„Macbeth”. Diagnose: Posttraumatische Belastungsstörung
- Geschrieben von Anna Grillet -
So realistisch, düster und stürmisch war William Shakespeares Mittelalter nie zuvor. Matsch, Kälte, Brutalität, Angst, Blut, Schmerz scheinen greifbar nah.
Der australische Regisseur Justin Kurzel inszeniert „Macbeth” als bildgewaltiges archaisches Epos mitten in der schroffen kargen Landschaft der schottischen Hochebene.
Der Film beginnt mit der Bestattung des einzigen Kindes von Macbeth, Than von Cawdor, (Michael Fassbender) und seiner Gattin, Lady Macbeth (Marion Cotillard). Es ist eine Szene von ungeheurer Trauer und atemberaubender ästhetischer Virtuosität. Erst später wird dem Zuschauer bewusst, dass sie eine völlig neue Perspektive auf die Tragödie des Tyrannen eröffnet genau wie die verstörenden Bilder vom Schlachtfeld. Noch ist der Titelheld ein dem König von Schottland ergebender Heerführer. Die Anspannung wächst, es sind nur wenige Minuten bevor der Kampf beginnt. Die Soldaten haben bäuerliche trotzige Gesichter, erschöpft von Entbehrungen, manche anrührend in ihrer jugendlichen Naivität und Offenheit. Die Menschlichkeit verschwindet nun unter dämonischer Kriegsbemalung. Ein kurzes Zwiegespräch mit Gott, sie alle wissen, nur wenige werden den Kampf gegen den Rebellenführer und Verräter Macdonwald überleben. Die Schwerter gezückt, greifen die Männer an mit wilder, verzweifelter Entschlossenheit. Ihr kriegerisches Brüllen ist ohrenbetäubend. Zwischen den Nebelschwaden ringen die Feinde miteinander, während nervenzermürbender Trommelwirbel die Schmerzensschreie übertönen. Blut ergießt sich plötzlich in Slow Motion. Das grausame Gemetzel wird für Sekunden eingefroren, um seine brutale Endgültigkeit zu demonstrieren. Naturalismus vermischt sich mit überhöhter Stilisierung und opulenter Choreographie, doch die spektakuläre Ästhetik gerät nie zum Selbstzweck.
Der Sieg gehört Macbeth. Es ist ein bitterer Triumph, die meisten seiner Soldaten sind gefallen, viele erschreckend jung. Grade um einen von ihnen trauert der Heerführer, als wäre er sein eigener Sohn. Zum letzten Mal zeigt der Protagonist Mitgefühl, der Krieg hat ihn verändert. Der Film verlässt das Schlachtfeld nie ganz, verlagert es nur. Drei mysteriöse Frauen prophezeien, dass Macbeth bald Than von Cawdor und König von Schottland wird. Banquo, sein Vertrauter (Paddy Cosidine), wird eines Tages Vater von Königen. Beide Männer sind irritiert, schenken den Weissagungen zunächst keine Beachtung. Boten treffen ein, um den Dank des Königs zu überbringen und Macbeth den Titel des Thans von Cawdor zu verleihen. Die gewonnene Schlacht will der Monarch (David Thewlis) in Inverness, der Heimat seines treuen Feldherren feiern. Durch einen Brief ihres Mannes erfährt Lady Macbeth von der Prophezeiung. Sie leidet unter der Einsamkeit und dem Tod des einzigen Kindes. Macht und Ruhm sollen jetzt ersetzen, was das Schicksal ihr verweigert hat. Sie schmiedet ein Mordkomplott: der Gatte soll Duncan töten, um den Thron selbst zu besteigen. Macbeth weigert sich erst, aber die Ankündigung des Königs, seinen unreifen Sohn Malcolm (Jack Reynor) zum Nachfolger zu machen, verdrängt jeden Zweifel.
