„Tom of Finland” – Revolutionär schwuler Ästhetik
- Geschrieben von Anna Grillet -
Er inspirierte Künstler wie Andy Warhol, Robert Mapplethorpe und die Village People, seine markanten erotischen Zeichnungen veränderten radikal das Selbstverständnis homosexueller Männer: Tom of Finland, mit bürgerlichem Namen Touko Laaksonen.
Er starb 1991. Sein wechselhaftes Leben und den Aufstieg zur legendären Kultfigur schildert Regisseur Dome Karukoski in dem berührenden Film-Porträt „Tom of Finland”. Es ist die Geschichte hinter den Bildern, sie verrät aus welchen Albträumen, Geheimnissen und Fantasien jene muskulösen aufreizenden Biker, Polizisten oder Holzfäller entstanden und welche subversive Message ihr überdimensionaler Phallus signalisiert.
Nach Ende des Zweiten Weltkriegs kehrt Touko Laaksonen (grandios Pekka Strang) von der Front schwer traumatisiert zurück. Er war bei der Luftabwehr, kämpfte an der Seite der Deutschen. Die Erinnerung an jenen sowjetischen Fallschirmspringer, den er mit einem Messer tötete, wird ihn immer verfolgen. Zugleich sehnt er sich nach dem Soldaten, mit dem ihn eine enge Beziehung verband, unabhängig ihrer politischen Überzeugungen oder der Rolle, die sie später in der Gesellschaft spielen. Denn schwul sein, bedeutete damals, sich verstellen müssen, die sexuellen Neigungen zu verleugnen. In Finnland genau wie in Deutschland wurde Homosexualität strafrechtlich verfolgt. Dome Karukoski und Kameramann Lasse Frank kreieren einen schwermütigen klaustrophobischen Kosmos, ästhetisch virtuos, in Farben wie Stimmung ähnelt er den Gemälden Edward Hoppers, Ausdruck der Isolation und Ausgrenzung.
Auch Toukos Schwester Kaija (Jessica Grabowsky) ist eine begabte Zeichnerin, sie liebt den Bruder, sorgt sich um ihn, aber Homosexualität scheint für sie etwas Unvorstellbares: „Dir fehlt jemand, bei dem Du Dich geborgen fühlst.” – „Im Krieg hatte ich jemand.” – „Aus dem Frauenchor?” – „Ein Kampfflieger.” Am eindringlichsten im Film sind die Rückblenden, ob melancholische Erinnerung, sexuelle Fantasie oder einfach nur Albtraum. Sie sind der Ursprung, Impuls für Toukos Kreativität, Schuldgefühle, Selbstzweifel und Sehnsüchte überschneiden sich. Kaija beharrt darauf, dass der Grafiker wieder arbeitet, sich nicht mit dem Zeichenblock daheim verkriecht. Die fiktiven Gestalten auf dem Papier sind seine einzigen Vertrauten, hier entsteht die sexuelle Freiheit, von der er träumt. Nach außen hin wahrt der Künstler die Fassade gutbürgerlicher Moral. Fünfzehn Jahre leitet er als Artdirector die finnische Niederlassung von McCann, eine der weltweit einflussreichsten Werbeagenturen.
1953 begegnet Touko dem Tänzer Veli „Nipa” Mäkinen (Lauri Tilkanen), der seine große Liebe und sein Lebenspartner wird. Offiziell gibt er ihn auch vor der Familie nur als Mitbewohner aus. Tragisch, dass grade Kaija für den attraktiven jungen Mann schwärmte und lange brauchte, um zu begreifen, dass sie nie eine Chance hatte. Es ist Veli, der den Freund ermuntert, für seine Illustrationen Abnehmer zu suchen. Ein Besuch in Berlin läuft schief, der Zeichner wird festgenommen. Offener Hass schlägt ihm auf dem Polizeirevier entgegen: „Solche Leute wie Euch haben wir früher ins KZ gesperrt” (in der Originalversion klingt es noch härter). Der Kamerad aus der Militärzeit, der ihm helfen soll, fürchtet um Ruf und Karriere. Eigentlich versteht Touko die Aufregung nicht, die Zeichnung, die man bei ihm findet, ist seiner Auffassung nach nur ein Stück Papier, der Gegenüber deklariert es zur „Atombombe”. „Tom of Finland” ist eine Chronik der Demütigungen, Razzien und Selbstverleugnung, bevor es sich langsam zur Erfolgsstory entwickelt. Zwar treffen sich Gleichgesinnte im Geheimen, man feiert Feste, ist vielleicht ausgelassen für ein paar Stunden, doch immer in der Angst, dass die Ordnungshüter gleich vor der Tür stehen.
