Alexander Calder - Avantgarde in Bewegung
- Geschrieben von Christel Busch -
Düsseldorf lockt in diesem Herbst mit einer spektakulären Ausstellung.
Das K 20 am Grabbeplatz,der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, präsentiert frühe Arbeiten des amerikanischen Bildhauers Alexander Calder, der als erster Künstler Skulpturen in Bewegung versetzt. "Warum muss die Kunst denn statisch sein? Der nächste Schritt in der Bildhauerei ist Bewegung", erläutert er seine Vorliebe für die Kinetik. Im Fokus der Schau stehen die Mobiles. Von der Decke hängend oder stehend, bezaubern die filigranen, sanft schwingenden – manchmal auch klingenden – Objekte den Besucher.
"Avantgarde in Bewegung", der gute kurze Untertitel der Ausstellung skizziert Calders Schaffensperiode im Paris der 30er- bis 40er-Jahre. 1926 verlässt der ausgebildete Maschinenbauingenieur, Maler und Illustrator New York und geht nach Paris, dem pulsierenden Mekka der europäischen Avantgarde jener Zeit. Er trifft eine Kunstszene, in der alle Strömungen der zeitgenössischen Kunst vertreten sind, vom Surrealismus, Kubismus, Konstruktivismus und Dadaismus bis zur abstrakten Malerei und Fotografie. Der Holländer Piet Mondrian malt farbige Rechtecke, der Spanier Joan Miró amorphe Kompositionen aus Linien und Farbflächen. Der Amerikaner Man Ray widmet sich, nachdem er als Maler wenig Erfolg hat, dem Film und der Fotografie. Marcel Duchamp schockt mit seinen Ready-Mades, dem Fahrrad-Rad "Roue de Bicyclette" und dem Urinal „Fontaine“, der deutsch-französische Maler und Bildhauer Hans Arp, Mitbegründer der Dada-Bewegung, kreiert Collagen und Plastiken. Neben Farben und Formen ist die Bewegung ein zentrales Element der Pariser Avantgarde-Künstler. Experimentalfilme entstehen. Man Ray ordnet in dem Film "Le Retour à la Raison" Reißzwecken, Salz und Pfeffer, Nägel auf Filmstreifen, setzt sie Lichtstrahlen aus und mischte diese Fotogramme mit Filmsequenzen von Lichtern sich drehender Karussells sowie dem nacktem Oberkörper seiner Geliebten Kiki. "Ballet Mécanique" von Fernand Léger, unterlegt mit der Musik von George Antheil, präsentiert in schnellem Stakkato tanzende Maschinen- und Motorenteile, Kreise, Dreiecke und Zahlen sowie leblose Beinprothesen. Bei Marcel Duchamps "Anémic cinéma" rotieren Scheiben mit Spiralmustern und Scheiben mit Texten in spiralförmiger Anordnung. Diese drei Experimentalfilme werden in der Kleehalle des Hauses gezeigt.
Zurück zum Amerikaner in Paris. Calder nimmt zunächst Zeichenunterricht an der Académie de la Grande Chaumière, in der unter anderem Fernand Léger unterrichtet. Er fertigt seine ersten figurativen Drahtskulpturen, darunter "Josephine Baker", Artistengruppen sowie abstrahierte Drahtportraits. Sein "Cirque Calder", ein Miniaturzirkus mit beweglichen, untereinander agierenden Clowns, Akrobaten, Musikern und Tieren aus Draht, Leder, Stoff und anderen Materialien, macht ihn schlagartig in der Pariser Kunstszene bekannt. Mondrian, Léger, Miró, Man Ray, Duchamp und Arp gehören bald zu seinem engsten Freundeskreis. Er ist auch befreundet mit Edgar Varèse, Virgil Thomsen und John Cage. Komponisten experimenteller Musik, die später seine Klangmobiles beeinflussen werden.