Für Justin Kurzel ist Shakespeares Lyrik das entscheidende Element seiner Adaption, eine Art Fundament. Die Sprache, mehr Monolog als Dialog, spiegelt die Gedanken und Gefühle ihrer Protagonisten wider. Einige Figuren wurden gestrichen, andere Aspekte hinzugefügt wie der Verlust des Kindes. Die Drehbuchautoren Jacob Koskoff, Todd Louiso und Michael Lesslie kürzten den Text, reduzierten ihn aufs Wesentliche, ohne ihm seine Poesie oder Kraft zu nehmen. Im Gegenteil, die Schönheit der Verse kommt so noch wirkungsvoller zum Ausdruck und verliert alles aufgesetzt Theatralische. Jedes Wort wird direkter, intimer, grade wenn die Stimme aus dem Off kommt. Es entsteht mehr Spielraum für die die einzelnen Charaktere, sich zu entwickeln. Shakespeares magische Verbindung aus historischen Fakten, Fiktion, Mythologie und Aberglaube liegt eigentlich voll im Trend des heutigen Publikumgeschmacks. In dem semi-mythischen Königreich aus Moor, Marsh und blutroten Himmeln kämpfen die Akteure ums Überleben. Bei Kameramann Adam Arkpaw („Animal Kingdom”, 2010 ) ist die raue gespenstische Natur weniger Kulisse als unbarmherziger Gegner. Macbeth entschließt sich zum ultimativen mörderischen Akt, um dieser unwirtlichen Welt zu entkommen. Den Regisseur erinnert die historische Tragödie an einen Western: „Diese Landschaft und die Atmosphäre waren sehr viel gefährlicher, als ich sie jemals in einer der früheren Shakespeare-Adaptionen gesehen hatte... Erst der Krieg hat in Macbeth den Wunsch geweckt hat, König zu werden. Ist der Mord nicht seine Art, auf diesen Schmerz und dieses Trauma zu reagieren?” Schon in dem Thriller „Snowtown” (2011) ging es Kurzel darum, welche Auswirkungen ein Mord auf die Gesellschaft hat, und wie diese Gemeinschaft vom Killer manipuliert wird. Die Gier nach Macht korrumpiert die Menschen, das gilt für die moderne Leistungsgesellschaft genau wie für den mittelalterlichen Feudalismus.
Macduff, der Than von Fife, (Sean Harris) entdeckt die Leiche des Königs. Um die eigene Tat zu verschleiern, erschlägt Macbeth Duncans Diener. Aus Wut und Trauer behauptet er den Anderen gegenüber. Fast alle halten Malcolm für den Drahtzieher der Verschwörung. Macbeth nützt die Verwirrung, um seine Popularität auszubauen und wird zum König von Schottland gekrönt. Doch er spürt das Misstrauen seines Freundes Banquo und befiehlt, ihn und dessen kleinen Sohn Fleance (Lochlann Harris) ermorden zu lassen. Bei einem großen Festmahl erfährt er, dass Banquo getötet wurde, der Sohn aber entkommen konnte. Seine Unruhe steigert sich ins Unerträgliche, als ihm plötzlich der Geist seines Freundes erscheint: eine schweigende, blutüberströmte Anklage. Die Gäste können sich die Angstzustände des halluzinierenden Königs nicht erklären. Lady Macbeth beendet das Fest abrupt. In der Nacht schleicht sich Macbeth fort, er sucht die seltsamen Frauen. Sie lassen ihn wissen, dass sein Thron sicher sei, bis der Wald von Birnan nach Dunsinane komme, und er nicht durch die Hand eines Mannes sterben werde, den eine Frau geboren hat. Zurück im Schloss erwartet ihn die Nachricht, dass Macduff nach England aufgebrochen ist, um sich mit Duncans Sohn Malcolm zu verbünden. Macbeth rächt sich und lässt Macduffs Frau und ihre Kinder öffentlich hinrichten. Der Tyrann wird von nun an jeden töten, dessen Widerstand er fürchtet. Lady Macbeth treiben die Schuldgefühle in den Wahnsinn. Sie kehrt nach Inverness zurück und stirbt, gequält von den Visionen ihres toten Kindes.
