Meinung

Es geht, um einem Missverständnis vorzubeugen, in der Kritik am Erkenntnisapriorismus nicht darum, das Erkennen überhaupt in Frage zu stellen. Es geht vielmehr, umgekehrt, darum, indem der Fehler des Erkenntnisapriorismus aufzuzeigen versucht wird, zu explizieren, was für das Erkennen wirklich charakteristisch ist.

So viel aber gleich vorneweg: Die Erkennbarkeit von schlechterdings allem zu behaupten, ist nicht die im Folgenden vertretene Position. Was zu betonen eigentlich überflüssig ist, weil ja gerade der Erkenntnisapriorismus ein Universalschlüssel fürs Erkennen überhaupt und als solchen zu sein beansprucht. Seines unterstellten Apriorismus wegen.

 

Selbstredend gibt es das Irrationale nicht allein in der Mathematik. Sondern auch im Makrokosmos, Mikrokosmos, der Vererbung sind dem Vordringen der Erkenntnis (= dem Begreifen eventuell existierender Gesetzmäßigkeiten) deswegen Grenzen gezogen, weil dem Subatomaren atomar begegnen zu wollen (= Elektronenmikroskope) an seine nicht mehr verschiebbare, also prinzipielle Grenze stößt. Oder weil, in der Vererbung, die Zusammenhänge derart kompliziert sind, dass es vielleicht nicht unmöglich, aber eben doch, der Kompliziertheit geschuldet, entsprechend schwierig ist, das entsprechende Rätsel zu lösen. Kommt Zeit kommt Rat. Möglicherweise.

 

Was, erstens, zu monieren ist, das ist das Folgende: Erkenntniskategorien sind deswegen als fürs Erkennen geradezu kontraproduktiv einzustufen, weil sie als Apriorica aufgefasst werden, die, ganz egal, ob sie etwas erkennen oder nicht, sprich, etwas Wahres von was auch immer erfassen, dennoch, vor jedem wirklichen Erkennen, als Kategorien der Erkenntnis behauptet werden. Erkennen aber hat immer etwas mit wahrem (also wirklichem, bewiesenem) Erkennen zu tun und ist eben kein Möglichkeitsbereich des Prinzipiellen, von dem sich dann eventuell bei näherem Hinsehen herausstellt, dass diese Kategorien gar nicht zu dem taugen, was man bereits in der Namengebung behauptet hat, dass sie vermögen, also ganz unabhängig davon, ob sich mit ihnen tatsächlich Erkenntnis hat realisieren lassen. Kategorien der Erkenntnis zu sein, ohne dass sie etwas dem Erkennen zugeführt hätten (= eine wahre contradictio in adjecto). Denn Erkennen heißt stets, etwas zunächst Transzendentes (womit, damit es zu keinen Missverständnissen kommt, lediglich gemeint ist, dass es sich, egal in welcher Seinssphäre, um etwas handelt, das gänzlich unaffiziert von dem Akt des sich ihm zuwendenden Erkennens die Qualität eines subjektunabhängigen Ansichseins hat) im Akt des Erkennens zu etwas Immanentem zu machen, also zu etwas, das sich auf Grund seines Erkanntseins im intellektuellen Besitz des Bewusstseins befindet. Was selbstredend nicht bedeutet, dass das Transzendente selbst dadurch immanent geworden wäre (oder es womöglich, im Sinne eines rein subjektiven Konstrukts, bereits zuvor gewesen ist (= Berkeley, Schopenhauer; aber nicht (!) Kant).

 

