Meinung
Meine 16. Lange Nacht der Museen in Hamburg

Alles beginnt mit einer Fahrt, einer Fahrt die über eine Stunde dauert und in Hamburgs Südosten führt. Die Menschen tummeln sich in Rudeln an der Kunstmeile und am Deichtorplatz, der Bus zu den teilnehmenden Museen in Bergedorf ist hingegen spärlich besetzt. Das mag auch daran liegen, dass es noch früh am Abend ist, die Sonne lacht und milde draußen ist. Da begegnet man dem gemeinen Hamburger noch im Straßencafé oder an der Alster. Die Nacht ist ja Lang, so steht es auf den Bannern und meinem Programmheft.

Nach vier Stationen bin ich angekommen, könnte nun noch einmal umsteigen und das Bergedorfer Schloss läge vor mir, mit seinem Museum für Bergedorf und die Vierlande. Aber im Programmheft habe ich mir ja erst einmal eine Stadtführung verordnet und die geht am S-Bahnhof „Ausgang Bergedorf“ los. Eigentlich, denke ich nun, hätte ich auch schneller direkt mit der S-Bahn fahren können, aber mit dem Bus war es sehenswert allemal.

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Die Gruppe ist nicht unerheblich groß und das schöne ist, quer durch alle Generationen will man was über die Stadt- und Stadtteilgeschichte wissen, ob ganz neu gebaute Architektur oder wiederhergerichtet, ob Fachwerk-alt oder „Aha“, so ging es damals hier zu. Der Stadtführer macht seine Tour aber auch gut, sein Tonfall ist lebendig und seine Ausführungen nicht zu lang. Keiner wird unruhig oder strapaziert die eigene und unser aller Geduld.

Am Ende sammeln sich die Rundgänger im Schlosspark und klatschen. Das perfekte Fotomotiv wird nur durch das Baugerüst des dringend renovierungsbedürftigen Ostflügels des Schlosses gestört, aber daran hängt nun ein großes Banner zur „Langen Nacht“. Vor dem Backsteinportal warten Lange Nächtler auf Freunde, Bekannte und Mitstreiter, telefonieren jemanden hinterher: „Wo bist Du?“ „Wir warten schon seit einer Viertelstunde!“

Das sollte aber doch gar kein Problem sein: Eigentlich ist es noch viel zu schön draußen am Schlossgraben, um in das alte Gemäuer zu gehen, aber die Besucher wollen jetzt „Erkunden, Entdecken, Erforschen“, wie es Barbara Kultursenatorin Kisseler in ihrem Begrüßungsvorwort des Programmbüchleins schreibt und am Ende des Textes die Frage stellt: „Was werden Sie entdecken“. Sie sollte nicht weniger als 28-tausend Antworten erhalten, so viele, teilt uns der Museumsdient Hamburg mit, nahmen teil.

Auch ich gehe nun hinein, durch den Schlosshof auf Entdeckungstour. Zwei Ausstellungen sind mir im Vorfeld ins interessierte Auge gefallen: „Kriegsschauplatz Ostafrika. Ein Bergedorfer im Ersten Weltkrieg“ und „Carl Lindemann. Ein Bergedorfer Maler“. Das klingt exotisch genug, insbesondere die zweite Ausstellung, weil jener Carl Lindemann auch bei der ersten, historischen Schau eine ganz besondere Rolle einnimmt. Er kommt nämlich als junger Kolonialbeamter 1911 ins sogenannte „Schutzgebiet“ Deutsch-Ostafrika. Heute nennt man diese Region Tansania und die Hauptstadt Daressalam ist nicht nur Namensgeber eines Platzes in der HafenCity, sondern auch Partnerstadt der großen Hansestadt Hamburg und war damals Sitz des deutschen Kolonialverwalters und Gouverneurs namens Heinrich Schnee und eines gewissen Paul von Lettow-Vorbeck, Kommandeur der Schutztruppe für Deutsch-Ostafrika.

Irgendwo dazwischen war Carl Lindemann, der eifrig fotografierte, zeichnete und malte. Eigentlich wolle er ja Maler werden, aber sein Vater... Na, die weitere Geschichte kennt man.

