste bald vorbei, die Firma des Vaters bankrott, sein Vermögen hatte er mit scheußlichem Schaumwein verdient und verloren. Der von Schicksal und seiner Ehefrau enttäuschte Unternehmer begeht Selbstmord, die Familie ist nun völlig mittellos. Die Mutter eröffnet eine kleine Pension in Frankfurt. „Aber an die Armut,” so belehrt uns Felix, der Erzähler (Jannis Niewöhner), „darf sich der Arme nie gewöhnen”, der Sohn nächtigt in der Küche, während er um Bildung bemüht, seine Talente der Manipulation wie auch Erpressung perfektioniert. Mit dem ihm eigenen Charme und Kalkül inklusive der üblichen Gaunereien gelingt es dem attraktiven wie eloquenten jungen Mann durch die Kontakte des Paten, Arbeit in dem Pariser Grandhotel St. Edward zu finden. Zuvor gilt es die Musterung zu überstehen, in ihrer ironischen Doppelbödigkeit eine der Lieblingsszenen von Lesern und Zuschauern, hier glänzt Detlev Buck als Militärarzt und Regisseur.  

Das französische Hotel im Stil der Belle Epoque eignet sich als Bühne grandios für Felix und den schönen Schein des Schwindels. Vom Liftboy avanciert er zum Liebling der Oberschicht, macht Karriere, steigt auf in der Kellner-Hierarchie. Seine (Liebes-)Dienste sind bei den Gästen begehrt und werden reich belohnt. Von Präsenten und auch dem Diebesgut beansprucht Oberkellner Stanko seinen Anteil, obwohl das rächt sich. Ihn, den Skrupellosen zu betrügen, bereitet Felix besonderes Vergnügen. Der Träumer vom gesellschaftlichen Aufstieg ist ein Hochstapler mit Moral, nie würde er jene Eleonor anrühren, die noch ein halbes Kind ist, egal wie sie bettelt. Schon Thomas Mann machte manchmal sein zwielichtiger Protagonist zu schaffen, es wollte mit dem Schreiben nicht klappen, weil er den extrem individualistischen und unsozialen Charakter des Buches, wie er es selbst bezeichnete, als unzeitgemäß empfand. Wir dagegen empfinden ihn hochaktuell, hat doch das Internet gigantische Scheinwelten eröffnet, wo es gilt sich bestmöglich selbst zu vermarkten, Hochstapler nennen wir uns nicht und sind es doch, während die Kluft zwischen Arm und Reich ständig wächst 

Moralisch zu bestehen als Regisseur in Zeiten von #MeToo, ist nicht einfach. Die Lösung heißt Zaza (herrlich Liv Lisa Fries), eine aus zwei Romanfiguren zusammengesetztes Geschöpf, kreiert von Buck und Kehlmann. Sie ist Felix Krull ebenbürtig, natürlich gab es sie die starken Frauen in der Literatur auch damals, nur nicht unbedingt bei Thomas Mann. Die temperamentvolle Zaza kommt nach Paris, wir kennen sie aus Frankfurt, dort hat die selbstbewusste Schöne ihr Geld auf der Straße verdient. Felix und sie verbindet tiefe Leidenschaft, nur eine gemeinsame Zukunft hat keinen Platz im heimlichen Masterplan unseres Gentleman Gauners. Zaza braucht zu ihrem Glück den perfekten reichen Ehemann, es geht ihr auch bald einer ins Netz, Zufall ist es keiner. Marquis Louis de Venosta (David Kross) verliebt sich unsterblich in die geheimnisvolle junge Frau, nur der Vater würde nie eine so wenig standesgemäße Beziehung dulden. Und sich dagegen auflehnen, würde den Verlust des Erbes bedeuten, das will keiner. Der Marquis ist vom Vater zu einer zweijährigen Weltreise verdonnert worden, was tun. Felix versteht sich aufs Inszenieren wie Intrigieren. Wahrhaft meisterhaft, mit welcher Nonchalance er den adligen Trottel überzeugt, die Identität zu tauschen mit ihm, dem ehemaligen Liftboy. Seine untadligen Manieren sind mal wieder von unschätzbarem Wert. Er wird sich auf Reisen begeben, damit der verliebte Aristokrat ungestört vom väterlichen Standesdünkel sein Leben mit Zaza teilen kann. Doch das abenteuerliche Doppelspiel hat seine Tücken, droht immer wieder fast aufzufliegen. Die Spannung steigt.

Zuckerguss kann man dem Detlev Buckschen Weltbild nicht vorwerfen, höchstens als Verfremdungselement, ein visueller Ersatz für Ironie. Was da so verführerisch im goldenen Licht erstrahlt oder taubenblau uns verzaubert, ist der Traum vom Dasein in der High Society. Beim Blick hinter die Kulissen entdecken wir die herrschsüchtige Gattin eines reichen Unternehmers in prachtvollen Gewändern, die nach Sadomasochistischer Befriedigung verlangt, verkörpert von Maria Furtwängler.

Komisch ist das nur bedingt, die Assoziation Tatkommissarin lässt sich nicht verdrängen, der Witz zu plump, um ihn zu genießen. Dagegen rührt der homosexuelle schottische Adlige, wenn er schüchtern um Zuneigung buhlt, da verspüren wir die Einsamkeit aus Tod in Venedig. Hier könnte Felix einen Platz finden, vielleicht irgendwann ein Erbe, doch er bliebe bis dahin Lakai, dafür ist er nicht geschaffen. Vertraue niemandem, das hatte ihm sein Vater kurz vor dem Selbstmord eingeschärft. Betrogen werden oder betrügen. Hochstapler sein heißt für unseren Protagonisten nicht nur sozialer Aufstieg, Abenteuer, Hochstapler sein ist eine Art Rüstung, schützt vor Verletzungen. Als Schauspieler lässt er niemanden wirklich an sich heran. Unser fragwürdiger Held leidet unter dem Verlust der Geliebten und der Zuschauer mit ihm. Für jenes Mädchen von der Straße würde er auf alles verzichten, ein normales Allerweltsdasein führen, er selbst sein. Zaza winkt ab, reine Illusion, sie ist in dieser ménage à trois die Pragmatische, Vernünftige.Sie weiß nur zu genau, ein wirklicher Hochstapler kann nie er selbst sein, das ist die Tragik der Figur, einmal angefangen, heißt es, immer weiterspielen.

Das schillernde Gesellschaftsporträt, getarnt als philosophische Komödie, wechselt zwischen skurriler Komik und koketter Romantik, bemüht die herrlich antiquierte Kunstsprache von Thomas Mann in die Detlev Bucksche Gegenwart hinüberzuretten. Diese Momente sind kostbar, wir genießen sie, vergessen alles andere, auch dass es oft an subtiler Ironie fehlt.

 

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Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull

Deutschland 2021
Regie: Detlev Buck
Buch: Detlev Buck, Daniel Kehlmann
Darsteller: Jannis Niewöhner, David Kross, Liv Lisa Fries, Joachim Król
Länge: 117 Minuten
Verleih: Warner Bros. Pictures Germany
Kinostart: 2. September 2021

 

Fotos, Pressematerial und Trailer: © 2021 Bavaria Filmproduktion GmbH / Marco Nagel

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