„The Imitation Game. Ein streng geheimes Leben”
- Geschrieben von Anna Grillet -
Ästhetisch virtuoser Mix aus fesselndem Spionagethriller und ergreifendem Drama. Atemberaubend: Benedict Cumberbatch.
Während des zweiten Weltkrieges versuchen die Alliierten lange vergeblich, den Code von Enigma, jener legendären Verschlüsselungsmaschine der deutschen Wehrmacht, zu knacken. Mit herkömmlichen Methoden lassen die Funksprüche sich nicht dechiffrieren. Der entscheidende Durchbruch gelingt dem britischen Computer-Pionier Alan Turing (Benedict Cumberbatch). Regisseur Morten Tyldum („Headhunters”) schildert mit ungewöhnlichem Einfühlungsvermögen das tragische Schicksal des genialen Mathematikers und Kryptographie-Experten. Der faszinierende vielschichtige Film über den scheuen, homosexuellen Wissenschaftler wurde für acht Oscars nominiert.
1939, Landsitz Bletchley Park, Buckinghamshire. Bescheidenheit ist wahrlich keine von Alan Turings Tugenden: „Sie brauchen mich mehr als ich sie,” erklärt der 27jährige bei seinem Bewerbungsgespräch dem empörten Alastair Denniston (Charles Dance, „Dracula Untold”), Leiter der Government Code and Cypher School (GC&CS), Hauptquartier für Fernmeldeaufklärung des englischen Nachrichtendienstes. Viele halten den Krieg bereits für verloren. Enigma hat wahnwitzige 159 Millionen Millionen Kombinationen, die Geheimdienstler aber immer nur weniger als 24 Stunden Zeit, den ständig wechselnden Code zu dechiffrieren. Mit seiner unkonventionellen Denkart („Was ist, wenn nur eine Maschine, eine andere Maschine überlisten kann?”) und dem arroganten Auftreten macht sich der brillante Mathematiker keine Freunde: Die Zusammenarbeit klappt nicht, niemand nimmt ihn ernst. Der sarkastische Außenseiter setzt alles auf eine Karte und schreibt heimlich einen Brief an Winston Churchill. Das Unglaubliche geschieht, auf Anweisung des Premierministers wird ihm die Leitung des Enigma-Teams übertragen. Turing entlässt umgehend zwei seiner Kollegen: „Ihr seid als Linguisten mittelmäßig und als Kryptographen absolut armselig”. Mit Hilfe eines extrem raffinierten Kreuzworträtselwettbewerbs rekrutiert er neue Talente. Gewinnerin ist eine junge Frau, die Mathematikstudentin Joan Clarke (Keira Knightley, „Anna Karenina”). Sie wird bald schon zur unersetzlichen Freundin und Mitstreiterin. Es beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit.
Wie ein Besessener arbeitet Alan Turing Tag und Nacht an einer elektromagnetischen Entschlüsselungsmaschine, die er nach einem Jugendfreund liebevoll Christopher nennt. Doch die erhofften Resultate bleiben aus, die Mitglieder seiner Abteilung werden zunehmend unruhiger, der Druck von oben wächst. Hunderttausende von Soldaten sterben an der Front. Denniston, von Anfang an gegen das Projekt, reißt der Geduldsfaden, er lässt die Maschine abschalten. Alan ist verzweifelt und den Tränen nahe. Einer der meist bewegenden Momente des Films. Unerwartet eilen ihm die Kollegen zur Hilfe. Sie stellen sich solidarisch vor ihn und Christopher. Der weltgewandte Hugh Alexander (Matthew Goode, „Stoker”) handelt beim Commander einen weiteren Monat heraus. Der introvertierte Mathematiker stürzt sich nun noch fanatischer in die Arbeit, um endlich Ergebnisse zu liefern. Für den jungen Wissenschaftler ist unvorstellbar, dass er scheitern könnte. Joan hat derweil mit ganz anderen Problemen zu kämpfen. Sie ist unverheiratet, die Eltern wollen sie zwingen, ihren Job aufzugeben. Alan braucht Joan. Zusammen sitzen sie jeden Abend bei ihr daheim vor den zu entschlüsselnden Codes und versuchen ein Schema zu erkennen – erfolglos. Frauen werden in Bletchley Park meist nur als Schreibkräfte geduldet. Gleichberechtigung war dort noch eine Utopie. Um die enge Vertraute und Mitstreiterin nicht zu verlieren, macht Alan ihr einen Heiratsantrag. Während der kleinen Verlobungsfeier im engsten Kreis vertraut er dem schottischen Kollegen John Cairncross (Allen Leech, „In Fear”) sein wohlbehütetes Geheimnis an: Er ist schwul. Genau dieses Gespräch bringt Alan später beinah zu Fall, als er entdeckt, dass John für die Sowjets spioniert. Damit konfrontiert, macht ihm der Andere unmissverständlich klar: Verrätst Du mich, verrate ich Dich.
