Film
7 Tage in Entebbe

27. Juni 1976- deutsche und palästinensische Terroristen kapern die Air France Maschine 139 auf ihrem Flug von Tel Aviv nach Paris und erzwingen eine Landung in Entebbe, Uganda. Unter Androhung, die Passagiere nacheinander zu töten, fordern die Entführer fünf Millionen Dollar Lösegeld und die Freilassung von mehr als 50 inhaftierten Palästinensern.
José Padilha inszeniert sein kontroverses Geiseldrama „7 Tage in Entebbe” bewusst nicht als spannungsgeladenen Action-Thriller sondern als gefährliche Gratwanderung zwischen den Ideologien, nie bezieht er, der brasilianische Regisseur, selber politisch Position. Wie ein rast- und ratloser Unterhändler pendelt er zwischen Fronten und Gegnern, Fiktion und Fakten, die Perspektive auf das Geschehen wechselt ständig.

Viele der Fluggäste dürfen den Terminal verlassen, trügerisches Signal der Verhandlungsbereitschaft, doch die 104 jüdischen Passagiere, vorwiegend Israelis, bleiben weiter in der Gewalt der Geiselnehmer. Unterbrochen und indirekt reflektiert wird die Handlung immer wieder von den, mit donnernden Beats unterlegten, furiosen Modern-Dance-Performances des Choreographen Ohad Naharin, sie entwickeln sich zum emotionalen Kernstück des Films.

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Alle Beteiligten glauben sich gleichermaßen auf der Seite des Rechts, Terroristen wie Politiker, so verlangt es das Konzept Padhillas. „Ich will Bomben ins Bewusstsein der Massen werfen”, verkündet anfangs noch großspurig Wilfried Böse (David Brühl), Mitbegründer der Revolutionären Zellen. „Nein, Du bist hier, weil du dein Land hasst”, korrigierte ihn ein Palästinenser, „Ich liebe mein Land. Und deshalb kämpfe ich dafür.” Auf der Leinwand mimt Böse den smarten deutschen Radikalen, der sich treuherzig „als Menschenfreund“ bezeichnet. Er und seine Mitstreiterin Brigitte Kuhlmann (Rosamunde Pike) müssen bald erkennen, dass sie vor Ort den Kameraden der palästinensischen Befreiungsfront (PLF) wahrscheinlich nur als Handlanger dienen. Kurz der Moment revolutionärer Glorie, wenn die beiden aus ihrem Handgepäck Gewehr und Handgranate hervorklauben und das Kommando im Flugzeug übernehmen.

Eigentlich sollte mit dem Hijacking der Maschine Ulrike Meinhof freigepresst werden Die Chef-Ideologin der Roten Armee Fraktion (RAF) war angeklagt wegen vierfachen Mordes und 54-fachen Mordversuchs. Doch unmittelbar vor Prozess-Ende am 9. Mai 1976 wird sie erhängt in ihrer Gefängniszelle aufgefunden. Brigitte Kuhlmann fühlt sich schuldig für ihren Tod, sie wirkt aggressiver, angespannter als die anderen Terroristen, feuert in die Decke, um sich Gehör zu verschaffen oder vielleicht die eigene Unsicherheit zu vertreiben: „Klappe halten – und zwar alle. Wer sich mir widersetzt, wird erschossen.” „7 Tage in Entebbe” ist eine ungewöhnliche Charakterstudie, bei den amerikanischen Kritikern fand sie weniger Beifall, jene spröde plakative Sprache der beiden deutschen Terroristen klingt so gar nicht nach Hollywood-Dialog und Politthriller. Die Flugzeugentführung und deren spektakuläre israelische Befreiungsaktion, Operation Thunderbolt, wurden bereits mehrfach verfilmt in hochkarätigen Besetzungen wie 1976 mit Anthony Hopkins, Kirk Douglas, Burt Lancaster, Richard Dreyfuss und Elisabeth Taylor.

Helmut Berger, Horst Buchholz, Klaus Kinski, sie alle verkörperten schon „Bonnie” Böse, den seine Genossen gehässig den „Buchhändler“ nannten. Daniel Brühl gibt sich weniger glamourös und ist genau deshalb glaubhafter. Regisseur Padilha und Drehbuchautor Gregory Burke gehen zwar scheinbar auf Distanz, aber zwingen umgekehrt den Zuschauer statt ihrer, Position zu beziehen, nicht pro und kontra, sondern in der Frage, wie sich wehren gegen Ohnmacht oder Übermacht. Das klaustrophobische Geiseldrama mutiert als Relikt längst vergangener Zeiten zur Parabel über den Nahost-Konflikt. Die beiden Protagonisten und mit ihnen Generationen militanter Linker rebellierten gegen Eltern und deren faschistische Vergangenheit. Der Holocaust als Legitimation für den bewaffneten Kampf gegen ein korruptes Gesellschaftssystem, während sich gleichzeitig der Antisemitismus schon längst in den eigenen Reihen etabliert hatte. Wirklichen Mut dagegen beweist der Kapitän und die Crew der Air France, sie entscheiden sich bei den jüdischen Fluggästen zu bleiben, auch eine französische Nonne weigert sich zu gehen, aber sie wird gezwungen.

