„American Honey”. Von Liebe, Armut, jugendlicher Rebellion und der Kunst des Betrügens
- Geschrieben von Anna Grillet -
Das trotzige Roadmovie ist schwelgerisch schön und niederschmetternd zugleich. „American Honey” entwickelt einen unwiderstehlichen Drive, vibriert vor Energie. Regisseurin Andrea Arnold präsentiert uns ihr USA-Epos als suggestiven Mix aus iTune-Musical und Cinéma Verité.
Rihannas herzzerreißendes „We found love in a hopeless place” dröhnt aus den Lautsprechern des Discounters. Eben noch hat die 18jährige Star (Sasha Lane) im Müllcontainer zwischen dem Abfall nach Essbarem für die jüngeren Geschwister gewühlt. Jetzt starrt sie wie verzaubert mit ungläubigen Augen auf jenen seltsamen Typen, der mit ihr flirtet, lachend auf den Kassenbereich springt und tanzt, bis ihn die Security-Leute abführen. Er heißt Jake (Shia LaBeouf) und bietet ihr einen Job an.
Von nun an zieht Star mit einer Drückerkolonne im Kleinbus kreuz und quer durch die Staaten, um Zeitschriftenabos zu verhökern. Das klingt wahrlich nicht nach Abenteuertrip oder großer Freiheit, doch die Akteure empfinden es so. Und der Zuschauer begreift warum. Kein Roadmovie in den letzten Jahrzehnten besaß eine solche Power, diese Art anarchischer Romantik, rauer Poesie wie „American Honey”. Die britische Regisseurin und Autorin Andrea Arnold wurde 2007 durch einen Artikel in der New York Times auf das Thema aufmerksam. Sie schloss sich einer Gruppe von Jugendlichen an, reiste mit ihnen von Stadt zu Stadt, schlief nachts in billigen verwahrlosten Motels, recherchierte vor Ort. Der Film ist Fiktion, aber in der Realität verwurzelt. Die Mädchen und Jungen sind im Collegealter, Ausreißer oder Gescheiterte, manche etwas crazy, andere einfach nur ein bisschen wild, verwegen, hungrig auf die Welt da draußen, sie wollen unabhängig sein, weg von Tristesse des sozialen Abseits. Hoffnungslosigkeit, nein danke.
Ihr Boss ist Krystal (Riley Keough), eine trashige eiskalte Blondine, die abkassiert, während sie der Crew mit Parolen und Songs einheizt. Es hat etwas von einer grotesken Sekte: Geld als Erlösung. Doch was ist schon Ausbeutung, wenn es zum Frühstück Wodka gibt. Es wird gekifft, gevögelt, die Kids tanzen, lachen, singen, prügeln sich, sind immer in Bewegung. Gnadenlos zocken sie ihre Kunden ab, beherrschen die miesen Tricks mit beiläufiger Virtuosität. Dies ist kein Job für sie, sondern ein Lebensstil, ihr kindlicher Traum vom Erfolg. Was sie vor der Verzweiflung über ein verpfuschtes Dasein schützt, ist allein die Musik, Country-Rock oder Trap, jener Südstaaten Hip-Hop mit seinem aggressiven Texten und schleppenden Bassdrums. Der Titel „American Honey” bezieht sich auf den gleichnamigen Song von Lady Antebellum. Arnold hat wie in““Fishtank” (2009) meist Laiendarsteller eingesetzt. Sie kommen aus allen Teilen der USA. Es ist die Generation, die dank Internet und Handy früh gelernt sich selbst zu inszenieren. Ihre Rolle können sie hier einbringen und perfektionieren. Flughörnchen und Bullterrier sind mit von der Partie.