Das Pseudonym „Tom of Finland” entsteht, als eine von Toukos Zeichnungen in dem US-Magazin „Physical Pictorial” veröffentlicht wird, bis dahin signierte der spätere Pionier der Schwulenbewegung seine Arbeiten einfach mit Tom, aber der Herausgeber Bob Milzer fügte „of Finland” hinzu. Seinen großen Durchbruch hatte der Künstler in den Siebzigerjahren. Eine ganze Generation schwuler Männer war mit seinen Zeichnungen aufgewachsen und verkörperte diese buchstäblich, jene Doppelgänger seiner virilen, muskulösen Biker wagte keiner mehr als feminine Schwächlinge zu verhöhnen. In Los Angeles sieht Touko, wie seine Fantasien zu Fleisch und Blut geworden sind. Vorbei die Tristesse der Edward Hopper Bilder, der Film explodiert in grellen Farben, Palmen, Limousinen, Luxusvillen mit Swimmingpools, der amerikanische Traum wird jetzt für den Finnen Wirklichkeit, überall nur braungebrannte breitschultrige durchtrainierte Männer, in schwarzen Lederjacken, Jeans und Boots, oder nackt, jede Art von Fetisch ist willkommen. Alle strotzend vor Selbstbewusstsein und glücklich, den unorthodoxen Helden in ihrer Mitte zu aufzunehmen.
Sex, ohne Tabus und Hemmschwelle, doch dann Anfang der Achtzigerjahre machen die ersten Fälle von Aids Schlagzeilen, die Stimmung in der Öffentlichkeit schlägt radikal um, blinder Hass statt Bewunderung. Unerträglich Schuldgefühle quälen Touko, die Verantwortung erdrückt ihn, die Erinnerungen an den toten Fallschirmjäger tauchen wieder auf. Derweil sind seine Werke längst nicht mehr nur Markenzeichen der Subkultur, was einst als Pornographie oder Body-Builder-Lektüre galt, ist unwiderruflich vom Mainstream vereinnahmt worden. Ob Madonna oder Modeschöpfer Jean Paul Gautier, sie alle hat Laaksonen inspiriert, aber vor allem war es ihm gelungen, nicht nur das Selbstverständnis der Schwulen grundlegend zu verändern, sondern ihr Bild in der Öffentlichkeit. So konnte Freddie Mercury zum Idol der Massen aufsteigen: „We are the champions”. In Venedig auf der Biennale 2009 stellten die skandinavischen Künstler Elmgreen & Dragset als Kuratoren des nordischen Pavillons auch Arbeiten von Tom of Finland aus. Verleger Taschen veröffentlichte sein Oeuvre als Coffee Table Book. Die Zeichnungen sind in namhaften Museen ausgestellt wie dem Chicago Institute of of Modern Art, dem MoMA in New York, dem Los Angeles County Museum of Modern Art und dem Kiasma in Helsinki.
Regisseur Dome Karukoski und Drehbuchautor Aleski Bardy reduzieren bewusst die Vielfalt der Fakten, der Film läuft über Impressionen, Atmosphäre, Assoziationen, Gefühle, ähnelt in seiner melancholischen Bedrohlichkeit manchmal einem Thriller während des Kalten Krieges. Die Zeit an der Front prägte Touko, Sehnsucht und Schuldgefühle vermischen sich, daraus kreiert er seine idealisierte überhöhte Vorstellung hypermaskuliner Männlichkeit, die er im gleichen Atemzug der Lächerlichkeit preisgibt. Cops, die eben noch als gnadenlose Ordnungshüter Schwule verprügelten, entwaffnet er in seinen Zeichnungen, enttarnt sie als schwule Männer. Aus dem Feind, dem Gegner, wird so ein Objekt der Begierde oder besser ein Begehrender, der seine neue Rolle ganz offensichtlich genießt. Das Lachen signalisiert komplizenhaften Stolz, Triumph über Konventionen und Tabus. Eine hingebungsvolle Rebellion und klassenlose Gesellschaft Gleichgesinnter. Tom of Finland sagt im Film, er tauge nicht zum Freiheitskämpfer, verleugnet jede Art ideologischer Botschaft. Die Protagonisten seiner Zeichnungen, die an Comic-Figuren erinnern, nehmen sich einem Superman gleich dagegen jede Art sexuelle Freiheit heraus, gibt ihnen doch der riesige Penis wohl übernatürliche Kräfte. Ihre Lust ist grenzenlos wie ihr Selbstbewusstsein. Staatliche Autoritäten haben hier längst an Schrecken verloren, nur die Uniformen stimulieren noch als Symbol der Macht oder Unterdrückung. Der Fetisch regiert, Schmerz dient der Befriedigung, allein die Lust entscheidet. -Manche Kritiker waren völlig verblüfft, dass es im Film keine Sexszenen gibt.
Originaltitel: Tom of Finland
Regie: Dome Karukoski
Darsteller: Pekka Strang, Lauri Tilkanen, Jessica Grabowsky
Produktionsländer: Finnland, Dänemark, Deutschland, Schweden, USA, 2016
Länge: 116 Minuten
Verleih: MFA
Kinostart: 5. Oktober 2017
Fotos, Pressematerial, Trailer: Copyright MFA (Josef Persson/ Helsinki Filmi O)
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