Mitte März hat das Präsentationsjahr der Internationalen Bauausstellung (IBA) in Hamburg-Wilhelmsburg offiziell begonnen.
Fertig sind die mehr als 60 Projekte auf Europas größter Flussinsel jedoch noch längst nicht. Kommen Sie mit auf einen Rundgang nach zwei Monaten IBA-Existenz über die Baustellen.
Der IBA-Infopoint, Treffpunkt für viele IBA-Führungen, befindet sich in der Wilhelmsburger Inselakademie, am Kurt-Emmerich-Platz 2. Pech für die Hand voll Interessierter, dass ausgerechnet bei ihrem Besuch die Straße vor dem Haus gepflastert wird. Eine riesige Baustelle tut sich auf, und mitten im Staub steht ein blaues IBA-Fähnchen und weist in Richtung auf einen eingerüsteten Rohbau. Hat man das etwa vergessen? Nein, nein, dort geht es lang: Durch die Absperrung, quer über Sand und aufgetürmte Steine. Die Tapferen, die es geschafft haben, bekommen erst einmal einen Helm auf den Kopf und unterschreiben, an der Führung auf eigene Gefahr zu teilzunehmen.
Eine Ausstellung sieht anders aus, das ist schon mal klar. Es ist ja auch gar keine Ausstellung im herkömmlichen Sinne, der Name ist irreführend. Seit der ersten Ausstellung in Darmstadt 1901, die in der Tat noch eine Ausstellung war, hat sich die IBA zu einem Stadtentwicklungsinstrument gewandelt. Mit ihrer Hilfe wurden ganze Regionen umgestaltet und entwickelt. Für Wilhelmsburg, das von der Politik ungeliebte Problemviertel im Süden, schien es die letzte Chance, den jahrzehntelangen Abwärtstrend zu stoppen. Dieser Stadtteil war schon immer ein schwieriges Gebiet, geprägt von Hafen, Industrie und Arbeiterschaft. Spätestens nach der verheerenden Sturmflut von 1962 wurde er vollends abgeschrieben. Wohnungsbau galt als zu gefährlich, also baute niemand mehr, der marode Bestand wurde billig vermietet, die Ghettoisierung begann. Heute leben auf 35 Quadratkilometern rund 55.000 Menschen aus 40 Nationen, fast jeder zweite hat Migrationshintergrund. Die Arbeitslosenquote ist fast doppelt so groß wie im übrigen Hamburg und das Bildungsdefizit so katastrophal, dass die Lehrerschaft auf der Elbinsel jüngst einen Brandbrief schrieb.
Ob die IBA vermag, mit ihren großangelegten Bildungsoffensiven und Integrationsprojekten alles zum Guten zu wenden, sei dahingestellt. Sie hat den größten Schulneubau in Hamburg seit Jahrzehnten angeschoben, das erste interkulturelle Seniorenwohnhaus, sowie das erste Sprach- und Bewegungszentrum. Insgesamt brachte die IBA dutzende von Kultur-, Sport- und Wirtschaftsprojekte auf den Weg. Auch in Punkto Nachhaltigkeit und Energieverbrauch ist sie international federführend – und dennoch wollen die Proteste nicht verstummen. Kritiker sprechen von Verdrängung und „Gentrifizierung von oben“. Fakt ist, dass die Mieten in den vergangenen sieben IBA-Jahren dramatisch stiegen und die neue Durchmischung mit Akademikern, Kreativen und jungen Familien zum Wegzug Alteingesessener geführt hat. Die IBA-Eröffnung am 23. März fand unter Einsatz von Polizeikolonnen und Wasserwerfern gegen die Demonstranten statt – so etwas gab es noch nie.
