„Die Frau in Gold” – Späte Gerechtigkeit oder nur ein Etappensieg?
- Geschrieben von Anna Grillet -
Der britische Regisseur Simon Curtis schildert den zermürbenden Kampf um die Restitution jenes berühmten Gustav-Klimt-Gemäldes, das die Nazis einst geraubt hatten: ‘Adele Bloch-Bauer I’.
Grandios Helen Mirren in der Rolle der jüdischen Emigrantin Maria Altmann. Die schmerzvollen Erinnerungen an den Terror des Hitlerregimes und die Flucht aus Wien in die USA quälen sie, aber geben ihr zugleich auch die Kraft für den fast aussichtlosen Rechtsstreit um das rechtmäßige Erbe ihrer Familie.
Der Spielfilm „Die Frau in Gold” basiert auf einer wahren Geschichte und ist mehr als nur ein spannender Justizthriller. Nach dem Tod ihrer Schwester entdeckt die achtzigjährige Maria Altmann zwischen den Unterlagen im Nachlass Schriftstücke, die darauf schließen lassen, dass sie Anspruch haben könnte auf mehrere Werke des legendären Künstlers Gustav Klimt. Die Bilder hängen seit der Enteignung durch die Nationalsozialisten in der Wiener Gemäldegalerie Schloss Belvedere. Darunter auch das Porträt von Adele Bloch-Bauer, der Tante Marias, es avancierte zur nationalen Ikone, gilt als „österreichische Mona Lisa”. Um die Herkunft zu vertuschen, wurde es unbenannt in „Damenbildnis vor Goldgrund”, „entjuden” hieß es im NS-Jargon. Einst hing das Jugendstil Gemälde über dem Kamin der wohlhabenden jüdischen Großfamilie. Der Salon von Ferdinand Bloch-Bauer und seiner Frau war gesellschaftlicher Treffpunkt der kulturellen und politischen Elite ihrer Zeit. Hier verkehrten Gustav Mahler, Arthur Schnitzler, Karl Renner, Richard Strauss, Franz Werfel, Stefan Zweig, Sigmund Freud und Gustav Klimt.
Maria Altmann wendet sich an den noch recht unerfahrenen Anwalt Randy Schoenberg (Ryan Reynolds), Sohn einer guten Freundin und Enkel des Komponisten Arnold Schönberg. Wirkliches Interesse zeigt der junge Jurist nicht an dem Fall. Von Kunstrestitution hat er keine Ahnung. Aber die Protagonistin verfügt über einen eigenwilligen störrischen Charme. Sie ist eine elegante energische Lady, ganz alte Schule, beharrt auf Pünktlichkeit und Ironie, ein wenig herrisch, ein wenig bemutternd und weiß, wie sie Randy rumkriegt. Und dann plötzlich erwacht auch sein Ehrgeiz. In Österreich hat sich die Gesetzeslage geändert. Seit der Waldheim-Affäre ist man auf ein besseres Image im Ausland bedacht, zumindest besteht nun die Möglichkeit, einen Anspruch auf Restitution durchzusetzen. Randy berichtet seinem Chef von dem Klimt-Gemälde. „Glauben Sie wirklich, Österreich wird dieses Bild herausrücken, damit es über dem Sofa einer alten Dame hängt?” Den Vorgesetzten (Charles Dance) verblüfft so viel Naivität und trotzdem gibt er ihm die Chance nach Wien zu fliegen. Zudem geht es um viel Geld, dem können Rechtsanwälte nur schwer widerstehen. Maria oder Randy, einer der beiden Protagonisten macht immer einen Rückzieher, schießt quer, will aufgeben. Der andere muss ihn dann irgendwie überzeugen. Darin liegt zum Teil die Dynamik des Films. Dieses Mal weigert sich Maria Altmann. Zurück nach Wien? In ihre Geburtsstadt und wenn es nur für ein paar Tage ist, der Gedanke scheint ihr unvorstellbar. „Niemals, eher sterbe ich”.