„The Imitation Game” basiert auf Andrew Hodges’ umfangreicher Biographie, „Alan Turing: Enigma” (1983). Der Film beginnt 1952 mit der Verhaftung des Protagonisten wegen schwerer Unzucht. Homosexualität wurde damals noch strafrechtlich verfolgt. Die Vernehmung durch den Kommissar bildet die Rahmenhandlung. Newcomer Graham Moore hat sein Drehbuch wie ein Puzzle konzipiert. Er wechselt geschickt zwischen den verschiedenen Lebensabschnitten des Protagonisten und verbindet die Rückblenden zu einem eleganten facettenreichen Kino-Klassiker (Kamera: Oscar Faura). Atmosphäre und Stil variieren je nach Zeitebene. Alan Turing ist seit frühster Jugend Moores Held und er wollte immer schon über ihn schreiben. Als Kid war der Autor ein echter Computer-Nerd, noch heute schwärmt er von dem Sommer-Camp für Informatik, wo alle den faszinierenden Kryptographen aus den Dreißiger Jahren wie eine Kultfigur verehrten. Und so geht er behutsam mit seiner weltfremden menschenscheuen Hauptfigur um, gibt ihn nie der Lächerlichkeit preis. Über den visionären Mathematiker kursieren viele kuriose Anekdoten: Der heuschnupfengeplagte Wissenschaftler radelte mit einer Gasmaske durch die Landschaft. Er kettete aus Angst vor Dieben seine Kaffeetasse an die Heizung, trug oft unter dem Trenchcoat nur einen Pyjama und suchte seelischen Halt bei Plüschbären. Solche Schrulligkeiten erspart der Autor den Zuschauern und seinem Protagonisten. Moore zeigt ihn stattdessen als hochintelligentes Kind (Alan Lawther) mit einem leicht ausgeprägten Asperger-Syndrom. Im Speisesaal des Internats trennt der akribisch Karotten und Erbsen auf seinem Teller, die einander nicht berühren dürfen. Von den Mitschülern wird er wegen seiner Zwangsstörungen verspottet, gequält. Die Jungen machen ihm das Leben jeden Tag zur Hölle. Es ist jener Christopher, nach dem der geniale Wissenschaftler später seine Maschine benennt, der ihn rettet und von nun an beschützt. Die beiden kommunizieren über verschlüsselte Nachrichten. Für den jungen Alan scheint es um vieles einfacher, so seine Gefühle auszudrücken als durch gesprochene Worte. Er ist der geborene Kryptograph. Wenig später stirbt Christoph an Tuberkulose, Alan ist wieder allein. Mit 24 Jahren verblüfft der visionäre Analytiker die Fachwelt mit einem Aufsatz über berechenbare Zahlen. Er schafft damit die theoretische Grundlage für ein elektronisches Gehirn, das alle lösbaren Aufgaben berechnen kann.
Benedict Cumberbatch beeindruckt immer wieder durch Talent wie Verwandlungsfähigkeit, ob als Agent in „Dame, König, As, Spion”, Plantagenbesitzer in „12 Years a Slave” oder als Julian Assange in „Inside Wikileaks – Die fünfte Gewalt”. Doch in dieser vielschichtigen tragischen Rolle übertrifft er sich selbst. Der Pionier der Informatik erinnert zuweilen an Sherlock aus der BBC-Serie, Cumberbatchs Alan ist reserviert, überheblich, wirkt arrogant. Seine Taktlosigkeit wird ihm nicht bewusst. Mal gibt er sich todesmutig, dann wieder ängstlich, schüchtern. Er vertraut einer Maschine mehr als Menschen. Konventionen sind ihm fremd, sie existieren nicht in der Mathematik. Jede Art sogenannter Sozialkompetenz oder gar Diplomatie fehlt ihm völlig. Was Freundlichkeit, Höflichkeit überhaupt bedeutet, muss ihm Joan erst beibringen. Sie macht ihm klar, ohne Team wird er sein Ziel nie erreichen. Keira Knightley als engste Vertraute ist der perfekte Ausgleich für die Exzentrik Alan Turings und Inbegriff einer bezaubernden, hoch begabten Frau, die vergeblich auf Gleichberechtigung hofft. Couragiert, aber keine Rebellin. Rührend jene platonische, etwas ungelenke Liebe zwischen den beiden Wissenschaftlern. Ob beim Langlauf oder der Arbeit, Alan tut alles mit fanatischer Intensität. Aber irgendwo bleibt er immer das verwirrte einsame Wunderkind. So viel pure Emotion hat Benedict Cumberbatch noch nie auf der Leinwand gezeigt und keine Rolle ist dem Schauspieler selbst je so nahe gegangen wie diese. Er habe echte Tränen vergossen und oft danach nicht aufhören können zu weinen, sagt er in Interviews. Der norwegische Regisseur Morten Tyldum lässt das gesellschaftskritische Biopic jedoch nie ins Sentimentale abrutschen, Moores Dialoge geben dem Thriller seine spöttische Ironie, einen unverwechselbaren trockenen Humor.