Calder malt, inspiriert von Mondrian, Arp oder Miró, Gouachen und Ölgemälde. In der Kleehalle in Düsseldorf ausgestellt, korrespondieren diese Bilder mit seinen frühen Objekten, den experimentellen Filmen und avantgardistischer Musik. Sein Ausflug in die abstrakte Malerei ist allerdings nur von kurzer Dauer. Ein Besuch in Mondrians Atelier im Oktober 1930 wird für den Bildhauer zum Schlüsselerlebnis. An den weißen Wänden hängen bewegliche Rechtecke aus Karton in Rot, Blau und Gelb, die der Maler entsprechend seiner Bildkomposition arrangieren kann. Er werde, erklärt er dem verdutzten Freund, diese Rechtecke in seiner Bildhauerei in Bewegungen versetzen. Bei einem Besuch im Pariser Planetarium beobachtet Calder fasziniert die im Kosmos schwebenden Planeten, Gestirne und deren gleichförmige Rotation im Raum. Mit dem Know-how eines Ingenieurs tüftelt er an einer Mechanik für schwebende, rotierende Objekte. "Meinen Arbeiten liegt eigentlich immer das kosmische System formgebend zugrunde", so Calder. 1931 stellt er erstmals bewegliche, planetarische Installationen aus Holzkugeln, Draht und Eisen vor, allerdings noch auf einem Sockel stehend. Inspiriert von Mondrians geometrischer Malerei, experimentiert er mit vor Holzplatten angeordneten Rechtecken, Spindeln, Scheiben oder Kugeln aus Stahlblech, die jetzt allerdings ein Motor in Schwingungen versetzt. Auf die Frage, wie er seine motorgetriebenen Dinger nennen solle, antwortet Duchamp lakonisch "Mobile". Ein Terminus, den Duchamp bereits für sein Ready-made "Roue de Bicyclette" prägte.
Etwa ein Jahr später präsentiert der Amerikaner freischwebende, von der Luft bewegte Mobiles. Sorgfältig ausbalanciert, tanzen filigrane, an Drähten hängende Metallplättchen scheinbar schwerelos immer neue Choreographien. Eine Sensation in der Pariser Avantgarde. Zum ersten Mal in der Kunstgeschichte ist es einem Bildhauer gelungen, dass Volumen statischer Skulpturen vom Boden zu lösen und in visuelle Bewegung umzusetzen. Entscheidend ist dabei die Balance der einzelnen mit Draht und Gelenken verbundenen Elemente zu einer dreidimensionalen Einheit. Die kleinste Luftströmung erzeugt eine unabhängige Bewegung der Einzelteile in unendlichen Variationen.
Es überrascht, dass Calder für seine Arbeiten Mondrians Farbskala übernimmt. Schwarz und weiß sowie die Primärfarben Blau, Rot, Gelb sind die Farben, die er Zeit seines Lebens bei seinen Mobiles und späteren Stabiles verwenden wird. "Ein Mobile – das ist ein kleines, örtlich begrenztes Fest, ein nur durch seine Bewegung bestimmter Gegenstand, der ohne diese Bewegung nicht existiert, eine Blume, die verwelkt, sobald sie stillsteht, ein reines Spiel der Bewegung, so wie es ein reines Spiel des Lichts gibt", schwärmt Jean-Paul Satre von den Kunstwerken.
Angeregt durch die experimentelle Musik seiner Freunde konstruiert Calder Mobiles mit integrierten Klangkörpern. Von der Decke in der Kleehalle baumelt "Small Sphere and Heavy Sphere", 1932. Mit Standfuß versehen sind "Untitled", 1936, und "Untitled" von 1934. Hier trägt ein metallener Fuß ein kreisrundes Rohr. In dem Kreis hängt ein Mobile mit runden Metallringen. Als Klangkörper dient eine rote Holzkugel, die bei Berührung der Ringe ein zartes Pling - Plong erklingen lässt. In der Ausstellung werden diese Klangmobiles allerdings nur als Video vorgeführt.
Ab Ende der Dreißiger entwickelt der Amerikaner Mobiles in spektakulären Formen, deren Proportionen im Laufe der Zeit immer mehr an Größe und Volumen zunehmen. "Untitled" aus dem Jahr 1940 fasziniert mit einer Höhe von rund 230 Zentimetern. Die S-förmige Komposition erinnert an die Silhouette einer sitzenden Figur. Knapp 140 Zentimeter ist der ausladende Arm mit den einzelnen Elementen bei "Little Spider", 1940. Die bizarre Form erweckt Assoziationen an einen riesigen, vielbeinigen Spinnenkörper. Calder realisiert ebenfalls Mobiles aus Bronze. "The Helices" von 1944 gehört zu dieser Gruppe. Auf einen Fuß sind zwei rotierende Bronzespiralen montiert, die sich um die gemeinsame Achse drehen. Aufgrund des schweren Materials fehlt diesen Objekten allerdings die filigrane Leichtigkeit.
