„Die Nile Hilton Affäre”. Oder das Herz der Finsternis
- Geschrieben von Annna Grillet -
Kairo, Januar 2011 am Vorabend der Revolution, eine Stadt voller Widersprüche, hier herrschen die Reichen, die Mächtigen. Korruption, Willkür, Gewalt und die Gier nach Geld bestimmen den Alltag, jene Extreme von Luxus und Armut.
„Die Nile Hilton Affäre” inszeniert Tarik Saleh atemberaubend virtuos als melancholisch düsteren Neo-Noir. Weder Moral noch Fernsehapparat funktionieren, Kommissar Noredin (grandios Fares Fares) erträgt es mit scheinbar stoischer Gleichgültigkeit. Nach dem Tod seiner Frau will er nur vergessen, flieht in die Routine der Arbeit, betäubt daheim die Trauer, den Schmerz, mit Alkohol und Tabletten. Lässig, ohne Skrupel kassiert der eher wortkarge Polizeibeamte Schmiergelder, gibt sich tough, kalt, unnahbar. Nie hat er die Machtstrukturen seines Landes hinterfragt, doch dann geschieht ein Mord, der alles verändert.
Zwei Protagonisten hat das eigenwillige Schuld- und Sühnedrama: Noredin und die Stadt selbst. Ihre dunklen Geheimnisse, die schillernden Facetten sind kaum zu dechiffrieren, die Fassade täuscht, bröckelt bereits, jeder wird am Ende auf seine Art rebellieren. „Die Nile Hilton Affäre” ist eine Chronik des ‚Ägyptischen Frühlings’, der Zuschauer steckt mittendrin, spürt die Nervosität, eine wachsende Unruhe. Gerüchte kursieren, aufrührerische Parolen machen die Runde. Noch knien auf der Straße die Gläubigen und beten, wo in wenigen Tagen schon die Demonstranten den Umsturz fordern werden. Noch regiert Präsident Mubarak und unser Held kurvt im schrottreifen Wagen um die Ecken finsterer Gassen, hält an, oft genügt eine Kopfbewegung, das Geldbündel taucht wie aus dem Nichts auf, eine angstvoll unterwürfige Geste, kein Handeln, Feilschen, Betteln würde nützen. Diese Cops bekämpfen nicht das Verbrechen, im Gegenteil, Schutzgelderpressung sehen sie als selbstverständliches Teil ihres Jobs an. Kamal Mostafa (Yasser Ali Maher) ist Noredins Onkel und Vorgesetzter. Als ranghöchster Polizist bewegt er sich geschickt auf dem politischen Parkett, immer besorgt um beste Verbindungen und hohe Bestechung.
Die junge Sängerin Lalena, ein arabischer Popstar, liegt mit durchschnittener Kehle in einer Suite des Nile Hilton Hotels. Die einzige Zeugin, das sudanesische Zimmermädchen Salwa (Mari Malek) ist spurlos verschwunden. Am Tatort angekommen durchsucht Noredin Jacke und Tasche des Opfers, die Banknoten steckt er mit der üblichen Selbstverständlichkeit ein. Nicht dass ihm das Geld wirklich etwas bedeutet, daheim bunkert er es im Kühlschrank. Während sich der Pathologe beim Zimmerservice einen Shrimp-Cocktail bestellt, einigen die Kollegen sich viel zu schnell auf ein Verbrechen aus Leidenschaft und gehen mit nur mäßigem Elan an die Ermittlungsarbeit. Noredin lässt sich davon nicht beeinflussen, er hat eine heiße Spur, es sind kompromittierende Nacktfotos, sie führen ihn zu dem einflussreichsten Immobilien-Tycoon des Landes: Hatem Shafig (Ahmed Seleem). Er ist nicht nur Eigentümer des Nile Hilton Hotels, sondern auch ein enger Freund der Präsidentenfamilie und genießt Immunität. Noch bevor die ersten Ergebnisse ausgewertet sind, wird der Fall als Suizid zu den Akten gelegt. „Sie hat sich selbst die Kehle durchgeschnitten?” fragt Noredin in ironisch-süffisantem Ton, solch Humor kommt bei Mostafa nicht gut an.