Fakt ist aber auch, dass nun eine Aufbruchsstimmung auf der Elbinsel herrscht, die zuvor niemand für möglich gehalten hätte. 90 Millionen Euro gab die Stadt Hamburg 2007 für das zweitgrößte Stadtentwicklungsprogramm (nach der HafenCity), mittlerweile beträgt das gesamte Investitionsvolumen mehr als das Zehnfache. Rund 700 000 Millionen stammen dabei von privaten Investoren.
Die innovativsten, vor allem in energetischer Hinsicht zukunftsweisenden Gebäude stehen in Wilhelmsburg-Mitte, nur wenige Schritte entfernt vom IBA-Infopoint, auf einem Gebiet, das früher kein Investor geschenkt haben wollte und in dem nun gerade die Internationale Gartenschau (igs) ihre Tore öffnete. Diese sogenannte „Bauausstellung in der Bauausstellung“ umfasst insgesamt 15 Häuser, aufgeteilt in vier Kategorien: Die „Smart Material Houses (Bauen mit neuartigen Materialien), die Smart Price Houses (kostengünstiges Bauen), die „Hybrid Houses“ (verbinden Wohnen und Arbeiten) und die Water-Houses (Bauen auf dem Wasser). Smarte Häuser für smarte Leute, also. Fraglich, ob man mit diesem Vokabular die Menschen vor Ort erreicht. Auch das – die Sprache der IBA – stand von Anfang an in der Kritik.
Der Rundgang beginnt an dem wellenförmig geschwungenen, farbigen Neubau der Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt. „Die BSU war ein Anker-Mieter“, erklärt Stadtgeograph und IBA-Mitarbeiter Gunnar Gläser. Zuvor galt Wilhelmsburg-Mitte, die Zone zwischen der Wilhelmsburger Reichsstraße und der Trasse der Deutschen Bahn, als „ein lautes Stück Land, das mit Altlasten kontaminiert war. Über Jahrzehnte trennte diese Schneise Wilhelmsburg in zwei Teile – das Bahnhofsviertel und das Reiherstiegviertel. Nun entsteht erstmals nicht nur geografisch, sondern auch architektonisch ein urbaner Mittelpunkt: Die BSU mit ihren 1.400 Mitarbeitern sorgte dafür, dass andere Investoren nachzogen. Das zweitwichtigste Gebäude vor Ort ist sicher das gegenüberliegende Ärztehaus, das dem bisherigen Notstand in der medizinischen Versorgung ein Ende setzt. „Mit 60 Prozent subventioniertem Wohnraum war das hier kein Gebiet, wo sich freiwillig Fachärzte ansiedeln“, so Gläser. „Angestellte und Beamte sind natürlich attraktiver“.
Wie gut, dass wir einen so versierten Guide haben, ohne kundige Führung lassen sich weder die stadtplanerischen Überlegungen, noch die innovative Bautechnik der zum Teil noch eingerüsteten Häuser erschließen. Vorbei am 5 1/4 Haus (der eigentümliche Name ergab sich durch fünfeinviertel Geschosse), das Holz und Stahlbeton in einem ungewöhnlichen Mix vereint, geht es zum Wälderhaus. Es ist Hotel, Restaurant und Museum in einem und ganz in Lerchenholz eingehüllt. Die Schutzgemeinschaft Deutscher Wald e.V.“ zeigt hier übrigens eine hervorragend aufbereitete Ausstellung über das Ökosystem Wald. Auf dem Platz vor dem Wälderhaus ist der Baulärm ohrenbetäubend. Damit Gunnar Gläser seine Stimme nicht zu sehr strapaziert, geht es schnellen Schrittes weiter zur Inselparkhalle, die während der igs wechselnde Blumen-Schauen zeigt. Im Gegensatz zu herkömmlichen igs-Ausstellungshallen, die nur temporär standen, ist bei der engen Kooperation von IBA und igs auf Nachhaltigkeit Wert gelegt worden: Alle Bauten bleiben bestehen und werden weiterhin sinnvoll genutzt. Und so ist die Blumenhalle von vornherein als Sporthalle konzipiert worden. „Der Umbau ist nur noch eine Kleinigkeit“, so Gläser. Sport und Bewegung werden bei IBA und igs groß geschrieben, damit sollen die Jugendlichen auf den Elbinseln von der Straße geholt werden. Gleich nebenan entstand deshalb auch ein neues Schwimmbad für Schulen und Vereine. Es ist bereits in Betrieb und in Punkto Energieeffizienz, so Gläser, „wohl das spannendste, was derzeit auf dem Markt ist“.
