„Steve Jobs” – Eine Kerbe im Universum hinterlassen
- Geschrieben von Anna Grillet -
Genie oder Tyrann? Offensichtlich beides. Der Film „Steve Jobs” ist wie sein Protagonist: brillant, frappierend, suggestiv. Grandios Michael Fassbender als kühner Visionär, Apple-Ikone aber auch unerträgliches Ekel.
Regisseur Danny Boyle und Drehbuchautor Aaron Sorkin stilisieren den Blick hinter die Kulisse zum aberwitzigen Kunstwerk. Eine Absage an das traditionelle Geschichtenerzählen. Für den ästhetisch virtuosen Dreiakter ist die akribisch recherchierte 700-Seiten-Biographie von Walter Isaacson lediglich ein strategisch günstiger Ausgangspunkt, hier auf der Leinwand zählen Freiheit und Kreativität nicht Informationsfülle. „Ein impressionistisches Porträt” nennt es Sorkin, „mehr Gemälde als Fotographie”. Das provokante Kammerspiel erinnert unwillkürlich an den Slogan jener Werbekampagne von Apple aus dem Jahr 1997, der fast zu einer Art modernem Glaubensbekenntnis mutierte: „Think different. An alle, die anders denken: Die Rebellen, die Idealisten, die Visionäre, die Querdenker, die, die sich in kein Schema pressen lassen... Sie beugen sich keinen Regeln, und sie haben keinen Respekt vor dem Status Quo.” Die globale Fangemeinde von Steve Jobs und der Apple-Produkte hoffte damals wie heute genau diesem Image zu entsprechen.
Mit „Trainspotting”, „Slumdog Millionaire”, „127 Hours” avancierte Danny Boyle zum Kult-Regisseur. Sein Grundsatz: Jeder Film ein anderes Genre. In dem raffiniert rasanten Neo-Noir-Thriller „Trance” lehrte er uns 2013 die hohe Kunst der Manipulation, darum geht es jetzt auch in seinem Biopic, das aber keins sein soll. Boyle macht weder den Versuch den technischen Innovationen, noch Jobs Charakter auf den Grund zu gehen. Wahrscheinlich wäre es eh ein sinnloses Unterfangen. Stattdessen komprimiert der 59jährige Brite die Karriere seines 2011 verstorbenen Protagonisten auf drei entscheidende Ereignisse: die Produkt-Präsentationen vom Macintosh 1984, dem NeXTcube 1988 und dem iMAC 1998. Geschildert werden jeweils die 40 Minuten bevor Steve Jobs die Bühne betritt. 40 Minuten Echtzeit, in denen sich Konflikte, Emotionen, Kindheitstraumata und Begegnungen verdichten zu einer hochexplosiven Mischung. Szenen zwischen Selbstinszenierung und Selbstverherrlichung, komplex, vielschichtig, befremdend, erschreckend. Es knistert vor Spannung. Das ist nicht das wirkliche Leben, sondern eine überhöhte Version der Realität, aber wie so oft kommt die Fiktion der Wahrheit näher als die Fakten.
Der Regisseur führt Steve Jobs als schmallippigen Machiavelli vor, unbarmherzig und arrogant. Einer der seinen Ruhm nicht teilen mag mit Anderen, ganz gleich wie groß deren Verdienste sind. Dieser Mann ist mehr egomanischer Widerling als verehrungswürdiger Held. Und doch, sein Charisma verliert er dabei in keinem Moment. Boyle und Sorkin zelebrieren nicht die Demontage eines Mythos sondern die Annäherung an einen Charakter voller Widersprüche. Jobs, der immer darunter leidet, dass man ihn einst zur Adoption freigab, weigert sich trotz positivem Vaterschaftstests seine kleine Tochter Lisa anzuerkennen. Er weigert sich mit ostentativer Feindseligkeit, das Kind und deren mittelose Mutter trotz seines Reichtums in irgendeiner Weise zu unterstützen. Diese verunglückte Vater-Tochter Beziehung zieht sich wie ein roter Faden durch das Drama. War seine Gefühlskälte, die Unfähigkeit zu menschlicher Kommunikation die heimliche Kraft seiner Genialität, einer Obsession nach Perfektion? Er treibt die Menschen um sich herum zu Höchstleistungen an, verlangt skrupellos auch Unmögliches. Der Zweck heiligt die Mittel und der Erfolg gibt ihm Recht. Jobs kombinierte geschickt die Talente seiner Mitarbeiter, hatte jenes untrügerische Gespür für den Geschmack und die heimlichen Sehnsüchte der Konsumenten.
