Meinung

Schopenhauer und unbekannt?! Das passt, denken der Kenner und der gebildete Laie (generisches masculinum), nicht zusammen. Jedenfalls nicht für dieses und das letzte Jahrhundert. Denn zu Lebzeiten ist es um den Bekanntheitsgrad des pessimistischen Querdenkers nicht wirklich gut bestellt gewesen.

Der Quengler, Miesepeter und Misanthrop lebte über Jahrzehnte hinweg in geistig-intellektueller Isolation. Beherrschte das Unbeherrschtsein – die frustrierte Reaktion eines in seiner Bedeutsamkeit nicht erkannten philosophischen Bahnbrechers – wie kein zweiter seiner Zeitgenossen.

 

Heute hätte der Hagestolz mit – freilich erst in vorgerücktem Alter – dem Pudel als ständigem Begleiter, der die Gegenwart seines Vierbeiners gegen keine eines mit Vernunft begabten, ungefiederten Zweibeiners vertauscht hätte, unentwegt mit rechtlichen Konsequenzen zu rechnen gehabt, weil er in seinem polternden Schimpfen kein Ziel noch Maß kannte. So zum Beispiel, wenn es darum ging, Hegel als den allergrößten Scharlatan verbal zu vernichten: „Jedoch die größte Frechheit im Auftischen baren Unsinns, im Zusammenschmieren sinnleerer, rasender Wortgeflechte, wie man sie bis dahin nur in Tollhäusern vernommen hatte, trat endlich in Hegel auf…“ (Arthur Schopenhauer, Die Welt als Wille und Vorstellung I, stw, 1986, S. 579 f.)

 

Arthur Schopenhauer by Wilhelm BuschAn seinem schrulligen Faible für Hunde Anstoß zu nehmen bin ich vielleicht nicht – als bekennender Nicht-Hunde-Freund – der Letzte, aber doch ein entschiedener Befürworter des wohltuenden Alleinseins: „Einsam, aber frei“ (Robert Schumann, Albert Dietrich und Johannes Brahms). Der beste Freund des Menschen ist, dies nota bene und aus meiner bestimmt nicht maßgeblichen Sicht, vor allem der sprichwörtlichen hündischen Unterwürfigkeit wegen verzichtbar. Hegel sprach, wohl tatsächlich zurecht, davon, dass der „Hund der beste Christ“ sei, da er das „Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit“ (Schleiermacher) „am stärksten in sich“ trage. Da ich doch eher, gar nicht so viel anders als Schopenhauer auch, der Ansicht zuneige, dass man sich, womöglich, eventueller Abhängigkeiten schleunigst und unverzagt entledigen sollte. Das Abschütteln des Ungemäßen muss ja nicht gleich so rabiat-blindwütig vollzogen werden, wie es von diesem Erzpessimisten angedacht worden ist.

 

Überhaupt muss es gesagt sein, dass das staatlicherseits verordnete und mit Argusaugen ins Visier genommene Achten auf sprachliche Korrektheit – gottlob! – noch keine Errungenschaft des 19. Jahrhunderts gewesen ist. Und auch davor nicht in sonderlich hohem Ansehen stand. Die Wahrheit: es war einfach irrelevant. Jedenfalls, solange es von der Obrigkeit nicht als gotteslästerlich eingestuft und, unter anderem zu Lasten Immanuel Kants, entsprechend behandelt wurde. – Denn beispielsweise auch der große Kontrahent Arthur Schopenhauers, Georg Wilhelm Friedrich Hegel, der seinerseits freilich von Schopenhauer (was für eine Kränkung aus der Warte des Aufstrebenden!) so gut wie keine Notiz genommen hat, hatte überhaupt keine Probleme damit, die aus seiner Sicht intellektuell Fehlgeleiteten, etwa in der Person Friedrich Schlegels oder Friedrich Daniel Ernst Schleiermachers, mit nicht gerade zimperlichen Wortkaskaden abzufertigen.