Die französische Oscar-Preisträgerin Marion Cotillard balanciert ihre Lady Macbeth meisterhaft zwischen Hochmut und Reue. Wie in „Zwei Tage, eine Nacht” (2014) oder „Der Geschmack von Rost und Knochen” (2012) braucht sie auch hier eigentlich keine Wort, um ihre Gefühle auszudrücken, das Gesicht sagt alles. Cotillard ist in dieser Rolle charismatisch und heimtückisch zugleich. Wenn sie zu Macbeth spricht, sind ihre Sätze wie Peitschenhiebe. Sie verachtet Güte als Schwäche, fordert den Gatten geschickt heraus, er soll sich als Mann beweisen. Die unheilvollen Absichten versteckt die Protagonistin hinter sittsamer Fassade und Gastfreundschaft. Sie lockt, manipuliert, ist besessen von Machthunger, und doch zeigt der Regisseur sie ganz bewusst auch als Opfer. Die Herkunft schafft Distanz zu den anderen Frauen, sie bleibt immer eine Fremde auch noch als Königin. Sie sehnte sich danach, dem einsamen entbehrungsreichen Dasein als Frau eines Soldaten zu entfliehen, jetzt wird sie Zeugin, wie Lady Macduff und ihre Kinder auf dem Scheiterhaufen verbrennen. Sie bricht zusammen. Überwältigend jene Szene in der kahlen Kapelle mit dem schadhaften Mauerwerk, wenn Schneeflocken sie einhüllen wie in ein durchsichtiges Leichentuch, die Schuld hat sie zerstört.
Michael Fassbender verkörpert Macbeth als verirrten Helden. Einst war der Protagonist introvertiert, verletzbar, aber Ehr- und Mitgefühl verwandelt sich in den blutigen Schlachten zu Verbitterung und Menschenverachtung. Wutentbrannt rebelliert er gegen das Schicksal und später die eigene Schmach. In den Armen seiner Gattin werden Gewalt und Erotik eins. Großspuriger Pathos wechselt mit hilfloser Paranoia. Der Krieger-König wittert Feinde überall. Posttraumatischer Belastungsstörung nennt man es heute. „Normalerweise geht man in „Macbeth” davon aus, dass hier zwei Menschen sind, die mehr haben wollen,” erklärt Kurzel. „Ich fand es interessant, das umzudrehen. Nach reiflicher Überlegung machten wir daraus zwei Menschen, die eine innere Leere fühlen, die von Trauer und Schmerz herrührt.” Fassbinder faszinierten schon immer beunruhigende, widersprüchliche, extreme Charaktere. Der deutsch-irische Schauspieler ist jemand, der mit frappierender Erbarmungslosigkeit gegenüber sich selbst physische Grenzen überschreitet. Ob in der Rolle des IRA-Kämpfers Bobby Sand („Hunger”, 2008) oder als Sexsüchtiger in „Shame” (2011) konfrontiert er sich und den Zuschauer mit der dunklen, abstoßenden Seite der menschlichen Natur, macht nachvollziehbar, was sonst oft verdrängt oder verurteilt wird. Sein Tyrann aus Verzweiflung ist innerlich zerrissen wie der Plantagenbesitzer in „12 Years a Slave” (2013) zwischen dem Machtanspruch des weißen Mannes und der Liebe zu einer schwarzen Frau. Verlorenheit, Schmerz, Sehnsucht oder moralischer Abgründe, Fassbender verzichtet auf jede Art von großer Geste. Er hat genau wie Marion Cotillard einen unverwechselbaren Minimalismus entwickelt. Wo andere nur Verachtung provozieren würden, gelingt es ihm noch Mitgefühl einzufordern.
Uraufgeführt wurde William Shakespeares Tragödie „Macbeth” 1611 im Londoner Globe Theatre. 1908 verfilmte sie der Amerikaner James Stuart Blackton zum ersten Mal. Seitdem sind mehr als 90 Leinwand-Adaptionen des englischen Klassikers entstanden. Orson Welles (1948), Akira Kurosawa (1957), Roman Polanski (1971), Vishal Bhardwaj (2003), für Regisseure aus aller Welt blieb die Geschichte des legendären Königsmordes aus dem 11. Jahrhundert eine Herausforderung. Justin Kurzel macht den Aufstieg und Fall Macbeth’ zu einem akustischen wie visuellen Erlebnis, wie es zuvor noch keinem gelang.
Originaltitel: Macbeth
Regisseur: Justin Kurzel
Darsteller: Michael Fassbender, Marion Cotillard, David Thewlis
Produktionsländer; Großbritannien, Frankreich, USA, 2015
Länge: 113 Minuten
Verleih: StudioCanal Deutschland
Kinostart: 29. Oktober 2015
Fotos & Trailer: Copyright StudioCanal Deutschland
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