Parallel zu den Mobiles entwirft der Bildhauer stehende, statische Konstruktionen aus einfarbigen, verschraubten oder genieteten Eisenplatten, von Hans Arp als Stabile tituliert. Zunächst abstrakt, entwickelt er später amorphe und stilisierte Tierformen. In seiner Spätphase nehmen diese Plastiken monumentale Formen an. Sie finden Aufstellung im öffentlichen Raum, verschönern Anlagen und Plätze. Die Schau präsentiert in der hohen Grabbehalle, neben den großen Mobiles, die Großplastik "Le Tamanoir" von 1963. Die schwarze, in Rotterdam im Hoogvliet-Bezirk aufgestellte Skulptur, reiste eigens für die Ausstellung nach Düsseldorf. Neben den klassischen Stabiles kreiert Calder Mobile-Stabiles, eine Zwischenform von Stabiles und Mobiles, bei denen der stabile Unterbau mit einem Mobile bekrönt ist. "Performing Seal", ein stilisierter Seehundkörper aus Blech, balanciert auf der Nase ein kleines Mobile.
Bedingt durch die politischen Verhältnisse in Europa, verlässt Calder im Herbst 1933 Paris und kehrt nach Amerika zurück. Er bezieht ein Bauernhaus in Roxbury, Connecticut. In seinem Atelier arbeitet er weiter an Mobiles und Stabiles, welche die Einflüsse der Pariser Avantgarde erkennen lassen. Seine Mobiles werden immer experimenteller, scheinen die physikalischen Gesetze außer Kraft zu setzen. Er konstruiert monumentale Mobile-Stabiles mit teilweise motorbetriebenen Einzelelementen und Stabiles, die heute an vielen Plätzen in aller Welt stehen.
Bis zu seinem Tod im November 1976 ist Calder einer der bekanntesten Künstler Amerikas. Er ist der Wegbereiter der kinetischen Kunst. Der Erste, der Skulpturen in Bewegung versetzt.
Die überaus sehenswerte Ausstellung "Alexander Calder - Avantgarde in Bewegung" ist bis zum 12. Januar 2014 im K20 Grabbeplatz, Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Grabbeplatz 5, 40213 Düsseldorf zu besichtigen.
Die Öffnungszeiten sind dienstags bis freitags von 10.00-18.00 Uhr, samstags, sonntags, feiertags von 11.00-18.00 Uhr. Jeden 1. Mittwoch im Monat von 10.00-22.00 Uhr.
Ein Katalog ist erschienen.
www.kunstsammlung.de
Fotonachweis: Alexander Calder – Avantgarde in Bewegung
Header: Quatre systèmes rouges (mobile), 1960, Eisen, Stahl, Farbe, 155x200x200 cm, Louisiana Museum of Modern Art, Humlebæk, Dänemark, Donation: The New Carlsberg Foundation, © 2013 Calder Foundation, New York / Artists Rights Society (ARS), New York Foto: Louisiana Museum of Modern Art, Humlebæk, Dänemark. Foto: © 2013 Calder Foundation, New York / Artists Rights Society (ARS), New York Foto: Louisiana Museum of Modern Art, Humlebæk, Dänemark. © Kunstsammlung NRW
Galerie:
01. und 02. Installationsansichten. Foto: Foto: Achim Kukulies, © Calder Foundation, New York / Artists' Rights Society (ARS), New York. © Kunstsammlung NRW
03. Portrait of a Man, ca. 1928, Messingdraht, 32,5x22,2x34,2 cm, The Museum of Modern Art, New York. Gift of the artist, 1966, © 2013 Calder Foundation, New York / Artists Rights Society (ARS), New York Foto: © 2012 Digital image, The Museum of Modern Art, New York/ Scala, Florence. Foto: © 2013 Calder Foundation, New York / Artists Rights Society (ARS), New York Foto: © 2012 Digital image, The Museum of Modern Art, New York/ Scala, Florence. © Kunstsammlung NRW
04. Untitled, 1930, Öl auf Leinwand, 45,7 x 38,1 cm, Calder Foundation, New York, © 2013 Calder Foundation, New York / Artists Rights Society (ARS), New York Foto: Courtesy Calder Foundation, New York / Art Resource, New York. Foto: © 2013 Calder Foundation, New York / Artists Rights Society (ARS), New York Foto: Courtesy Calder Foundation, New York / Art Resource, New York. © Kunstsammlung NRW