Aber sie wird nach Wien fliegen. Was sie dazu bringt, sich den Gespenstern der Vergangenheit zu stellen, begreift der Zuschauer während der Rückblenden in die Dreißiger Jahre. Hier in Kalifornien führt Maria Altmann ein eher bescheidenes Dasein verglichen mit dem Luxus ihrer Kindheit. Sie hat eine kleine Boutique, wo sie Pastellfarbenes ordentlich auf einander stapelt. Dem Chaos dieser Welt begegnet sie mit untadliger Perfektion. In Gedanken bewegt sie sich zwischen Vergangenheit und Gegenwart, Wien und Los Angeles, Krieg und Frieden, Die palaisartige Wohnung Ihrer Familie in der Elisabethstraße 18 erscheint uns wie ein magisches Universum aus Musik, der schönsten Gemälde, jeder Gegenstand exquisit. 1903 begann Gustav Klimt mit den Studien zu dem Gemälde der „Goldenen Adele”, das war in jenem Jahr als er die Kirche San Vitale in Ravenna besuchte. Die byzantinischen Mosaikporträts von Kaiserin Theodora und Kaiser Justinian mit ihrer exotischen, ornamentalen Pracht beeindruckten ihn. Klimt beobachtete, wie sich in Wien eine neue Klasse herausbildete, eine Schicht reicher, mächtiger Bankiers- und Industriellenclans. Mit diesem Werk versuchte er eine moderne Ikone zu schaffen, die den Status der Bloch-Bauers widerspiegelte. Diese Klasse war nicht aristokratisch, spielte jedoch eine entscheidende Rolle in der damaligen Gesellschaft. Nur für einen Moment am Anfang des Films sehen wir den Künstler (Moritz Bleibtreu) bei der Arbeit. Simon Curtis beherrscht jenen ästhetisch virtuosen Mix aus Fakten und Fiktion wie er schon in „My Week with Marilyn” bewies. Doch die Materie hier ist sehr viel komplexer, sperriger.
Maria ist schon als kleines Mädchen eigenwillig, ein wenig melancholisch verträumt. Sie braucht immer eine Extraaufforderung zum Lächeln, wenn sie fotografiert werden soll, empfindet die ältere hübsche Schwester als Konkurrenz und das wird sich auch nie ganz ändern. Maria hängt an ihrer Tante, zwischen den beiden besteht eine ganz besondere Verbindung. Adele Bloch-Bauer stirbt 1925 an Gehirnhautentzündung. Ihr Diamantencollier, das sie auf Klimts Porträt trägt, schenkt Ferdinand Bloch-Bauer seiner Nichte zur Hochzeit. Mit 21 heiratet Maria (Tatiana Maslany) den Opernsänger Fritz Altmann (Max Irons). Sechs Wochen später, im März 1938, wird Österreich von Hitler-Deutschland annektiert, die Nationalsozialisten auf den Straßen Wiens mit Jubel begrüßt. Was in Berlin, Hamburg oder München geschah, wiederholt sich nun hier: Die jüdischen Bürger werden verfolgt, gedemütigt, enteignet und deportiert. Simon Curtis gelingt es, die Handlung geschickt zu verkürzen auf einzelne entscheidende symbolische Szenen wie Maria traditionelle jüdische Hochzeitsfeier: ein Tanz auf dem Vulkan, überschäumend vor Lebensfreude und Glück. Die Zerstörung der Familie, der Untergang einer Ära ist unabwendbar. Viele englischsprachige Kritiker melden Zweifel an, bezeichnen den Film als tendenziell, überzogen, pathetisch. Variety verreißt “Die Frau in Gold” gnadenlos. Man könnte zynisch werden. Wie viel Gefühl darf es sein bei einem menschlichen Drama solchen Ausmaßes? Sentimentalität wird dieser Tage zum Standardvorwurf, Gesellschaftskritik scheint nur noch opportun als Science Fiction Thriller. Die Vergangenheit muss der Dystopie weichen.
