Itzhak Perlman: The complete Warner Recordings
- Geschrieben von Hans-Juergen Fink -
Itzhak Perlman, Violin-Weltstar aus Tel Aviv, wird von Warner mit einer 77-CD-Box geehrt. Großes Teile des Konzertrepertoires, Kammermusik, Salon-Spielereien sowie Ausflüge in den Jazz und in die Welt der Klezmer-Klänge. Digital aufpoliert und opulent verpackt. Ein Muss für alle Verehrer seines goldenen Geigentons.
Diese unbedingte Hingabe an den schönen, klaren, dabei hochemotionalen und seelenvollen Geigenton, der von innen zu leuchten scheint – das ist Itzhak Perlman. Das kräftige Zupacken, das beherzte Hinlangen, nicht akademisch Kränkelnde auch. Wie er überhaupt den großen harmonischen Klang mehr schätzt als die Suche nach Brüchen, Zweifeln und Untiefen in der Musik, die ihm unter die Finger kommt. Er spannt einen großen goldenen Klangbogen, über tiefgängige Konzerte ebenso wie über kleine Spielereien. Irrwitzige Technik, leichtgängig und selbstverständlich bis zur Zauberei. Die Freude am Spielen, am Ausprobieren, an den Nebenpfaden des Violinrepertoires – all das ist Itzhak Perlman. Er ist einer der letzten Großen, noch aus einer Generation, in der Violinsolisten nahezu durchgängig Männer waren, sieht man von der deutschen Hoffnungsträgerin Edith Peinemann (Jahrgang 1937) ab, die es früh ins internationale Konzertbusiness schaffte.
Itzhak Perlman, der Ende August 2015 seinen 70. Geburtstag feiern konnte, findet nun einen großen Teil seiner Aufnahmen wieder in einer stabilen, repräsentativen, ja fast ultimativen Box, die auch in größeren CD-Regalen als Monolith heraussticht. In ihr ist der versammelt, was Perlman für jene Record Companies auf Tonträgern festgehalten hat, die inzwischen zu Warner gehören: EMI, Teldec, Erato.
Natürlich wurden die alten analogen Aufnahmen in den Abbey Road Studios vorsichtig in die digitale Waschmaschine gesteckt, also behutsam remastered, was ihrer Tonqualität erheblich zugute kommt in puncto Präsenz und Klarheit und Störungsfreiheit. Ein Verfahren, das Warner schon bei der Neuedition der Callas-Studioaufnahmen mit grandiosem Effekt angewendet hat.
Dazu gibt es ein dreisprachiges Buch mit einer fast kompletten Discographie aller Perlman-Aufnahmen, auch der, die bei der Konkurrenz erschienen sind. Insgesamt hat Perlman an die 550 Stücke von 110 Komponisten eingespielt. Dazu viele bisher unveröffentlichte Fotos, eine aktuelles Interview mit dem Künstler, biographische Notizen und Glückwünsche von Kollegen wie Daniel Barenboim, Frank Peter Zimmermann, Maxim Vengerov, Vadim Repin, Vladimir Ashkenazy und David Garrett. Die Deutsche Grammophon hat eine 25-CD-Box herausgebracht, in deren Zentrum die kompletten Mozart- und Beethoven-Violinsonaten stehen sowie Mozarts Violinkonzerte.
Bei Warner sind es 58 Alben mit 77 CDs, die CD-Covers liebevoll in Anlehnung an die originale Veröffentlichung gestaltet, jedes mit einem kleinen Begleitheft. Bei einem Verkaufspreis um die 200 Euro kostet jede CD jede nicht mal drei Euro kostet – es ist fast beschämend wenig dafür, sich ein sattes Stück der gewaltigen Lebensleistung eines solchen Künstlers nach Hause zu holen. Eine Lebensleistung, die umso größer wirkt, wenn man weiß, dass Perlman – geboren im August 1945 in Tel Aviv in eine Familie mit polnischem Ursprung – mit vier Jahren Kinderlähmung bekam. Und seither auf Gehhilfen angewiesen ist. Geige spielen kann er nur im Sitzen. War das Geigen, das intensive Lernen des Instruments, das er mit fünf Jahren zum ersten Mal in der Hand hielt, seine trotzige Reaktion auf diesen Schicksalsschlag?
