Meinung
KlassikKompass  Die Welt der Bach Cantatas: Ostern Einführung

Der KulturPort.De-KlassikKompass lädt Sie zu einer Reise durch die Welt der Bach-Kantaten oder auch Cantatas genannt, ein.
Beginnend am heutigen Palmsonntag begleitet Sie die nachfolgende Reihe durch die Osterzeit mit einem der wichtigsten und nachhaltigsten Komponisten.
Johann Sebastian Bach (1685-1750) hat in drei Jahrgängen über 200 Cantatas für die Kirche und etwa 25 weltliche Cantatas geschrieben. Dieses Kantatenwerk ist eines der Monumente der Musik, das bis heute zu den meist eingespielten CD-Veröffentlichungen zählt.

Zunächst beschäftigen wir uns mit den Cantatas zu den Festen und Themen des Kirchenjahres. Die Bach-Philosophie und meditative Kraft dieser Musik ist heute noch – wie vor 300 Jahren ungebrochen.

„Kommt, eilet und laufet, ihr flüchtigen Füße,
Erreichet die Höhle, die Jesum bedeckt!
Lachen und Scherzen begleitet die Herzen,
Denn unser Heil ist auferweckt!“

Einleitungschor des ,Oster-Oratoriums’ BVW 249 von Johann Sebastian Bach (1685-1750)

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Die Cantatas von Johann Sebastian Bach (1685-1750) haben auch dreihundert Jahre nach ihrer Entstehung eine derartige Bekanntheit, dass sich für sie der eigene Begriff der ‚Bachkantate’ eingebürgert hat.
Wie bei allen barocken Cantatas handelt es sich um mehrsätzige musikalische Werke für Chor, Orchester und Vokalsolisten, die für die Aufführung im Gottesdienst oder bei einem festlichen gesellschaftlichen Anlass bestimmt waren.
Sonntag für Sonntag gehörte es zu Bachs Aufgaben, im Gottesdienst eine Cantata zu musizieren, die häufig von ihm selbst für den Anlass neu komponiert wurde.
Als Textgrundlage dienten im Zusammenhang mit dem Thema des Sonntags Bibeltexte, freie Dichtung und passende Choräle. Ein Sonderfall ist die reine Choral-Cantata, die ausschließlich auf den Versen eines Chorals beruht.

In der Regel hat eine Bach Cantata folgenden strukturellen Aufbau:
- Eingangschor oder eine einleitende instrumentale ‚Sinfonia’
- Solistische Rezitative
- Ariosi und Arien manchmal auch als Choräle
- Schlusschor oder Choral

Bach-Cantatas zählen auch heute zum festen Repertoire der Kirchenmusik. An die Stelle des liturgischen Zusammenhangs ist überwiegend das Konzert im Kirchenraum getreten, auch heute noch werden die Cantatas manchmal in Gottesdiensten aufgeführt.
Wie Bach 1730 in einer Eingabe an den Stadtrat ausführt, stellt er sich als Idealbesetzung für die in den Leipziger Gottesdiensten aufzuführende Musik drei bis vier Sänger pro Stimmlage vor. Sein ‚Kurtzer, iedoch höchstnöthiger Entwurff einer wohlbestallten Kirchen music’ wurde von den Musikwissenschaftlern Joshua Rifkin und Andrew Parrott ganz neu gedeutet.
Demzufolge habe Bach seine Cantatas in der Regel mit einem Soloquartett aufgeführt, das alle solistische Aufgaben wahrnahm und bei starker Instrumentalbesetzung durch je einen bis zwei weitere Sänger unterstützt wurde.
Dazu kamen zwei bis drei erste Violinen, zwei zweite, eine bis zwei Violen und eine für heutige Verhältnisse überaus stark besetzte Continuo-Gruppe. Die heute übliche starke Trennung zwischen solistischen und chorischen Aufgaben habe also nicht bestanden.
Andere Vertreter der historischen Aufführungspraxis wie Ton Koopman, Philippe Herreweghe, Sir John Eliot Gardiner oder Maasaki Suzuki haben dieser Theorie widersprochen und setzen nach wie vor einen kleinen Chor ein.

Das Bach-Werke-Verzeichnis (kurz ‚BWV’) des Musikwissenschaftlers Wolfgang Schmieder (1901-1990) verzeichnet etwa 200 Cantatas Bachs, dazu einige Werke, die die Forschung inzwischen anderen Komponisten zuschreibt. Die Nummerierung der Bach-Cantatas im BWV ist weder chronologisch noch systematisch, weil Schmieder der zufälligen Nummerierung folgte, die sich durch die Bach-Gesamtausgabe etabliert hatte. Er teilt lediglich ein in ,Geistliche’ Cantatas von BWV 1 bis BWV 200, und ‚weltliche’ Cantatas von BWV 201 bis BWV 216, sowie solche, bei denen die Urheberschaft Bachs zweifelhaft ist von BWV 217 bis BWV 224.

