Meinung

Es hat etwas Wunderbares, tatsächlich Geheimnisvolles mit Wolfgang Amadeus Mozarts Musikschaffen auf sich. Wobei ich allerdings das Eingeständnis dem Folgenden vorausschicke, dass mehr als ein ausgesprochen subjektives Bekenntnis zu bzw. Sich-Wiederfinden in diesem spezifischen Bann, der von den Kompositionen des Salzburgers ausgeht, nicht intendiert ist.

Und dennoch stelle ich die These in den Raum, dass die Tonwelt dieses Komponisten eine ist, die tatsächlich stets so klingt, als ob sie einem längst vertraut wäre. Als hätte man das Alles irgendwo und irgendwann schon einmal gehört. Das Wort Vertrautheit trifft es wohl am besten, aller eigentlichen Fremdheit, die ja naturgemäß da ist beim ersten Hören, zum Trotz.

 

Es kommt mir so vor, als würde Mozarts Musik in all ihren Facetten den Nerv treffen. Als hätte hier ein Tonsetzer in seinen Werken – jedenfalls in denen, die mir bekannt sind – etwas zum Erklingen gebracht, das in Menschen, die aufnahmebereit, weil ihrem kindlichen Herkommen treu geblieben sind, unvermittelt widerklingt. Es ist grad so, als ob man vom ersten Takt an von Jemandem bei der Hand genommen würde, der einen in ein fremdes Land mitnimmt, dorthin, wo man noch nie gewesen ist, und trotzdem sofort das Gefühl hat, dort angekommen zu sein, wo es einen, ohne dass man es vorher zu sagen gewusst hätte, schon immer unbewusst hingezogen hat. Das in seinem Fremdsein Vertraute ist vielleicht keine allzu unebene, wenngleich paradox klingende Wortkombination für das, was Heimat, ohne jede lokalpatriotische Beimischung, in seinem innersten Kern bedeutet. Ins Subjektive gewendet: Sich im und beim Sich-Verlieren im Unbekannten trotzdem stets die Gewissheit zu haben, sich im (un-)heimlich Vertrauten wiederzufinden. Also stets dort anzukommen, wohin es einen auch auf seinen kindlichen Streifzügen ins Ungewisse hingezogen hat. Wofür vermutlich der Zauber der Geborgenheit das annähernd zutreffende Wort ist.

 

Auch wenn stets ein Rest des Ungenügens zurückbleibt, also ein Gefühl, als verberge sich dort – und das meint: auch in den Kompositionen – noch etwas, an das man trotz allem nicht heranreicht. Selten genug jedenfalls sind die realen Glücksmomente, in denen die Präsenz derart total ist, dass jegliche Differenz, jegliche Äußerlichkeit und jegliches Außer-Sich-Sein ausgelöscht ist, derart, dass man das nicht als das empfindet, in dem man sich geborgen aufhält, eben weil es quasi zum Eigensten geworden ist. Wo jede Differenz aufhört, und also vollkommene Identität eingetreten ist, hat das Reflektieren auf dieses Einssein keine Stelle mehr, da es die Differenz zwangsläufig voraussetzt.

 

Das Beglückende, eins geworden zu sein mit dem (nicht mehr) Fremden, das man freilich und folgerichtig mit Wehmut erst empfindet, dann – eine Art ziehendes Weh-Froh-Empfinden –, wenn und sobald dieser Zustand des Beglückt-Seins durch den in seiner Fülle erlebten Augenblick der Vergangenheit angehört, der unmittelbaren und dem längst Vergangenen aus der großen zeitlichen Distanz des Altgeworden-Seins.

Dieses Ungefähr des Bei-sich-selbst-Angekommen-Seins impliziert für mich die Musik eines tatsächlich ewig jungen Menschen, der zumindest Mozart ja auch in seinem realen Leben geblieben ist – aller kompositorischen Versiertheit zum Trotz (oder vermutlich gerade ihretwegen), die in stetem Zunehmen, wie sich von selbst versteht, begriffen gewesen ist. In diesem Falle dargeboten von einem Orchester und einer Solistin, die sich in summa in exakt diesem hoffnungsfrohen Lebensalter befinden und zum Zeitpunkt der Aufführung, der kaum ein Jahr zurück liegt, befunden haben. So dass die Jeunehomme-Atmosphäre des Klavierkonzerts Nr. 9 in Es-Dur, KV 271 auch diese Musizierenden in ihrem hingebungsvollen Treiben umgibt.

 

Wenn man vielleicht das ins ganz und gar Fremde transzendierende Spätwerk Beethovens ausklammert – angefangen mit der Missa solemnis über die späten Klaviersonaten bis hin zu den letzten Streichquartetten –, will mir scheinen, dass auch dieser Komponist in seinen Werken der Kunst mächtig gewesen ist, den – erneut und natürlich aufnahmebereiten – Zuhörer mit einer traumwandlerischen Sicherheit dorthin zu führen, ihn auf seinem Weg dorthin zu begleiten, wo er das Gefühl hat, endlich dort angekommen zu sein, wo er, so lange er zurückdenken kann, immer schon zu befinden, sich im Verlieren sich zu finden sich gewünscht hat. In einem tönenden Universum voller vertrauter, still beglückender Heimlichkeiten, die die Heimlichkeiten seines endlich gefundenen oder zumindest erahnten Selbstseins sind. Die im Spätwerk, wie gesagt, ihres überhöhten Fremdseins wegen kaum mehr als die in Wahrheit, denn doch seinen wiederzuerkennen sind.


Wolfgang Amadeus Mozarts Hornkonzert Nr. 4 in Es-Dur, KV 495

 

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W. A. Mozart, Hornkonzert Es-Dur (KV 495) mit dem Euregio Academy Orchestra, 2023; Solistin: Annemarie Federle, Musikalischer Leiter: Peter Bogaert (20:08 Min.)

 

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