Der schwedische Regisseur ägyptischer Abstammung hat einen besonderen Blick für urbane Schönheit: Spiralförmige furchteinflößende Treppenhäuser, die Elendsquartiere der Obdachlosen auf den Gehsteigen, das klaustrophobische Labyrinth von Dächern und Terrassen in den Armenvierteln, das den Flüchtlingen Schutz gewährt gegenüber den Verfolgern. Jedes für sich bleibt ein eigenes autonomes Reich, während Zuschauer und Protagonist vom Großstadtdschungel verschlungen werden. Dies ist keine inszenierte Kulisse, sondern die suggestive Expedition in das Herz der Finsternis. Überall noch die Spuren fremder Machthaber aus den vergangenen Jahrhunderten (Kamera: Pierre Aïm). Es entsteht ein packendes hypnotisch beklemmendes Gesellschaftspanorama, ein düsterer Moloch, das Licht flackert, verschwindet, die Farben sind wie ausgewaschen, Staub und Schmutz auf Fenstern und Windschutzscheibe versperren die Sicht. Ob Noredins Wohnung daheim oder das Polizeirevier, alles wirkt veraltet, abgenutzt, verrottet wie das politische System selbst. Dazwischen die Ausflüge des Kommissars zu den protzig-sterilen Luxusfestungen am Rande der Stadt. Tarik Salehs frühe Leidenschaft war nicht der Film, er ist Schwedens bekanntester Graffiti-Künstler. Sein gigantisches Wandbild „Fascinate” aus dem Jahr 1989 wird von der Regierung als Kulturerbe geschützt.
Unser Protagonist erwacht langsam aus der Lethargie und ermittelt im Alleingang weiter. Er sucht Hatem Shafig in dessen Villa auf, die Reaktion ist zunächst Abwehr, doch Noredin gibt nicht nach. „Vergiss Gerechtigkeit”, laut der wohlmeinende Rat eines Kollegen, der Onkel formuliert es drastischer. Doch dann erscheint Gina (Hania Amar) auf dem Revier, um ihre Freundin Lalena als vermisst zu melden, auch sie tritt wie einst die tote Sängerin auf im Club Solitaire. Der Fall bekommt eine völlig neue Wendung, Hatem Shafiq erzwingt plötzlich den Kontakt zu Noredin, gesteht ihm im Vertrauen seine Affäre und die Liebe zu der schönen Künstlerin. Er gibt auch zu, am Tatort gewesen zu sein, mit dem Mord aber habe er nichts zu tun. Es ist Lalenas Manager Nagy (Hichem Yacoubi), der ihn mit den Fotos erpresst. In Wirklichkeit ein Zuhälter, der junge Mädchen, die von einer Karriere als Star träumen, in Edelklubs für sich anschaffen lässt und dabei heimlich fotografiert. Die Kunden sind meist reiche Unternehmer oder Angehörige der Regierung, perfekte Opfer für diese Art der Erpressung. Nagy bietet dem Kommissar eine erschreckend hohe Summe, wenn er die Spur weiterverfolgt und sich dabei auf Nagy konzentriert. Noredin weiß, er muss Salwa finden, nur sie kann Licht ins Dunkel bringen.