Der Apple-Mogul verstand zu manipulieren, ein Publikum in seinen Bann zu ziehen. Und auch wen all das vielleicht misstrauisch machte, dem blieb ein benutzerfreundliches durchgestyltes Arbeitswerkzeug, das technisch Unkundige wie Anspruchsvolle begeisterte. Design als Zeitgeist. Mac, im Amerikanischen bedeutet das so viel wie Kumpel. Steve Jobs, der sich so schwer tat mit menschlicher Nähe, gab uns einen perfekten Ersatz, den „Personal Computer“. Diese Maschine war nicht mehr das unheimliche Schreckgespenst aus einer George-Orwell-Dystopie sondern eben der smarte Kumpel, der uns von nun an überall hin begleitete. Flexibilität wurde auf dem modernen Arbeitsmarkt in immer stärkerem Maße gefordert. Der Mac war immer mit dabei, musste oft Heim und Familie ersetzen, überbrückte jede Distanz. Auf dem Flughafen, im Zug, an der Uni, im Café, in der TV-Serie „Sex and the City”, der angebissene Apfel war mehr als ein elegantes Statusobjekt, er war ein Symbol vielversprechender Gruppenzugehörigkeit. Steve Jobs stand/steht für Erfolg. „Die Querdenker, die Visionäre... Wir können sie zitieren, ihnen widersprechen, sie bewundern oder ablehnen. Das einzige, was wir nicht können, ist sie zu ignorieren, weil sie Dinge verändern, weil sie die Menschheit weiterbringen. Und während einige sie für verrückt halten, sehen wir in ihnen Genies. Denn die, die verrückt genug sind zu denken, sie könnten die Welt verändern, sind die, die es tun.” Natürlich hat auch er eine dunkle Seite, unser Mac: hohe Verkaufspreise, niedrige Löhne, unzumutbare Arbeitsbedingungen in China.
Die kleine Lisa erringt unerwartet die Aufmerksamkeit des Vaters durch ihre Fertigkeit auf dem Computer. Das überzeugt mehr als jeder Vaterschaftstest und wird mit dem Kauf eines Hauses belohnt. Liebe muss man sich verdienen. Die Großzügigkeit ist genauso willkürlich wie der Geiz. Kolportage oder Kunst? Aaron Sorkin („The Social Network”) versteht sich auf scharfzüngige Dialoge, hintergründige Pointen und tragische Erfolgsstorys in der Tradition von Orson Welles' „Citizen Kane” (1941). Wo eine Marke wie Apple für viele zur Identität wird, ist die Reduzierung einer Biographie auf Produktpräsentationen die perfekte Schlussfolgerung. Akt eins spielt 1984 im Flint Auditorium des De Anza Communitiy College im Herzen von Cupertino. Der britische Regisseur und sein deutscher Kameramann Alwin H. Küchler („Divergent”, 2014) drehten in körnigem 16 mm, rau-romantisch. In Akt zwei wird das San Francisco Opera House 1988 zur Bühne für die dramatische Rache des Helden gegenüber Apple, Samtvorhänge, goldener Stuck, theatralischer Bombast gefilmt in 35 mm und klassischer Schönheit. Im dritten Akt 1998 steht die Symphony Hall, Downtown San Francisco für Zukunft, gedreht mit ALEXA, einer modernen digitalen Kamera. Der Soundtrack reicht von elektronischem Minimalismus zu orchestraler Opulenz, während sich Steve Jobs, der Buddhist, mit Julius Cäsar und Leonardo da Vinci vergleicht. „To leave a dent in the universe” war sein Ziel. Übersetzt wird das oft mit “eine Kerbe im Universum hinterlassen”. Gemeint ist wohl weniger eine Delle sondern eine nachhaltige Veränderung. Der Film sorgte schon im Vorfeld für viel Wirbel. Der Witwe Laureen Powell Jobs missfiel die Idee einer solchen Charakterstudie, sie soll versucht haben Schauspieler wie Leonardo DiCaprio und Christian Bale davon zu überzeugen, die Hauptrolle nicht zu übernehmen.
Originaltitel: Steve Jobs
Regie: Danny Boyle
Darsteller: Michael Fassbender, Kate Winslet, Seth Rogen, Jeff Daniels, Katherine Waterston
Produktionsland: USA, 2015
Länge: 122 Minuten
Verleih: Universal Pictures Germany
Kinostart: 12. November 2015
Fotos & Trailer: Copyright Universal Pictures Germany
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