Nach Entstehungszeit gliedern sich Bachs Kantaten wie folgt:
- Frühe Cantatas aus der Arnstädter und Mühlhauser Zeit entstanden bis 1709. Das sind beispielsweise BWV 150 ‚Nach dir, Herr, verlanget mich’ die als die älteste Bachkantate gilt, die Oster Cantata BWV 4 ‚Christ lag in Todesbanden’ , die Trauer-Cantatas BWV 131 ‚Aus der Tiefe rufe ich zu dir’ und BWV 106 ‚Gottes Zeit ist die allerbeste Zeit’ der sogenannte ‚Actus Tragicus’ und schließlich die Hochzeits-Cantata BWV 196 ‚Der Herr denket an uns’.
- Cantatas der Weimarer Zeit entstanden bis 1717 wie zum Beispiel BWV 61 ‚Nun komm, der Heiden Heiland’ zum Advent, BWV 162 ‚Ach, ich sehe, itzt, da ich zur Hochzeit gehe’ zum 20. Sonntag nach Trinitatis und die Kantate zum Palmsonntag (Palmarum) BWV 182 ‚Himmelskönig sei willkommen’.
- Die Cantatas aus der Leipziger Zeit entstanden ab 1723:
Erster Jahrgang, aufgeführt 1723 und 1724, wie BWV 105 ‚Herr, gehe nicht ins Gericht mit deinem Knecht’ zum 9. Sonntag nach Trinitatis.
Der ‚Choral-Cantatas-Jahrgang’ 1724 und 1725. Dazu rechnet man BWV 1‚Wie schön leuchtet der Morgenstern’, eine Cantata zum Fest ‚Mariä Verkündigung’.
Der dritter Jahrgang aufgefuehrt 1725 und 1726, beispielsweise die ‚Michaelis’-Cantata BWV 19 ‚Es erhub sich ein Streit im Himmel’.
- Schließlich die späten Cantatas, sie entstanden ab 1730. So die weltbekannte Cantata zum 27. Sonntag nach Trinitatis BWV 140 ‚Wachet auf ruft uns die Stimme’.

Wir wollen uns im KlassikKompass auf eine Auswahl von Cantatas und ihren Einspielungen beschränken und sie zu verschiedenen Themen betrachten. Wer sich gerne weiter intensiv mit diesem spannenden und vielfältigen musikalischen Thema beschäftigen möchte, dem seien hier einige Bücher und eine Website zur Lektüre und zum genauen Studium der Welt der Bach-Cantatas empfohlen: Zunächst einmal die ‚Bibel’ der Bach-Cantata-Information des Musikforschers Alfred Dürr.
Dürr (1918-2011) war ein deutscher Musikwissenschaftler, der wesentlich zum Verständnis der Entstehungsgeschichte und Überlieferung der Werke Johann Sebastian Bachs beigetragen hat. Über viele Jahrzehnte hinweg setzte sich Dürr intensiv mit den Werken Bachs auseinander. Im Mittelpunkt stand dabei die Entstehungsgeschichte der Werke, die er mit Hilfe akribischer Untersuchung der Quellen zu erhellen versuchte. Er war Mitherausgeber der Neuen Bach-Ausgabe, einer historisch-kritischen Gesamtausgabe der Werke, die im Jahre 2007 abgeschlossen wurde. Dürr schrieb Bücher zum Kantatenwerk Bachs und zum Wohltemperierten Klavier. Seine Veröffentlichung der Beschreibung aller Bach Cantatas ist ein absolutes Standardwerk das im Bücherschrank keine Verehrers und Conaisseurs der Musik des Thomas-Kantors fehlen darf.

Das Buch von Alfred Dürr ‚Johann Sebastian Bach. Die Kantaten’ mit sämtlichen Texten stellt jede Kantate in ihrer Eigenart einzeln vor. Erschienen als Taschenbuch mit 1038 Seiten beim Bärenreiter Verlag unter der ISBN-10: 3761814763 und ISBN-13: 978-3761814765.

Der Niederländer Ton Koopman (geboren 1944) Dirigent, Organist und Cembalist, gründete das ‚Amsterdam Baroque Orchestra’ und den ‚Amsterdam Baroque Choir’ und spielte 1994 bis 2004 sämtliche Bach-Kantaten ein. Diese Aufnahme gilt heute noch als eine der führenden Original-Einspielungen dieses Werkes.
Gemeinsam mit dem Musikhistoriker und führenden Bachforscher Christoph Wolff (geboren1940) und Lehrer an der Harvard University als auch der Universität Freiburg außerdem Mitherausgeber des Bach-Jahrbuchs, veröffentlichte Koopman zu seiner CD Gesamtaufnahme drei Bände mit Aufsätzen und Beschreibungen der Bach-Cantatas.
Auch diese Bände sind hoch empfehlenswert, wenn jemand sich besonders mit den unterschiedlichen Aspekten der Aufführungspraxis und Geschichte dieser Werke auseinandersetzen will. Das Buch ist relativ allgemein verständlich geschrieben – aber einige musikhistorische und musiktheoretische Grundkenntnisse sind bei der Lektüre nicht von Übel.