„Die Nile Hilton Affäre” basiert auf einem Kriminalfall in Dubai Marina, der Schlagzeilen machte. 2008 wurde die libanesische Popsängerin Suzan Tamin dort in ihrem Apartment durch mehrere Messerstiche getötet, das Gesicht verunstaltet. Der Ehemann kam als Täter nicht in Frage, er war in Beirut. Kurz darauf wurde ein ägyptischer Polizist verhaftet, der behauptete, dass er Aufnahmen habe, die den einflussreichen ägyptischen Bauunternehmer Talaat belasten würden. Tarik Saleh dazu: „Man muss sich Talaat Mustafa als das Äquivalent zu Donald Trump vorstellen. Ein Mann mit einem ungeheuren Ego. Er hatte eine Beziehung zu der Sängerin, aber sie verließ ihn. Er wurde wütend und beauftragte dann einen Polizisten mit dem Mord.” In Ägypten haben bedeutende Geschäftsleute oder Politiker häufig neben ihrer Ehe Beziehungen zu Tänzerinnen oder Sängerinnen. „Aber dieser Fall lag anders” so der Regisseur, „Talaat Mostafa war ein enger Freund der Präsidentenfamilie und genoss sogar Immunität. Als die ägyptischen Medien begannen über den Fall zu spekulieren, wurde sein Name erst nicht erwähnt. Mostafa versteckte sich zu diesem Zeitpunkt bereits in der Schweiz. Plötzlich aber trat der ägyptische Geheimdienst an die Öffentlichkeit und forderte ihn über das nationale Fernsehen auf, nach Ägypten zurückzukehren, um sich ihren Fragen zu stellen. Die Bevölkerung war überrascht... Die Immunität wurde aufgehoben. 2009 fanden dann die Gerichtsverhandlungen statt und die glichen beinahe dem O.J. Simpson-Prozess – jeder im Land verfolgte sie.”
Tarik Saleh überlegte, was wäre, wenn ein ägyptischer Polizist mit einem deratigen Mordfall betreut würde. Allein das Stellen von Fragen wäre schon gefährlich. Er schrieb 2010 das Drehbuch und ließ es mit einer Revolution enden. Ein solches Finale schien ihm aber dann nicht realistisch, er war überzeugt, in Ägypten würde es nie eine Revolution geben und widmete sich einem anderen Projekt. Der heute 45jährige Saleh wollte keinen politischen Film drehen: „Im Gegenteil, ich wollte einen persönlichen Film machen. Es geht darum, dass man nicht nur ein wenig korrupt sein kann. Das funktioniert nicht. Entweder man ist es oder nicht. Korruption in Ägypten ist nicht das Gleiche wie Korruption in Europa. In Ägypten entstand die Korruption, weil es für die Menschen keinen anderen Weg gab, um zu überleben. Es gab immer ausländische Machthaber. So entstand ein System neben dem System, um mit den Römern, den Griechen, den Türken, den Engländern oder den Franzosen, wer auch immer grade die Macht hatte, zu kommunizieren. Man brauchte ständig jemanden, der in seinem Namen sprach. Dieses System war sehr stabil, es bestand seit tausenden von Jahren.” Und auch, als die fremden Herrscher durch die nationale Revolution verdrängt wurden, blieben die Strukturen noch weiterbestehen. Korruption wird deshalb dort anders wahrgenommen auch das Wort selbst. „Wasta”, so der schwedische Regisseur „bedeutet ‚Gefallen’ oder ‚wen man kennt’“. Jeder in Ägypten braucht ‚wasta’, egal wer. Sogar der Präsident. Deshalb ist es kein negativ, sondern positiv belegtes Wort.”
