Kultur Blog
- Geschrieben von Anna Grillet -
Als obszön hätte es Andrei Konchalovsky empfunden, seinen Film „Paradies” in Farbe zu drehen. Der 79-jährige russische Regisseur entdeckt für uns radikale neue Wege der Annäherung an eine Vergangenheit, die unfassbar scheint.
Das ästhetisch virtuose, schwermütige Drama vor dem Hintergrund des Zweiten Weltkriegs entwickelt sich zur zeitlosen Parabel über das menschliche Versagen und jene unstillbare Sehnsucht nach Erlösung. Die Protagonisten: Ein Franzose, eine Russin, ein Deutscher, alle drei Darsteller spielen in ihrer jeweiligen Muttersprache. Schon das ist spektakulär, dieser Mix aus dokumentarischer Authentizität und ungewohntem metaphysischem Selbstverständnis. Es wird ein Abschied von der herkömmlichen Feindfigur. Ob Widerstandskämpferin, Nazi-Kollaborateur oder SS-Offizier, jede Person offenbart große innere Stärke, erliegt aber ihren Schwächen und fanatischen Überzeugungen.
- Geschrieben von Hans-Juergen Fink -
Von der Lebenslust polnischer Spielleute über italienische und französische Anklänge bis zur neuen Musik des empfindsamen Zeitalters reicht der Bogen, den Telemanns Fantasien für Violine solo schlagen. Der Barockviolinist Thomas Pietsch leuchtet diesen faszinierenden kleinen musikalischen Kosmos mit lebendigem Atem aus.
- Geschrieben von Anna Grillet -
Sally Potter besitzt ein untrügliches Gespür für die Absurdität menschlichen Leidens. Sie präsentiert „The Party” als hintergründige Farce über den Verlust von Wahrheit in der Politik wie in der Liebe. Skrupellos und künstlerisch brillant seziert die britische Regisseurin eine linksliberale Elite mit Upperclass Gehabe, erlaubt sich selbst weder Schlupfloch noch Alibi, niemand kommt hier ungeschoren davon.
Das klassische Format des Kammerspiels eignet sich perfekt zum ästhetisch virtuosen Untergang von Ideologien, gedreht in Schwarzweiß und Echtzeit. „Ginger & Rosa”, ihre Sechzigerjahre-Rebellinnen mögen sich später verdingt haben an das Establishment, die experimentelle Filmemacherin bleibt eine Provokateurin par excellence. Bösartiger und hinreißender können Dialoge kaum sein.
- Geschrieben von Isabelle Hofmann -
John Neumeiers jüngstes Ballett bei den 43. Ballett-Tagen in Hamburg umjubelt.
Es ist mitunter durchaus von Vorteil, eine Uraufführung zu verpassen. Mit etwas Abstand und in anderem Kontext schälen sich Stärken und Schwächen dann umso stärker heraus. In diesem Fall ist die dritte Vorstellung von „Anna Karenina“ während der 43. Hamburger Ballett-Tage gemeint, Neumeiers jüngster Ballettschöpfung zur Musik von Peter Tschaikowski, Alfred Schnittke und Cat Stevens (am Pult der prächtig aufgelegten Philharmoniker: Simon Hewett).
- Geschrieben von Hans-Juergen Fink -
Mit Ausschnitten aus sechs opulenten neueren Produktionen beeindruckte das National Ballet of China in der Staatsoper Hamburg. Und vier kleine Choreographien punkteten durch ihre inhaltliche Dichte und scharfe Reduktion. Eindrücke vom ersten Gastspiel-Abend.
Das war ein spannender Ballettabend, dieses Gastspiel des National Ballet of China im Rahmen der 43. Hamburger Ballett-Tage. Denn er gab Einblicke in sechs sehr unterschiedliche Produktionen der Pekinger Compagnie. Und eine kleine Ahnung von den Fronten, an denen in China derzeit tänzerisch gekämpft wird.
- Geschrieben von Dagmar Reichardt -
Sommerzeit – Reisezeit? Auf den Spuren Michelangelos und der „Erschaffung Adams“ muss man nicht unbedingt wandeln. Denn bis zum 31. Juli ist in dem italienischen Städtchen Pietrasanta, keine Viertelstunde mit dem Auto vom beliebten Badestrandort Forte dei Marmi an der toskanischen Küste entfernt, eine ungewöhnliche Marmorausstellung zu sehen. Hier wird aus der Kunst die Wissenschaft geboren. Und andersherum.
Unter dem Titel „Metamorphic Resonance“ (dt. „Metamorphische Resonanzen“) stellen in einem kleinen, kühlen High-Tech-Museum im Herzen der Toskana im Rahmen des italo-amerikanischen „Digital Stone Project V“ (DSP; dt. „Digitales Stein-Projekt“) dieses Jahr wieder 14 junge und arrivierte internationale Künstler die Ergebnisse ihrer kreativen Projektarbeit zum Themenschwerpunkt „Stone Carving in the Age of Digital Production“ – dt. „Die Steinschneiderei im Zeitalter digitaler Produktion“ – aus.
- Geschrieben von Anna Grillet -
Sinnsuche als geheimnisvolles Survival-Epos: Regisseur João Pedro Rodrigues ist ein genialer Bilderstürmer in der Tradition Pasolinis. Was als wissenschaftliche Exkursion beginnt, wird bald zur skurril subversiven Odyssee des Magischen Realismus. Es geht um Tod, Auferstehung, Märtyrertum, Erlösung und um Liebe.
Der Autorenfilmer mischt christliche und heidnische Motive, re-kreiert die historische Gestalt des Antonius von Padua mit all deren Widersprüchen, wie es schon Hieronymus Bosch oder Salvatore Dali taten. Rodrigues verhöhnt nicht das Göttliche, glorifiziert nicht den Tabu-Bruch, sondern will nur wissen, wie viel in ihm, dem Künstler, steckt von jenem portugiesischen Heiligen aus dem 13. Jahrhundert, der zu den Fischen predigte. Ästhetisch virtuos legt er den erotischen Subtext frei.
- Geschrieben von Isabelle Hofmann -
Während in Hamburg der G-20-Gipfel immer absurdere Züge annahm, erlebte Kiel ein Konzert, das im besten Sinne des Wortes wahnsinnig war.
Das Schleswig-Holstein Musik Festival hatte in der Sparkassen-Arena „Martin Grubingers ultimative Perucssionshow XXL“ angekündigt und nicht zu viel versprochen: Nach einer zweieinhalbstündigen Non-Stop-Tour-de-Force durch die Welt der Schlagzeugliteratur entließen der ultimative Ausnahmemusiker und sein phantastisches Percussive Planet Ensemble das beglückte Publikum ermattet und schweißgebadet.
- Geschrieben von Frauke Stroh -
Der Wechsel zur nächsten Leitungsgeneration hatte die Hamburger Kammeroper kurzzeitig in schwere Wetter gebracht. Doch in der kommenden Spielzeit startet Hamburgs kleines Opernhaus – mit dem Theater für Kinder gemeinsam unter dem Dach des Allee-Theaters – kraftvoll durch.
- Geschrieben von Klaus von Seckendorff -
Erstmals in einem deutschen Museum zu sehen, in Fürstenfeldbruck westlich von München: „Graphzines“ einer französischen Szene, die seit den 1970ern gegen den Kunstbetrieb rebelliert. „Do it yourself“ statt Galerien und Verlage, Low-Tech-Produktion, schnell und preisgünstig, angesiedelt zwischen „Fanzines“ und hohem grafischem Anspruch.