Bildende Kunst

Beitragsseiten

Die Kunststätte Bossard – in der Einsamkeit der Lüneburger Heide

Etwa fünf Kilometer von Jesteburg entfernt liegt – versteckt in hohen Kiefernwäldern – die Kunststätte Bossard.

Die Anlage wurde zwischen 1912 und 1950 von dem Künstler Johann Michael Bossard (1874-1950) und seiner Frau Jutta Bossard-Krull (1903-1996) auf einem drei Hektar großen Heidegrundstück errichtet.

Das Künstlerehepaar schuf hier ein Refugium, welches neben den Ateliers, dem Wohnhaus und dem Kunsttempel, zahlreichen Malereien und Plastiken eine riesige Gartenanlage umfasst.

Zentraler Mittelpunkt der Anlage bilden das Wohn- und Atelierhaus mit dem Klostergarten sowie der Kunsttempel. Alle tradierten Architekturstile sind hier außer Acht gelassen; die Gebäude sind in einem unkonventionellen Stilpluralismus errichtet. Vor allen Dingen der Kunsttempel, mit seinem Grundriss von 12 x 12 Metern im Quadrat und einer Höhe von etwa 11 Metern fällt stilistisch aus dem Rahmen. Die aus Backsteinklinkern errichtete Fassade wird dominiert durch drei, vom Boden bis zur Traufe reichenden roten Fenstern, die ihre Fortsetzung in den dreieckigen Giebelfenstern der Gauben finden. Ab Sockeloberkante erheben sich dreieckige Lisenen, welche die vertikalen Fensterreihen einrahmen. Die Lisenen sind, wie die Fenster, von Fenstergauben bekrönt. Die Dachgauben der Westseite verbindet eine horizontale ornamentierte Rahmung mit Eckmasken. Bis auf die Südseite verzieren bauplastische Elemente die Lisenen. Das dekorative Programm zeigt kleinformatige Plastiken aus bunter Keramik mit abstrakten sowie figürlichen Motiven. Weitere plastische Dekore schmücken den Außenbereich des Einganges. Das gesamte Mauerwerk zeigt in Form und Farbe eine interessante Strukturierung, da Bossard für die Fassadenwände Oldenburger Klinker dritter Wahl verwendete. Mal im Hoch- oder Querformat verlegt, erzeugen sie je nach Lichteinfall changierende Muster von Braun- bis Blautönen. An der fensterlosen Südseite befindet sich ein Eingangstor aus Holz. Darüber, unterhalb der Traufe sind drei Reliefs eingelassen, welche die Beziehung zwischen Mann und Frau symbolisieren. Auf der Nordseite liegt der nachträglich angebaute Eingangsbereich. Eine hohe an Kirchenportale erinnernde Dreieckstür aus beschlagenem Kupfer weist den Weg in den sakral anmutenden Innenraum. In ein mystisches Dunkel getaucht, erkennt der Besucher vier hohe, mit figürlichen Zementreliefs ummantelte Holzsäulen, die das hohe offene Glasdach tragen. Wände, Fenster sowie alle Holzelemente sind bemalt. Wirklich alles! Der Fußboden ist mit farbigen Mosaiken belegt. Drei, die Wände umlaufende Tempelzyklen thematisieren Überlieferungen aus der germanischen und griechischen Mythologie. Gegenüber der Eingangstür steht ein Polyptychon, ein Altar mit geschnitzter Predella und 13 verschiedenen aufklappbaren Bildtafeln, die thematisch mit den Bilderzyklen korrespondieren.

Galerie - Bitte Bild klicken
Im Baustil völlig konträr erweist sich das vor dem Kunsttempel liegende Wohn- und Atelierhaus. Das aus Backstein errichtete Haus mit den roten Fensterrahmen, den grünen Holzvertäfelungen sowie dem tief heruntergezogenen Dach erinnert an die norddeutschen Bauernhäuser. Die in rot, grün und weiß gehaltenen Fassaden greifen die Farben der Heimatschutzbewegung auf, einer in den 1870er-Jahren entstandenen Bewegung, die sich für den Erhalt der deutschen Kulturlandschaften einsetzte, explizit für die regionalen Bautraditionen.
Der im Süden liegende Eingangsbereich, der mit seiner Ornamentik an die Fassadengestaltung des Chilehauses in Hamburg erinnert, führt in die Privaträume des Ehepaares. Zentraler Raum ist im Erdgeschoss die Wohndiele mit Kamin, der sich Küche und Bad sowie ein Durchgang zum ehemaligen Atelier im Vorderhaus, dem Edda-Saal anschließen. Im Wohnraum dominieren die Farben Blau und Weiß. Das gesamte Mobiliar ist in diesen Farbtönen gehalten, selbst das Geschirr. Es ist einfaches weißes Fabrikporzellan, das von den Künstlern mit individuellen blauen Dekoren bemalt wurde. Der Raum ist mit Teppichen, Gemälden und Kleinplastiken relativ sparsam dekoriert. Das Dekorationsschema ändert sich jedoch in den Obergeschossen. Egal ob im Musikzimmer oder im Schlafzimmer, den beiden Gästezimmern sowie dem Eros-Saal, dem Atelier von Johann Bossard, Wände und Decken sind mit figurativen Malereien übersät. Wie im Kunsttempel, greifen die Bilder Motive der nordischen und der antiken Mythologie auf. Die Flurwände im Dachgeschoss fallen optisch aus dem Bildprogramm: Hier sind die Tapeten von Decke und Wänden mit blauer, schwarzer und weißer Farbe bemalt. Für den Betrachter entschlüsselbar, zeigen sie neben figuralen Motiven auch utopische Architekturgebilde, die an den Stummfilm „Metropolis“ von Fritz Lang erinnern. Erkennbar sind ebenfalls reale Bauten aus Hamburg, wie das kuppelartige Planetarium im Stadtpark sowie zahlreiche Brückenkonstruktionen.
Neben dem Eingangsbereich ist der Zugang zum ehemaligen Klostergarten, wo in einem apsisartigen Vorsprung die nackte Bronzestatue „Träumende“ von Jutta Bossard steht.