Noredin hat verlernt zu lächeln, geblieben ist ein kaltes, etwas schiefes Grinsen. Den Zuschauer erinnert der desillusionierte Cop an Lino Ventura und die Ära klassischer Politthriller. Kaltschnäuzig mürrisch und unendlich müde. Abends sitzt er regungslos vor dem flirrenden Ferngerät ohne Bild, ein Mann, der seine Gefühle so lange hat unterdrücken müssen, dass er kaum noch weiß, wie sich das anfühlt: Liebe. Er kann und will niemanden vertrauen, und tut es dann doch. Sein pflegebedürftiger Vater verachtet ihn wegen des Schmiergelds. Für wen wohl hortet Noredin die Notenbündel im Kühlschrank, er will den Alten versorgt wissen, fährt deshalb eine Schrottkarre und haust in einem miesen Loch von Wohnung. Fares Fares, bekannt als Ermittler aus den Verfilmungen der Krimi-Trilogie von Jussi Adler-Olsen, spielt seine Rolle mit unterkühlter Power, weniger sentimental geht es kaum, und doch trifft er den Zuschauer mitten ins Herz. Diese Welt ist ein Netz aus Intrigen, Verrat und Ausbeutung, macht Angst, perfide und dekadent wie sie ist. Der Held wird uns nicht trösten, vielleicht kann er grade noch Salwa aus der Schusslinie bringen. Er ist Polizist mit Leib und Seele. Im Solitäre Club schaut er dem ridikülen Treiben der Reichen zu, Gina stellt ihn den Gästen vor als führenden Hersteller von Toiletten mit direktem Draht zu Hosni Mubarak. Humor nie ohne einen Touch fatalistisch bissiger Ironie. Noredin verbringt die Nacht mit der Sängerin, danach tauchen auch von ihm kompromittierende Fotos auf. Er wird vom Staatsicherheitsdienst vorgeladen. Man hat Gina tot aufgefunden.
Salwa ist in jener Nacht dem Mörder Lalenas grade noch entkommen. Sich zu verstecken, schnell reagieren, unsichtbar werden im richtigen Moment, das ist ihre Überlebensstrategie geworden in den Jahren als Flüchtling ohne Aufenthaltsgenehmigung und sie beherrscht sie meisterhaft. Clinton (Ger Duany) hat hier im Armenviertel das Sagen. Noredin gegenüber mimt er den Unwissenden, dabei weiß er genau, wo Salwa untergetaucht ist. Als sie ihm gesteht, wen sie in der Mordnacht sah, wittert er eine Chance auf den großen Coup. Die beiden planen den mächtigen Hatem Shafiq zu erpressen. Auf den Straßen brodelt es. Noch ist nicht der 25. Januar, der als „Tag des Zorns” in die Geschichte eingehen wird und noch ahnt der Zuschauer nicht, wer hinter den Morden steckt. Der Film des schwedischen Regisseurs gewann in Sundance den World Cinema Grand Jury Preis. „Die Nile Hilton Affäre” ist mehr als ein atmosphärisch dichter fesselnder Politthriller, überragend inszeniert. Es ist großes Kino in der Tradition von Costa-Gavras, Vittorio de Sica, oder Jean-Pierre Melville. Ein Moment der Wahrheit. Tarik Saleh (“Tommy”) wusste, dass trotz der Revolution, immer noch die gleichen Menschen an der Macht waren. „Es gab aber nach der Revolution dieses kleine Fenster der Freiheit in Ägypten und auch noch ein halbes Jahr nach dem Präsidentenwechsel. Ich wurde von einem ägyptischen Produzenten überzeugt, dass es möglich sei, dort zu drehen... Nur wenige Tage vor Beginn der Dreharbeiten hat die Staatssicherheit die Genehmigung verweigert und wir mussten das Land verlasen. Deshalb haben wir letztendlich in Casablanca gedreht.”
Saleh ist überzeugt, dieser Film könnte auch in anderen Ländern spielen, Brasilien, Mexiko, Nigeria, Ungarn, Polen oder in den USA. „Und wenn wir nicht aufpassen”, fügt er hinzu, „wen wir als unseren nächsten Repräsentanten in Europa wählen, könnten wir bald auch an einen Punkt geraten, an dem man denkt, Kapitalismus sei das Gleiche wie Demokratie”.
Originaltitel: The Nile Hilton Incident
Regie / Drehbuch: Tarik Saleh
Darsteller: Fares Fares, Hania Amar, Mari Malek
Produktionsländer: Schweden, Deutschland, Dänemark, 2017
Länge: 111 Minuten
Kinostart: 5. Oktober 2017
Verleih: Port au Prince Pictures GmbH
Fotos, Pressematerial & Trailer: Copyright Port au Prince Pictures GmbH
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