Marzipan – Eine Hommage an die Geschichte und den Geschmack
- Geschrieben von Isabelle Hofmann -
Wer kennt nicht die bunten Teller unterm Weihnachtsbaum, gefüllt mit Äpfeln, Nüssen, Lebkuchen und Marzipan?
Die süße Masse aus Mandeln, Zucker und Rosenwasser gehört zu Weihnachten, wie Tannenbaum und Kerzenschein - als Kartoffel oder farbige Frucht, als rosa Schweinchen oder Konfekt. Grund genug für das Altonaer Museum seine Weihnachtsausstellung in diesem Jahr dem „Brot der Engel“ zu widmen. In Zusammenarbeit mit dem Weihnachtshaus Husum präsentiert die Schau einen Streifzug durch die europäische Kulturgeschichte dieser Delikatesse: Von den vermuteten Ursprüngen bis zu neuen Produktionsmethoden wird hier alles Wissenswerte rund um Marzipan vorgestellt. Probiert und geschlemmt werden darf derweil im Sockelgeschoss. Dort wartet der Weihnachtsmarkt an den Wochenenden mit Bergen bunter Köstlichkeiten auf, die fast zu schön zum Verspeisen sind.
Wo und wann Marzipan entstand, ist von Legenden umwoben. Vermutlich wurde es im Orient erfunden und kam mit den Mauren im 8. Jahrhundert nach Spanien, um von dort aus seinen Siegeszug über Italien, Frankreich und Deutschland bis in den hohen Norden anzutreten. Der Name geht auf das italienische „marzapane“ zurück, doch die Wurzeln des Wortes sind ungewiss. Während sich die Venezianer gern auf ihren Schutzpatron berufen und „marci panis“ als das Brot des Heiligen Marcus deuten, führt eine andere Spur zu den byzantinischen Goldmünzen „Mauthaban“, die in Venedig seit 1193 als „Matapan“ nachgeprägt wurden. Geschmückt ist diese Münzeinheit mit einem thronenden Christus, von den Arabern „Mautaban“ genannt: Der, der stillsitzt.
Wie auch immer der Name zustande kam, unstrittig ist, dass Marzipan seit gut 500 Jahren in Deutschland hergestellt wird. Lübecker Zunftrollen erwähnen „Martzapaen“ bereits 1530, zu jener Zeit war es jedoch so kostbar, dass es ausschließlich dem Adel und Klerus vorbehalten war. Das lag vor allem an den aus Übersee importierten Luxusgütern – Mandeln und Rohrzucker - die für Normalsterbliche unerschwinglich waren.
Als das Bürgertum im 17. Jahrhundert erstarkte und zu Wohlstand kam, dachte die Oberschicht gar nicht daran, Marzipan mit dem gemeinen Volk zu teilen. Um ihre Privilegien zu verteidigen wurden eigens neue Vorschriften erlassen: So verbot die Stadt Nürnberg 1603 Marzipan bei Hochzeiten zu verwenden und die Stadt Leipzig verbot 1661 seinen Handwerkern, Marzipan als Gevatterstück zu verschenken.
Als der kostbare Rohrzucker Anfang des 19. Jahrhunderts durch einheimischen Rübenzucker ersetzt und die Süßigkeit somit deutlich günstiger zu erwerben war, ließ sich die Demokratisierung jedoch nicht mehr verhindern. Überall in Deutschland entstanden Manufakturen, insbesondere in Hafenstädten und Umschlagsmetropolen, wo die begehrten Rohstoffe leicht und in großen Mengen zu beschaffen waren. Nicht nur Lübeck firmierte damals als ausgewiesene Marzipanstadt, sondern auch Danzig, Hamburg, Königsberg und Stralsund, wo sich rasch der neue Stand der Konditoren und Zuckerbäcker etablierte und mit ihnen die Kaffeehauskultur, die ebenfalls zur Popularisierung von Marzipan beitrug.
Im Biedermeier wurde Marzipan sogar als Medizin verabreicht: Apotheker versüßten damit bittere Tropen und verordneten es Kranken und Wöchnerinnen zur Stärkung. Daraus entstand der Brauch, Marzipan als Glück-Wunsch (daher das Schwein) zu allen festlichen Anlässen, wie Geburtstagen und Weihnachten zu verschenken.