Ein Star von der Carnegie Hall bis zur „Sesamstraße“
Mit zehn Jahren entdeckte ihn Isaac Stern, 35 Jahre älter als Perlman – ein Geiger, mit dem er heute in einem Atemzug genannt, genau wie mit Nathan Milstein, Yehudi Menuhin, David Oistrach oder dem etwa gleichaltrigen Pinchas Zukerman. Von Stern bekam er den Rat, in den USA weiterzulernen. Er studierte an der New Yorker Juilliard School, gewinnt 1964 einen wichtigen Wettbewerb und erhält die die Chance, mit den großen amerikanischen Orchestern zu konzertieren.
Gleichzeitig profitiert Perlman von seiner Herzlichkeit und seinem Humor, wenn es um Medienpräsenz geht. Er ist früh ein Star auch vor den Kameras, wird mit 13 von Ed Sullivan in dessen Fernsehshow eingeladen, hat später keine Berührungsängste, in der „Sesamstraße“ aufzutreten. Er hat Filmmusik gespielt, auch in „Schindlers Liste“. Ist immer gern gesehener Gast in vielen Talkshows. Und spielte 2009 zur Amtseinführung von Präsident Barack Obama.
Sein weitgespanntes Repertoire wird mit Aufnahmen aus den Jahren 1971 bis 2002 in der Warner-Schatzkiste gut abgebildet: Es reicht vom Barock bis ins Heute, mit einem klaren Schwerpunkt auf der Romantik. Bach ist mit seinen Violinkonzerten vertreten, denen die Klarheit und der volle, sämig-warme Ton Perlmans gut bekommt. Die Solo-Sonaten und -Partiten ebenfalls, in die er einen unaufdringlich analytischen Blick mischt, ohne dass sein Zugriff deswegen weniger musikantisch wäre. Wobei Perlmans Barockauffassung natürlich aus einer Zeit vor dem Aufkommen der historisch informierten Interpretationen stammt. Aber Maurice André, befragt nach Barocktrompeten, sagte auch einmal: „Kann man machen. Aber warum soll ich eine Ente fahren, wenn ich einen Ferrari haben kann?“
Mendelssohns Violinkonzert ist gleich dreimal vertreten, Vivaldis „Vier Jahreszeiten“ zweimal vertreten, was nicht notgetan hätte, aber wohl dem Konzept der Box geschuldet ist: „The complete Warner Recordings“. Ähnlich geht es dem Beethoven-Violinkonzert, dem ersten von Max Bruch und denen von Tschaikowsy und Johannes Brahms.
Auf 77 CDs ein Who-is-who der Violin-Komponisten
Das von Tschaikowsky, aber leider nicht in Perlmans allererster Plattenaufnahme. Dazu kommen Violinkonzerte von Strawinsky, Vieuxtemps, Sibelius, Prokofieff, der erste von Shostakovich, Khatchaturian, Dvorak, Bartok, Wieniawski, Glazunov, Castelnuovo-Tedesco und Ben-Haim, Mozart, Korngold und Goldmark, das Doppelkonzert von Brahms, das Triplekonzert von Beethoven. Ein „Who is who“ der Violin-Komponisten. An Zeitgenossen sind immerhin die Konzerte von Earl Kim und Robert Starer an Bord – ein Entdecker sei Perlman nicht, heißt es, eher ein „Tempelwächter“ des Geigen-Olymps.
Fritz Kreisler ist mit etlichen CDs vertreten, und es schein, als sei der spätromantische Alles-Arrangierer und -geiger ein enger Herzensverwandter von Perlman – zu hübsch die Stücke, bei denen es manchmal so klingt, als hätten sich Schubert, Paganini und eine Handvoll anderer Komponisten in Wien beim Heurigen getroffen und es so richtig schön schmalzen lassen – auf allerhöchstem Niveau, versteht sich.
Große Musik, spirituelle Bereiche berührend, findet sich auf den Trio-CDs: Beethovens Streich-Trios in der Aufnahme mit Pinchas Zukerman (Viola) und Lynn Harrell (Cello). Dichter und intensiver kann man das kaum mehr spielen. Sternstunden, das kann mit den legendären Quartettaufnahmen des Busch-Quartetts konkurrieren. So wie Beethovens Klaviertrios. Und die von Brahms und Tschaikowsky. Die Brahms-Sonaten mit Andre Prévin am Klavier, und Beethovens Kreutzer-Sonate begleitet von Martha Argerich.
