Er war Schriftsteller, Kampfflieger für die Luftwaffe der France libre, Generalkonsul in Los Angeles, Filmregisseur und Ehemann von Jean Seberg: Romain Gary (1914–1980). Mit „Frühes Versprechen” verwandelt Eric Barbier den gleichnamigen autobiographischen Roman des genialen Autors und zweifachen Prix-Goncourt-Trägers in eine schillernde bildgewaltige manchmal fast groteske Tragikkomödie.
Das opulente Leinwand-Epos ist zugleich zornige Anklage wie auch verzweifelte Liebeserklärung an jene wilde, verrückte Mutter, Nina Owczinski, die von ihrem achtjährigen Sohn unerbittlich zukünftige Heldentaten einfordert, Künstlerruhm und politische Erfolge. Die Welt soll ihrem Jungen zu Füßen liegen, Nina schreit, schmeichelt, beschwört, treibt ihn an, erstickt jede Freiheit im Keim. Eine Traumrolle und Herausforderung für Charlotte Gainsbourg.
Als Geschichte „eines folgsamen Chamäleons” bezeichnet Romain Gary im Roman selbstironisch sein wechselhaftes abenteuerliches Leben. „Frühes Versprechen” ist ein Mix aus Fiktion und Fakten. Der französische Regisseur und Drehbuchautor Barbier hat das Werk auf 131 Minuten komprimiert, etwas zu rasant kolportagehaft auf Anekdoten und Pointen ausgerichtet, nichtsdestotrotz ein Erlebnis. Der Vater des Protagonisten hat die Familie verlassen, ist wie nicht existent. Nina sorgt allein für ihren Sohn ob im grauen tristen Wilna (Litauen) oder sonnendurchfluteten Nizza, sie entwickelt ungeahnte Kräfte und die bewundernswerte Phantasie einer versierten Hochstaplerin. Für den von ihr vergötterten Jungen ist sie zu allem bereit, aber es gibt Momente, die auch ihre Leidensfähigkeit übersteigen. Da steht sie draußen im Schnee, brüllt gegen die Armut an, den Antisemitismus, die Kälte, die scheinbare Ausweglosigkeit ihres Schicksals, gegen die Umstehenden, die sie verlachen und verhöhnen: „Du wirst General, Botschafter von Frankreich, Schriftsteller, Ritter der Ehrenlegion”. Es klingt wie die Tirade einer Wahnsinnigen.
„Du wirst Deine Anzüge in London schneidern lassen, versprich es mir.” Diese Visionen sind Ninas tägliches Mantra, der einstigen Schauspielerin war kein Erfolg vergönnt und so muss nun der kleine Romain mit den großen Kulleraugen, gespielt von Pawel Puchalski, schwören, sie nie zu enttäuschen, alle ihre Hoffnungen zu erfüllen, seiner Verantwortung obliegt es, sie zu entschädigen für alle Unbill des Daseins. Die Übermutter treibt etwas Geld auf, eröffnet ihren ersten Modesalon, als internationaler Couturier wird den eitlen Damen der Gesellschaft ein abgetakelter versoffener Mime präsentiert. Die rastlos Getriebene versteht sich aufs Manipulieren, Tricksen, hat Geschick und Geschmack, täuscht Glamour vor, wo keiner ist. Der Zuschauer ist verblüfft, erschreckt, gerührt, abgestoßen, während er zusehen muss bei Ninas kläglichen Versuchen, aus ihrem Jungen einen Stargeiger zu machen, weniger Talent ist kaum möglich, mit dem Malen will es auch nicht klappen, Nina tröstet sich, van Gogh starb bevor er berühmt wurde, also soll es die Literatur sein. Jeden Rückschlag deklariert die Mutter unverdrossen als Schritt näher zum Ziel. Das glücklose Wunderkind in dem auffälligen Pelzmäntelchen gibt eine mitleidserregende Figur ab, den Außenseiter par excellence. Wann immer Nina irgendwo in der Nähe ihres Sohnes auftaucht, wird er verlacht, das wird sich nicht ändern, auch als er schon beim Militär ist.
„Nie hat ein Sohn seine Mutter so gehasst wie ich”, gesteht Romain. Aus dem Off kommentiert der Erzähler den Verlauf der Ereignisse, „Frühes Versprechen” bleibt auch als Film noch Roman, ein charmant ironisches Wechselspiel von Nähe und Distanz, von Selbstanalyse und purem Ausgeliefertsein gegenüber einer Liebe, so verführerisch, grauenvoll, erdrückend wie unverzichtbar. Je älter der Protagonist wird, desto mehr begreift er, diesem aufbegehrenden rebellischen Lachen, ihrem Mut verdankt er alles und ist entschlossen, jeden ihrer Wünsche zu erfüllen. So wird aus dem widerspenstigen Teenager (Nemo Schiffman), der sich mehr für die Form wohl gestalteter weiblicher Hinterteile interessiert als fürs Schreiben, ein hypersensibler junger Mann (Pierre Niney). Ungeduldig durchblättert er die Zeitung, in der Hoffnung seinen eingeschickten Text hier zu entdecken. Wie schon als kleiner Junge versucht der Sohn krampfhaft den mütterlichen Anforderungen zu genügen. Erfolge feiert Nina überschwänglich in einem Taumel der Glücksseligkeit, aber Misserfolge duldet sie keine mehr, reagiert zornig, verletzend, ihre Ansprüche werden immer monströser, sie verlangt von ihrem Sohn, er solle Hitler töten, um so Frankreich zu erlösen. Die symbiotische Mutter-Sohn Beziehung wird zunehmend furchteinflößender.