Die Ausstellung ist umfangreich, gut gemacht und vor allem inhaltlich weit gefächert. Der damalige Blick auf die Welt trifft den heutigen und die unterschiedlichen Auffassungskräfte knirschen gewaltig, insbesondere bei der Frage wie wir heute mit dem kolonialen Erbe umgehen. Auch untersucht die Ausstellung welchen Einfluss Hamburger Kaufleute hatten und wie sie wirtschaftlich vom Schutz deutscher Truppen profitierten.

Ein ehrenamtlicher Museumsmitarbeiter, der jeden Buchstaben des Archivs des Museums kennt, gibt Antworten auf meine Fragen. Und wie es so ist, irgendwann haben wir inhaltlich den „Kriegsschauplatz“ verlassen und unterhalten uns über altdeutsche Schreibschrift, die Geschichte Bergedorfs und den Einfluss auf Hamburg (nicht umgekehrt!) und über die Eigenarten der Vierländer, die ihr Silber in doppelreihigen Knopfleisten am Wams trugen.

Ich biege in den Ausstellungsteil der „Bürger-Ausstellung“ zu Carl Lindemanns Bildwerk ab. Schon die erste Reihe an kleinen Pastellkreidezeichnungen, Ölskizzen und -bildern zeigen: Lindemann hatte mehr als ein Malereitalent. In seinen Bildern fängt er Atmosphären ein, Stimmungen und Tageszeiten. Er zeichnet und malt Portraits, die die Personen charakterisieren. Lindemann der ja eigentlich Maler werden wollte und dann hinaus ging in die weite Welt – Deutsch-Ostafrika, Verwundung und britische Gefangenschaft in Indien, 1920 Rückkehr nach Hamburg-Bergedorf und Arbeit als Finanzbeamter. Malerei aufgeben – nix da! Es gibt keine zeitlichen Lücken, die visuelle Kunst hat ihn immer, zeitlebens begleitet. Seine Enkelin Ulrike Badstuber hat 35 Jahre nach dem Tod Lindemanns eine große und sehenswerte Auswahl seiner Werke, Reiseskizzen, Bergedorfansichten, Landschaften und Stimmungsbilder sowie Portraits zusammengestellt.

Ich ziehe weiter, es dämmert draußen, und das, was sich in den letzten Jahren in den KulturPort.De-Beiträgen zu den Lange-Nacht-der-Museen-Rundgängen als Running Gag mit dem Satz „und wieder habe ich es nicht geschafft, ins Deutsche Maler- und Lackierermuseum zu kommen“ etabliert hat, wird nun endlich aufgelöst: Ich besuche das Deutsche Maler- und Lackierermuseum am Billwerder Billdeich! Linie 305 bringt uns überschaubare wartende Gruppe dort hin.

Auf einer kleinen Kopfsteinpflasterstraße, die als Sackgasse von der Hauptstraße zwischen Boberger Niederung und Billbrook abgeht, ist das wunderschöne Fachwerk-Backstein-Gebäude zu finden.

Kurze Zeit später ist es dunkel und die hellerleuchteten Fenster wirken in die Lange Nacht hinaus. Das Museum ist gut besucht, die Räume teilweise eng und voller Utensilien. Der erste Eindruck des Museums versprüht: hier ist viel Tradition zuhause. Alte Meister- und Gesellenbriefe, Dokumente, historische Fahnen, Pigmentschatullen und eine Sammellade von 1690 der Gesellenvereinigung, um sozial abgesichert zu sein. 800 Jahre Malergeschichte in Deutschland und das erstaunliche für mich – wie nah die Maler, Lackierer und Künstler beieinander waren. Vieles von dem, was ausgestellt ist, gehört in die Kategorie bild-künstlerisch. Wie ein großes Atelier ist das Museum eine Mischung aus Arbeitsstätte, Vorführraum und Vitrinengarten. Der Charme des Hauses ist unverkennbar und das gilt auch für das Personal, das an diesem Abend eine Führung nach anderen macht. Mit Malermeister Kemmer komme ich ins Gespräch und wir reden lange über damals und heute und darüber wie die Digitalisierung auch dieses Handwerk längst erobert hat.

