Kultur, Geschichte & Management
Hamburgs Geschichte – Mythos Hammaburg

Um Hamburgs Anfänge ranken fantastische Geschichten und Legenden, doch was ist wahr? Neuentdeckungen und eine Ausstellung im Archäologischen Museum geben Auskunft.

„Hopfenmarkt? Kenn‘ ich nicht“, sagt der Taxifahrer. Dabei stehen wir fast davor. Das Areal am Mahnmal St. Nikolai ist heute ein von Bäumen gesäumter Parkplatz. Kein einladender Ort, aber historisch unerhört bedeutsam. Hier wurde 1061 die „Neue Burg“ errichtet, die Keimzelle der Hamburger Neustadt. Seit August arbeiten Archäologen am Hopfenmarkt. Im Zuge einer Neubebauung erhielten sie die Chance, Grabungen in einem 360 Quadratmeter großem Areal Ecke Hahntrapp durchzuführen.

Die Baustelle liegt unter einem riesigen weißen Zelt versteckt. Im Inneren schaufeln knapp ein Dutzend Männer im Schutt aus dem Zweiten Weltkrieg. Rainer-Maria Weiss, Hamburgs oberster Archäologe, und Grabungsleiter Kay-Peter Suchowa warten schon. „Bevor wir eine Grabung anfangen, versuchen wir so viele alte Quellen wie möglich zu finden“, sagt Suchova und zieht eine Mappe mit alten Fotos und Plänen hervor. „Damit stecken wir den Erwartungshorizont ab“.

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Eine Aufnahme von 1892 dokumentiert, dass genau an dieser Ecke einmal Wohn- und Bürohäuser standen. „Davon müssten wir die Fundamente finden“, sagt der Grabungsleiter und zeigt Stiche aus dem 16. und 17. Jahrhundert: Die alte Nikolaikirche, die beim großen Brand 1842 zerstört wurde. „Wir graben hier im nördlichen Chorbereich, müssten also die Nordostecke der Kirche in unserer Fläche erfassen.“

Genauso ist es auch. Etliche Funde sind bereits identifiziert und vermessen: Die Backsteine und senkrecht aus dem Boden ragenden Holzpfähle (19. Jahrhundert), die Pflastersteine vom Kirchenfundament (16. Jahrhundert und früher). Und die diagonal verlaufende Holzkonstruktion dazwischen, die tatsächlich von der Neuen Burg stammen: „Aufgrund früherer Grabungen hatten wir angenommen, dass der Wall 17 Meter breit ist, nun stellt sich heraus, dass er 24 Meter misst. Das schließt auf sehr unsichere Zeiten“. Suchowa hofft, noch Spuren der Slawenüberfälle von 1066 und 1072 zu finden und zu klären, ob die ‚Neue Burg’ niedergebrannt und/oder nochmals erweitert wurde.

Rainer-Maria Weiss wartet indes mit Spannung auf die Ergebnisse der Dendro-Proben, die über das Alter des Holzes Auskunft geben.
Gerade hat der Direktor des Archäologischen Museums die großangelegte Schau „Mythos Hammaburg“ eröffnet, die erstmals die Entwicklung Hamburgs vom 8. bis 12. Jahrhundert aufzeigt. Lange war ungewiss, wo die Hamburger Ursiedlung überhaupt liegt. Erst ein internationales Kolloquium aus Archäologen, Schriftgelehrten, Historikern und Geologen brachte jüngst den Durchbruch. Nach Auswertungen aller Forschungsergebnisse kamen die Wissenschaftler zu dem Schluss, dass Hamburgs Ursprung genau dort liegt, wo er schon immer vermutet wurde: auf dem ehemaligen Domplatz am Speersort. Warum die Verwirrung zuvor, wann und wie die erste Hammaburg und ihre Nachfolgemodelle entstanden, das zeigt nun die mit zahlreichen kostbaren Fundstücken bestückte Schau, in der eine virtuelle Rekonstruktion erstmals ein konkretes Bild von den Anfängen liefert. Und sie räumt auf mit der Mär, dass ein fränkischer Kaiser Gründungsvater war. „Hamburg wurde nicht gegründet, weder von Karl dem Großen noch von Ludwig dem Frommen – Hamburg entstand!“, betont Direktor Weiss mit Nachdruck. Vermutlich im 8. Jahrhundert, als sächsische Siedlung mit einem befestigten Herrenhof in verkehrsgünstiger Lage zwischen Alster und Elbe. Schon der Name sei ein Indiz: „Ham/Hamme stammt aus dem Sächsischen und bedeutet so viel wie Niederung, Wiese, Feuchtgebiet. Hätten ein fränkischer Kaiser den Ort gegründet, wäre der Name fränkisch oder lateinisch ausgefallen“.