An der Nordseite befindet sich der Haupteingang mit vorgelagertem Vestibül. Durch das Vestibül gehend, betritt der Besucher den Edda-Saal. Die bemalten Sprossenfenster tauchen den Raum in ein diffuses Licht. Hohe, über zwei Etagen reichende Wände und die Decke sind über und über bemalt. Das Auge findet keine freie Fläche. „horror vacui“? Hatte der Künstler Angst vor der freien Fläche? Geschnitzte Holzpaneele - eine Arbeit von Jutta Bossard - umlaufen den Raum. Darüber erheben sich die Monumentalgemälde von Johann Bossard. Die Bildkompositionen greifen Themen der nordischen Edda, der Götter- und Heldensage auf. Wie in vielen seiner Malereien, spielt auch hier die mythologische Figur des einäugigen Götterkönigs Odin eine zentrale Rolle. Vielleicht weil Bossard im Alter von 11 Jahren aufgrund einer Erkrankung das rechte Augenlicht verlor. Linkerhand führt eine mit Treibarbeiten in Kupfer bekleidete Flügeltür in eine dunkle Kammer, dem sogenannten Urgebraus. Der überreich geschnitzte Türrahmen ist von Jutta Bossard ausgeführt. Ebenso wie der jetzt mit Keramikarbeiten der Künstlerin dekorierte Bücherschrank, der mit den alten Eichenstühlen dem Raum einen Hauch von Wohnlichkeit verleiht. Ein mit abstrakten Mustern eingelegter Mosaikfußboden harmonisiert mit den kräftigen Farben der Malereien. Über eine kleine Treppe ist die Galerie über dem Urgebraus erreichbar. Vom Edda-Saal führt, der bereits erwähnte Zugang zu den privaten Räumlichkeiten der Bossards.
Dass Johann Bossard auch ein hervorragender Grafiker und Skulpteur war, zeigen seine kleinformatigen Skulpturen im Ausstellungsraum des Neuen Ateliers. Seine dekorativen, dem Jugendstil verpflichteten Zeichnungen und Grafiken sind häufig mit einer an Runen erinnernden Schrift versehen. Zu Beginn der 1920er-Jahre begann Bossard - vielleicht unter dem Einfluss seiner Frau - mit Ton und Keramik zu experimentieren. Sein umfangreiches Œuvre von etwa 7.000 Kunstwerken enthält zahlreiche Ton- und Keramikarbeiten.



Nach diesen visuellen Eindrücken, empfiehlt sich ein Spaziergang durch die riesige Gartenanlage, die, wie sollte es anders sein, ebenfalls einer strengen gestalterischen Planung unterliegt. Denn Landschaft und Architektur sollten eine kompositorische Einheit bilden. Durch Hecken und Baumreihen aus Kiefern oder Birken optisch strukturiert, finden sich hier Heideflächen, Obstbaumgärten, Wiesen, ein Stein- und Gemüsegarten - hier standen auch die Ställe für Enten, Hühner, Schafe und Schweine. Nördlich vom Kunsttempel liegt der Baumtempel, eine Anlage aus quadratisch angeordneten Fichtenreihen. Er ist das organische Pendant zum steinernen Kunsttempel. Eine Allee aus Monolithen und Fichten führt zu einem riesigen Findling, der Grabstelle von Johann und Jutta Bossard. Gegenüber vom Eingang des Kunsttempels stehen fünf Skulpturen, die ihre Fortsetzung finden in einer Skulpturenreihe mit verschiedenen Plastiken.