Spannend wird es, wenn sich Perlman auf die kleinen Nebenwege des großen Repertoires begibt: 1974, lange vor Hilary Hahn hat er schon zwei CDs mit dem Titel „Encores“ mit seinen Zugaben aufgenommen – allerliebste musikalische Pralinenkästchen. Das Häppchen-Prinzip funktioniert auch mit „Bits and Pieces“ von Corelli bis Fauré und Gershwin, oder sie werden „À la carte“ serviert französisch-russisch, garniert mit Sarasate und abgeschmeckt mit etwas Kreisler.
1975 machten seine Ragtimes von Scott Joplin Furore
Keine Berührungsängste. Das gilt auch für den Jazz. 1994 nimmt er eine CD mit Oscar Peterson auf – Jazz-Klassiker von Weill, Gershwin, Irving Berlin, Franz Léhar und anderen (leider nicht in der Box). Schon 1975 hatte seine hübsche CD mit Scott-Joplin-Ragtimes Furore gemacht, die er mit André Previn einspielte (ist zum Glück dabei).
Er macht CDs mit verkaufsträchtigen Titeln wie „The Spanish Album“ von de Falla und Granados bis Sarasate. Oder sein „American Album“ mit Werken von Bernstein, Barber und Foss. Der Jazz-Liebhaber Perlman nimmt mit André Previn zwei Jazz-Alben auf: „A different kind of blues“ und „It’s a breeze“ – die Stücke stammen aus Previns Feder. Eine andere wunderbare Facette sind die drei CDs mit aus dem jüdischen Kulturkreis, gespielt mit Orchester und diversen Klezmer-Gruppen – ein spannende Klangreise, diese CDs gehören zu den Favoriten des Rezensenten.
Eine gute Figur macht Perlman auch als Erzähler im „Karneval der Tiere“ von Saint-Saëns und in Prokofieffs „Peter und der Wolf“. Auf dieser CD ist er dann auch mit seinem wohl kürzesten und skurrilsten Auftritt zu hören: als singender Kerkermeister in Puccinis „Tosca“ neben so großen Stimmen wie der seines Freundes Placido Domingo und der von Renata Sotto.
Das absolute Highlight für jeden „Geigen-Maniac“ ist aber seine Aufnahme der 24 Capricen op.1 von Niccolo Paganini. Technische Höchstschwierigkeiten aller Sorten – alles, was durch Streichen, Zupfen und akrobatischer Finger- und Bogentechnik auf dem Instrument machbar ist und was meistens so klingt, dass man die Anstrengung des Spielens gleich mithört – bei Perlman wird das so überlegen leichtfingrig vorgeführt – kein Hauch von Schwierigkeit ist zu hören, er entfaltet – weit über den vertrackten Anforderungen der Noten stehend – die Schönheit der Musik, die auch in diesen 24 Violinminiaturen steckt, die den ganzen Kosmos vorführen, den das Instrument überhaupt beschreiten kann. Ein solistisches Kabinettstück aus dem Jahr 1972. Absolut hinreißend!
Apropos Instrument: Eine Guarneri del Gesù von 1743 war sein erstes Lieblingsinstrument, mit der auch einige Aufnahmen einspielte (und von der er sich unlängst getrennt hat). 1986 erwarb er dann von Yehudi Menuhin die „Soil“-Stradivari von aus dem Jahr 1714, auf der er heute zumeist spielt. „Für mich sind Bordeaux und Burgunder vergleichbar mit Guarneri und Stradivari! Ich liebe beides.“
Den Gewinn dieser doppelten Liebe hat im Fall dieses opulenten Musik-Pakets der Hörer, der in dieser Schatzkiste Wochen und Monate lang kramen kann und immer wieder neue Kostbarkeiten entdeckt.
Itzhak Perlman: The complete Warner Recordings
77 CDs und Hard-Cover-Begleitbuch.
Label: Warner Classics.
YouTube-Video:
Itzhak Perlman, violin: The Complete Warner Recordings, 70th birthday tribute (engl.)
Abbildungsnachweis:
Header: Itzhak Perlman 2013 in Berlin Foto: Warner Classics, Peter Adamik
CD-Box
Kommentar verfassen
(Ich bin damit einverstanden, dass mein Beitrag veröffentlicht wird. Mein Name und Text werden mit Datum/Uhrzeit für jeden lesbar. Mehr Infos: Datenschutz)
Kommentare powered by CComment