Frankreich verkörperte in Warschau für Nina das Paradies auf Erden, die Ideale von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit ebenso wie Eleganz, Chic und Verführungskunst. Als polnische Jüdin war sie überzeugt, nur hier würde ihr Sohn seine wahren Qualitäten entfalten können, stellte sich vielleicht in ihrer Naivität vor, dass man überall Champagner trinke und Victor Hugo Präsident sei. An der Côte d’Azur eröffnet sie eine Hotelpension, der Krieg ist Bedrohung und Chance zugleich, Romain hat nun endlich die von ihr ersehnte Gelegenheit zum hochdekorierten Helden aufzusteigern.1935 erhält er die französischer Staatbürgerschaft, doch beim Militär wird er als Einziger trotz überragender Qualifikationen nicht zum Offizier befördert, den wahren Grund verschweigt er der Mutter, es ist seine jüdische Herkunft, stattdessen wartet er mit der amüsanten Lüge auf, er hätte eine Affäre mit der Frau des Kommandeurs. Maman ist begeistert, sieht selbst darin eine Bestätigung seiner Einzigartigkeit. Diese Liebe zu Frankreich prägt ihrer beider Schicksal, macht sie zum Hoffnungsträger wie auch Projektionsfläche. Und so heißt es im Roman: „Kein einziger Tropfen französischen Blutes fließt in seinen Adern, aber Frankreich fließt in ihm”. Genau diese Aspekte geben dem Film in Zeiten von Flüchtlingskrise und zunehmendem Antisemitismus neue Aktualität. Charlotte Gainsbourg erinnerte die Figur der Nina an ihre eigene russische Großmutter, sie waren in etwa gleichaltrig, stammten aus derselben Welt, derselben Kultur. Die Exaltiertheit der Rolle liegt der Schauspielerin, die Ausbrüche, die Hysterie, dann wieder behutsame Zärtlichkeit, ein ständiges Bombardement der Emotionen. Sie scheint geschaffen für diffizile Familienbeziehungen auf der Leinwand. Schlagzeilen machte ihr Film „Charlotte for Ever” (1986), damals war sie gerade fünfzehn Jahre alt. Thema des Films ist die erotische Liebe zwischen Vater und Tochter. Serge Gainsbourg, ihr Vater, war nicht nur Autor, Regisseur sondern auch Hauptdarsteller. Ebenfalls von Inzest handelte 1993 der Film „Der Zementgarten” nach dem gleichnamigen Roman von Ian McEwan unter der Regie ihres Onkels Andrew Birkin.
„Das Leitmotiv ist”, so Eric Barbier, „ein doppeltes Versprechen. Nina verspricht ihrem Sohn, ihn bedingungslos zu lieben und zu unterstützen. Romain verspricht im Gegenzug, erfolgreich und berühmt zu werden.... Gary will seine Mutter rächen, der viel Ungerechtigkeit widerfahren ist. Das ist bei Kindern ein Grundbedürfnis. Wenn man zusehen muss, wie die Eltern verletzt und beleidigt werden, kann das zu einer großen Wut und Kraft führen. Dafür steht beispielhaft die Szene vom Beginn des Film, wenn die Polizei die Mutter demütigt und der kleine Junge sich unter dem Tisch versteckt.” Deshalb schreibt Gary dieses Buch über seine Mutter. Grandios Pierre Niney als tragisch lächerlicher Held, der Soldat schießt im afrikanischen Quartier mit der Dienstwaffe auf ein Moskito, sein Erfolg kompensiert nie seine Trauer, das Gefühl des Versagens. Er verkörpert einen Mann, der glaubt, nie den Ansprüchen gerecht werden zu können, weder seinen eigenen noch denen der Anderen, die Ironie ist sein Rückzug nach innen. Er verlangt irgendwann von der Mutter, ihn endlich in Ruhe zu lassen, der Krieg trennt sie: „Der Gedanke, dass sie sterben würde, bevor ich all ihre Träume erfüllte, war unerträglich. Ich musste ein französisches Literaturgenie werden und ein unsterbliches Meisterwerk schreiben. Ich nahm mir vor ihrem Opfer, Bedeutung zu verleihen und ihrer würdig zu werden. Und ich widmete mein Leben dieser Aufgabe.” Unter fünf verschiedenen Pseudonymen schrieb er rund dreißig Romane und Drehbücher, trotzte tapfer den Vertretern des Noveu Roman Claude Simon, Nathalie Sarraute, Michel Butor, Alain Robbe-Grillet.
„Mit der Mutterliebe macht einem das Leben ein frühes Versprechen, das es nicht halten wird,” heißt es im Film. Am 2. Dezember 1980 beging Romain Gary Selbstmord. in seinem Abschiedsbrief wies er ausdrücklich darauf hin, es bestände kein Zusammenhang mit dem Tod seiner Ehefrau Jean Seberg, sie starb am 30. August 1979, Romain Gary und einige andere glaubten nicht an einen Suizid, behaupteten, sie sei vom amerikanischen Geheimdienst ermordet worden.
Originaltitel Film: La Promesse de l'aube
Regie: Eric BarbierDrehbuch: Eric Barbier und Marie Eynard (nach dem Roman von Romain Gary „Frühes Versprechen“)
Darsteller: Charlotte Gainsbourg, Pierre Niney, Didier Bourdon, Jean-Pierre Darroussin, Pawel Puchalski, Nemo Schiffman
Produktionsland: Frankreich 2017
Länge: 131 Minuten
Kinostart: 7. Februar 2019
Verleih: Camino Filmverleih
Fotos, Pressematerial & Trailer: Copyright Camino Filmverleih
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