Fotografie
Bleicke Bleicken: „Sylt – Blicke zurück“. Fotografien aus den 1920er- bis 1950er-Jahren

Die Nordseeinsel Sylt steht heute für Urlaub, Strand, malerische Landschaft und auch für raues Klima und stürmische See.
Diese Zutatenkombination gibt es seit mindestens 150 Jahren. Unendlich viele Fotos sind von der Insel auf Postkarten, in Büchern, in Ausstellungen, in Fotoalben und im Netz zu finden – in allen Qualitäts- und Genrekategorien. Die Anzahl der qualitätsvollen künstlerischen Fotografie ist dagegen recht überschaubar, insbesondere, wenn man in die Zeit zwischen 1850 und 1950 blickt.

Die Galerie der Handelskammer Hamburg zeigt vom 15. April bis 6. Juni 2014 eine Auswahl von über hundert Fotografien des Sylter Fotografen Bleicke Bleicken (1898-1973). Bleicken arbeitete als Lehrer in Keitum und Tinnum, wurde von 1936 bis 1948 in den Kreis Segeberg versetzt, kehrte zurück und vertrat von 1962 bis 1973 als Bürgermeister Kampen. Die Fotografie gehörte seit Mitte der 1920er-Jahre nicht nur zu seinen Leidenschaften, sondern er übte diese auch fachmännisch aus, wenn er beispielsweile für die Firma Rollei verschiedene Kameras und Objektive für die Makrofotografie testete.

Bleicken ist Teil jener Generation, die Fotografie nicht lediglich aus rein ästhetischen oder dokumentarischen Gründen nutzten, sondern sich auch an literarischen und malerischen Vorbildern abarbeitete. Er orientierte sich vor allem an der neuen Sachlichkeit und an den Bauhaus-Stilen. Zeitgenössischen Fotografen wie Raoul Hausmann (1886-1971), Albert Renger-Patzsch (1897-1966), Arvid Gutschow (1900-1984) oder Andreas Feininger (1906-1999) konnte er fotografisch problemlos das Wasser reichen. Alle hier Aufgeführten weilten Ende der 20er-, Anfang der 30ger-Jahre auf Sylt und fotografierten. Somit existieren nachvollziehe Vergleichsgrößen. Renger-Patzsch postulierte „Die Landschaft als Dokument“ und beschrieb in seinen Sylt-Fotografien die „Schaffung eines charaktervollen Portraits der Landschaft“ in der Weise einer seriellen Reihung. Sein Credo liegt „im fremdartigen Zauber“ einer Region. Diesen Zauber finden die Betrachter auch bei Bleicken.

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Um Bleicke Bleicken in die fotografische Historie jener Zeit besser einordnen zu können, ist es sinnvoll, kurz die Geschichte der Fotografie auf Sylt zu beleuchten:
Das älteste bekannte Foto, das auf Sylt aufgenommen wurde, stammt aus dem Jahr 1853 und wurde als Daguerreotypie von Paul Ebe Nickelsen (1832-1894) berühmt. 1852 gründete Nickelsen in Westerland das erste Fotostudio und lichtete das dänische, später das wilhelminische Seebad (seit 1855) ab. Neben den urbanen Dokumentationen findet man im Sylter Archiv Glasplatten von Portraits, arrangierten Strandszenen und Landschaftsaufnahmen, die er als Erinnerungskarten für die Badegäste anbot. Waren 1880 bereits 2.000 Badegäste in Westerland, erhöhte sich die Zahl im Jahr 1905 schon auf mehr als 22.000.

Zu den berühmten und gleichzeitig kuriosen Nickelsen-Bildern gehört eines, das die rumänische Königin 1888 in rumänischer Nationaltracht in Westerland zeigt. Außerdem wird ihm ein Foto zugeschrieben, das wohl den Schriftsteller Theodor Storm im Jahr 1887 im Kreis seiner Tochter und Freunden in einem damals üblichen Strandkorb zeigt.