05. Untitled, ca. 1934, Rohr, Rundstab, Holz, Draht, Farbe, Schnur, 114,5 x 94 cm, Calder Foundation, New York, © 2013 Calder Foundation, New York / Artists Rights Society (ARS), New York Foto: Courtesy Calder Foundation, New York / Art Resource, New York. Foto: © 2013 Calder Foundation, New York / Artists Rights Society (ARS), New York Foto: Courtesy Calder Foundation, New York / Art Resource, New York. © Kunstsammlung NRW
06. Cello on a spindle, 1936, 158 × 118 × 90 cm, Metall, Holz, Blei, Farbe, Kunsthaus Zürich, © 2013 Calder Foundation, New York / Artists Rights Society (ARS), New York Foto: Kunsthaus Zürich. Foto: © 2013 Calder Foundation, New York / Artists Rights Society (ARS), New York Foto: Kunsthaus Zürich. © Kunstsammlung NRW
07. Ohne Titel, 1936, Standing Mobile (stehendes Mobile), Stahlbleche, Stahldraht, Holzkugel; schwarz, grau, rot, blau und gelb bemalt, 75,5 x 32,8 x 41 cm Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf, Leihgabe des Landes Nordrhein-Westfalen © 2013 Calder Foundation, New York / Artists Rights Society (ARS), New York, Foto: Achim Kukulies, Düsseldorf . Foto: © 2013 Calder Foundation, New York / Artists Rights Society (ARS), New York, Foto: Achim Kukulies, Düsseldorf. © Kunstsammlung NRW
08. Untitled, 1940, Stahl, Eisen, Draht, Farbe, 234 cm (H), LehmbruckMuseum, Duisburg, Dauerleihgabe des Freundeskreises © 2013 Calder Foundation, New York / Artists Rights Society (ARS), New York, Foto: Britta Lauer, Duisburg. Foto: © 2013 Calder Foundation, New York / Artists Rights Society (ARS), New York, Foto: Britta Lauer, Duisburg. © Kunstsammlung NRW
09. Little Spider, ca. 1940, Blech, Draht, Farbe, 111,1 x 127 x 139,7 cm, National Gallery of Art, Washington, Gift of Mr. and Mrs. Klaus G. Perls, © 2013 Calder Foundation, New York / Artists Rights Society (ARS), New York Foto: Image courtesy of the National Gallery of Art, Washington. Foto: © 2013 Calder Foundation, New York / Artists Rights Society (ARS), New York Foto: Image courtesy of the National Gallery of Art, Washington. © Kunstsammlung NRW
10. Araignée d’oignon, ca. 1940 21,8 × 35 × 36,5 cm, Eisen, Moderna Museet, Stockholm, © 2013 Calder Foundation, New York / Artists Rights Society (ARS), New York, Foto: Moderna Museet, Stockholm. Foto: © 2013 Calder Foundation, New York / Artists Rights Society (ARS), New York, Foto: Moderna Museet, Stockholm. © Kunstsammlung NRW
11. Untitled (The Wood Mobile), 1943, Holz, Draht, 25,4 x 16,5 x 10,2 cm, National Gallery of Art, Washington, Gift of Mr. and Mrs. Klaus G. Perls, © 2013 Calder Foundation, New York / Artists Rights Society (ARS), New York Foto: Image courtesy of the National Gallery of Art, Washington. Foto: © 2013 Calder Foundation, New York / Artists Rights Society (ARS), New York Foto: Image courtesy of the National Gallery of Art, Washington
12. Performing Seal, 1950, 83,8 × 58,4 × 91,4 cm, Blech, Stahldraht, Farbe, Museum of Contemporary Art Chicago. The Leonard and Ruth Horwich Family Loan, © 2013 Calder Foundation, New York / Artists Rights Society (ARS), New York Foto: Nathan Keay, © Museum of Contemporary Art Chicago. Foto: © 2013 Calder Foundation, New York / Artists Rights Society (ARS), New York Foto: Nathan Keay, © Museum of Contemporary Art Chicago. © Kunstsammlung NRW
13. Installationsansicht. Foto: Foto: Achim Kukulies, © Calder Foundation, New York / Artists' Rights Society (ARS), New York. © Kunstsammlung NRW.
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