Kultur, Geschichte & Management

In der Familie wurde er nur HWB genannt, für die Kinder war er schlicht der „China-Onkel“. Hermann Waldemar Breuer (1884-1973) ging mit 22 Jahren für das Bremer Übersee-Haus Melchers & Co. nach Shanghai und blieb dort bis zum Ende seiner Berufslaufbahn.

Seine Großnichte Christine Maiwald legt nun bei Dölling und Galitz ein ebenso schweres wie lesenswertes Buch über Breuer vor: „Das schwierige schöne Leben. Ein deutscher Kaufmann in Shanghai 1906 bis 1952“.

 

Politik habe in seinen Briefen eigentlich nie eine Rolle gespielt, erzählt Christine Maiwald. Sie drehten sich vielmehr um private Angelegenheiten: „Geschichten vom Wohnen und Reisen, von Freunden und von Pferden… Zeitgeschichte blieb oft ausgespart“. Stattdessen berichtete HWB seinem Bruder Karl nach Hannover von Eheprobleme, von Scheidung, von seinem Sohn Uwe und der Gesundheit. Und natürlich vom gesellschaftlichen Leben in Shanghai, den Zusammenkünften der China-Deutschen im deutschen Club Concordia, im Deutschen Gartenclub mit seinen Tennisplätzen, im Deutschen Reiterverein, im Deutschen Theaterverein. Die Mitglieder der „deutschen Kolonie“ verstanden sich zu amüsieren: Man tanzte, ging segeln und zur Jagd, feierte Maskenbälle und (bis zum Ende des 1. Weltkriegs) auch Kaisers Geburtstag.

 

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In diesen Clubs waren Gäste anderer Nationen durchaus willkommen: Aus England, Holland, Frankreich, den USA, Schweden, der Schweiz und so weiter. Selbstverständlich alles „Weiße“ aus dem Westen. Die Europäer lebten in China „in einer Blase“, wie es der Sinologe Kai Vogelsang formulierte. Chinesen gab es in den deutschen Clubs natürlich auch – als Bedienstete. Als Türsteher, Kellner und Chauffeure, als Kindermädchen und Gärtner. Chinesische Geschäftspartner mussten schon sehr reich sein, um dort akzeptiert zu werden. Kurz: Die Deutschen lebten in Ostasien in dem Bewusstsein, gottgegebener Teil einer europäischen Hegemonie zu sein. Dieses Selbstverständnis kam dann durch die Weltkriege gehörig ins Wanken, Im Kreise der Alliierten waren die Deutschen bald die Ausgestoßenen.

 

Vor dem Hintergrund zeitgeschichtlicher Umbrüche blättert Christine Maiwald, promovierte Literaturwissenschaftlerin und langjährige Leiterin der Marketingabteilung im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe, das „schwierige schöne Leben“ ihres Großonkels und damit aller deutschen Kaufleute in der internationalen Handelsmetropole Shanghai auf.

 

Neugierig geworden durch HWB’s großes Konvolut an Briefen und die darin enthaltenen mysteriösen Andeutungen und Fragen, wie wohl „die ungeklärten Zustände in China“ ausgehen würden, und ob „Chiang Kai-Shek aus der Sache heil herauskommen“ würde, begab sie sich ab 2010 auf Spurensuche, befragte die letzten Zeitzeugen und Nachkommen der befreundeten China-Deutschen, forschte in deutschen und chinesischen Archiven und setzte in sage und schreibe zehn Jahren Detektivarbeit all ihre zusammengetragenen Puzzleteilchen zu einem unerhört komplexen Bild zusammen. Es zeichnet den Kaufmann Hermann W. Breuer, der für seine Verdienste um die Deutsch-Chinesen und die deutsch-chinesische Freundschaft 1953 das Große Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland verliehen bekam, als einen sympathischen Menschen mit trockenem Humor und dem Herzen am rechten Fleck, der nach dem Rotarier-Grundsatz handelte, dass „vernünftige Nächstenliebe und praktische Hilfe ein gutes Fundament für die menschliche Gesellschaft“ seien.

 

Christine Maiwald Das schwierige schöne Leben COVERDoch dieses Buch zeichnet nicht nur das Porträt eines Mannes mit außerordentlichen Qualitäten. Es ist ein packend geschriebenes Geschichtsbuch, das sowohl die chinesische Kultur wie auch sämtliche Konflikte, vom Boxeraufstand bis zum Koreakrieg, ausführlich und kenntnisreich beleuchtet.  

 

„Ich hoffe, dass die Geschichte über Hermann Breuers Leben ebenso wie sein Leben selbst einen Beitrag zur Vertiefung des gegenseitigen Verständnisses von Ost und West leisten kann“, schreib Christine Maiwald in ihrer Einleitung.

Diese Hoffnung hat sich mehr als erfüllt. Wer das deutsch-chinesische Verhältnis begreifen will, wer das chinesisch-europäische Verhältnis begreifen will, der sollte dieses Buch lesen, das in einer Zeit kolonialer Ansprüche beginnt und nach zwei Weltkriegen mit dem Neubeginn des deutsch-chinesischen Austauschs durch den von Breuer geprägten Ostasiatischen Verein Bremen endet.

 

Dieses Buch erlaubt den Blick in eine kolonial geprägte Welt, die heute fast vergessen scheint, deren Auswirkungen wir jedoch immer noch spüren.


Christine Maiwald: „Das schwierige schöne Leben. Ein deutscher Kaufmann in Shanghai 1906 bis 1952“

Dölling und Galitz Verlag

670 Seiten, 75 Abbildungen

ISBN: 9783862181476

Weitere Informationen

 

 

Videos zu Geschehnissen, die im Buch vorkommen:
- Zhabei district in Shanghai under Japanese bombardment and on fire, 1937 (7:22min.)

Wuzhenlu Bridge in Shanghai, destroyed by fire, 1937 (0:35min.)

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