Manchmal erinnern die Kids an eine bunt zusammen gewürfelte Zirkustruppe, sie könnten nicht unterschiedlicher sein: zart, kräftig, heiter, ernst, verwirrt, entschlossen, ruhig oder völlig durchgeknallt. Die Drückerkolonne ist Ersatzfamilie, man ist eng miteinander verbunden und doch jeder Zeit austauschbar. Die Angst fährt immer mit. Wer nicht genug geleistet hat, wird am Ende des Tages von der Gruppe abgestraft, es gibt Schläge. Die Regeln sind streng, und Krystal allein bestimmt, wer dazu gehört. Aufmucken tut keiner außer vielleicht Star, die Heldin des Aussteiger-Epos. Sie ist die einzige, deren Vorgeschichte wir kennen. Rührend hat sie sich um die beiden kleinen Geschwister gekümmert zwischen den Trümmern einer zerstörten Familie. Aber wie die Kamera jene heruntergekommenen Innenräume des Hauses abtastet, das geschieht mit liebevollem Respekt, die Risse in den Wänden, die krakeligen Zeichnungen der Kinder, Postkarten, Fotos, Spuren des Verfalls und der Suche nach Glück. Genau den gleichen Respekt zeigt Star für jedes Tier, jeden Käfer. Auch in der Zukunft wird sie, gleichgültig ob Schildkröte oder Ungeziefer dafür einstehen, dass es seine Freiheit erhält.
So fasziniert unsere Protagonistin von Jake ist, die Entscheidung zu gehen, fällt ihr schwer. Sie fühlt sich wie ein Deserteur, doch die Sehnsucht nach Freiheit siegt über das schlechte Gewissen. Die Übergabe der beiden kleinen Kinder an die wütende widerwillige Mutter auf der Tanzfläche ist einer der erschütternsten Momente des Films. Sasha Lane hat unglaubliches schauspielerisches Talent. In ihrem Gesicht spiegelt sich jede Regung, alles, was um sie herum geschieht. Die Fahrt durch die USA ist ist für sie wie die Eroberung eines unbekannten Erdteils. Naive Begeisterung wechselt ständig mit rührender Ernsthaftigkeit. Die Jugendlichen gehen immer zu zweit auf Kundenfang. Jake, Krystals Verkaufsgenie, soll die Neue anlernen. Star verliebt sich in den charmant schmierigen Draufgänger, doch sie hasst seine Betrügereien, torpediert störrisch jede geschäftliche Transaktion. Lügen gehört zum Gewerbe, entweder der Vater ist grade in Afghanistan erschossen worden, oder man braucht Geld für Studiengebühren. Egal welcher Trick, Mitleid oder Vernunft, Hauptsache der Gegenüber unterschreibt und zahlt. Statt Abonnements zu verticken, balgen die beiden wie verspielte junge Hunde auf dem grünen Rasen vor den Luxusvillen.
Was Star noch nicht weiß, Krystal zahlt Jake eine Prämie von 100 Dollar für jedes Mädchen, das er rekrutiert. Sex habe er auch mit jeder, behauptet die Chefin. Diese Mischung aus Headhunter und Raubritter ist die perfekte Rolle für Shia LaBeouf („Fury”, „Nymphomaniac”). Er ist voll auf Droge, überheblich, bösartig, charismatisch, ein durchtriebener Draufgänger, aber zwischen ihm und Star funkt es. Die junge Texanerin ist keine leichte Beute, sie spielt mit ihm wie er mit ihr, sie hat früh gelernt sich zu wehren. Star träumt von einem eigenen Trailer, Jake will ein Stück Land, dafür bestiehlt er die Kunden mit viel Geschick, inzwischen hat sich ein imposanter goldener glitzernder Schatz angesammelt. Seine Exzentrik, der Größenwahn rührt uns manchmal wider Willen. Er ist schnell eingeschnappt, versteckt hinter all dem verrückten Macho-Getue und pompösen Worttiraden eine ungeheure Fragilität. Oft chauffiert Jake die Chefin im Cabriolet über die Highways, Star ist für Krystal eine unliebsame Konkurrentin. Der Zuschauer muss sich zurücklehnen, fallen lassen auf diesem Road-Trip, dann vergehen die 163 Minuten des Films wie im Flug.