Nun will Weiss auch das Geheimnis der Neuen Burg lüften. Laut Geschichtsschreibung gab es um 1060 drei Burgen in Hamburg, die ‚Neue Burg’, die ‚Alsterburg’ und die ‚Wiedenburg’. Seine These: Mindestens zwei davon sind identisch. „Wenn das Holz in der Neuen Burg vor 1060 datiert wird, ist für mich klar, dass die Neue Burg mit der um 1045 erbauten Alsterburg übereinstimmt“.

Seine Vermutung begründet Weiss mit der Quellenlage. Sie sei „wie leider so oft im Mittelalter, nicht wirklich zuverlässig“.
Dabei ist Hamburgs Frühgeschichte ausgezeichnet beschrieben: Die Vita Anskarii (um 870), die von Ansgars Schüler Rimbert verfasste Biographie des ersten Hamburger Bischofs, sowie die „Geschichte des Erzbistums Hamburg“ (um 1075) von Adalbert von Bremen sind die wichtigsten „Kronzeugen“. Beide Kirchenleute haben die Dinge jedoch aus ihrer Sicht beschrieben, um es mal vorsichtig zu formulieren. „Diese tendenziöse Geschichtsschreibung hat man bis in 19. Jahrhundert für bare Münze genommen. Heute ist man den Quellen deutlich kritischer gegenüber“.

So herrschen mittlerweile erhebliche Zweifel, ob der Heilige Ansgar tatsächlich ein Erzbischof war. Laut Untersuchungen des Bonner Diplomatikers Theo Kölzer ist der Beleg dafür, die berühmte Gründungsurkunde Ludwig des Frommen von 834, eine Fälschung. Sie bekundet, dass Ludwigs Vaters, Karl der Große, beabsichtigte, in Hamburg einen Bischofssitz zu errichten und dass Ansgar 834zum Erzbischof geweiht wurde. „Dass die Urkunde eine Fälschung ist, ahnte man zwar schon lange“, so Weiss, „aber wann und in welchem Zusammenhang sie gefälscht wurde, ist hochspannend, weil das archäologische Spuren hinterlassen hat.“

Es habe um 900 einen „beispiellosen Bauboom“ gegeben, währenddessen auch die dritte Hammaburg entstand, eine noch größere und mächtigere Wehranlage als die beiden Vorgänger. Für den Chef-Archäologen ist nun klar, dass dieser Boom auf den Schiedsspruch des Papstes Formosus folgte, der Hamburg-Bremen 893 als selbstständiges Erzbistum anerkannte. Seit 845, dem Jahr des Wikinger-Überfalls auf Hammaburg und Ansgars überstürzter Flucht nach Bremen, hatte es einen jahrzehntelangen Streit um die fortan vereinigten Bistümer Hamburg und Bremen gegeben. Der Kölner Erzbischof tobte, denn Bremen hatte zuvor zu Köln gehört. Schließlich sollte Papst Formosus entscheiden – und dem hielten die cleveren Bremer jene Urkunde unter die Nase, nach der Karl der Große persönlich Hamburg als Erzbistum vorgesehen hatte. Und Bremen liegt ja nun mal näher an Hamburg als an Köln. So gab es ab 893 ein päpstlich abgesegnetes Erzbistum Hamburg-Bremen.