 

Oder, ein anderes Beispiel aus der jüngeren Vergangenheit, der Österreicher Thomas Bernhard hat nie ein Hehl daraus gemacht, was er beispielsweise von Katholiken, Nazis und – apropos Nazis – Heidegger in Alte Meister gehalten hat. Was, wir befinden uns bereits in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, nicht selten zur Folge hatte, dass er sich vor literarisch nicht unbedingt bewanderten Richtern für sein als unzulässig, weil nestbeschmutzend, befundenes Treiben – eine groteske Gaudi – rechtfertigen musste. In der Regel zu seinem – pekuniären – Nachteil.

 

Was spricht gegen diese unentwegt eingeforderten sprachlichen und entsprechend auch gedanklichen Anpassungsleistungen an den Kanon des im Zweifelsfall auch rechtlich Erlaubten und Gebotenen? Unter anderem dieses hier, das gegen die inzwischen längst notorisch gewordene Schönfärberei in Worten Partei ergreift: „Die gute Gesellschaft, welche, um vollkommen fade zu sein, alle entschiedenen Äußerungen und daher alle starken Ausdrücke verbannt hat, pflegt, um skandalöse oder irgendwie anstößige Dinge zu bezeichnen, sich dadurch zu helfen, daß sie solche zur Milderung mittelst allgemeiner Begriffe ausdrückt (eine klassische Putze beispielsweise rangiert heute unter der wohlklingenden – apropos Schönfärberei – Bezeichnung einer RaumpfelgerInfachkraft, eine Klofrau hat den Ehrentitel Hygienefachkraft verpasst bekommen, wofür sie sich freilich nichts kaufen kann, F.-P.H.): hiedurch (sic!) aber wird diesen auch das ihnen mehr oder minder Heterogene subsumiert, wodurch eben in entsprechendem Grade die Wirkung des Lächerlichen (!, freilich ungewollt…, F.-P.H.) entsteht.“ (Arthur Schopenhauer, Die Welt als Wille und Vorstellung II, stw, 1986, S. 125)

 

Dieses verbale Über-die Stränge-schlagen zeitigt allerdings nicht, wie heute und seit einigen Jahren von politischer und öffentlich-rechtlicher Seite unentwegt unterstellt, zwangsläufig praktische Konsequenzen. Und allenfalls bei – Entschuldigung! – devoten, im Prinzip obrigkeitshörigen, rassistischen Dumpfbacken – deren Zahl allerdings längst Legion ist –, denen ihre Obrigkeit eben gerade nicht durchsetzungsfähig genug ist im Umgang mit für als unzumutbar befundenem, weil nicht dazugehörigem Fremdvolk nicht ganz auszuschließen ist; und jedenfalls mental permanent auf der Lauer liegt. So selten es dennoch, gemessen an deren zumeist gewaltschwangeren-nationalen und fremdenfeindlichen Statements – „Patriotismus ist die Tugend der Bösartigen“ (Sean Connery in The Rock- Fels der Entscheidung) –, selbst in diesen Sphären geistiger Mediokrität und intellektueller Verwahrlosung zu geschehen pflegt.

 

Zu der Schopenhauer, der Vornehm-Rüpelhafte, um den es in dieser Serie gehen soll, ganz sicher nicht zu zählen ist. Der eigentlich nur von einem in seiner Jugend, und zwar mit unverstelltem Wohlwollen, zur Kenntnis genommen worden ist. Die Rede ist von Johann Wolfgang Goethe. Und dem die nicht gerade häufige ‚Ehre‘ zuteilgeworden ist, dass sein Werk auch noch zweihundert Jahre später in einem weithin bekannten Verlag bei Bedarf immer wieder Neuauflagen erlebt. Das letzte Mal im Jahr 2019. Wovon er sich zu Lebzeiten freilich im auch übertragenen Sinne nichts hat kaufen können.