Nickelsens Schüler, Bernhard Lassen (1875-1941) übernahm 1895 das Fotogeschäft und führte die Arbeit fort.
Mit der modernen Fotografie, der Einführung der sogenannten „Trockenplatte“ und ab ca. 1925, der Kleinbildkamera, der Wechselobjektive und des Rollfilms veränderte sich neben den neuen Brennweiten auch die Möglichkeiten von Abfolgen, Serien und Geschwindigkeit. Voigtländer, Zeiss Ikon, Leica und später Rollei waren die führenden Produkte auf dem Gebiet und mit allen arbeitete Bleicke Bleicken.

Thematisch beschäftigte sich Bleicken in erster Linie mit der Landschaft, der See, dem Strand und den Dünen, dem Wattenmeer und der Pflanzenwelt. In einer ganzen Reihe von frühen Fotografien fokussiert er aber auch die Menschen der Insel, ihre Arbeit und Freizeit, die häuslichen Tätigkeiten, Kinder beim Spielen und die Alten im (Un-)Ruhestand. Ihm gelingt es, insbesondere vor 1935, einfühlsame, realistische Bilder aufzunehmen, die weder beschönigen, noch gestellt sind. „Mein Vater ging damals offen auf die Menschen zu, was er nach 1945 nicht mehr konnte“, sagt Tochter Anke Bleicken, die das Bildarchiv verwaltet. „Er sagte zu mir, dass die 20er-Jahre die schönste und unbeschwerte Zeit seines Lebens war.“ Ihr ist es zu verdanken, dass der fotografische Nachlass geordnet und fachgerecht aufgearbeitet wurde und wird. „Viele Arbeiten, Negative, Vintage-Abzüge und anderes Material waren und sind noch in alle Winde verstreut – es hat Jahre gedauert einen Großteil wieder zusammenzuführen. Insgesamt sind rund 3.600 Fotos auf Glasplatte und Negativen in verschiedenen Formaten im Nachlass erhalten. Die Zeitangaben zu einzelnen Bildern sind mitunter leider ungenau.“

Bleicke Bleicken starb am 31. Juli 1973 in Niebüll. Seine Fotowerke sind nun in Hamburg zu erleben.


Bleicke Bleicken: „Sylt – Blicke zurück“. Fotografien aus den 1920er bis 1950er-Jahren
Galerie der Handelskammer Hamburg
Adolphsplatz 1
20457 Hamburg
Ausstellung 15. April - 6. Juni 2014
Geöffnet: Mo-Do: 9-17 Uhr, Fr: 9-16 Uhr
Die Ausstellung wurde unterstützt von Claus und Annegret Budelmann und dem Severin Resort & Spa, Keitum.

Im Juni erscheint ein Fotobuch mit dem Titel
„Bleicke Bleicken: Sylt-Fotografie. 1925-1973“
Kehrer Verlag, Heidelberg
Autor: Christoph Stölzl
ISBN 978-3-86828-504-8


Abbildungsnachweis: © Bleicke Bleicken. (Archiv Anke Bleicken)
Header: Detail aus „Der Zug kommt“, Keitum, ca. 1931
Galerie:
01. „Querfeldein zum Leuchtturm“, Braderup, 1935
02. „Blick auf Keitum“, Munkmarsch, 1931-35
03. „Im Watt vor Keitum“, 1926
04. „Blick aufs Meer“, Sylt, 1931-35
05. „Am Strand“, Westerland, 1935
06. „Badespaß“, ca. 1931
07. „In den Sand geschrieben“, Sylt, 1931-35
08. „Buhnenreste mit Schatten“, Sylt, 1954
09. „Gestrandet – Die Adrar“, Sylt 1935
10. „Die Ringsteekers“, Keitum, ca.1925
11. „Kinder“, 1932
12. „Dachdecken“, Keitum, 1931
13. „Grete und Sönke“, Keitum, 1931
14. „Zieh hoch“, Wenningstedt, 1933
15. „Blitzeis“, 1931-35

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