Robert Fudd Bewusstsein 17JhUnd exakt dies ist m. E. der Fehler Nicolai Hartmanns gewesen, indem er, zum einen, Kategorien der Erkenntnis als einen sozusagen festen Bestand von Apriorica (= Bedingungen der Möglichkeit qua Prinzipien, die für das unverzichtbare Notwendige und Allgemeine des Erkennens einstehen sollten) vor jedem wirklichen Erkennen kritiklos einfach unterstellt hat, und, zum anderen, von einer partiellen Differenz der Seins- und Erkenntniskategorien meinte ausgehen zu müssen, weil es nämlich das Irrationale gibt (sei‘s ideal in der Mathematik, sei‘s real in vor allem den Naturwissenschaften). Damit ist, umgekehrt, freilich nicht (s.o.) die Identität beider behauptet, sondern lediglich, dass, auf Grund beispielsweise mikroskopisch gegebener Grenzwerte, dem Vordringen in Kleinstbereiche ein für alle Mal unübersteigbare Grenzen gezogen sind, die in der Sache begründet sind. Was, und auch darauf hat Hartmann gegen die Kopenhagener Deutung zurecht hingewiesen, aber noch lange nicht besagt, dass es in diesen Kleinstbereichen nicht auch gesetzmäßig zugeht (zugehen könnte). Grenzen der Erkennbarkeit sagen eben noch überhaupt nichts darüber aus, wie es sich mit dem zu Erkennenden nun wirklich verhält.

 

Zweitens aber und noch viel entscheidender ist dieses hier: Erkenntniskategorien, die vor jeder faktisch vollzogenen Erkenntnisleistung – die sie nicht vollziehen können, eben weil sie das Prä jedes Vollzuges sind – dennoch als Bedingungen der Möglichkeit von Erkenntnis deklariert werden, haben das paradoxe Resultat zur Folge, Erkenntnis eines realen oder idealen Seins, gleichviel, vielmehr zu verunmöglichen. Wer ein solches Apriori – ein formal-mögliches Erkennen vor dem gehaltvoll-wirklichen Erkennen – unterstellt, bekennt sich, ob er das nun weiß oder will, zur Willkür methodisch-inhaltlicher Vorfestlegung. Es ist, als würden mit Hilfe mentaler Spießen und Stangen (Hegel), also einer Art sachfremdem Werkzeugkasten, dem vorurteilslosen Erkennen zuzuführende Sachverhalte eben gerade nicht in ihrer jeweiligen Eigenart erkannt, sondern unter die sachfremden Kriterien dieses Werkzeug- bzw. Methodensortiments subsumiert. Denn wie will man entscheiden, ob im Gebrauch befindliche Kategorien der Erkenntnis das wirklich leisten, was man vorab unterstellt, dass sie leisten, wenn nicht dadurch, dass man wirklich erkennt?! Wozu es dieser erkenntnis-kategorialen Vorfestlegungen nicht nur nicht bedarf, sondern sie gerade sind es, die einer begründeten Einsichtnahme, ihres Apriorismus‘ wegen, hinderlich im Wege stehen bzw. – zirkulär – auf die Abwege der wissenschaftsfeindlichen Vorfestlegung oder kritiklosen Selbstbestätigung führen. Wie es für Tautologien charakteristisch ist, sich am Anfang bereits, selbstverdoppelnd, am Ende zu befinden.

 

Natorp hat übrigens Hartmanns Position deswegen skeptisch beäugt, weil er (zurecht) darin einen gegenidealistischen Realismus gesehen hat. Zu dem sich Hartmann bereits im ersten Band der Ontologie-Reihe (Zur Grundlegung der Ontologie) ausdrücklich bekannt hat; und zwar der Erkenntnisproblematik wegen. Dass nämlich das Objekt im Erkennen keines von des Subjekts Gnaden ist. Wäre es das, so läge keine Erkenntnis vor, sondern eine Selbstverdoppelung eines als omnipotent sich verstehenden Subjekts (= Tendenz Fichte, der Ältere) vor. Damit hätte sich von vornherein die Frage nach wahrer Erkenntnis erledigt, an der Hartmann wie wenigen Philosophen vor und auch nach ihm dennoch, unerachtet der Erkenntnis gerade unterminierenden erkenntnis-kategorialen Vorfestlegung, gelegen war. Der von ihm beschrittene Weg einer Inthronisierung eines vor dem Erkennen trotzdem fürs Erkennen als tauglich unterstellten (nichts) erkennenden Erkenntnisapparats mit der damit implizierten zumindest partiellen Differenz zwischen dem zu Erkennenden und den für den Zweck des Erkennens ungeeigneten Erkenntnismitteln allerdings führt in die Irre.