Die Bewohner der fünf Water Houses vis à vis sind wirklich zu beneiden: Sie sind rundum von Wasser umgeben und haben das Schwimmbad vor der Nase. Die Passivhäuser stehen in einem riesigen Regenrückhaltebecken und sind somit Paradebeispiel für die Mehrfachnutzung einer Fläche. Das Becken hat Anschluss an die Wasserwege in Wilhelmsburg und wird später als Kanu-Kanal freigegeben. Sportlich Ambitionierte können also theoretisch von ihrem Wilhelmsburger Haus bis zum Hamburger Jungfernstieg paddeln. Das wär‘ doch mal was. Im Gegensatz zu dem spektakulärem BIQ-Haus wirken sie jedoch fast konservativ – die vom Frauenhofer-Institut entwickelte Haustechnik (alles nur noch per Tough-Pad) sieht man ja nicht. Das BIQ sieht jedoch aus, wie ein futuristisches Energielabor. Ist es ja auch. BIQ steht für „Bio-Intelligenzquotient“: Die Südfassade ist bestückt mit flachen Wasserbehältern, in denen Algen aus Sonnenlicht und Co2 Biomasse als Grundstoff für Biogas produzieren. Die sogenannte Bioreaktorfassade ist eine absolute Weltneuheit, die schon heute eine Vorstellung davon gibt, was in fünfzig Jahren vielleicht Standard wird: Wohnen in einer wärmespendenden, lebenden Gebäudehaut. Noch ist das Ganze ein Forschungsprojekt. Ein visionärer Prototyp, wie die benachbarten grauen Reihenhäuser mit ihrer textilen Fassade, die sich automatisch nach dem Sonnenstand ausrichten und ebenfalls ihre Energie selbst produzieren. Oder das Mehrfamilienhaus mit Photovoltaik- Balkongeländern und Solarthermie-Elementen auf dem Dach. Oder die Hybrid-Häuser, die anstelle von tragenden Wänden nur Säulen besitzen, so dass man problemlos ein paar Räume dazu nehmen oder abgeben kann, je nach familiärer und beruflicher Situation (vorausgesetzt natürlich, dass die Nachbarn mitspielen). Ganz zu schweigen von den kostengünstigen „Smart-Price-Houses“, die aussehen wie Hochgaragen im Rohbau: Leere Flächen mit Säulen. „Wie auf der grünen Wiese“, so Gunnar Gläser, können sich hier handwerklich geschickte Nutzer selbstverwirklichen.
Nach gut zwei Stunden Rundgang raucht mein Kopf vor lauter Infos, aber es hat sich gelohnt. Zweifellos bietet die „Bauausstellung in der Bauausstellung“ das Spannendste, was die Bau- und Energietechnologie derzeit zu bieten hat.
Die Helme dürfen wieder runter, gebraucht haben wir sie nicht. Ohrenschützer wären jedoch nicht schlecht gewesen. Noch dröhnt Baulärm über das IBA-und igs-Gelände – und das wird wohl auch noch eine ganze Weile so bleiben.
Internationals Bauausstellung IBA
Alle Infos über IBA-Touren und -FührungenFotonachweis: Alle Fotos Isabelle Hofmann
Header: Eingang IGS Gebäude
Galerie:
01. Haus mit Solarbalkonen
02. BSU
03. Holzhaus
04. Algenhaus (Detail)
05. Reihenhäuser mit beweglichen Dächern
06. Baustelle Wälder-Haus
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