Tatsächlich hatte Kaiser Karl ein Erzbistum Hamburg wohl nie im Sinn gehabt, denn er erkor 809 einen Ort im heutigen Schleswig-Holstein als Missionsstützpunkt: Esesfelth bei Itzehoe. Die erste fränkische Befestigung in Nordelbien lag äußerst verkehrsgünstig an der Stör, in direkter Anbindung an die Elbe und dem Handelsweg nach Jütland. Acht Jahre nach Karls Tod übertrug Ludwig der Fromme dem einflussreichen Bischofs Ebo von Reims die nördliche Mission und baute die Burg weiter aus. „Hamburg war nie gedacht als the place to be“, sagt Weiss. Wäre die Geschichte 833 anders verlaufen, hätte sich Ebo nicht gegen Ludwig gestellt und hätte dieser sich nicht später gerächt und alles, was mit Ebo zu tun hatte, ausradiert, „säßen wir heute nicht hier, sondern am Westrand von Itzehoe“. So aber verlegte der Kaiser den Missionsstützpunkt 60 Kilometer weiter nach Süden und zog dort das gleiche Programm mit Ansgar durch: „Esesfelth war die Blaupause für Hamburg“.

Und noch eine Neuerkenntnis präsentiert die Schau: Der sogenannte Bischofsturm an der Steinstraße, unweit der Kirche St. Petri, war nicht, wie bislang angenommen, der Wohnsitz Bischofs Bezelin Alebrand. Neue Schichtanalysen ergaben, dass der Steinring deutlich jünger ist und aus dem 12. Jahrhundert stammt. Für Hamburgs Chef-Archäologen keine Enttäuschung, ganz im Gegenteil. Er ist nun überzeugt, hier die Überreste des ältestes Hamburger Stadttors vor sich zu haben, einen Turm des Hamburger Stadtwappens: „Jetzt“, sagt Weiss freudestrahlend, „haben wir das Tor zur Welt“.


Die Ausstellung "Mythos Hammaburg – Archäologische Entdeckungen zu den Anfängen Hamburgs" ist zu sehen bis 26. April 2015, Museumsplatz 2 in 21073 Hamburg-Harburg
Öffnungszeiten: Das Museum ist Di-So in der Zeit von 10.00-17.00 Uhr für Sie geöffnet.
Eintritt 6 Euro; ermäßigt 4 Euro, bis 17 Jahren frei
Katalog zur Ausstellung: Veröffentlichung des Helms-Museums, Archäologisches Museum Hamburg, Stadtmuseum Harburg (Nr. 107), ISSN 2198-8897 / ISBN 978-3-931429-27-0. Herausgeber: Rainer-Maria Weiss und Anne Klammt
Weitere Informationen zur Ausstellung
Blog zur Ausstellung

Ab Oktober bietet das Archäologische Museum jeden Donnerstag von 14 bis 15 Uhr kostenlose Führungen zum aktuellen Stand der Ausgrabungen an. Da die Teilnehmerzahl begrenzt ist, ist eine verbindliche telefonische Anmeldung erforderlich. Kontakt: Dienstag bis Sonntag 10-17 Uhr unter (040) 42871-2497.
Termine: Oktober 2014 bis ca. Juli 2015, jeden Donnerstag, außer an Feier- und Schließtagen, von 14 bis 15 Uhr
Kosten: kostenfrei
Treffpunkt: Ecke Hopfenmarkt/Hahntrapp, 20457 Hamburg


Abbildungsnachweis:
Header: Digitale Rekonstruktion der Hammaburg vor 845. Copyright: Archäologisches Museum Hamburg
Galerie:
01. Ausstellungsplakat "Mythos Hammaburg"
02. Rekonstruktion der Hammaburg im heutigen Stadtbild. Copyright: Archäologisches Museum Hamburg
03. Karte mit Lokalisierung der ersten Siedlung. Quelle: Wikipedia CCC
04. Grabung auf dem Domplatz. Copyright: Archäologisches Museum Hamburg
05. Grabungsstätte "Neue Burg". Foto: Isabelle Hofmann
06. Grabungsleiter Kay-Peter Suchowa. Foto: Isabelle Hofmann
07. Schädel mit Kreuz. Foto: Isabelle Hofmann
08. Archäologisches Museum Hamburg
09. Erstes Stadtsiegel Hamburgs (Wachs-Replik). Foto: Isabelle Hofmann
10. Katalog zur Ausstellung. Copyright: Archäologisches Museum Hamburg

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