 

Die Alternative: Die Frage nach dem äußerlichen Kriterium der Wahrheit als formal-allgemeiner und -notwendiger, die durch die Prinzipien der Erkenntnis supponiert, aber, ohne den Realbezug, nicht bewiesen noch beweisbar ist, stellt sich nicht. Das Bewusstsein befindet sich in einem stets schon bestimmten Verhältnis zu Gegenständen. Darin, dass es überhaupt von (irgend-) einem Gegenstand weiß, ist schon der Unterschied vorhanden. Ihm ist etwas das Ansich. Das andere Moment aber ist das Wissen oder das Sein des Gegenstandes für das Bewusstsein. Das Bewusstsein unterscheidet sich von der Welt, ist also in dem Unterscheiden und vermittelst seiner Bewusstsein seiner selbst. In diesem Unterscheiden bleibt es aber auf das ihm Andere (das Ansich ist für es) bezogen (= Einheit Unterschiedener). Folglich ist der Maßstab des Erkennens kein externer (= Erkennen hie, Sein dort; es liegt auch keine Identität vor, noch wird etwas seitens des Erkennens, wie in der Mathematik, konstruiert; davon hatte Kant eine Ahnung, wenn er diskursives Erkennen abhob gegen anschauungsgestütztes Konstruieren). Und weil der Maßstab nicht extern ist, weiß der Wissende, sofern er denn weiß, in seinem Wissen um die Identität des von ihm unterschiedenen Gegenstandes (dessen Ansichsein ist zu einem Für-es-Sein geworden). Im Wissen ist er zu seinem Gegenstande geworden, heißt, ist ihm nicht mehr fremd, sondern ein in seiner Identität gewusster (= erkannter). Das sofern hat seinen theoretischen Halt an der argumentativen Stringenz einer erwiesenermaßen vorhandenen und Schritt für Schritt explizierten Sachbezogenheit, in der keine sich einem parteilich vorweggenommenen, zumeist praktisch interessierten, Standpunkt verdankende Präjudikation stattfindet (was, umgekehrt, die Kritik etwaiger Präjudikationen miteinschließt), seinen praktischen (in Teilen der Naturwissenschaft) in der Realisierbarkeit, die die Probe auf das theoretisch Antizipierte ist.

 

Ein paar Beispiele theoretisch-argumentativen Erkennens:

1. Gedankliche Fehlleistungen aus einer wie auch immer lädierten Psyche ableiten zu wollen, ist ein grundlegender Fehler. Weil damit der Betreffende zum einen absolviert ist. Der vom Normalen abweichende Gedanke (die sogenannte Normalität ist der wie selbstverständlich einfach vorausgesetzte und entsprechend nicht weiter zu begründende Bezugspunkt) ist, bar jeder Begründung, als nicht zurechenbar deklariert. Zum anderen, weil man auf diese Weise einer argumentativ gestützten Auseinandersetzung und begründeten Kritik prinzipiell aus dem Weg gegangen ist. Kurz, es ist eine der leichtesten Übungen, ein Gedankengut, das einem, warum auch immer, missfällt, aus den Deformationen – zu Hegels Zeiten nannte man das Schädellehre, worüber Hegel in der Phänomenologie sich seitenweise mit beißendem Spott lustig gemacht hat – des Kopfes zu ‚erklären‘. Was wäre dann beispielsweise das geistige Handicap Heideggers gewesen? Für das der Martin auf der Holzbank dann auch nicht haftbar zu machen wäre. Weil, wer so, oder so, oder... tickt, der kann eben nichts anderes mehr als das Getickte oder den Deformationen des Kopfes Geschuldete zu Papier bringen. Eine womöglich begründete Kritik an Heideggers Gedankengespinsten wäre damit für prinzipiell unmöglich erklärt worden

Dies ist eine Form der (Nicht-) Kritik, die dem (nicht-) Kritisierten trotz allem und gerade deswegen gewogen bleibt. Den, wie gesagt wird, Autisten Wittgenstein kann man dann natürlich auch und trotzdem für ein – autistisches – Genie oder ein geniales Rennpferd (Robert Musil) halten.

