Fotografie
Harry Callahan – Retrospektive

Ich wünschte, mehr Leute würden spüren, dass die Fotografie so ein Abenteuer ist wie das Leben selbst“, hatte Harry Callahan 1946 gesagt.
Damals war der Fotograf, der 1912 geboren wurde, noch ein junger Mann und hatte vor allem ein bevorzugtes Motiv: Seine schöne Frau Eleanor. Heute, vierzehn Jahre nach seinem Tod, gilt der Amerikaner als einer der einflussreichsten und innovativsten Fotografen der Geschichte. Dennoch blieb sein facettenreiches Werk in Europa bislang weitgehend unbekannt. insbesondere die Farbfotografie. Fest verankert im kollektiven Bilder-Gedächtnis ist lediglich eine Schwarz-weiß-Aufnahme, ein Bild, das zu den Ikonen der Fotografie des 20. Jahrhunderts zählt: Eine barbusige Nixe (Eleanor) mit langem, schwarzen Haar, die Augen geschlossen. Die Hamburger Deichtorhallen sind nun angetreten, die Sicht auf Harry Callahan zu erweitern. In der einer von Kuratorin Sabine Schnakenberg ganz wunderbar aufbereiteten Retrospektive wird sein umfangreiches Werk, das neben Porträts vor allem Naturaufnahmen und Stadtlandschaften zeigt, noch bis zum 23. Juni im Haus der Fotografie gezeigt.

„Wenn Deine Bilder nicht gut genug sind, warst Du nicht nah genug dran“, lautete die goldene Regel des legendären Magnum-Fotografen Robert Capa. Für Callahan scheint diese Regel nicht gegolten zu haben. Die Distanz zu seinen Objekten ist auffallend, ganz egal, wen oder was er nun vor der Linse hatte: Bäume, Straßen, Meer oder Menschen. Es gibt nur wenige Aufnahmen, in denen Callahan den Porträtierten wirklich nah kam, meistens hielt er diskret Abstand, auch bei den Aktaufnahmen, die er von seiner Frau machte. Eleanor nackt auf der Wiese, Eleanor nackt mit der gemeinsamen Tochter Barbara aus einem Bett – nie wirken diese atmosphärisch dichten Aufnahmen voyeuristisch – immer sind sie geprägt von Respekt und Achtung vor dem Gegenüber.

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Angesichts der spektakulären Formate, die man von zeitgenössischen Fotografen wie Andreas Gursky oder Wolfgang Tillmans gewohnt ist, werden die Sehgewohnheiten bei dieser Ausstellung auf eine harte Probe gestellt: Viele, viele kleinformatige Bilder, 282 insgesamt, darunter viele Reisebilder: Straßenfluchten, Plätze und Fassaden, die in Mexico, Portugal, Irland oder Marokko entstanden. Oft einsam und menschenleer. Es sind Aufnahmen, nicht schon von weitem auf sich aufmerksam machen, sie zwingen den Betrachter vielmehr, ganz nah heranzugehen und sich mit jedem einzelnen Bild zu befassen. Callahan hat über einen Zeitraum von 60 Jahren fotografiert, was er vor Augen hatte: Die ersten Dekaden seine Frau, bzw. seine Familie, die nächste Umgebung, Stadt und Natur. Später dann, nach Beendigung seiner Lehrtätigkeit am Institute of Design in Chicago (ab 1946), die Eindrücke, die er auf seinen zahlreichen Reisen festhielt. fremde Länder. Besonders in Erinnerung bleiben jedoch seine minimalistisch anmutenden Strukturen, die noch ganz vom New-Bauhaus-Stil beeinflusst scheinen: Telefonleitungen oder Baumkronen im Gegenlicht, Gräser im Schnee, Sonnenreflexionen auf dem Wasser – auf hartem Papier abgezogen und ohne Zwischentöne verwandeln sich diese Natur-Details zu abstrakten Kompositionen von ganz bezaubernder Poesie. Kompositionen, die aber auch deutlich machen, dass sich der Fotograf bereits in jungen Jahren durch und durch als Künstler verstanden hat.
Dabei war Harry Callahan von Haus aus Ingenieur. In seinen fotografischen Anfängen 1938 orientierte sich der Autodidakt an der Lehre von Laszlo Moholy-Nagy am „New Bauhaus“ in Chicago. Ebenso beeinflusste ihn die „Straight Photography“ von Ansel Adams (1902-1984), die „reine Fotografie“, die Bildkomposition, absolute Bildschärfe und Detailtreue zu den zentralen Kriterien ihrer Bildästhetik machte.

Aber bald schon überwand Callahan die Ästhetik des Realismus, experimentierte mit Licht und Strukturen und entwickelte zunehmend seine eigene Handschrift. Obwohl Callahan, bereits sehr früh in Farbe fotografierte, sind seine Diapositive bis heute fast gänzlich unbekannt geblieben. Grund war die Technik: Die Papierabzüge hatten bis in die 80er Jahre wesentlich schlechtere Qualität als die original Dias und waren für Callahan schlichtweg nicht ausstellbar. Bekannt wurden deshalb nur seine in Schwarz-Weiß produzierten Silbergelatineabzüge, die das Museum of Modern Art bislang in insgesamt 38 Ausstellungen zeigte und die 1978 auch auf der Biennale von Venedig zu sehen waren. Harry Callahan war damals der erste Fotograf, der die USA in Europa vertreten durfte. Fünfunddreßig  Jahre später rücken die Deichtorhallen nun erstmals die Farbaufnahmen in den Fokus und sorgen dafür, dass Callahans Werk erstmals in seiner Gänze erfasst wurde. Es ist eine echte Entdeckung.


Harry Callahan – Retrospektive. Zu sehen bis 9. Juni in den Deichtorhallen Hamburg (bis zum 23. Juni verlängert), Deichtorstraße 1-2, 20095 Hamburg. Geöffnet: Di-So 11-18 Uhr, jeden ersten Do im Monat: 11-21 Uhr.
Infos unter www.deichtorhallen.de

Fotonachweis:
Header: Detail aus Harry Callahan: Ireland, 1979 © The Estate of Harry Callahan. Courtesy Pace/MacGill Gallery, New York
Galerie:
01. Stephan Brigidi: Harry Callahan, Bristol 1993 © Stephan Brigidi 1993
02. Harry Callahan: Atlanta, 1943 © The Estate of Harry Callahan. Courtesy Pace/MacGill Gallery, New York
03. Chicago, 1949 © The Estate of Harry Callahan. Courtesy Pace/MacGill Gallery, New York
04. Detroit, c. 1943 © The Estate of Harry Callahan. Courtesy Pace/MacGill Gallery, New York
05. Eleanor, 1947 © The Estate of Harry Callahan. Courtesy Pace/MacGill Gallery, New York
06. Eleanor, Chicago, 1948 © The Estate of Harry Callahan. Courtesy Pace/MacGill Gallery, New York
07. Eleanor, Chicago, 1951 © The Estate of Harry Callahan. Courtesy Pace/MacGill Gallery, New York
08. Providence, 1978 © The Estate of Harry Callahan. Courtesy Pace/MacGill Gallery, New York
10. Providence, 1979 © The Estate of Harry Callahan. Courtesy Pace/MacGill Gallery, New York.

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