Das Buch von Ton Koopman und Christoph Wolff ‚Die Welt der Bach-Kantaten’ in 3 Bänden, broschiert, 742 Seiten ist erschienen beim Verlag Metzler unter den ISBN-10: 3476021270 oder ISBN-13: 978-3476021274.

Der Brite Sir John Eliot Gardiner (geboren1943) Dirigent und Chorleiter, ist ein weiterer Bach-Experte und Interpret von hohen Graden. Seine Erfolge feierte Gardiner durch seine herausragenden Aufführungen und Einspielungen alter Musik. 2004 gründete er sein eigenes Plattenlabel nach Bachs Lebensmottos ‚Soli Deo Gloria’ (‚Gott allein die Ehre’), das ausschließlich Aufnahmen von Gardiners eigenen Ensembles veröffentlicht, darunter sämtliche Kirchenkantaten Johann Sebastian Bachs in Live-Mitschnitten aus dem Jahr 2000, dem 250. Todesjahr des Komponisten.
Mit seinem Ensemble ‚English Baroque Soloists’ und seinem ‚Monteverdi Chor’ unternahm er zu diesem Bach Jubiläum eine ganze Pilgerreise durch Europa und führte an jedem Sonntag die jeweiligen Bach-Cantatas auf, die zu diesem Feiertag gehörten.
Die Live-Mitschnitte dieser ‚Bach Pilgimage’ sind die Creme der Bach-Cantata-Aufnahmen und sie werden uns durch die Betrachtungen dieses Werkes folgen.
Gardiner veröffentlichte in diesem Jahr nun eine sehr persönliche Bach Biografie – sie ist leider zunächst nur in Englisch zu haben. Doch für denjenigen der dieser Sprache mächtig ist, ist dieses Buch ebenfalls sehr zu empfehlen...

Das Buch John Eliot Gardiner ‚Music in the Castle of Heaven - A Portrait of Johann Sebastian Bach’ (‚Musik in der Himmelsburg – ein Portrait von Johann Sebastian Bach’) hat in der gebundenen Ausgabe 672 Seiten und erschien im Allen Lane Verlag in englischer Sprache unter den ISBN-10: 0713996625 und ISBN-13: 978-0713996623.

Wir werden uns am Ende unserer Bach-Cantatas-Reihe mit den verschiedenen CD-Gesamteinspielungen dieser Werke beschäftigen.
Nun noch zum Schluss der Einführung ein Website-Tipp: Die britische Bach-Cantatas-Website www.bach-cantatas.com bietet eine wahre Fundgrube für alle Fragen zu diesem Thema. Sie liefert nicht nur die gesamten biografischen Angaben zu den Cantatas neben allen Texten, sondern diskutiert auch die meisten existierenden CD-Aufnahmen.

Nun wollen wir am Gründonnerstag unsere Reise durch die Welt der Bach-Kantaten beginnen – mit dem Fest der Auferstehung Christi: Ostern.


Ihr Herby Neubacher


Abbildungsnachweis:
Header:Rogier van der Weyden; Marienaltar (Miraflores-Altar), Triptychon, Gesamtansicht, vor 1445, Öl auf Holz, jede Tafel 71x43cm, Gemäldesammlung Berlin
Galerie:
01. Elias Gottlob Haussmann (1695–1774): Johann Sebastian Bach, Portrait, 1748, Öl auf Leinwand. Privatsammlung, New Jersey, USA
02. Handschriftliche Choral-Prelude aus J. S. Bachs Arnstadt-Tagen: „Wie schön leuchtet der Morgenstern" BWV 739, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Berlin, Mus. ms. autogr. Bach P 488
03. Umschlag von Alfred Dürr ‚Johann Sebastian Bach. Die Kantaten’. Bärenreiter Verlag
04. Umschlag von Ton Koopman und Christoph Wolff ‚Die Welt der Bach-Kantaten’ in 3 Bänden. Verlag Metzler
05. Umschlag von John Eliot Gardiner ‚Music in the Castle of Heaven - A Portrait of Johann Sebastian Bach’, Penguin Verlag.
06. Isenheimer Altar, ehemals Hauptaltar des Antoniterklosters in Isenheim/Elsaß, zweite Schauseite, rechter Flügel: Auferstehung, 1512-1516, Öl auf Holz, 269x143cm Musée d'Unterlinden, Colmar/Frankreich.

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