Film

Stéphane Brizé inszeniert „Zwischen uns das Leben“ als melancholisch romantisches Drama über verpasste oder falsch genutzte Chancen im Leben und in der Liebe, -eine hinreißende Beziehungsstudie in der Tradition von Richard Linklaters „Before“-Trilogie.  

 

Landschaft und Innenräume spiegeln die Gefühle wider, doch hinter der Einsamkeit der Protagonisten verbergen sich auch die selbstkritisch-ironischen Reflektionen des französischen Autorenfilmers über den Berufsstand von Regisseur und Schauspieler- heroisch und lächerlich zugleich.  

 

Mathieu (grandios Guillaume Canet) hat hingeschmissen, einfach so aus heiterem Himmel vier Wochen vor seinem mit Spannung erwarteten Bühnen-Debüt, hat sich verabschiedet, ist aus Paris geflohen. Er kann nicht mehr. Unverständnis von Seiten der Betroffenen, gehört Mathieu doch zu den bekanntesten Filmstars des Landes, einer dem die Bewunderer zu Füßen liegen oder zumindest ein Selfie mit ihm machen wollen. Er war gewohnt an Lobeshymnen und Personality-Porträts in Hochglanz-Magazinen, zufrieden aber war er schon lange nicht mehr, geschweige denn glücklich. Und obendrein hat er auch noch den Neustart vermasselt, von dem er sich, neuen Schwung, neue Perspektiven, mehr künstlerische Gravitas versprach. Die Nerven sind ihm durchgegangen, nun verkriecht sich der attraktive Endvierziger samt Selbstzweifeln und Versagensängsten in einem steril luxuriösen Wellness-Hotel an der bretonischen Westküste. 

 

Die Hauptsaison ist vorbei, Straßen und Strände menschenleer. Die Lounge des Hotels ähnelt einem unbewohnten Planeten, ungerührt schiebt eine Seniorin im weißen Bademantel ihren Rollator Richtung Fahrstuhl. Abgesehen von den Angestellten, die auf ein Selfie mit dem Leinwandstar beharren, bleibt Mathieu allein mit seinen düsteren Gedanken. Auf dem Handy sammeln sich die Nachrichten, der enttäuschte Regisseur beklagt sein unprofessionelles Verhalten. Er müssen lernen zu atmen, sagt der Personal Trainer. Am Telefon versucht der Schauspieler seiner Lebensgefährtin, einer bekannten Moderatorin und Mutter seines Sohnes, zu erklären, warum er den Schuldgefühlen so hilflos ausgeliefert sei, die reagiert eher uninteressiert. Blick nach vorn, lies die Drehbücher, die Du mitgenommen hast, steh für Deine Fehler ein, lauten ihre Ratschläge. Nichts will ihm gelingen, selbst die Lichtschranke der Espresso-Maschine bringt ihn zur Verzweiflung, er könnte nur heulen und das tut er auch. Da erreicht ihn eine Nachricht von Alice, (umwerfend: Alba Rohrwacher), vor mehr als 15 Jahren, zu jener Zeit war Mathieu noch keine Celebrity, hatte er sich in Paris von ihr getrennt, heute lebt die einstige Flamme mit Ehemann und Tochter unweit des Spa. Seit damals hatten die beiden nie mehr Kontakt. 

 

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Beim Treffen im Café ist die anfängliche Unsicherheit bald überwunden. Alice verzaubert den Schauspieler (und auch uns) mit ihrem unwiderstehlichen melancholischem Charme, hinter ihrem Lächeln verbirgt sie den quälenden Schmerz, sich selbst nie als Pianistin realisiert zu haben. Die nur langsam verheilten Wunden von dem hässlichen abrupten Ende ihrer damaligen Beziehung brechen wieder auf, gleichzeitig kehrt auch die Sehnsucht zurück. Ihre Welten könnten gegensätzlicher nicht sein, doch zusammen teilen und durchbrechen sie ihre Einsamkeit. Am Ende des Tages nehmen sie Abschied voneinander, um sich am nächsten Tag entgegen aller Vernunft wieder zu sehen und wieder Abschied zu nehmen. „Zwischen uns das Leben“ beginnt kühl, mit einer Art leicht absurden Humors, der uns an Sofia Coppolas „Lost in Translation“ erinnert, doch wenn Alice auftaucht und die Protagonisten über verpasste Chancen oder ramponierte Träume reflektieren, ändert Stéphane Brizé Tonalität und Stil. 

