„Eine Geschichte von Liebe und Finsternis” – Wie der Morgendunst an den Berghängen
- Geschrieben von Anna Grillet -
Grandioses Regiedebüt von Natalie Portman. Über Fania, seine Mutter, hatte Amos Oz fast nie gesprochen, weder mit seinem Vater noch mit seiner Frau, noch mit den Kindern oder einem anderen Menschen. 2002 erschien der mehr als 800 Seiten starke autobiographische Roman „Eine Geschichte von Liebe und Finsternis”.
Im letzten Kapitel schildert der israelische Autor den Selbstmord seiner Mutter im Januar 1952, er war damals zwölf Jahre alt. Ein Buch so klug, so historisch profund, voller Lust am Fabulieren, philosophischem Reflektieren, ein unerschöpflicher Schatz von Anekdoten, Allegorien, durchsetzt von Trauer, Angst, Schuldgefühlen und enttäuschten Hoffnungen. Die Sprache ist von unglaublicher Schönheit und manchmal sanfter Ironie. Lässt sich ein solches Werk überhaupt verfilmen? Natalie Portman wagte es, der Schriftsteller vertraute ihr. Die 35jährige Schauspielerin (“The Black Swan”) führt nicht nur Regie, sondern hat auch das Drehbuch geschrieben und spielt die Hauptrolle: Fania. Entstanden ist eine ungewöhnliche, poetische Familien-Saga, ästhetisch virtuos und zutiefst bewegend.
Jerusalem 1945, noch steht Palästina unter britischem Mandat. Fania hatte daheim im polnischen Riwne immer vom Gelobten Land geträumt, wo Milch und Honig fließen, doch die Wirklichkeit ist ernüchternd. Die enge düstere Kellerwohnung in einem ärmlichen Viertel, es regnet ständig, und doch will im Hinterhof nichts grünen oder wachsen, verloren der Luxus des einst privilegierten Daseins. Verzweifelt sehnt die Mutter des zehnjährigen Amos (Amir Tessler) sich zurück in eine Heimat, die gar nicht mehr existiert: 23.000 Juden wurden umgebracht. Fanias Sicht der Welt ist geprägt von Tschechow und Tolstoi, russischer Melancholie und tragischer Leidenschaft. Das trügerische Reich der eigenen Phantasie wird ihre Zuflucht. Den Sohn verzaubern die märchenhaft-mystischen Abenteuer und schwelgerisch verklärten Erinnerungen. Er sieht sich in der Rolle des Helden, einer Art magischen Retters.
Arieh, der Vater (Gilad Kahana), ist pragmatischer, er blickt voller Hoffnung und Stolz der Zukunft entgegen. Der linkische bebrillte Akademiker aus Litauen entspricht so gar nicht Fanias Idol vom muskulösen hochgewachsenen israelischen Pionier: tatkräftig, vor allem kämpferisch soll der sein. Politisches und Privates sind eng miteinander verflochten: die Entstehung des Staates Israels und das Leiden der Protagonistin. Unabhängigkeitskrieg, Bombardements, die Amouren des Vaters, die wachsende Verzweiflung der Mutter, alles wird geschildert aus der Perspektive des Kindes. Und so verliert die schwermütige Fania, selbst als sie fast schon zur leblosen Puppe erstarrt ist, nie ihre Schönheit und fast königliche Aura. Die tiefe Kluft zwischen den Eltern wird zum ersten Mal überdeutlich nach der Abstimmung der Vereinten Nationen über die Anerkennung Israels als jüdischer Staat. Es ist der 29. November 1947, die Menschen haben sich draußen in der Dunkelheit auf der Straße versammelt und verfolgen gemeinsam die Live-Übertragung aus dem Radio. Jedes einzelne Ergebnis wird mit atemloser Spannung erwartet. Jubel bricht aus. Auf dem Heimweg verkündet Arieh euphorisch: „Unser Staat steht quasi schon als Retter vor den Toren.” „Steht er gar nicht, und ein Tor gibt es auch nicht”, entgegnet Fania. „Es ist ein Abgrund.” In den frühen Morgenstunden beginnen die Kämpfe zwischen jüdischen Partisanen und arabischen Milizen.
