„Die Gärtnerin von Versailles”. Unordnung und frühes Leid
- Geschrieben von Anna Grillet -
Sein Historienepos „Die Gärtnerin von Versailles” inszeniert Alan Rickmann, als wäre es ein melancholisch philosophisches Märchen ohne Anspruch auf geschichtliche Akkuratesse. Regisseur wie Protagonistin setzen auf die Freiheit in der Kunst, nicht auf mathematische Präzision.
Der Stolz Frankreichs soll es sein mit Gärten von unvergleichlicher, einmaliger Schönheit, der Himmel auf Erden. So und nicht anders stellt sich der Sonnenkönig Louis XIV (Alan Rickman) das Schloss von Versailles vor.
Sein berühmter Landschaftsarchitekt André Le Nôtre (Matthias Schoenaerts) sucht 1682 Unterstützung bei der Gestaltung des Parks. Unter den Bewerbern ist auch, welche Unverfrorenheit, eine Frau: Sabine De Barra (Kate Winslet). Le Nôtre wirft einen Blick aus dem Fenster, unten macht sich ein weibliches Wesen mit auffälligem Federhut an den Pflanzenkübeln zu schaffen. Sie verschiebt einen, schon ist die Symmetrie des Arrangements zerstört und eigentlich auch jede Hoffnung auf eine Anstellung.
Doch der Intelligenz wie auch dem rebellischen Charme der Gärtnerin kann man nur schwer widerstehen. Gefragt nach ihrer Philosophie, scheint sie verwirrt: „Philosophie?”. „Nun, über die Natur,” entgegnet Le Nôtre. „Sie ist mein Leben,” antwortet Sabine. „Langweilig oder respektlos, dazwischen werde ich wohl wählen müssen,” seufzt der verblüffte Landschaftsarchitekt. Als er abends, es ist schon dunkel, Sabine De Barra zuhause aufsucht, um ihr mitzuteilen, dass er sich für sie entschieden hat, betritt Le Nôtre eine ihm völlig unbekannte Welt. Der Garten in seiner wilden, verspielten Farben- und Formenvielfalt widerspricht allem was bis dahin seine Ideale waren: „Dieses Durcheinander, das ist Euer Paradies?” „Die Suche danach.” Der britische Schauspieler und Regisseur Alan Rickman („The Winter Guest”) hat sich in der Tradition von Stanley Kubricks „Barry Lyndon” (1975) für natürliches Licht und gegen Digital entschieden. Der Schein der flackernden Kerzen gibt dem Film seinen zuweilen unvergleichlichen Zauber.
Eine Gärtnerin hat es in Versailles 1682 nie gegeben, sie ist eine feministische Wunschphantasie unserer Zeit, real dagegen aber ihr Projekt: Innerhalb des geometrisch barocken Schlossgartens entsteht das Boskett, ein Lustwäldchen in Anschluss ans sogenannte Parterre, dessen Baumbestand von geraden Achsen durchzogen und hohen Hecken gesäumt wird. Es soll der Kontrapunkt zur Gebäudearchitektur sein: Ein Ballsaal unter freiem Himmel, Springbrunnen, Kaskaden, umgeben von einer Arena mit Muscheln und Steinen besetzter Treppenstufen. Das morastige Sumpfland war höchst ungeeignet für ein so ambitioniertes Bauvorhaben wie das Schloss Versailles. 18.000 Menschen arbeiteten hier, Tausende starben. Davon erzählt der Film nicht, sondern von den Machtkämpfen am Hofe des auf Perfektion versessenen Sonnenkönigs, von Intrigen, Widerständen, heimlichen Leidenschaften und revolutionären Ideen.
Die Etikette von Versailles ist voller Widersprüche: nach Außen hin muss die Konvention gewahrt bleiben, doch im Schloss selbst herrscht eine seltsame erotische Freizügigkeit. Das ausschweifende Triebleben des Hochadels steht im krassen Gegensatz zur strikten Geometrie der Gartenbaukunst, in der keine Abweichung geduldet wird. Auch der Tod ist als Thema tabu. Tragik und Tränen sind verbannt aus dem Paradies von Louis XIV. Heimlich treffen sich die aristokratischen Damen, sprechen nur im Verborgenen über die Menschen, die sie liebten und verloren haben. Sabine De Barras natürliche Schönheit erregt Neugier wie Unwillen, als Bürgerliche ist sie hier am Hofe ein Kuriosum. Nichts kann die Energie der jungen Witwe bremsen, sie von ihren Ideen abbringen. Sie scheint stark, zuversichtlich, weiß sich geschickt gegen Klassenbarrieren und die Hackordnung der männlichen Kollegen zu wehren. Le Nôtre steht ihr zur Seite, doch er spürt, dass Sabine innerlich etwas quält. Ihre unkonventionelle Offenheit, das Selbstbewusstsein täuscht. Die eigenwillige talentierte Landschaftsgärtnerin spricht nie über die Vergangenheit. Man ahnt, es hat mit dem Tod ihres Kindes zu tun.
