Thierry! – allein sein Vorname löst in Luxemburg schon entzücken aus und wird mit der Addition von „National“ zum Kult. In Deutschland und Österreich fragt man noch: Thierry – wer?
Kaum zu glauben – obwohl ihn fast alle kennen – von Sehen! Dieses markante Gesicht mit einer „Fresse“, die so einmalig charaktervoll ist und nach Antiheld, Gangster und Milieu aussieht, dass sich Regisseure, Punker, Rocker, Musiker, Cineasten nur zu gerne an ihn erinnern. Ein Allrounder war er, der das Leben mit Drogen- und Alkoholgeschichten durchzog, die Musik- und Theaterbühnen sowie das Filmset mit seinen biographischen Brüchen und Wandlungen so wundervoll pflasterte. Wie von seinen Lebensgefährten erzählt, blieb er immer ein unglaublich sympathischer Mensch: Thierry van Werveke.
Kein Holländer, obwohl sein Familienname so klingt und er viele Rollen im deutschen Fernsehen spielte, in denen er als Holländer oder Belgier auftrat: im Tatort beispielsweise oder auf der Leinwand in „Knockin‘ on Heaven‘s Door“ (1997, Regie: Thomas Jahn).
An die Himmelspforte klopfte er tatsächlich und zu früh bereits mit 50 Jahren an.
Geboren in Genf, aufgewachsen in Wien und Luxemburg. Sein Vater war Luxemburger Diplomat, privilegiert, bürgerlich – in den 1950ger- und 60ger-Jahren ein Plot zur Revolte, zur Auflehnung. Bloß raus aus einem solchen Elternhaus. Punkszene London, Drogen und Entzug, das zeichnete ihn erst einmal ausreichend, führte aber nirgendwohin. 1980 entdeckte Thierry die Schauspielerei, dann die Musik, das ist etwas, was ihm gefällt, das er ohne tiefgehende Ausbildung beherrschte. In dem ein Jahr jüngeren Luxemburger Regisseur Andy Bausch fand er seinen Förderer, der ihm den Einstieg in eine professionelle Karriere ermöglichte. National und später dann auch international wurde er bekannt durch Gangsterfilme wie „Toublemaker“ (1988), „Knockin’ on Heaven’s Door“ (1997), den Thriller „Der Eisbär“ (1998) und der Tragikomödie „Eine andere Liga“ (2005). „Troublemaker“ war sein Durchbruch, die Rolle des „Johnny Chicago“ wurde sogar eine Zeitlang zum Alter Ego. Ab 1997 schaffte er den Sprung zum internationalen europäischen Film, drehte mit Till Schweiger, Peter Lohmeyer, Moritz Bleibtreu und Katharina Thalbach. Bis zu seinem Tod im Januar 2009 spielte er Rollen im Film- und TV-Geschäft und trat trotz Textunsicherheiten auf Theaterbühnen und vor allem mit seinen Bands „Nazz Nazz“ und „taboola rasa“ auf.
Die Ausstellung im Pomhouse (Pumphaus) des Centre national de l’audiovisuel (CNA) von Dudelange (Düdelingen) ist dem Leben und Schaffen von Thierry gewidmet – liebevoll inszeniert, gut recherchiert, nachvollziehbar gemacht und mit sehr vielen Artefakten, Filmen und Hörbeispielen untermauert. Der Besucher durchschreitet quasi dessen Leben, beginnt in einem Wohnzimmer der Kindheit, möbliert im Stil der späten 50ger-Jahre, und dem Eindruck: „Daraus muss man einfach entfliehen wollen!“. Sein „Londoner Wohnloch“ als Punk gleicht eher dem eines Obdachlosen, was er dann auch wurde – eine ranzige Matratze, ein paar Klamotten, Zigaretten, Punk-Graffitis an den Wänden, weiter in einen Backstage-Bereich, der tapeziert ist mit Musikplakaten, danach eine kleine Bühne, auf der er in seinen Musiktexten Autobiographisches verarbeitet und man ein paar Kröten verdienen kann, mit Drum-Set und Backline-Attrappe – das Leben wird Kultur.
Seiner Filmkarriere sind weitere Räume gewidmet, Ausschnitte sind zu sehen und Till Schweiger erzählt in einem aktuellen Interview wie es hinter dem Set zugegangen ist, charakterisiert den verstorbenen Freund mit all seiner Sympathie. Die beiden verbindet etwas, irgendwie weiß man auch sofort warum.
So wie Thierrys Arbeitszimmer damals aussah, als er starb, so ist es in der Ausstellung zu sehen, inklusive – auf einem gegenüber dem Schreibtisch angebrachten Regal – dem Luxemburger Filmpreis (2003) und dem Grimme-Preis (2008), den er für seine Leistungen erhielt.
Paul Lesch, Direktor des CNA und Yves Steichen, der für die lesenswerte Publikation zeichnet, kuratierten diese Schau mit aller notwendigen Begeisterung, aber auch aller notwendigen Sorgfalt und mit einer angenehmen Liebe zum Detail. Die zweijährige Vorarbeit hat sich gelohnt, denn die ganze Ausstellung wirkt wie ein riesiges Filmset auf dem die Besucher in über 20 Kapiteln die Geschichte des Thierry van Werveke erzählt bekommen.
Thierry! D’Expo
Noch bis zum 31. Dezember zu sehen im Pomhouse des Centre national de l’audiovisuel (CNA), 1b, rue du Centenaire in Dudelange (Düdelingen), LuxemburgGeöffnet: Mi-Sa 12-18 Uhr
Eintritt Freitag
Rahmenprogramm und weitere Informationen:
- CNA (franz.)
- Fondation Thierry van Werveke (franz.)
YouTube-Videos:
- Ausstellungstipp des Saarländischen Rundfunks (Audio | 15.06.2018 | Dauer: 00:03:17 | SR 2 - Barbara Grech)
- 2 Pond de Kilo – Thierry Van Werveke (Musik)
- Trailer Knocking on Heaven’s Door
Katalogbuch:
STEICHEN, Yves: Thierry van Werveke
Éditions Saint Paul, Luxembourg / CNA, 2018
168 Seiten, deutsch
Preis: 19,00 €
ISBN: 9789995920265
Dieser Beitrag entstand mit freundlicher Unterstützung von Visit Luxembourg.
Abbildungsnachweis:
Header: Plakatmotiv (Detail) © CNA
Galerie:
01. Blick in die Ausstellung. Foto: Claus Friede
02. Still aus „Troublemaker“. Fotograf unbekannt, © CNA
03. Thierry van Werveke und Andy Bausch auf dem Filmset im Hamburger Hafen. Fotograf unbekannt © CNA
04. Punkjahre. Blick in die Ausstellung. Foto: Claus Friede
05. Behind the Scenes. Till Schweiger im Interview. Foto: Claus Friede
06. Backstage. Blick in die Ausstellung. Foto: Romain Girtgen © CNA
07. Bühne. Blick in die Ausstellung. Foto: Romain Girtgen © CNA
08. und 09. Arbeitszimmer. Blick in die Ausstellung. Fotos: Claus Friede
10. Fanpost. Blick in die Ausstellung. Foto: Claus Friede
11. Buchumschlag Biographie. Editions Saint Paul
12. CNA. Wasserturm mit Pomhouse in Dudelange. Foto: Claus Friede
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