„Ein verwirklichter Traum ist ein enttäuschender Traum”, sagt der Erzähler aus dem Off. Die unterschwellige Angst vor etwas Unbekannten, Unabwendbaren lastete wie ein Alb auf dem Jungen. Das Gefühl der Ohnmacht oder Schuld wird ihn für auch später lange Zeit nicht verlassen. Amos, damals hieß er noch Klausner, muss früh erwachsen werden. Fania klammert sich manchmal wie eine Ertrinkende an ihn, ihr Fabelreich ist verlockend, doch hilflos muss er zusehen, wie sie zu Grunde geht. Die Krankheit ist stärker als die Liebe. Seine Gefühle sind widersprüchlich in solchen Momenten, die eigene Sehnsucht nach Glück, Normalität scheint ein unverschämtes Ansinnen zu sein, wo jemand anders so leidet. Und doch, grade deshalb möchte man weg, fliehen vor dieser gespenstischen Verwandlung, die einfach unerträglich ist. Und trotzdem mag Amos seinen Blick nicht abwenden, folgt der Mutter überall hin wie ein Spion. Dieser Mensch, der ihm nah sein sollte, wird zum Fremden: im Badezimmer schlägt sich Fania immer wieder mit aller Gewalt ins Gesicht. Arieh kümmert sich fürsorglich um sie, was nützt es. Sie träumt weiter von jenem Pionier, der das mythische, ersehnte Israel verkörpert, wo die Siedler das Sumpfland trockenlegen und in Obstplantagen verwandeln. Arieh gelingt es noch nicht mal ein Beet anzulegen oder einen Pfahl in die Erde zu schlagen. Was zählt da schon Zuneigung. „So gut wie keiner weiß irgendwas vom Anderen und oft auch noch nicht mal von sich selbst,” klagt die Protagonistin. Irgendwann lassen selbst die Fantasiegestalten Fania in Stich und Amos, wenn er glaubt zu versagen, schlägt sich ins Gesicht, genau wie es die Mutter tut.
„Sie bestraft sich selbst, nur um mich zu bestrafen”, murrt Arieh im Beisein des Arztes. Immer werden Schuldige gesucht bei einer Krankheit wie dieser. Jeder wird verdächtigt, ob Patient oder Familie, das hört nie auf, noch Jahrzehnte danach wird angeklagt, vergessen kann keiner. Die Betroffenen agieren nicht anders, sie fühlen sich verantwortlich, ohne wirklich sagen zu können weshalb. Nirgendwo werden so viele Unschuldige verurteilt wie bei einem Selbstmord. „Amos hat sich sein ganzes Leben lang gefragt, wie Fania sich selbst verlieren konnte,” sagt Natalie Portman. „Das hat ihn erst zum Schriftsteller gemacht. Er musste in seine Erinnerung reisen und herausfinden, was genau passiert, was schiefgelaufen war, wann der Zusammenbruch kam. Denn das ist auch für ihn ein Rätsel geblieben. Es gibt keine klare Antwort. Man kann nur entlang des Weges nach Indizien suchen.” Friede bleibt ein unerreichtes Ziel. Amos’ Vater liebt Israel, dieses Land, von dem er glaubt, hier nie wieder erniedrigt oder gedemütigt zu werden, weil er Jude ist. Eine Illusion. auch hier wird er bald wieder ein unerwünschter Eindringling sein. Heimat ist ein inflationärer Begriff. Im Roman erinnert Amos Oz daran, wie früher in Europa (er schreibt nie Deutschland), als sein Vater jung war, die Parolen an den Wänden forderten „Juden ab nach Palästina.” Fünfzig Jahre später, als der Vater zum ersten Mal wieder Europa besuchte, „schrie es von allen Wänden: ‚Juden, raus aus Palästina’.”
„Als eine reale Tragödie sich außerhalb der Romanseiten mitten im Leben meiner Mutter ereignete, war das Leiden nicht im Geringsten romantisch,” schreibt Amos Oz. Die dunkle Wohnung der Klausners ist ein Labyrinth aus Büchern. Amos klammert sich regelrecht an seine Abenteuer von Tarzan, Geschichten sind sein heimliches Versteck, einzige Rückzugsmöglichkeit im allgemeinen Chaos. Von den Mitschülern wird er drangsaliert, aber dann lernt er, seine Begabung als Erzähler gezielt einzusetzen. Aus Rowdys werden plötzlich begierige Zuhörer. Doch zwei Jahre nach dem Suizid seiner Mutter entflieht er den Hunderttausenden von Seiten, tritt dem Kibbuz Chulda bei und nimmt seinen jetzigen Namen Oz (Kraft, Stärke) an. Literatur, Sprache, Worte, darum dreht sich alles in „Eine Geschichte aus Liebe und Finsternis“. „Dass die Sakralsprache Hebräisch nach Jahrhunderten wieder zu einer lebenden gesprochenen Sprache geworden ist, zählt für mich zu Israels eindrucksvollsten Errungenschaften”, sagt Natalie Portman. Arieh spricht ständig über etymologische Zusammenhänge, über die Herkunft und Entwicklung der Sprache. Als er mit seinem Sohn im Garten werkelt, erklärt er ihm, dass verschiedene Wörter im Hebräischen denselben Stamm haben: Erde, Mensch, Blut, Rot, Stille. Alles hängt zusammen.