 

Auf die Frage an den Regisseur, welches Gefühl ihn dominierte, als er die Idee zu „Dehors saison“ (so der Originaltitel) hatte, antwortet Brizé: „Ein sehr ähnliches wie bei meiner Hauptfigur von „Der Wert des Menschen“ (2015) und „Another World“ (2021), ähnlich auch wie bei Jeanne aus „Ein Leben“ (2016): Desillusionierung. All diese Figuren glaubten an etwas, hatten eine ganz bestimmt Vorstellung von den Menschen und der Welt. Bis sich ihr Standpunkt nach einem Verrat oder Verlassenwerden ändert, ob durch ein Unternehmen oder ihre Familie. Ich schreibe und inszeniere Filme, um mehr Klarheit zu erlangen. Aber keine Annehmlichkeit kommt ohne Unannehmlichkeit und Hellsicht kann eine Schwäche sein. Deshalb musste ich den Moment abwarten, in dem ich von der Wut, auf der diese Filme aufbauten, erschöpft war.“ Brizé fühlte sich verwirrt, war desillusioniert, genau diese Gefühlslage sollte „Dehors saison“ spiegeln: „Ich wollte etwas machen, das weniger brutal ist als meine vorherigen Filme. Wie meine Figuren musste auch ich meinen Schutzmantel fallen lassen. Außerdem kam meine „Sozial-Trilogie“, wie manche Leute sie nennen, mit der Corona-Pandemie zu einem Abschluss. Die Erfahrung der Isolation zwang uns alle dazu, den Pause-Knopf bei unseren eigenen Aktivitäten zu drücken. Für uns als Individuen, die vor allem in sozialen Gefügen funktionieren, war das eine destabilisierende Erfahrung. Wahrscheinlich haben wir alle intensiv gespürt, wie unglaublich unsicher unsere Existenz ist. Meine Figuren spiegeln diesen Moment des Schwindelgefühls wider.“ 

 

Ein Küstenstädtchen außerhalb der Saison als idealer Schauplatz für das Erinnern: „Ich wollte in diesem Moment verweilen, in dem wir über Entscheidungen nachsinnen, die wir nie getroffen haben, oder ein Fehler waren, über Begegnungen, die wir verpasst oder falsch genutzt haben, über Türen, die wir nie aufgestoßen haben, über Momente im Leben, in denen wir uns für den einen Weg entschieden haben, statt für einen anderen. Ich wollte diesen eindringlichen, geheimen Grübeleien nachgehen, einen Film darauf aufbauen.“ Warum ein Schauspieler als Protagonist? Brizé hatte mit sich gerungen: „Ich war argwöhnisch, mir es in unserer eigenen kleinen Kinowelt gemütlich zu machen, die berechtigterweise als privilegiert betrachtet werden kann. Vor allem in Hinblick auf den Star-Status unserer Hauptfigur. Wen soll die innere Gemütslage eines Filmstars interessieren? Die Antwort war simpel. Sein Beruf und sein Berühmtsein sind nicht das Thema. Unsere Figur hinterfragt sich selbst, hegt Selbstzweifel, wird von denselben Ängsten und demselben Schwindelgefühl geplagt wie alle anderen auch. Andererseits bringt die Tatsache, das andere davon überzeugt sind, er müsse auf Grund seines Erfolgs glücklich und zufrieden sein- eine Einstellung, der er sich verpflichtet sieht, sie nach außen zu spiegeln- eine weitere Ebene der Ironie in seiner Misere. Wie Lous Jouvet (1887–1951) einst sagte: „Es gibt nichts Nutzloseres und Sinnloseres, und nichts Notwendigeres als das Theater.“ 

 

Ich brauchte diese Selbsthinterfragung von jemandem, den ich für erhaben, notwendig und nutzlos halte. Die Arbeit eines Schauspielers hat etwas Lächerliches und Heroisches zugleich. Eine Verschärfung dessen, was in unserer eigenen Existenz lächerlich und heroisch ist. Das Erhabene und das Nutzlose sind eng miteinander verbunden. Erhaben deshalb, weil ein Schauspieler das kollektive Unbewussten durch die Rollen, die er/sie spielt, projektiert. Und komplett nutzlos, weil, wenn ein Film niemals realisiert wird, keiner davon weiß und niemandem das gleichgültiger sein könnte… Der Schauspieler ist gleichzusetzen mit einem Sänger, Regisseur, Autor oder Maler. Er dient keinem konkretem oder nützlichen Zweck. Und doch sind Schauspieler wunderbar und unverzichtbar, denn sie erzählen Geschichten über die Welt und ihre Bewohner. Der Schauspieler hat eine poetische und eine politische Funktion. Das ist genau das, was ich brauchte, um den Strudel der Emotionen, in den meine Figuren geraten, und die tragische Banalität des Augenblicks zu verbinden." 