 

Was weiß der gebildete Laie von Schopenhauer? Also dessen Lehre. Vermutlich dieses hier. Sein Hauptwerk – übrigens die voluminöse Arbeit eines noch ganz jungen Mannes – Die Welt als Wille und Vorstellung untergliedert sich in vier Teile. Wobei, eine kleine Randnotiz, erwähnenswert ist, dass der Titel eine andere Reihenfolge impliziert als die Durchführung sie dann tatsächlich bietet. Denn Schopenhauer beginnt mit der – theoretischen – Vorstellung und stößt erst anschließend zum Eigentlichen, dem – praktischen – Willen durch. Vermutlich deswegen, weil dasjenige, worauf es letztendlich ankommt, also das Eigentliche des Dings an sich des Weltwillens, auch im Titel an die erste Stelle gehört. Er ist das Erste der Sache nach, das Folgende lediglich unter dem Gesichtspunkt des Durchstoßens vom Uneigentlichen der Oberflächenbetrachtung zur alles tragenden Tiefendimension.

 

Die Vorstellungswelt ist, wie der Name bereits sagt, von lediglich subjektiver Qualität. Das stets wahrnehmungsgestützte und von der Raum-Zeitanschauung unterlegte (kausale) Erkennen ist lediglich mit dem Unwesentlichen einer Schein- oder Erscheinungswelt – was, anders als für Kant, für Schopenhauer dasselbe ist – befasst; bekannt ist in diesem Kontext der häufige auftretende Ausdruck von dem Schleier der Maja. – Das Eigentliche, das Substantielle, das von Kant als unerkennbar qualifizierte Ding an sich ist das im Untergrund Gärende und bewusstlos, ziellos Treibende des instinktiven Willens (zum Leben), der sich beispielsweise auch in der Schwerkraft ganz genauso wie im Geschlechtstrieb (!) manifestieren soll. – Dem dunklen Drang des unersättlichen Willens, der der Un-Grund von schlechterdings allem, und vor dem entsprechend kein Entkommen ist, ist allerdings ein ‚Schnippchen‘ zu schlagen. Und zwar dadurch, dass das Subjekt den zugrundeliegenden Welt-Willen zunächst als auch sein innerstes Wesen erkennt und sich – hellsichtig geworden in seinem und durch sein Mitleid für die in ihrer Ziellosigkeit unendlich-sinnlos getriebene Kreatur, die er selbst ist („‚Tat tvam asi‘ das heißt: ‚Dieses Lebende bist du.‘“ Die Welt als Wille und Vorstellung I, a.a.O., S. 311) – von ihm abwendet. Was auf zweierlei Art geschehen kann. Zum einen dadurch, dass es, allerdings bloß für einen kurzen Zeitraum der Kontemplation, im Genuss der – vor allem musikalischen – Kunst sein Getriebensein überwindet. – Zum anderen dadurch, dass es den irrationalen Weltwillen in seiner durch nichts zu befriedigenden Rast- und Ruhelosigkeit – er kennt „kein letztes Ziel des Strebens, also kein Maß und Ziel des Leidens“ (A.a.O., S. 425) – verneint. Die „Erkenntnis des Ganzen, des Wesens der Dinge an sich (wird, F.-P.H.) zum Quietiv alles und jedes Wollens. Der Wille (da er sich in seiner grundlosen und nie zu stillenden Triebhaftigkeit, ein einziges schauderhaftes Umsonst des Immer-weiter-so, erkennt, F.-P.H.) wendet sich nunmehr vom Leben ab: ihm schaudert jetzt vor dessen Genüssen, in denen er die Bejahung desselben erkennt. Der Mensch gelangt zum Zustande der freiwilligen Entsagung, der Resignation, der wahren (und nicht bloß, wie im Kunstgenuss, der vorübergehenden, F.-P.H.) Gelassenheit und gänzlichen Willenslosigkeit (sic!).“ (A.a.O., S. 515)

 

Das alles dürfte mehr oder weniger bekannt sein. Ich aber will in diesem Vierteiler auf Pfaden wandeln, die Seiten an Schopenhauers Gedankenwelt entdecken lassen, die manch Überraschendes bereithalten. Weil den im Nebenher angesiedelten Gedankengängen, da das Augenmerk üblicherweise auf die Kernthesen gerichtet ist, leicht das Schicksal widerfährt, überlesen zu werden.