„Jerusalem hat viel erlebt. Ein Eroberer nach dem anderen nahm die Stadt ein, herrschte eine Weile und hinterließ ein paar Mauern und Türme, einige Kratzer am Stein. Und dann entstand sie wie der Morgendunst an den Berghängen”, so der Erzähler. Die Flut von Bildern, Eindrücken, Reflektionen, poetischen Allegorien ist überwältigend. Grün- und Blautöne dominieren den Alltag Jerusalems mit ihrem unverwechselbaren fahlen diesigen Licht. Ein elegischer, eleganter und einfühlsamer Film über die Entstehung des Nahost-Konflikts, der behutsam Distanz hält zu seinen fragilen Protagonisten. Nur die Erinnerungen und Fabeln der Mutter hat Kameramann Slawomir Idziak („Drei Farben: Blau” 1993, „Black Hawk Down”, 2001) in intensive bunte Farben getaucht. Zwischen den Szenen wird für eine Sekunde die Leinwand schwarz. Die Finsternis ist immer präsent.
Natalie Portman ist wie Amos Oz in Jerusalem geboren, sie ist die Tochter eines Israelis und einer Amerikanerin. “In den USA schickten mich meine Eltern auf eine jüdische Schule, bis ich 13 war. Die eine Hälfte des Unterrichts war auf Hebräisch, die andere auf Englisch. Ich kann also Hebräisch lesen und schreiben, aber ich spreche es nicht so gut. Mit 25 kehrte ich dann für sechs Monate nach Israel zurück, um meinen Abschluss zu machen. Damals habe ich die Sprache erst richtig gelernt, weil ich in Bars und auf Partys ging und viel mit Israelis zusammen war.” Die Regisseurin und Oscarpreisträgerin war von Anfang an fest entschlossen, den Film auf Hebräisch zu drehen mit englischen Untertiteln, womit sie die Chancen der Vermarktung in den USA deutlich minderte, was ihr ganz offensichtlich völlig gleichgültig war. „Eine Geschichte von Liebe und Finsternis” erinnerte die Filmemacherin an die zahlreichen Anekdoten über ihre Großeltern. Amos Oz selbst hatte nie damit gerechnet, dass der Roman im Ausland ein solcher Erfolg werden würden, weil es seiner Ansicht nach eine typisch israelische Story ist. „Aber das Buch erzählt auch von Immigranten,” erklärt Natalie Portman,”und das spricht alle Kulturen an. Es geht darum, wie wir daheim von einem fernen besseren Ort träumen- und wie wir dann unsere Heimat verklären, wenn wir diesen Ort erreicht haben.”
„Als ich in den USA die jüdische Schule besuchte, lernten wir nichts über die Geschichte des Judentums im Irak oder die Spanische Mystik des 14. Jahrhunderts- über all die faszinierenden unglaublichen Leistungen von Juden im Laufe der Geschichte”, erzählt Portman. „Dafür weiß ich alles über den Holocaust, bis ins Detail. Das wurde uns eingepaukt und hat mich stark geprägt. Aber was macht das mit dir, wenn das Wichtigste, was du über dein Volk lernst, ist, wie es zu Opfern wurde. Ich sage keineswegs, dass der Holocaust nicht unterrichtet werden sollte. Aber es gibt noch so viel mehr, das man über die Juden wissen sollte.”
Originaltitel: A Tale of Love and Darkness / סיפור על אהבה וחושך
Regie / Drehbuch: Natalie Portman
Darsteller: Natalie Portman, Gilad Kahana, Amir Tessler
Länge: 95 Minuten
Produktionsland: Israel, 2015
Verleih: Koch Films
Kinostart: 3. November 2016
Fotos / Trailer: Copyright Koch Films
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