Der Abschied Marias von ihren Eltern ist herzzerreißend aber nicht sentimental. Im Gegenteil, man versucht tapfer zu sein, auf beiden Seiten. Alle stehen bereits unter Hausarrest, es ist die letzte Chance für Tochter und Schwiegersohn sich in Sicherheit zu bringen. Der Vater weiß, er hätte auf seinen Bruder hören sollen, sich schon früher mit der Familie in die Schweiz absetzen. Diese Szene mag als solche nicht authentisch sein, doch genauso hat es sich in jenen Jahren unendlich viele Male zugetragen. Curtis konfrontiert den Zuschauer bewusst in den sepiafarbenden Rückblenden noch einmal mit den Gräueltaten der Nationalsozialisten. So verstehen wir, warum ein Vater zu seiner Tochter sagt, er und die Mutter würden von diesem Augenblick an nur noch Englisch sprechen, so wie Maria es tun wird in den USA. Viele Emigranten ertrugen die Sprache ihrer Peiniger nicht mehr, erlaubten auch ihren Kindern nicht, sie zu benützen. Hier bei den Bloch-Bauers ist es eine Geste der Verbundenheit, man wird sich nie wiedersehen, fühlt sich dadurch dem Anderen trotzdem ein wenig näher. Wer 60 Jahre nach der Flucht wie Maria Altmann zum ersten Mal wieder in die Heimat zurückkehrt, beäugt die Menschen um sich herum mit Misstrauen. Trotzdem ist sie oft mutiger, aufgeschlossener als ihr junger Anwalt. Vom ersten Moment an vertraut sie dem Journalisten Hubertus Czernini (Daniel Brühl). Er wird zum wichtigsten Verbündeten in diesem Kampf und hilft ihr an die entscheidenden Unterlagen zu gelangen.
Der Wiener Museumsdirektor verschanzt sich hinter der Bürokratie und beruft sich wie seine Vorgänger auf ein Schriftstück von Adele Bloch-Bauer, indem sie erwähnt, die Gemälde dem Belvedere hinterlassen zu wollen. Aber es ist kein wirksames Testament, zudem sind die Gemälde Eigentum ihres Ehemanns Ferdinand, der sie bei Gustav Klimt in Auftrag gab. Der in Prag geborene Zuckerfabrikant gehörte zu den bedeutendsten Mäzenen der Stadt und setzte seine Nichten als Erben ein. Doch Österreich sträubt sich gegen die Herausgabe der Bilder, auch zu einem Kompromiss ist man von offizieller Stelle nicht bereit. Der Anspruch Marias wird zurückgewiesen. Unvergesslich bleibt einem jene Konferenz in Wien, wo verschieden Zeitzeugen schildern, auf welche Weise ihnen die Kunstwerke entrissen wurden. Viele der Gemälde und Antiquitäten der Familie Bloch-Bauer landen auf Adolf Hitlers Berghof. Klimts Werke erinnerten zu sehr zu an „Entartete Kunst“ und kamen nur deshalb in Belvedere. Das legendäre Diamanthalsband schenkt Herman Göring seiner zweiten Ehefrau Emmy. Der Schmuck tauchte nie wieder auf. Weiter in Österreich zu prozessieren würde Unsummen verschlingen, die stehen weder Maria Altmann noch ihrem Anwalt zur Verfügung.