Rickman versucht sich nicht an einem überzogenen Zynismus wie Peter Greenaway in „Der Kontrakt des Zeichners” (1982). Das britische Hochbarock mit seiner Vorliebe für Künstlichkeit, rigoroser Geometrie und starren Regeln ist dort mehr als nur Handlungshintergrund, es spiegelt die geistige Haltung des Protagonisten Neville als naiven Vertreter eines radikalen Naturalismus. Dekor wie Kostüme sind ins Groteske übertrieben, die verschachtelten Dialoge der Akteure persiflieren den prätentiösen Sprachstil der Oberschicht. Die Ästhetisierung verzerrt Greenaway meisterhaft bis zur maßlosen Entstellung. Auch Sofia Coppola prasst bei ihrer Abrechnung mit dem Ancien Régime in „Marie Antoinette” (2006) mit spektakulärem Pomp und eitlen Getue. Die verschwendungssüchtige Herrscherin endet als schrille Karikatur einer Pop-Diva. Alles ist strahlend schön bis zum Überdruss, mehr aber auch nicht. So verschieden die Regisseure sind, jedem geht es um die Wahrhaftigkeit im Leben wie in der Kunst. Rickmans Ansatz ist damit verglichen fast minimalistisch, er setzt auf Allegorien, Anspielungen, vertraut ganz der Exzentrik oder der Unschuld seiner Akteure, will sie weder denunzieren noch der Lächerlichkeit preisgeben. Es ist verwirrend genug zu sehen, wie Sabine De Barra im absolutistischen Frankreich um ihre Position kämpfen muss.
Kate Winslet stand zuletzt vor 20 Jahren zusammen mit Alan Rickman vor der Kamera in Ang Lees „Sinn und Sinnlichkeit”. Den Lebensüberdruss von Louis XIV spielt Rickman mit frostig kühler Nonchalance und einer Spur von Verletzbarkeit. Ob Unmut oder Erstaunen, er zieht eine Augenbraue hoch. Im Beisein von Kindern wird er selbst wieder zum Kind. Versailles gehört zu seinem politischen Kalkül, wer in der riesigen Schlossanlage vor den Toren der Stadt wohnen durfte, fühlte sich im Zentrum der Macht. 80 Gäste beobachteten nachts den Schlaf des Regenten genauso wie während der Mahlzeiten. Aber, oder grade deshalb umgibt ihn eine große Einsamkeit. Selten nur gelingt ihm, sich allein in einen stillen Winkel des Parks zurückzuziehen. Hier begegnet ihm Sabine De Barra, die den Monarchen (da ohne Perücke) mit einem Gärtner verwechselt. Louis XIV genießt das erfrischend ehrliche Gespräch mit seiner Untertanin. Die beiden verbringen einen unvergesslichen Nachmittag zwischen Blumen und Birnenbäumen, auch als das Missverständnis sich aufgeklärt hat. Manches von dem, was im Film geschieht ist wahr, anderes könnte sich so zugetragen haben, vieles scheint völlig unwahrscheinlich. Doch es ist faszinierend sich der Vergangenheit anzunähern, als könnte man selber als Phantasie ein Teil von ihr werden. Das Drehbuch schrieb Alison Deegan zusammen mit Jeremy Brock und Alan Rickman.
André Le Nôtre gilt heute noch als einer der bedeutendsten Landschaftsarchitekten Europas: Vaux-Vicomte, Fontainebleau, Chantilly, Le Jardin de Tuileries entstanden ganz oder zum Teil nach seinen Entwürfen. Die intrigante laszive Madame Le Nôtre (Helen McCrory) hat bisher auf einer offenen Beziehung in der Ehe beharrt, sie setzt am Hofe Sex gezielt zum sozialen Aufstieg ein, aber nun wo Sabine De Barra und ihr Mann sich näher kommen, sieht sie ihre Karrierepläne gefährdet, erwacht die Eifersucht. Der melancholische zurückhaltende Gartenbaukünstler hat immer nur stumm unter der dominanten Ehefrau gelitten. Doch die Arbeit mit Sabine hat ihn verwandelt, ihre kreative Freiheit ist auch die seine geworden. Er begehrt auf gegen den lächerlichen Standesdünkel der machtgierigen Gattin: „Ihr wart bei dieser Frau, einer Gärtnerin,” wirft die ihm vor. Jedes ihrer Worte ist von schneidender eisiger Kälte. „Ich bin auch ein Gärtner Madame”, antwortet er ruhig. Unterstützt von ihrem Liebhaber nutzt die rachsüchtige Intrigantin einen hereinbrechenden Sturm, um das Bauprojekt der Rivalin zu zerstören. Sie öffnet eine Schleuse, flutet die Arena. Sabine De Barra kämpft verzweifelt mit den braunen schlammigen Fluten. Unwillkürlich fühlt man sich erinnert an den Untergang der „Titanic” (1997).
André Le Nôtre ist für unsere Heldin der vollkommenste Mensch, den sie kennt. Je intensiver ihre Liebe wird, desto stärker bedrängen sie die grauenvollen Erinnerungen aus der Vergangenheit. Das frühe Leid gerät zur Bedrohung ihrer Zukunft. Schuldgefühle quälen sie. „Die Gärtnerin von Versailles” ist in seiner fast selbstverständlichen Moralität anrührend: „Mag uns die Natur auch noch so grausam behandeln, uns bleibt immer noch unser Wille, Geduld, Fürsorge und bedingungslose Hingabe. Das ist unsere ganze Hoffnung,” sagt Sabine De Barra. Ob Schlamm, Morast, erblühende Rosen, dickbäuchige Birnen, geometrische Hecken, nicht funktionierende Springbrunnen, kleines Chaos oder große Symmetrie, Anarchie oder Konvention, der Park ist der heimliche Protagonist des Films.
Originaltitel: A Little Chaos
Regie: Alan Rickman
Darsteller: Kate Winslet, Matthias Schoenaerts, Alan Rickman, Stanley Tucci, Helen McCrory
Produktionsland: Großbritannien, 2014 Länge: 117 Minuten
Verleih: Tobis Film
Kinostart: 30. April 2015
Fotos & Trailer: Copyright Tobis Film
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