Nicht nur Kaffee und Kuchen erwarten die Gäste im gegenüberliegenden Gebäude, eine Tenne, sondern auch das Thema des Abends und Museums: Schrift und Kalligrafie. Ein Schriftenmaler zeigt wie präzise ein Gelernter mit Pinsel und Farbe Buchstaben auf einen Karton zaubert und gegenüber finde ich Helga Hamann-Kunstleben – passender Name zur passenden Tätigkeit. Sie ist Lehrerin für Kalligrafie und selbst begnadet, mit allerlei Werkzeug Buch- und Bildformate mit Schrift, Buchstaben und Text zu füllen und das wunderschön. Sie verrät mir, dass sie das in der DDR gelernt hat, in ihrem Dorf in der Altmark gab es eine LPG und die hatten eine Werbeabteilung und da hat sie gelernt bevor sie nach Ostberlin ging und in den 70-ern in den Westen kam. Sie kennt scheinbar alles, was es an Typographie so gibt. Kleine Papierkarten liegen vor ihr und sie fragt nach meinem Namen. Ehe ich so recht zuschauen konnte stand der Schriftzug in goldgelb, grün und rot auf dem Büttenpapier und das schönste: auf der Rückseite „Lange Nacht der Museen 2016“.
Danke, Helga!

Es ist längst Nacht geworden, ich bin angenehm Kultur-gesättigt und beschließe diesen tollen Abend damit zu beenden. Das wieder einmal großartige an der Langen Nacht ist nicht allein das Erkunden, Entdecken, Erforschen, liebe Frau Kisseler – vielleicht als Anregung für das nächste Vorwort – sondern insbesondere das Kommunizieren, das Treffen auf Menschen, die leidenschaftlich das tun, was sie machen. Die Freude, die aus den Augen strahlt und das Interesse das zu vermitteln, was sie jeweils umtreibt.

Und morgen lesen Sie den zweiten Teil unseres KulturPort.De-Rundgangs durch die „Lange Nacht der Museen in Hamburg" mit Dagmar Seifert....


Weitere Informationen
Lange Nacht der Museen
Carl Lindemann
Museum für Bergedorf und Vierlande
Deutsches Maler- und Lackierermuseum
Helga Hamann-Kunstleben


Abbildungsnachweis:
Headerfoto: Claus Friede
Galerie:
01. Stadtführung durch Bergedorf, Bergedorfer Schloss. Foto: Claus Friede
02. Blick in die Ausstellung „Kriegsschauplatz Ostafrika“, Deutsche Kolonien. Foto: Claus Friede
03. General von Lettow-Vorbeck / Gouverneur Dr. Heinrich Schnee. Quelle: Koloniales Bildarchiv, Frankfurt a. Main
04. Deutsche Truppe mit Askari und Trägern in Deutsch-Ostafrika. Foto: Walther Dobbertin, Bundesarchiv, Bild 105-DOA0815.
05. Karte Deutsch-Ostafrikas mit Markierungen von Truppenbewegungen, Kämpfen und weiteren Geschehnissen. Foto: Claus Friede
06. Blick in die Ausstellung. Foto: Claus Friede
07. Blick in die Ausstellung. Koloniales Leben. Foto: Claus Friede
08. Aus dem Fotoalbum von Carl Lindemann. Hafen von Tanga. Foto: Carl Lindemann, Abbild. Claus Friede
09. Carl Lindemann „Afrika“ – Neubau in Tanga aus Korallenstein, der wie eine Ruine aussieht“, 1914, Pastellkreide auf Papier
10. Carl Lindemann, „Inderin“, 1919, Aquarell
11. Carl Lindemann „Die Stuhlrohrfabrik in Bergedorf“, 1931, Öl auf Karton
12. Deutsches Maler- und Lackierermuseum. Foto: Claus Friede
13. Schriftübungen zur Langen Nacht der Museen in der Museumstenne. Foto: Claus Friede
14. Kalligraphie von Helga Hamann-Kunstleben „Lange Nacht der Museen und Widmung“. Foto: Claus Friede.
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