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Nicht enden wollende kulturpolitische und finanzielle Diskussionen um die Elbphilharmonie, die Museumsstiftungen und die Zukunft von kulturellen Instituitionen per se verleihen dieser aktuellen Bucherscheinung besondere Brisanz:Â Der Buchtitel „Der Geist der Palmaille“ fokussiert eine der Hamburger Prachtstraßen in Altona, nämlich die Palmaille. Diesen Namen, so erfährt der Leser in der „Chronologie einer ehemaligen Stadt“ – mit der Altona gemeint ist – im Unterkapitel über den dänischen Architekten Christian Frederik Hansen, verdankt die Palmaille dem „Pallamaglio-Spiel“, einem von mehreren, seit der Renaissance an den europäischen Fürstenhöfen und bei der wohlhabenden Bürgerschaft beliebten Ballspiele. Schon in den Werken Shakespeares soll eine Vorform des heutigen Tennis und Boccias oft und gerne gespielt worden sein, die sich seit Mitte des 14. Jahrhunderts von Italien aus über Frankreich und Holland bis hin nach England verbreitet hatte.

1638 bis 1639 legte der letzte Graf von Holstein-Schauenburg Otto VI. (oftmals in der Literatur auch als Otto der V. bezeichnet) mitten im Dreißigjährigen Krieg, nachdem Altona jahrelangen Plünderungen, Brandstiftungen und der Pest ausgesetzt gewesen war, einen 800 Meter langen, verbreiterten Weg als Übungsstätte für das Spiel mit der palla a maglio (= Kugel mit Hammer) an, bepflanzte diesen mit 400 Lindenbäumen in vier Reihen und ebnete dazwischen drei Bahnen, um darauf Pallamaglio-Wettkämpfe auszutragen: Die „Palmaille“ war geboren. Dabei wurde mit einem hölzernen Hammer eine Kugel die Spielbahn entlang getrieben und von beiden gegnerischen Parteien zum Sieg durch das jeweils entgegengesetzte Ziel gestoßen, das aus einem Bogen am Ende der Bahn bestand. Der Popularität dieser Palmaille-Spielaustragungen ist es zu verdanken, dass rund zwanzig Jahre nach dem Tod des Grafen die Altonaer 1664 das Symbol eines „offenen Tors“ zum städtischen Wappen wählten.
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Doch dazu gleich mehr. Zunächst erklärt Ruth Pinnau (1924-2010) in ihrem Vorwort, das in der Erstausgabe vom Geist der Palmaille aus dem Jahr 1997 abgedruckt ist, ihre persönliche Verbundenheit zu Altona und deren beeindruckend fassadenreichen Promenade dadurch, dass hier ihr Ehemann Caesar Pinnau im ehemaligen Privathaus des dänischen Architekten Christian Frederik Hansen in der Palmaille Nr. 116 sein Archtitekturatelier eingerichtet hatte. Beide Männer sieht sie als Repräsentanten des glanzvollen, widerständigen „Geistes der Palmaille“ an, den sie sich in ihrem Buch mittels einer Darstellungstechnik, die man als „erzählte Geschichte“ bezeichnen könnte, zu porträtieren vornimmt: Menschen dieser Gesinnung handeln oft „gegen den Zeitgeist“ und „aus innerer Einsicht heraus“, wie sie damals schreibt.