„Das ist wie ein James-Bond-Film und Du bist Sean Connery,” sagt die Protagonistin einmal zu Randy. Sie hat einen wundervollen Sinn für Humor. Der schüchterne Anwalt hat anfangs kaum das Zeug zum Helden. Seine österreichische Herkunft interessiert ihn nur mäßig, er ist es leid bei der Nennung seines Namens immer auf seinen berühmten Vorfahren, den Begründer der Zwölftonmusik, angesprochen zu werden. Er will Karriere machen, muss vor allem Frau und Kind ernähren. Randy ist ein blasser etwas tapsiger Typ, etwas fahrig, in höchst unvorteilhaften Anzügen, eher brav als kämpferisch. Aber seine innere Einstellung zur jüdischen Identität ändert sich radikal und damit erwacht auch sein Kampfgeist und seine Entschlossenheit. Der Jurist macht sich ein Gesetz zunutze, dass US-Bürgern erlaubt, ausländische Regierungen von Amerika aus rechtlich zu belangen. Randy und Maria gewinnen in jeder Instanz, aber Österreich legt beim Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten Berufung ein. Ein Präzedenzfall dieser Art könnte weltweit Folgen haben, befürchtet man. Doch Randy Schoenberg überzeugt den Richter: "Mrs Altmann kam als junge Frau nach Amerika auf der Suche nach Frieden sie sollte auch Gerechtigkeit finden". Als hier das Urteil zugunsten Maria Altmanns ausfällt, willigt man von österreichischer Seite ein, den Fall vor einem Schiedsgericht in Wien zu bringen. Noch immer sind die Verantwortlichen nicht zu einer außergerichtlichen Einigung bereit. Am 17. Januar 2006 ergeht die Entscheidung, alle fünf Klimt-Gemälde werden Maria Altmann und ihrer Familie zugesprochen. Für die Rekordsumme 135 Millionen Dollar erwirbt der New Yorker Sammler und Milliardär Ronald Lauder das Porträt “Adele Bloch-Bauerl” für sein Privatmuseum „Die Neue Galerie”. Maria Altmann hatte dem Kauf nur unter der Bedingung zugestimmt, dass es stets öffentlich ausgestellt werden soll. Ein Großteil des Erlöses wurde gespendet, Randy Schönberg finanzierte mit seinem Anteil einen neuen Flügel des Holocaust Museums in Los Angeles. Und doch ist dieser Fall noch eine Ausnahme. Viele Enteignungen waren juristisch so geschickt formuliert, dass sich die Ansprüche bis jetzt nicht durchsetzen lassen. In solchen Fällen wurden zum Schein Kaufverträge aufgesetzt und die auch noch vordatiert, so dass den Opfern die Basis für einen Anspruch fehlt.
Bei Schauspielern wie Regisseur spürt der Zuschauer in dem bewegenden eindringlichen Raubkunst-Drama ein besonderes persönliches Engagement. „Simon Curtis hat osteuropäisch-jüdische Wurzeln”, erklärt Helen Mirren in einem Interview,” und so empfand er diese Geschichte auf eine Weise nach, zu der jemand ohne eine solche Herkunft nicht imstande gewesen wäre.” Die englische Schauspielerin wollte unbedingt Maria Altmanns Zorn vermitteln, Zorn über die Zerstörung ihrer Familie und einer ausgelöschten Tradition. “Diese Generation musste ihren Zorn überwinden, sie konnte sich nicht daran festklammer, denn das war kontraproduktiv. Sie waren sehr tapfer, denn sie kamen aus dem absoluten Nichts in ein fremdes Land und mussten sich ein komplett neues Leben aufbauen,” so Mirren. „Ich kenne das noch ein bisschen von meinem Vater, der Sohn eines Immigranten war. Mein Großvater wurde in Russland geboren, stammte aus einer reichen Familie und er musste das alles vergessen, weil es vorbei war und nie wieder zurückkehren würde.” Nur einer hätte mehr gewürdigt werden sollen: Hubertus Czernin. Der Journalist des Nachrichtenmagazin ‘profi’l war 1986 maßgeblich an der Aufdeckung der Kriegsvergangenheit des für das Amt des Bundespräsidenten kandidierenden Kurt Waldheim („Waldheim-Affäre“) beteiligt. Und Czernin war es auch, der die entscheidende Vorarbeit im Fall Maria Altmann leistete, den Stein ins Rollen brachte. Sein Part im Film wurde reduziert zu Gunsten des Rechtsanwalts Randy Schoenberg. 2006 starb Czernin im Alter von 50 Jahren.
Originaltitel: Woman in Gold
Regie: Simon Curtis
Darsteller: Helen Mirren, Ryan Reynolds, Daniel Brühl, Katie Holmes, Tom Schilling
Produktionsland: Großbritannien, USA, 2015
Länge: 107 Minuten
Verleih: SquareOne Entertainment
Kinostart: 4. Juni 201
Fotos & Trailer: Copyright SquareOne Entertainment
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