In medias res also, wobei ich von vorne nach hinten das Hauptwerk durchstöbern werde.

 

Arthur Schopenhauer F J Schäfer 1859Es geht gegen den Realismus. Der Sensualismus des esse est percipi – „Die Welt ist meine Vorstellung“, so lautet der erste Satz des Hauptteils (A.a.O., S. 31) – steht bei Schopenhauer hoch im Kurs. Seine Gewährsleute sind Malebranche, Berkeley (vgl. a.a.O., S. 21, 573 u. passim), vor allem aber – fälschlicherweise – der als hundertprozentiger Idealist missverstandene (vgl. beispielsweise a.a.O., S. 586 f.) Kant. Denn Kants durch den theoretischen Intellekt zu erkennende Erscheinungswelt ist, anders als für Schopenhauer, nicht gleichbedeutend mit einer Welt des Scheins, die die Welt des Schleiers der Maja ist; nichts weiter als ein „bestand- und wesenloser Traum“. (A.a.O., S. 574) Sondern sie ist für den Königsberger Philosophen die Welt der in Form wissenschaftlicher Urteile in ihrer Gesetzmäßigkeit, d. i. begriffenen Notwendigkeit, zu bestimmenden Erfahrung. Die Welt des sinnlich Wahrnehmbaren ist auch und ausschließlich die Welt des wissenschaftlich Begründbaren. Und damit ist sie keine Welt der bloß subjektiven Vorstellung („kein Objekt ohne Subjekt“, a.a.O., S. 586), die „keine Sonne kennt und keine Erde; sondern immer nur ein Auge, das eine Sonne sieht, eine Hand, die eine Erde fühlt; daß die Welt, welche ihn umgibt, nur als Vorstellung da ist, d. h. durchweg nur in Beziehung auf ein anderes, das Vorstellende, welches er selbst ist.“ (A.a.O., S. 31) Das Ding an sich hingegen, das Schopenhauer der Weltwille war und ist, ist nach Kant, erstens, unerkennbar – und zwar seiner sinnlich nicht zu verifizierenden Transzendenz wegen – und, zweitens, nur in seinem – moralischen – Postulatscharakter von ausschließlich praktischer Relevanz.

 

Das muss einleitend kritisch vermerkt werden, nicht zuletzt, weil Schopenhauer am Ende des ersten Bandes in einem Anhang auf gut 150 Seiten eine Kritik der Kantischen Philosophie abgeliefert hat, die einer genauen Überprüfung nicht standhält. Ich sag es noch einmal: Kant war kein waschechter Idealist, sondern verstand sich, im theoretischen Bereich, als einen empirischen Realisten, der das Ding an sich-Problem – der permanente Stein des Anstoßes für Idealisten, Sensualisten und Skeptiker – in den praktischen Bereich der Moralphilosophie transferiert hat und dem es eines ganz gewiss nicht war: der rast- und ziellos antreibende, wüst gärende Weltwille. (Vgl. u.a. a.a.O., S. 675)

 

Das muss – im Sinne einer Grundkorrektur und Richtigstellung – reichen. Denn im Folgenden geht es um den geistreich-witzigen Schopenhauer, der darüber hinaus mit einem an Ernst Bloch gemahnenden antizipierenden Bewusstsein begabt war. Wie folgendem Beispiel aus dem Kapitel Kritik der Kantischen Philosophie zu entnehmen ist; so dass ich doch – zunächst – das Pferd von hinten her aufzäume…

 

Schleiermacher gilt als der Begründer moderner Hermeneutik. Was das ist und woran sie scheitert (sie ist das sich unentwegt selbst thematisierende Scheitern, das Scheitern als Verlaufsform), bitte ich dem letzten, also dem siebten, Teil meiner hier erschienenen Bloch-Serie zu entnehmen. Den ungewollt komischen Kern dieses alles nivellierenden Vereinnahmungswahns, der, bei Licht besehen, nichts vereinnahmt, sondern sich, wie besonders schön an Heidegger zu studieren ist, in einem Zirkel des Mit-sich-selbst-Gleichen bewegt, hat aber bereits Schopenhauer persiflierend auf den Punkt gebracht.