Stewart Menzis (Mark Strong, „Green Lantern”), Chef des MI6 entdeckt, dass Enigma-Botschaften aus dem Hauptquartier rausgeschmuggelt werden. Um das Projekt nicht zu gefährden und Joan vor dem Gefängnis zu bewahren, entschließt sich Alan, die Verlobung zu lösen, die wahren Gründe dafür verschweigt er. Die Freundschaft zwischen den beiden droht zu zerbrechen. Da gelingt per Zufall der unerwartete Durchbruch. Der Film nimmt eine düstere Wendung. Die Briten dürfen dem Feind nicht zu verstehen geben, dass sie Enigma überlistet haben und den Inhalt der Funksprüche kennen. Alan Turing soll nun berechnen, wie viele Male Geheimdienst oder Militär eingreifen können, ohne sich verdächtig zu machen, eine blutgetränkte Kalkulation. Er und sein Team müssen oft hilflos zusehen, wie die eigenen Landsleute sterben. Selbst der Sieg später über die Deutschen und die Tatsache, dass so Millionen von Menschenleben gerettet wurden, macht es kaum leichter. Auch nach Kriegsende sind Alan und seine Leute zu höchster Geheimhaltung verpflichtet. Ihnen ist untersagt, jemals darüber sprechen, was sie in Bletchley erlebt oder gesehen haben, noch nicht einmal untereinander. Jahrzehnte lang wurden Alan Turings Verdienste während des zweiten Weltkrieges verschwiegen. 1952 verurteilt ihn das Gericht wegen Unzucht. Vor die Wahl gestellt, entscheidet er sich statt der Gefängnisstrafe für eine Hormontherapie. Die Östrogene zerstören den sportlichen Vierzigjährigen nicht nur körperlich sondern auch seelisch. Er begeht 1954 Selbstmord. Gefunden wird ein angebissener, mit Zyankali vergifteter Apfel. Einige sahen darin eine Reverenz an seinen Lieblingsfilm, den Disney-Klassiker „Schneewittchen und die sieben Zwerge”. Der Apple-Konzern bestreitet, dass sein Logo eine Anspielung darauf ist. Erst 60 Jahre später hat Queen Elizabeth II posthum den brillanten Wissenschaftler begnadigt.
In „The Imitation Game” geht es um Geheimnisse aller Art und einen betrogen Helden. „Cui honorem, honorem”. Ehre, demjenigen, der sie verdient. Alan Turing war bestimmt keiner, der gefeiert werden wollte oder auf unser Mitleid Wert gelegt hätte. Aber wenn das Minimum von Respekt und Anerkennung einer so überragenden Persönlichkeit verweigert wird, muss das unendlich schmerzlich sein. Die öffentliche Entschuldung Großbritanniens erfolgte erst 2009 durch Premierminister Gordon Brown, etwas spät. Alan Turing wurde um alles betrogen, was das Leben für uns so lebenswert macht: Liebe, Freundschaft, Gleichgesinnte, Verständnis, Freiheit, Selbstverwirklichung. Er kämpfte um die Sache selbst, nicht um Politik, Patriotismus, Parolen. Seine Loyalität gehörte Christopher, der Maschine. Als die Medikamente beginnen auch seine geistigen Fähigkeiten zu zerstören, gibt er auf. Es ist eine Liebesgeschichte besonderer Art, um vieles bewegender noch als „Her” jenes romantische Science-Fiction-Drama von Spike Jonze. Manche Kritiker mäkeln an jeder Abweichung von den historischen Fakten. Einen russischen Spion soll es zwar im Hauptquartier für Fernmeldeaufklärung gegeben haben, doch nicht in Turings Abteilung. Er schrieb den Brief an Winston Churchill nicht allein sondern zusammen mit drei seiner Kollegen. Die riesige Entschlüsselungsmaschine bezeichneten alle nur als „Bombe” wegen der tickenden Geräusche, die sie von sich gab und wohl auch der Wirkung, die sie eines Tages haben würde. Besonders die Episode mit Erbsen und Karotten wird heftigst bestritten. Alan soll weit weniger menschenscheu gewesen sein, als hier geschildert. Er und Joan haben sich wirklich geliebt, die Verlobung erfolgte nicht auf äußeren Druck. Moore und Tildum suchen eine andere, tiefere Art von Wahrheit, sie haben erkannt, dass Alan Turing für uns immer ein Geheimnis bleiben wird, das war vielleicht am Ende sein einziger Trost. Die Message des Films: „Manchmal sind es die Menschen, von denen man es sich am wenigsten vorstellen kann, die etwas leisten, was unvorstellbar ist”.
Originaltitel: The Imitation Game
Regie: Morten Tyldum
Darsteller: Benedict Cumberbatch, Keira Knightley, Matthew Goode, Mark Strong, Rory Kinnear
Produktionsland: USA, Großbritannien, 2014
Länge: 114 Minuten
Verleih: SquareOne Entertainment
Kinostart: 22. Januar 2015
Fotos & Trailer: Copyright SquareOne Entertainment
Kommentar verfassen
(Ich bin damit einverstanden, dass mein Beitrag veröffentlicht wird. Mein Name und Text werden mit Datum/Uhrzeit für jeden lesbar. Mehr Infos: Datenschutz)
Kommentare powered by CComment