Das Beethoven Jahr, das kaum stattfand, ist zu Ende – in der Gesamtaufnahme seiner Streichquartette durch das Kuss Quartett hallt es nach.
Es war ein ganz besonderer Sommer im niedersächsischen Hitzacker an der Elbe: 2019 spielte der Intendant der Sommerlichen Musiktage, der Violinist Oliver Wille, mit dem Kuss Quartett – seinem Ensemble – alle Streichquartette von Ludwig van Beethoven (1770-1827), von denen die meisten 2018 bei den Sommerlichen Musiktagen in der an der früheren Grenze zur DDR gelegenen Kleinstadt interpretiert hatten, in Tokyo – in der Suntory Hall, einer der ganz großen, wenn nicht DIE große Konzerthalle dort.
Auch diese Auftritte hallen nach: Die Konzerte mit den – je nach Zählung 16 oder 17 – Streichquartetten Beethovens wurden aufgenommen, schon im Frühjahr 2020 ist eine Box mit acht CDs erschienen. Eingespielt auf vier Stradivari-Instrumenten, die einst dem berühmten Geiger Niccolo Paganini (1782-1840) gehört haben.
Entstanden ist eine Produktion, deren Verbindung von Feinsinnigkeit und Energie sie rückblickend zu einem Höhepunkt des Beethoven-Jahres 2020 macht – und die die Musik des Komponisten aussagekräftiger in die Gegenwart stellt als nicht wenige der umständehalber auf die virtuelle Welt reduzierten Events. Wenn schon kein Konzert, dann doch lieber eine gut produzierte Aufnahme wie diese beim Label Rubicon als die nicht selten eher improvisiert wirkenden, immer aber die Musik dem Optischen unterwerfenden Internet-Konzertformate. Jedenfalls solange es nicht um musiktheatralische Formen geht. Was nicht als Plädoyer gegen visuelle Erweiterung absoluter Musik zu verstehen ist, aber als eines für Vorsicht dabei. Wie schmal der Grat ist, auf dem dabei gewandert wird, hatte 2018 auch dass Kuss-Quartett demonstriert, als es als ersten Teil seines „Force & Freedom-Projekts“ mit der Berliner „Compagnie Nico and the Navigators“ das F-Dur-Quartett (Op.135) interpretierte. Ohne die Bühnenpräsenz der Musik wäre sie Gefahr gelaufen, unter den Bildern zu verschwinden.
Dieser und die anderen Auftritte vor zweieinhalb Jahren in Hitzacker gehörten zur Vorbereitung der Konzerte in Tokio. Deren Aufnahme auch durch eine während des Beethoven-Sommers dort entstandene Crowdfunding-Initiative möglich wurde. „Viele waren begeistert, gerade nachdem sie beim Festival die Quartette am Stück gehört hatten“, erinnert sich die Initiatorin aus Potsdam – diese „Welle der Begeisterung war ein Moment, den man ergreifen muss, dachte ich mir“.
Das Ergebnis lohnt es. Da ist Vielschichtigkeit, Klarheit und Tiefe des Tons, da sind dessen zarte und zarteste Schattierungen. Selbst passionierte Quartetthörer werden einen so subtil strahlenden Ton nur selten erleben wie den, den die vier „Paganini-Stradivaris“ ermöglichen. Ein Ton, den einzufangen der Aufnahme präzise und mit Blick für auch kleinste Details gelingt. Ein kleines Manko kann man allenfalls darin sehen, dass die Live-Atmosphäre ausschließlich durch Beifall eingefangen ist.
„Man muss beim Spielen viel hineingeben, bekommt dann aber mehr zurück, als man denkt“, sagt Oliver Wille über die Stradivari-Instrumente. Das haben er und seine Kollegen Jana Kuss (Violine), William Coleman (Viola) und Mikayel Hakhnazaryan (Violoncello) getan. Sie spielen mit außerordentlicher Lebendigkeit, mit feinfühligem Gespür für die feinen und feinsten Nuancen sowohl der Textur der Werke als auch des Klangs der Instrumente und – last but not least – der Bezüge unter den einzelnen Kompositionen, zwischen deren Entstehen Jahre liegen. Das Ensemble spielt hörbar seine spontane Offenheit für die Impulse, die von der Musik des jungen wie des späten Beethoven ausgehen, folgt denen des Frühwerks bei ihrer Entwicklung durch die Zeit – nicht, indem es das eine dem anderen angleicht, sondern indem es die untergründigen Gemeinsamkeiten verdichtet. Wozu natürlich die Konzentration des in zwei Wochen eingespielten Zyklus beiträgt – zwei Wochen Leben in der Musik, die auf der CD auf rund zehn Stunden destilliert sind. Das alles schafft eine hinreißende Gegenwärtigkeit dieser Musik, sei es bei der mit forciertem Tempo und dennoch mit luzider Beweglichkeit und ohne Überzeichnung gespielten „Große Fuge“, sei es beim klangsinnlich-berührenden Adagio molto e mesto des ersten der Rasumowsky-Quartette – zwei Beispielsätze von insgesamt 66. Das ist Musik für die Gegenwart.
Musik, so der kürzlich verstorbene britische Philosoph Sir Roger Sutton sei eine „aurale Geste“, die „sich niemals selbst verrät“ und die „dem Hörer einen Augenblick menschlicher Integrität präsentiert, in dem das Leben in einem zeitlosen Augenblick konzentriert ist.“ Diese Aufnahme macht das nun erlebbar.
Kuss Quartett: „Beethoven – The String Quartets“
Rubicon Classics
Acht CDs, DDD/LA, RCD1045
2019
EAN: 5065002149442
YouTube-Video:
Kuss Quartet · Beethoven: String Quartet op.132 - III. "Heiliger Dankgesang" (17:09)
Abbildungsnachweis:
CD-Cover
Kuss-Quartett in Hitzacker. Foto: Thomas Janssen
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