Die Palästinenser weisen Böse und Kuhlmann an, die jüdischen Passagiere gleich welcher Staatsangehörigkeit von den nichtjüdischen zu trennen. Es genügt, dass ein Name jüdisch klingt. Unter den Augen der Weltöffentlichkeit richten Deutsche wieder Gewehre auf Juden, entscheiden wie bei der Selektion in Auschwitz, wer leben darf und wer nicht. Der Protagonist sorgt sich um sein Image, ihn quälen Selbstzweifel: „Das war nicht vereinbart, ich bin kein Nazi”. Diktator Idi Amin dagegen gibt sich zuversichtlich. Er heißt die Geiseln der Air France Maschine mit einem bösartigen Lächeln Willkommen: „Wenn Eure Regierung nicht verhandelt, dann werden alle 24 Stunden zwei Kinder erschossen. Die beiden werden die ersten sein”, erklärt er und zeigt auf die potenziellen Opfer. Seine Exzellenz versteht sich auf Ironie, Gewalt und Folter, weiß, wie man Angst verbreitet. „7 Tage in Entebbe” besitzt nicht die stilistische Rigorosität von „Tropa de Elite”, der 2008 auf der Berlinale mit dem Goldenen Bären als bester Film ausgezeichnet wurde. Padilha hat akribisch recherchiert, nur die Aussagen von den Beteiligten sind widersprüchlich, Idi Amin leugnete später das Ausmaß seiner Beteiligung, auch wenn die Fakten dagegen sprechen. Von den Wortwechseln der zwei Deutschen ist wenig überliefert, der Filmemacher muss improvisieren, doch die Authentizität verblüfft, wenn die gewaltbereiten Teutonen sich verschanzen hinter bleiernen Plattitüden, Emotionen als Überreste dekadenter Bürgerlichkeit verdrängen sie, was bleibt ist Fanatismus oder Verzweiflung.

Zum ersten Mal zieht Israels Premierminister Yitzhak Rabin (Lior Ashkenazi) ernsthaft in Betracht von dem unumstößlichen Grundsatz abzuweichen, nie mit Terroristen zu verhandeln. Verteidigungsminister Shimon Peres (Eddie Marsan) hält es für politischen Selbstmord. Mit einer Spezialeinheit erarbeitet er einen genialen wie riskanten militärischen Plan. Das wahrhaft abenteuerliches Szenario funktioniert, mehr als hundert Geiseln werden gerettet, drei von ihnen kommen ums Leben genau wie der israelische Soldat Yonatan Netanyahu, Bruder des heutigen Ministerpräsidenten. Alle Terroristen und Dutzende ugandischer Soldaten werden erschossen. Was Worte kaum vermitteln könnten über Tradition, Holocaust, über die existenzielle Entscheidung zwischen Kompromiss und Kampf, gelingt Ohad Naharin. Der israelische Künstler gehört zu den führenden zeitgenössischen Choreographen. Seine Performances sind leidenschaftlich, radikal, von unglaublicher Kraft, explosiv, animalisch, fast martialisch, andere wieder sanft, sublim, zurückhaltend, sinnlich, Auch auf der Leinwand bleibt jene Magie der Bilder körperlich spürbar. Die atemberaubenden Bewegungsabläufe verbinden Grauen und Grazie, Schrecken und Schönheit auf eine bestürzend reale, unverwechselbare Weise.

Nie wieder wollen Juden wehrlose Opfer sein. „Ich muss kämpfen, damit Du tanzen kannst” sagt einer der Elitesoldaten zu seiner Freundin, sie ist Tänzerin und enttäuscht, weil er nicht präsent sein wird bei der Premiere, er nimmt teil an der Operation Thunderbolt, später unbenannt in Operation Yonatan (מבצע יונתן, mivtsa yonatan). Der Satz stört vielfach die Kritiker, und doch ist er vielleicht die Essenz des Films, die eigentliche Tragik, es geht um die Wehrhaftigkeit der Demokratien, den Überlebenskampf Israels. Während die Soldaten für ihre geheime Mission trainieren, sehen wir die junge Tänzerin bei der Probe, sie soll aus dem Stand zu Boden gleiten. Der Zuschauer ahnt die unbewusste Furcht des Mädchens, noch haben ihre Versuche etwas kontrolliert Künstliches, unbewusst auf Effekt bedacht. Naharin lässt sie das Fallen wiederholen, immer wieder, aber ganz ohne Druck. Sein Ziel ist nicht Perfektion, sondern den eigenen Körper zu entdecken, ihm zu vertrauen auch dessen heilender Kraft. Und dann ganz unerwartet, wird der improvisierte Sturz durch seine natürliche Selbstverständlichkeit zum sinnlichen Schauspiel, erinnert an die Brandung des Meeres, eine Welle, die vom Sandstrand aufgenommen wird. Die Blockade ist gebrochen.

Naharin wurde Tänzer, obwohl er unter einer schweren Rückenverletzung leidet, er ist jemand, der Schwierigkeit nicht aus dem Weg geht, im Gegenteil. Seine erklärten Ziele sind das Ende der Besetzung, die Trennung von Religion und Staat. Seine Bühne ist keine Agitprop-Arena und doch ist Ausdruckstanz nirgendwo so politisch wie in Israel. Die Choreographie zu dem Pessach-Lied „Echad – Mi Yodea” (אחד מי יודע) sorgte 1998 unter den konservativen Regierungsmitgliedern für einen Skandal. Sie ist es, die das fulminante Finale des Films bildet.

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Originaltitel: 7 Days In Entebbe

Regie: José Padilha
Darsteller: Daniel Brühl, Rosamund Pike, Eddie Marsan
Produktionsland: USA, Großbritannien, 2017
Länge:107 Minuten
Kinostart: 3. Mai 2018
Verleih: Entertainment One Germany (eOne)

Fotos, Pressematerial & Trailer: Copyright Entertainment One Germany (eOne)

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