Wer war dieser Künstler, der zusammen mit seiner Frau in der Einsamkeit der Lüneburger Heide seine Visionen eines Gesamtkunstwerkes verwirklicht hat? Bossard, 1874 in Zug in der Schweiz geboren, machte zunächst eine Ausbildung als Kachelofenbauer in seinem Heimatort. Ab 1894 studierte er figürliche Malerei und Bildhauerei in München und Berlin. Der Auftrag für ein Mausoleum der Familie Franke auf dem St. Georgen Friedhof in Berlin, ermöglichte ihm einen einjährigen Studienaufenthalt in Italien. Ende 1905 nahm er die preußische Staatsangehörigkeit an, eine Voraussetzung für die Teilnahme an öffentlichen Ausstellungen und Ausschreibungen. Erste Erfolge stellten sich mit seinen Plastiken ein, die ihn populär und finanziell unabhängig machten. 33-jährig nahm Bossard 1907 einen Lehrauftrag an der Kunstgewerbeschule in Hamburg an, wo er bis zu seiner Pensionierung im Jahr 1944 tätig sein sollte. 1926, mit 52 Jahren, heiratete er seine 29 Jahre jüngere Schülerin, Jutta Krull. Zwischen 1907 und 1912 erhielt Bossard öffentliche Aufträge der Hansestadt, da Kunst am Bau dem modernen Zeitgeist entsprach. Wer aufmerksam durch Hamburg geht, kann heute noch Bossards zahlreiche Skulpturen an Hamburger Gebäuden entdecken. Von den Bauplastiken seien erwähnt: die Uhr an der Börse am Adolphsplatz, die liegenden Portalfiguren am Curio-Haus, zwei Löwen und vier Figuren über dem Hauptportal des Museums für Völkerkunde, zwei Steinfigurengruppen am Portalvorbau des Eingangs Goernestraße am Bahnhof Kellinghusenstraße.

Nach einem Besuch bei dem Ehepaar Hülse in Wiedenhof bei Jesteburg kaufte Bossard 1911 spontan ein 30.000 Quadratmeter großes Heidegrundstück. Bereits während seiner Studienzeit träumte er von einem Gesamtkunstwerk, das Architektur, Kunst und Landschaft vereinen sollte. Die Idee war nicht neu, denn bereits um 1889 gründeten mehrere Künstler im Teufelsmoor vor den Toren Bremens eine Gemeinschaft, die „Künstlerkolonie Worpswede“. Bis heute leben und arbeiten dort Maler, Bildhauer und Kunsthandwerker. Ein weiteres, seit 1899 existierendes Projekt war die Darmstädter Künstlerkolonie auf der Mathildenhöhe. Finanziert und protegiert vom damaligen Großherzog Ernst Ludwig von Hessen-Darmstadt entstand quasi ein kleiner Stadtteil mit Ateliers, Werkstätten und Wohnhäusern. Nach dem Ersten Weltkrieg zerbrach endgültig die Vision einer Künstlergemeinschaft. Der Großherzog musste abdanken; viele Häuser waren durch den Krieg zerstört. Fazit: Die Künstlerkolonie existierte nur 15 Jahre. Sie wurde 1914 aufgelöst.
Ob Bossard etwas Ähnliches in der Lüneburger Heide verwirklichen wollte, erscheint fraglich. Denn von Freunden und Zeitgenossen wird er als introvertiert und eigenbrötlerisch beschrieben. Dass er dennoch in kapp 40 Jahren seinen Lebenstraum vom Gesamtkunstwerk verwirklichen konnte, ist auch seiner Ehefrau Jutta zu verdanken, die ihn zeitlebens tatkräftig unterstützte. Das Ehepaar lebte zurückgezogen in seinem Heidedomizil. Der Künstler mied das gesellschaftliche Leben in Hamburg und scheute die Öffentlichkeit. Die Kritik seiner Frau wies er mit den Worten zurück: „Die Meinen werden mich schon finden.“ Er starb 1950 im Alter von 76 Jahren. Seine Frau überlebte ihn um 46 Jahre.
Das Ehepaar Bossard hinterlässt der Nachwelt ein Gesamtkunstwerk, in dem Architektur, Plastik, Malerei, Kunsthandwerk und Gartenbaukunst eine harmonische Verbindung eingehen. Zugegeben, Bossards mystische Malereien wirken auf den heutigen Betrachter etwas befremdlich. Entsprechen sie doch der Germanenideologie des Wilhelminischen Kaiserreiches, die sich in Malerei, Skulptur, Monumentalbauten sowie in der Musik von Richard Wagner manifestierte.

Die Kunststätte Bossard wird heute von der „Stiftung Kunststätte Johann und Jutta Bossard“ verwaltet. Seit 1997 ist sie für die Öffentlichkeit zugänglich.


Kunststätte Bossard
Bossardweg 95
21266 Jesteburg
Öffnungszeiten:
März bis Oktober Di bis So 10 - 18 Uhr
Montags geschlossen
Internet: www.bossard.de

Fotonachweis:
Header: Kunststätte Bossard, Klostergarten. Foto: Christel Busch
Galerie:
1. Kunsttempel, Westansicht. Foto: Christel Busch
2. Jutta und Johann Bossard vor dem Kunsttempel. (c) Kunststaette Bossard
3. Musikzimmer der Kunststaette Bossard. (c) Kunststaette Bossard
4. Eddasaal. (c) Kunststaette Bossard
5. Sulpturen von Bossard. Foto: Christel Busch

Kommentar verfassen
(Ich bin damit einverstanden, dass mein Beitrag veröffentlicht wird. Mein Name und Text werden mit Datum/Uhrzeit für jeden lesbar. Mehr Infos: Datenschutz)

Kommentare powered by CComment