 

2. Das Erkenntnisproblem in der (Mathematik), Natur- und Gesellschaftswissenschaft inkl. der Geschichtswissenschaft etc. hat sich dann erledigt, wenn der Mensch oder die Menschen mit ihren unendlich differierenden Meinungen zum Maß der Dinge gemacht werden. Das Wiederaufleben des Homo mensura-Satz der alt-griechischen Skeptiker, gegen die sich Sokrates, Platon und vor allem Aristoteles in ihrem Bemühen um wissenschaftlich beweisbare Allgemeinaussagen gewandt haben, ist der auf die Spitze getriebene Relativismus. Dann ist in der Tat das sich, immerhin, in den diversen Wissenschaften zusammenfassende Wissen, dessen Vorhandensein anzuzweifeln Hartmann nie in den Sinn gekommen ist, nichts weiter als eine Anhäufung von Meinungen oder unendlich differierenden Weltanschauungen – übrigens auch eine contradictio in adjecto –, in denen nichts Genaues niemand weiß und über das sich, seiner je subjektiven Beliebigkeit wegen, sinnvollerweise nicht diskutieren lässt.

Wie ja auch das Bekenntnis zum esse est percipi (Welt ist Welt als wie auch immer individuell Wahrgenommene) das Einfallstor des alles relativierenden und je selbstbezüglich machenden (= das Jemeinige... Heideggers beispielsweise) Sensualismus‘ ist. Das zugestanden, bräuchte man sich dann nicht einmal mehr über banalste Dinge zu unterhalten. – John Locke hat im Übrigen zu diesem Thema ein beherzigenswertes Bonmot notiert: „Wer so skeptisch ist, daß ihm die Wirklichkeit der Dinge, die er sieht und fühlt, ungewiß zu sein scheint, möge mit seinen bloßen Vorstellungen anfangen was ihm beliebt, mit mir wird er nie Streit bekommen, kann er doch nie gewiß sein, ob wirklich ich es bin, der seine Meinung bestreitet.“ 

 

3. Eine erschöpfende Erklärung von einem Irgendwas zu bezweifeln, ist logisch korrekt lediglich in ein hypothetisches Urteil zu kleiden. Es kann sein, dass… Diesem als Möglichkeit in den denkerischen Raum gestellten Urteil eine kategorische Form zu verpassen – es ist definitiv so, dass… – impliziert den Widerspruch, exakt das als über jeden Zweifel erhaben zu behaupten, was die Kernmaussage des Zweifels an etwas Definitivem nicht zulässt. Aber so geht es, wenn alles in Zweifel ziehende Zweifler in ihrem generellen Bezweifeln sich in ihren eigenen Voraussetzungen verheddern, bzw. ihre eigene Aussage unbemerkt ad absurdum führen. Denn: das (Be-)Zweifeln – gleichfalls eine klassische contradictio in adjecto – als ein über jeden Zweifel erhabenes (!), ergo nicht zu bezweifelndes (!), zu behaupten, ist ein logischer Fehler. Oder auch so: Wer alles bezweifelt, muss auch sein Bezweifeln bezweifeln, bzw. hat dies, nolens volens, stets schon getan. Der Allesbezweifler ist in seinem unbedingten Bezweifeln die Negation seiner selbst.

 

4. „Die sittliche Bestimmung besteht eben darin, unverrückt in dem fest zu beharren, was das Rechte ist, und sich alles Bewegens, Rüttelns und Zurückführens desselben zu enthalten.” Hegels Statement ist ganz und gar affirmativ gemeint. Versteht man sein Bekenntnis aber als einen reinen Zynismus, dann gewinnt die Moralitäts- und Tugendthematik gleich einen ganz anderen Charakter. Dann nämlich läuft dieses Bekenntnis darauf hinaus, dass mit der Berufung auf Tugenden sich schlechterdings alles und jedes rechtfertigen (= mit ‚guten‘ Gründen plausibel machen) lässt, so man es denn, seinen jeweiligen Interessen entsprechend, kann und will, weil man über die dafür allemal nötigen Machtmittel verfügt (und das gilt sowohl für Individuen als auch für Staaten). Wer diese (Macht-) Mittel nicht besitzt, blamiert sich stets mit seinen Tugenden und gilt bestenfalls als Idealist und denkt dem idealen Sein nach.