 

Zuvor aber, zwecks Einstimmung, ein denn doch verblüffendes, weil ganz und gar nicht zu erwartendes gedankliches Schlaglicht auf Heideggers existenzialontologische „-heiten“ und „-keiten“: Dem Guten, dem Wahren und dem Schönen kann man nämlich versucht sein, dadurch noch mehr an Eigengewicht aufzubürden, dass man, wie es dann Heideggers an Monotonie nicht zu überbietende Manier gewesen ist, „durch ein angehängtes ‚heit‘, das heutzutage (?!, F.-P.H.) eine besondere Feierlichkeit haben und dadurch in mehreren Fällen aushelfen soll, und durch eine feierliche Miene glauben“ macht, man hätte „durch Aussprechung solcher drei Worte mehr getan, als drei sehr weite und abstrakte, folglich gar nicht inhaltreiche Begriffe zu bezeichnen…“ (A.a.O., S. 491), die durch die „-heiten“ und „-keiten“, sofern das überhaupt möglich ist, noch um ein Stockwerk höher in die Abstraktheitserhabenheit gehievt worden sind, bzw. gehievt worden sein sollen. Da doch, erneut zusammen mit Schopenhauer, darauf zu antworten ist, dass ein „absolutes Gut …ein Widerspruch“ ist, da „jedes Gute wesentlich relativ“ ist. (A.a.O., S. 493)

 

Es geht in der Hermeneutik stets auch um einen Rückgriff auf die Historie, also das zentrale Thema der Geschichtswissenschaft. Wirklich?, fragt Schopenhauer. Und seine Antwort ist ein ganz entschiedenes, mit einem Augenzwinkern unterlegtes, nein! Ganz und gar nicht! Wieso? Weil es einen Zweig der Historiografie – eben den hermeneutischen – gibt, in dem das Ehedem dem je eigenen Anliegen anbequemt wird. Und das kann schließlich, der methodischen Vorgabe gemäß, jeder mit jedem machen. Es handelt sich also um ein parteiliches Denken, das sich selbst allenthalben in dem ganz Anderen, das in Wahrheit es selbst (oder auch nicht) ist, wiedergefunden haben will. Der Maßstab, an dem gemessen werden soll, befindet sich als fraglos gültiger jenseits des überhaupt Diskutierbaren. Und das gilt für schlechterdings jeden frei wählbaren und je nach Interessenslage gültig sein sollenden Maßstab. Und mit ihm wird, absolut unkritisch, gemessen und das Disparateste für gut – da konform – oder, gegebenenfalls, für schlecht – ergo nicht-konform – befunden; weil es mit dem freilich nichts, weil immer bloß sich selbst, messenden Maßstab nicht übereinkommt.

 