Das Bildformat 4:3 bleibt Markenzeichen der Regisseurin, doch für „American Honey” hat sie sich von dem puristisch-minimalistischen Stil wie in „Wuthering Heights” getrennt, so saturiert waren ihre Farben nie zuvor. Ein leuchtendes Honiggelb bestimmt die Ästhetik des Films. Kameramann Robbie Ryan schafft verblüffende packende Bilder. Intime Liebesszenen, wundervolle Landschaften, Oklahoma/ Kansas, Nebraska, North Dakota, und immer wieder der Kleinbus als Mikrokosmos der jugendlichen Nomaden. Die Handlung ist fragmentarisch und ausufernd zugleich, Schauplätze und Klientel wechseln jeden Tag genau wie die Verkaufsstrategien. Atemberaubende schlossartige Villen, ärmliche verwahrloste Viertel, Kleinbürgerbungalows. Wie manipuliert man sie am besten an, die selbstgefälligen Reichen oder die angeblich so christlichen Spießbürger oder die einsamen gutverdienenden Arbeiter am Rande der Ölfelder? Um sich an ihrem Lover zu rächen, fährt Star mit drei wohlhabenden Herren im protzigen Auto davon, sie trinkt viel, verdient viel und tatsächlich passiert ihr nichts. Die Rancher in Anzug und Cowboyhüten sind wahre Gentlemen, was man von Jake nicht behaupten kann, der unerwartet auftaucht und mit dem Revolver rumballert. Eine amouröse Spritztour im geklauten Auto, Bonnie und Clyde im 21. Jahrhundert. Jake kann wie ein Wolf heulen und irgendwo ist er auch einer. „American Honey” hat etwas märchenhaft Lyrisches und zugleich beängstigend Realistisches. Arnolds hinreißendes Roadmovie erhielt in Cannes den Preis der Jury.
Ein Porträt der USA mit all ihren gesellschaftlichen Widersprüchen: Hinter jeder Tür verbirgt sich ein anderes Schicksal: Da steht ein kleines Mädchen im Türrahmen, brav gibt sie Auskunft, ihr jüngerer Bruder spielt auf dem Boden, das Haus ist verdreckt, verwahrlost, die drogensüchtige Mutter wankt durch den Raum, taucht sofort wieder ab in ihren Rausch. Die Frauen, denen wir begegnen, sie sind alle samt zur Mutter wenig geeignet, wirklich fürsorglich ist nur Star, diese rebellische sinnliche 18jährige. Sie spielt mit dem Kleinen wie daheim mit dem Brüderchen, geht in den Supermarkt, kauft zwei Tüten voll mit Lebensmittel. Irgendwann wird sie ihren Körper zu einem hohen Preis anbieten, ein freudloses Unterfangen für den gutmütigen Freier, der hätte sich gerne etwas Liebe erkauft. Vergeblich. Eins ist klar, das wird Star nie wieder tun. Je länger die jugendliche Heldin mit der Drückerkolonne unterwegs ist, desto mehr Selbstbewusstsein entwickelt sie. Nachts ist meist Party angesagt, danach sinken die Kids todmüde ins Bett, zusammen gepfercht in billigen Motelzimmern. Die stille zurückhaltende Pagan (Arielle Holmes) schlafwandelt, tagsüber ist sie besessen von Darth Vader. Zum Geburtstag schenkt ihr Star den Ring, den sie von Jake bekam. Sie will es ihm heimzahlen, ihre Unabhängigkeit unter Beweis stellen. Und dann plötzlich ist er verschwunden, der Mann, um den sich ihr Leben drehte. „Dream Baby Dream”, die Songs sind mehr als ein Soundtrack, für die Kids ist es ihre Sprache, die alltägliche Poesie ihres Daseins.
Originaltitel: American Honey
Regie: Andrea Arnold
Darsteller: Sasha Lane, Shia LaBeouf, Riley Keough, Arielle Holmes
Produktionsland: USA, Großbritannien, 2016
Länge: 163 Minuten
Verleih: Universal Pictures Germany
Kinostart: 13. Oktober 2016
Fotos & Trailer: Copyright Universal Pictures Germany
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