 

5. KI bzw. A.I. Es steht geschrieben: „Ohne Empfindung kein Leib; und das Bewusstsein wohnt weder im Nirgendwo noch in einer Maschine, sondern eben dort: in einem Leib, den es fühlt. Manche Freaks werden es vielleicht bedauern, aber ganz gewiss gibt es ohne den Leib kein Bewusstsein, und die Vorstellung von Bewusstsein in einem Computer oder einem anderen Gerät ist vor allem eines: Nonsens.“ Von dem Zitierten abgesehen bleibt zu bedenken dies: Dass überhaupt Grips darauf verwendet wird, Intelligenz auf künstlichem Wege zu erzeugen, lässt tief in die Gedankenlosigkeit oder Intellektfeindlichkeit (Achtung: Ironie) der darauf Erpichten blicken. Denn die diversen Leistungen des denkenden, emotionalen, willenshaften Intellekts wollen nicht einfach nur – das sozusagen Natürlichste von der Welt, weil es seit Menschengedenken wie selbstverständlich geschieht – erbracht sein, sondern die in diesem investigativen Metier Tätigen wollen etwas – a) überflüssigerweise – künstlich herbeiführen, was dann selbstredend auch nichts weiter als das ist: b) etwas – so geht sie, die freilich von ihren Adepten unbemerkt gebliebene Tautologie – Künstliches/Artifizielles und damit eines ganz gewiss nicht: ein wie auch immer elaboriertes Ergebnis des menschlichen Bewusstseins. Oder kurz so: Künstliche Intelligenz ist im besten Falle und mit ganz viel Wohlwollen von lediglich tautologischer Statur.

Schließlich aber und von den beiden Einwänden abgesehen: Warum soll überhaupt etwas künstlich herbeigeführt werden, was es ganz ohne die Kunst längst und quasi wie von selbst frei Haus gibt?! Denn wie gesagt, der Künstlichkeit (des Artifiziellen) wegen reicht es noch nicht einmal für eine simple Verdoppelung des ohnehin bereits nicht als Kunstprodukt Existenten. Womit man/frau alles seine/ihre Zeit verplempern kann…

 

6. Wenn ein der Logik nicht mächtiger katarrhalischer (sic!) Scheich sich zu dem in denunziativer Absicht getätigten Statement hinreißen lässt, beim Schwul- oder Lesbischsein handele es sich um eine Geisteskrankheit des Kopfes, dann hat der Dischdascha- oder Thawbgewandete im Eifer seiner weltanschaulich-religiös unterfütterten Parteilichkeit nicht bedacht, dass, wenn und sofern er damit recht hätte, sich die Denunziation und das abfällige Gerede damit erledigt hätte. Denn seit wann sind Kranke für ihr Kranksein moralisch haftbar zu machen und/oder zu verdammen? Seit wann begegnet man Malaisen des Körpers und des Kopfes mit der Androhung robuster Strafmaßnahmen, sollten die in ihrem Unwohlsein Befangenen nicht von ihrer Befangenheit lassen? Es ist eben stets auch praktisch misslich, wenn bornierte Geister ihre sachfremden Maßstäbe in letztlich vernichtender Absicht zur Anwendung bringen. Bestenfalls überführen sie sich dabei selbst, wie in diesem speziellen Fall, der eigenen Schwäche des Geistes, was als Krankheit zu denunzieren allerdings erneut an dem vorliegenden Sachverhalt vorbeiginge. Viel eher ist die typische Sachfremdheit von wie auch immer (un-)begründeten Vorurteilen zu diagnostizieren. Oder besser so: Vorurteile bedürfen keiner Begründung und sind auch prinzipiell nicht dazu in der Lage, sie zu geben, eben weil sie Vor-Urteile sind. Wenn das praktische – in diesem Fall religiös-weltanschauliche – Interesse das Denken bedingt, dreht sich das Denken stets nur im Kreis und ist von allem Anfang an da, wo zu sein es sich argumentlos vorgenommen hat: an seinem gedankenlos-bedenklichen Ende.


Abbildungsnachweis im Text: Robert Fudd: Utriusque cosmi maioris scilicet et minoris […] historia, tomus II (1619), tractatus I, sectio I, liber X, De triplici animae in corpore visione. Gemeinfrei

 

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