Teuer war das „Engelsbrot“ allerdings immer noch und so blieb es ein reines Festtags-Konfekt, das auch heute noch mit besonderen Anlässen, wie Hochzeit, Geburtstag oder Weihnachten verknüpft ist.
Zur ungeahnten Blüte gelang das Naschwerk dann durch die neuartigen Marzipanmodeln aus Schwefel, die Formenschneider Carls Schröder in Lübeck und Berthold Keinke in Hamburg auf den Markt brachten. Sie erlaubten die schnelle und einfache Reproduzierbarkeit von Reliefs und Figuren in schier unerschöpflicher Stückzahl. Daraufhin gab es einen regelrechten Boom an Tortenbildern mit Städteportraits, insbesondere in Hamburg, wo sich der Fabrikant L.C. Oetker 1909 noch rühmen konnte: „Mein Umsatz in Marzipan-Massen und Mandel-Fabrikaten ist der größte der Welt“. Hamburgs Rolle als Marzipanmetropole führt auch der umfangreiche Model-Katalog von Gustav Krieg (Keinkes Schwiegersohn) vor Augen, dessen Formen-Fabrik in Hamburg-Eimsbüttel in den 1920er-Jahren europaweit das Erscheinungsbild des Marzipans prägte.
Als die Schwefelmodelle 1950 im Konditoreihandwerk verboten wurden, ging die Hamburger Marzipan-Tradition zu Grunde und Niederegger in Lübeck baute sein Monopol aus.
Kurator Burghard Jodat präsentiert den umfangreichen Geschichtsstoff ausführlich anhand von Karten und Texttafeln. Dazu eine Fülle historischer Marzipan-Formen und Werkzeuge, die Herstellung und Handwerk vor Augen führen. Und natürlich hat er auch einen großen Vitrinen-Tisch mit unterschiedlichsten Produkten zusammengestellt, vom Lübecker Marzipanbrot und der Salzburger Mozartkugel, über die Bündner Pfirsichsteine bis zu den spanischen „Heiligenknochen“, kleinen Marzipanröllchen mit Füllung.
Die Marzipan-Manufakturen beschäftigen zum Teil wahre Künstler, die stundenlang an einzelnen Figuren-Ensembles modellieren und ihre eigenen Handschrift entwickeln. Im Bereich des Weihnachtsmarktes zeugen verrückte Tortenkreationen wie „die Badegesellschaft“ von Maria Theresia Worch aus Bamberg von der hohen Kunst der Konditoren.
Das schönste Beispiel vollplastischer Modulation stammt jedoch aus Budapest von der Firma Szamos: In 48 Stunden hat Frau Tünde Izsák eigens für diese Ausstellung sechs Kilo Marzipan in den Spielzeugladen aus Hans Christian Andersens Märchen „Der standhafte Zinnsoldat verwandelt – mit Brummkreisel, Schaukelpferd und Teddybär. Und einem kleinen, einbeinigen Zinnsoldaten, der etwas verloren vor sich hin träumt.
„Marzipan. Das Brot der Engel“, bis 5. Januar, Altonaer Museum, Museumstraße 23, 22765 Hamburg.
Geöffnet: Di-Fr. 10-17 Uhr, Sa/So bis 18 Uhr.
Eintritt: 6 Euro/ erm. 4 Euro. Bis 18 Jahren frei.
Den Katalog verfasste Torkild Hinrichsen, ehemaliger Direktor des Altonaer Museums.
96 Seiten, zahlr. farbige Abb., broschiert, Format 16 × 24 cm,
11,95 Euro, Husum Verlag, ISBN 978-3-89876-620-3
Fotonachweis: Alle Altonaer Museum
Header: Marzipanbemalung bei der Firma Stude in Talinn, 1920er-Jahre. Foto: Fa. Kalev, Talinn
Galerie:
01. Eine gut ausgestattete Küche im Mittelalter. Foto: Nationalbebliothek Paris
02. Georg Hübner Marzipan, Hamburg, Werbegrafik, 1890er-Jahre. Foto: Altonaer Museum
03. Café Imperator in Altona. Foto: Altonaer Museum
04. L.C. Oetker, Gedenkblatt zum 30. Firmenjubiläum, 1900. Foto: Museum der Arbeit
05. Frauen dekorieren Marzipan in der Firma Ewald Liedtke, Königsberg, 1920er-Jahre. Foto: Altonaer Museum
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