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Gleißendes Glueck film kritik Trailer

A.L. Kennedys Roman „Gleißendes Glück” erschien 1997. Regisseur Sven Taddicken verwandelt das sarkastische wortgewaltige Beziehungsdrama der schottischen Schriftstellerin in einen seltsam verstörenden Film von grotesk düsterer Schönheit und Poesie.
Ob Selbsterniedrigung, Pornosucht, Sadismus oder religiöser Wahn als Formen tiefster Einsamkeit, „Gleißendes Glück” verschlingt seine Protagonisten gnadenlos. Überragend: Martina Gedeck und Ulrich Tukur.
Wo ist nur das Glück geblieben, fragt sich die Hausfrau Helene Brindel (Martina Gedeck) in ihren schlaflosen Nächten. Die Ehe erstarrte längst zu liebloser Routine. Allein Gott war es, der ihrem Leben Sinn und Halt gab, sie tröstete mit seiner Allgegenwärtigkeit. Doch der Herr hat Helene verlassen, so zappt sie sich durch die Fernsehkanäle, wandert ruhelos im Haus umher, schmiert in der Dunkelheit akribisch Frühstücksbrote, presst Orangensaft aus und harrt auf das Morgengrauen, dann erst wird sie von der Müdigkeit überwältigt.

Während einer ihrer vielen Putzattacken hört die Protagonistin zufällig ein Radio-Interview mit dem Psychotherapeuten und Gehirnforscher Eduard E. Gluck (Ulrich Tukur). Helene ist neugierig auf diesen Mann mit den unerschütterlich optimistischen Theorien und einem fast schon lächerlichen Selbstbewusstsein. Noch denselben Tag kauft sie sein Buch „Neue Kybernetik”. Glucks Überzeugung, dass man die Wirklichkeit mit den Gedanken steuern und sich selber umprogrammieren könne wie einen Computer, fasziniert sie. Derweil wird Christoph, der Gatte (Johannes Krisch) immer aggressiver. Er sieht in Gott nichts Anderes als einen widerwärtigen Nebenbuhler, der irgendwann keinen mehr hoch kriegte. „Wehr Dich doch”, brüllt er seine Frau an, die lächelt nur begütigend. Um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, klemmt er mit Gewalt Helenes Hand in der Besteckschublade ein.

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Wo Glauben und Gefühle verloren gingen, bleiben nur die Tages- und Jahreszeiten, hell und dunkel. Die Strukturen von Treppen, Wänden, Regalen drängen sich in den Vordergrund, täuschen Beständigkeit vor. Helenes penibel aufgeräumtes Heim in seinen erdrückenden Beige- und Brauntönen signalisiert gefährliche Leere. Am Ende wird hier alles einer Apokalypse gleich zusammenstürzen. Wie Pedro Almodóvar treibt Regisseur Taddicken die Äußerlichkeit zum Äußersten. Jene extravaganten Ornamente und Muster auf Kleidern, Tapeten, Vorhängen oder Bettdecken ähneln elegant verschlüsselten Botschaften aus seelischen Untiefen, wo die Dämonen auf ihre Opfer lauern. Es ist der Stoff aus dem Sehnsüchte und Albträume gemacht sind. Kamerafrau Daniela Knapp („Poll”, 2010) gibt „Gleißendes Glück” eine suggestive Ästhetik, bei der selbst das, zu nächtlicher Stunde mit Frischkäse dekorierte Pumpernickel, zum magisch unheilvollen Kunstwerk avanciert.

Helene fährt nach Hamburg, wo Professor Gluck einen seiner populären Vorträge hält. Sie, die biedere, etwas unbeholfene Hausfrau aus der Provinz, er, der eloquente weltgewandte hochintelligente Wissenschaftler, charmant und selbstherrlich. Die beiden könnten nicht gegensätzlicher sein, und doch fühlen sie sich zueinander hingezogen. Schon bei der ersten Begegnung ist Eduard eigenartig berührt von Helenes Ernsthaftigkeit, einer schonungslosen Offenheit ohne Koketterie oder Selbstmitleid. Bitte keinen Smalltalk erklärt sie ihm, sie will nur wissen, ob spirituelle Erfahrungen vielleicht reine Chemie sind und kritisiert den lächerlichen Haarschnitt ihres Gegenübers. Man trifft sich zu einem Abendessen im Restaurant, als anspruchsvolle kulturelle Einlage noch etwas zeitgenössischer Tanz, Helene kann darüber nur lachen. Lachen, das hatte sie fast verlernt bei so viel Demut und Selbstaufgabe. Eduards eigenwilliger Sarkasmus ist ansteckend, und zum Abschied küsst sie ihn zart auf den Mund und schläft wie ein Stein bis zum nächsten Nachmittag alleine in ihrem Hotelbett.

Eduard quartiert sich für ein paar Tage im selben Hotel ein, will hier ungestört von seinen Fans arbeiten. Erst am letzten Abend bittet er um ein weiteres Treffen. Helene holt ihn seinem Zimmer ab. Überall stapeln sich Bücher und Notizen. Während der Professor sich umzieht, nähert sie sich neugierig seinem offenen Laptop, und ist entsetzt über die krude pornographische Szene auf dem Bildschirm. Eduard entschuldigt sich, sie verstört zu haben. Sein neues Projekt beschäftigt sich mit Männern, die krankhaft süchtig nach pornographischen Darstellungen seien, unfähig, echte Beziehungen zu führen. Eduard: „Wann warst Du zuletzt richtig glücklich, also im Hier und Jetzt? Gleißendes Glück, kein Ende in Sicht?” Helene: „Auf dem Dachboden meines Großvaters. Da oben war meine Schlafecke. Morgens, wenn ich aufgewacht bin, wurden unten schon Pfannkuchen gebacken. Das war schön.” Eduard: „Ich möchte, dass alle meine Untersuchungen über das menschliche Gehirn im Grunde zu einem ganz bestimmten Ergebnis führen: dass jeder eine Chance auf einen Großvaterdachboden in seinem eigenen Gehirn hat. Dass man sich in seinem Gehirn wohlfühlt. Und dass man sich darauf verlassen kann, das man gut ist”.