Über ein Jahr nach Ruth Pinnaus Ableben erscheint ihr Buch nun in drittter, überarbeiteter Auflage. Die sehr individuelle Form der Mikrogeschichte, die Pinnau, ganz auf die Palmaille und Altona konzentriert, vorlegt, besticht nicht nur durch die breit gefächerte Perspektive der studierten Kunsthistorikerin, Archäologin und Soziologin. Die Hamburger Autorin beweist darin vielmehr – für eine Akademikerin eher unüblich – Mut zur Subjektivität. So entsteht durch ihren gefilterten Blick auf die Vergangenheit ein Straßen-, ja Stadtteilporträt, das die wichtigsten Kulturströmungen der deutschen Makrogeschichte reflektiert. Ihr Text versteht sich als das kommentierte kulturelle Gedächtnis einer Allee, der die beiden Dänen Christian Frederik Hansen und sein Neffe Johann Matthias Hansen einst durch klassizistische, sich an einem Andrea Palladio inspirierende Gebäude das Erscheinungsbild einer Pariser Champs-Elysées verliehen und die im heutigen Durchgangsverkehr zwischen Hamburger Hafen und dem Autobahnkreuz Hamburg-Othmarschen in seiner traditionellen „geistigen“ Bedeutung der Aufwertung und kulturellen Bewahrung bedarf.

Der Inhalt ist in vier aufeinander folgende sogenannte Chronologien untergliedert und zeichnet die Wechselfälle der Geschichte Altonas bzw. der Palmaille vom 16. Jahrhundert bis zum Dritten Reich und zur Nachkriegszeit nach. Pinnaus Grundthese baut auf der jahrhundertealten Konkurrenz zwischen Altona und Hamburg auf, wobei sie der Palmaille als Prachtboulevard und Herzstück Altonas die Funktion eines geistigen Gegenpols zuordnet. Ihre Leidenschaft für die Romantik, über die sie promoviert hat, spiegelt sich in den Schlussworten ihres Epilogs wider, den sie mit einem Zitat Hölderlins über die menschliche Freiheit ausklingen lässt. In diesem letzten Kapitel schließt sich auch der autobiographische Kreis zu Caesar Pinnau, der durch seinen Tod 1988 an der Einrichtung einer Altonaer Stiftung im Hansen-Haus 116 gehindert worden sei und es nicht mehr geschafft habe, dieses der Stadt zu übereignen und es in eine Gedenkstätte der Altonaer Kultur sowie in einen kommunikativen Veranstaltungs- und Begegnungsort für in Altona lebende und wirkende Künstler, Autoren, Philosophen und Forscher umzufunktionieren. So musste die 1803/04 von C. F. Hansen erbaute und vom Ehepaar Pinnau 1973 erworbene Villa verkauft werden. Sie wurde zwar nicht öffentlich zugänglich, sondern ist bis heute im Privatbesitz geblieben, aber an die Stelle eines Altonaer Kulturvereins trat Ruth Pinnaus Buchprojekt, dessen Ergebnis der Leser nun in den Händen halten kann.
Der touristisch verbreitete Werbeslogan von Hamburg als dem „Tor zur Welt“ erinnert noch heute auf verschlungenem Weg an die historische Stellung des ehemals „allzunahen“ Bollwerks Altona, das fünf Jahrhunderte lang im unverhohlenen, weltanschaulichen Zwist mit Hamburg lebte. Pinnau positioniert das Verhältnis Hamburgs zu Altona im Spannungsfeld zwischen Wirtschaft und Kultur. Letztlich geht es ihr im Buch jedoch ausschließlich um Geistesgrößen und Freidenker: Dippel, Lessing, Struensee, Hansen, Liliencron, Dehmel und Bardenfleth. Deren Lebensanschauungen, Taten und Worte verwebt Pinnau kontinuierlich mit der „großen Geschichte“, d.h. mit übergeordneten historischen Zusammenhängen, und bettet sie ein in die jeweils vorherrschenden Meinungsbilder und intellektuellen Auseinandersetzungen mit den Hamburger Bürgermeistern, Altonaer und deutschen Staatsmännern sowie den Dichtern und Denkern der Zeitgeschichte. Altona wird aus der Sicht der Autorin zu einem kulturellen Raum, in dem sie, ihren eigenen Vorlieben gemäß, insbesondere die Bereiche der Architektur, des Theaters, der Literatur, Religion und Kunst thematisiert. Auffallend wenig hingegen widmet sie sich der Musik.

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