Um also das (Nicht-) Übereinstimmen des Gewesenen mit dem Gegenwärtigen als fundiert nachzuweisen, „wäre die historische Untersuchung zu Hülfe zu nehmen und zu erforschen, ob die alten und die nichteuropäischen Völker, besonders die hindostanischen und viele der ältesten griechischen Philosophen auch wirklich zu jenen Begriffen gelangt seien.“ Das wäre redlich und der Wahrheitsfindung förderlich. Und es wäre das Gegenteil der parteilichen Vorab-Identifizierung des in Wahrheit Inkommensurablen, das als identisch supponiert wird, weil es das Identische, komme was wolle, sein soll. – Schopenhauer, und jetzt wird es humorig-geistreich, fährt fort: „oder ob bloß wir, zu gutmütig (Achtung, eine kursivierte Ironie!, damit es auch der unaufmerksamste Leser merkt, F.-P.H.), sie ihnen zuzuschreiben, so wie die Griechen überall ihre Götter wiederfanden, indem wir ganz fälschlich das Brahm der Hindu und das Tien der Chinesen mit ‚Gott‘ übersetzen; ob nicht vielmehr der eigentliche Theismus allein in der jüdischen und den beiden aus ihr hervorgegangenen Religionen zu finden sei, deren Bekenner gerade deshalb die Anhänger aller anderen Religionen auf Erden (im Sinne der zu verwerfenden, pauschal alles auf einen Leisten des Nicht-Genehmen spannenden, (Nicht-) Identifizierung, F.-P.H.) unter dem Namen Heiden zusammenfassen – einem, beiläufig gesagt, höchst einfältigen und rohen Ausdruck, der wenigstens aus den Schriften der Gelehrten verbannt sein sollte, weil er Brahmanisten, Buddhaisten, Ägypter, Griechen, Römer, Germanen, Gallier, Irokesen, Patagonier, Karaiben, Otaheiter, Australier u.a.m. (in denunziatorischer Absicht, F.-P.H.) identifiziert und in einen Sack steckt. Für (voreingenommene!, F.-P.H.) Pfaffen ist ein solcher Ausdruck passend: in der gelehrten Welt aber muß ihm sogleich die Türe gewiesen werden, er kann nach England reisen und sich in Oxford niederlassen (also bei den „Spaßphilosophen der Universitäten“, a.a.O., S. 684).“ (A.a.O., S. 653; vgl. auch a.a.O., S. 686, vor allem die Anmerkung)

 

Wie gesagt: so geht das Geistreiche eines Humors, dem, seiner Leichtigkeit zum Trotz, unschwer anzumerken ist, dass dem um Aufklärung bemühten Schreiber das Lachen längst vergangen ist. Weil gegen habituell gewordene Dummheit leider kein noch so heiteres Kraut gewachsen ist.

Und was das oben namhaft gemachte antizipierende Bewusstsein betrifft, so hat es darüber hinaus noch einen weiteren Adressaten gefunden, der über hundert Jahre später alles in der methodischen Willkür seiner Sprachspielspätphilosophie ersäuft hat, wenn er die Behauptung aufgestellt hat, der Mensch spreche unentwegt Worte, ohne, zum einen, deren Bedeutung zu kennen, die sich, zum anderen, erst im jeweiligen Gebrauch einstellen würde. „Unsere Vorfahren haben nicht die Worte, ohne ihnen einen bestimmten Sinn beizulegen, gemacht, etwan (Achtung: Ironie, F.-P.H.) damit sie bereitlägen für Philosophen, die nach Jahrhunderten kommen und bestimmen möchten, was dabei zu denken sein sollte; sondern sie bezeichneten damit ganz bestimmte Begriffe. Die Worte sind also nicht mehr herrenlos, und ihnen einen ganz anderen Sinn unterlegen, als den sie bisher gehabt, heißt sie mißbrauchen, heißt eine Lizenz einführen, nach der jeder jedes Wort in beliebigem Sinn gebrauchen könnte, wodurch grenzenlose Verwirrung entstehn müßte.“ (A.a.O., S. 697)

 

Wittgenstein, ick hör dia trappsen. – Ein selbstreferentieller Lektüretipp wird hoffentlich keinen Anstoß erregen… Ich rate also, diesen ersten Teil beschließend, dazu, meine beiden bei Königshausen & Neumann erschienenen und nicht weniger humorvoll-sarkastisch-respektlosen Wittgenstein-Dekompositionsbände und die vom selben Verlag bereitgestellte Heidegger-Dekomposition zu konsultieren.

 


Bildnachweis:
- Wilhelm Busch: (1832-1908): Arthur Schopenhauer-Karikatur, um 1908. Quelle: Universitätsbibliothek J.C. Senftenberg, Frankfurt/M. (gemeinfrei)

- Portrait Arthur Schopenhauer, 1959, F: Johann Schäfer. Quelle: Universitätsbibliothek J.C. Senftenberg, Frankfurt/M. (gemeinfrei)

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