Die Dialoge wechseln zwischen ironischer Behutsamkeit, Reflexion, ein wenig Romantik, Erinnerungen und Ausbrüchen rüder Pornographie. Das Drehbuch schrieb Sven Taddicken gemeinsam mit Stefanie Veith und Hendrik Hölzemann. Irgendwann nachts reißt das Klingeln des Telefons unsere Heldin aus dem Schlaf. Es ist Eduard, er ist seltsam fahrig. Er habe lange gearbeitet, sich noch einmal die Fotos angeschaut. Dann bricht es aus ihm heraus, er gesteht, nicht der distanzierte Wissenschaftler zu sein, sondern sein eigenes Studienobjekt. In einem erregten, zunehmend obszönen Monolog schildert Eduard die Dämonen, die ihn quälen und berauschen, macht sich verbal auch über Helene her. Sie knallt angewidert den Hörer auf die Gabel. Wie konnte sie sich nur so in diesem Menschen täuschen? Verwirrt fährt sie nach Hause zurück, und doch beginnt in diesem Moment die eigentliche Liebes- und Passionsgeschichte. Trotz ihrer Symbolkraft sind Gewalt und Sex nichts, an dem sich ein Publikum ergötzen könnte, die Obsessionen haben etwas Traurig-Monströses und der Professor empfindet sie genau als das. Er, der erfolgreiche Bestsellerautor, der in den Talkshows glänzt mit seinen charmant intellektuell Plaudereien über Themen wie: “Wen darf ich mir beim Onanieren vorstellen?” -er, der immer Überlegene, ist in Wirklichkeit ein klägliches Opfer seiner Triebe. Erlösen kann ihn eigentlich nur die Reinheit jener vom Himmel gesandten Helene.

Eine Postkarte mit vielen Entschuldigungen trifft ein, Helene verbrennt sie, die Schlaflosigkeit kehrt zurück. Sechs Wochen später schreibt Eduard erneut. Bei ihm funktioniere die Kybernetik nicht, deshalb versuche er die Pornosucht nun mit brachialen Mitteln loszuwerden, er verabreicht sich vor dem Anschauen pornographischer Darstellungen ein Medikament, das Übelkeit verursache. Außerdem könne er eine Konferenz in ihrer Nähe besuchen- ob sie ihn sehen wollen? Dass Helene das tatsächlich will, überrascht sie selbst am meisten. Als die beiden sich bei einem Kaffee gegenübersitzen, ist die alte Verbundenheit sofort wieder da. Die Rollen sind vertauscht. Nun kann sie endlich ihm helfen, sie tut es mit Hingabe und doch bleibt sie aus Überzeugung bei ihrem Ehemann. Eduard schickt weiterhin Postkarten, in denen er sie über die Fortschritte seiner Abstinenz auf dem Laufenden hält. „18 Tage, in Liebe Eduard”, „30 Tage. Ich bin glücklich”. Dann aber findet Christoph die Karten und schlägt seine Frau brutal zusammen. Helene flüchtet zu Eduard nach Berlin. Behutsam nähern sich beiden einander. Nur wie soll das funktionieren, zwei Menschen, die eigentlich unfähig für Beziehungen sind? Sven Taddicken schildert es minutiös und mit großer Geduld. Dies sei der erste und letzte Versuch eines Happyends, hatte A.L.Kennedy einmal über den Roman (im Original „Original Bliss”) gesagt. Es ist, als würden ihre Protagonisten die Unschuld neu für sich entdecken.

„Gleißendes Glück” ist ein vielschichtiger mutiger Film von bestürzender Intensität und eine ungeheure Herausforderung für die Schauspieler. Grandios: Martina Gedeck („Die Wand”) und Ulrich Tukur („Exit Marrakech”, „Das weiße Band”). Lächerlichkeit paart sich hier mit großer Würde. Helene und Eduard verkörpern mysteriöse abgründige Figuren. Beide versuchen vor der Außenwelt zu verbergen, wie verletzbar, zerbrechlich sie sind, ihre wirklichen Gefühle gestehen sie nur einander. Sie sind zielstrebig, und doch tasten sie sich nur zögerlich voran, machen einen Schritt vorwärts, dann wieder schrecken sie zurück. „...Wahrhaftig, ohne melodramatisch zu sein, fantasievoll, ohne die harte Wirklichkeit zu verleugnen” so A.L. Kennedy über die Verfilmung von „Gleißendes Glück”. Am Ende überlebt Helene Brindel nur wie durch ein Wunder: „Ich habe es durchgestanden. Ich bin hindurchgeführt worden. Ich lebe. Ich glaube an etwas. Oder etwas glaubt an mich. Ich kann alles, wirklich alles tun, was ein lebender Mensch tun kann.” Vor allem kann Helene noch einmal von vorne anfangen. Mit Eduard.

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„Gleißendes Glück”
Regie: Sven Taddicken
Darsteller: Martina Gedeck, Ulrich Tukur, Johannes Krisch
Produktionsland: Deutschland, 2016
Länge: 102 Minuten
Verleih: Wildbunch Germany
Kinostart: 20.Oktober 2016

Fotos & Trailer: Copyright Wildbunch Germany

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