 

Virtuos beherrscht Brizé die Kunst des Abschweifen, jeder Umweg eröffnet einen neuen Horizont wie die Hochzeitsfeier zweier hochbetagter Frauen in einem Altersheim, ein Abend ungeahnten Glücks für Alice und Mathieu, sie tanzen, sie lachen, so nahe waren sie sich vielleicht noch nie. Komiker ahmen die Balzrufe der Vögel nach und die Welt verwandelt sich in einen magischen Ort. Wenn die beiden am Tag über felsige Klippen klettern, am Strand entlang gehen, lächelnd, den Blick gesenkt, können wir uns nicht vorstellen, dass sie sich je wieder trennen, sich je getrennt haben. Jene schmerzvolle Zärtlichkeit braucht keine Worte und doch beginnen die beiden zu sprechen, er schuldet ihr noch eine Entschuldigung nicht nur für das herzlose Ende der Beziehung, eine Entscheidung, die er im tiefsten Innern bereut, sondern sie als Künstlerin, als Pianistin nie wirklich wahr genommen zu haben. Ironie macht es leichter, sich der Wahrheit zu stellen, dem Strudel ständig wechselnder Emotionen. Alice hat ihre tiefsten Gefühle irgendwann aufgegeben und hat sich in ein anderes Leben geflüchtet, mit einem Mann, der sie liebt, der sie niemals verletzen würde. „Sie beschützt sich damit selbst“, so Brizé, „das ist nur allzu menschlich. Aber dieser Schutz wird dünn, und weil sie auch sehr mutig ist, bringt sie sich in Gefahr. Wie wenn wir uns dem Rand einer Klippe nähern, um die Zerbrechlichkeit unserer Existenz zu spüren."

 

„Zwischen uns das Leben“ ist "kein kämpferischer, kein direkter Films nahen“, sagt Brizé. „Ich hatte das Bedürfnis, die Kamera von der Schulter des Kameramanns zu nehmen, anders als bei den vier vorherigen Filmen- und sie auf ein Stativ zu setzen, um das Gefühl des Stillstands zu vermitteln, das die beiden empfinden. Bei Guillaumes Figur ging es darum, sein Gebrochen-Sein zu übersetzen, ihn in den Mittelpunkt von Innen- und Außenansichten zu platzieren. Die Bilder suggerieren, dass er in seinem Kummer und seinen Zweifeln untergeht, was Mathieu sowohl tragisch als auch lächerlich (komisch) macht. Bei Albas Alice verhielt es sich anders. Wir mussten daran arbeiten, sie zu isolieren, als wäre sie inmitten anderer Menschen allein mit ihrem Geheimnis- auch bei festlichen Anlässen wie dem Geburtstag ihrer Tochter oder wenn sie und ihr Ehemann Gäste zum Abendessen im Haus haben.  Wenn Alba und Guillaume dann zusammenkommen, gibt es kaum eine Einstellung, in der die beiden nicht zusammen sind. Es ist, als wäre die Einsamkeit endlich durchbrochen worden und damit das Bedürfnis zusammen zu sein. Die Herausforderung bestand darin, eine Geschichte mit zwei Menschen zu erzählen, die sich nicht streiten, die ein wenig erschöpft sind von den Jahren, die hinter ihnen liegen und die nicht versuchen, einander zu verführen. Zwei Menschen, die nicht versucht haben, einander zu finden, die sich freuen einander wiederzusehen, weil sich die Gelegenheit zufällig ergeben hat, sie hegen keinen Hass gegeneinander. Die Fäden werden straffer, und es kommt nach und nach zum Vorschein, was ungesagt bleibt, aber nicht alles, der inneren Schmerz wird enthüllt und die Lügen, die wir uns und anderen erzählen. Die Geschichte ist auch deshalb spannend, weil der Zuschauer etwas über den Schmerz der beiden erfährt, ohne dass sie ihn sich gegenseitig zeigen. Der Film beschwört, aber erklärt nicht. Es muss alles klar sein zwischen den beiden Hauptfiguren und trotzdem braucht es die Leerstellen für die Fantasie der Zuschauer. Die Bilder evozieren auch ein Raum-Zeit-Gefüge, das keine objektive Gegenwart abbildet, aber auch keine überholte Vergangenheit."

 

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Zwischen uns das Leben

Originaltitel: Hors-saison

Regie: Stéphane Brizé

Drehbuch: Stéphane Brizé, Marie Drucker

Darsteller: Guillaume Canet, Alba Rohrwacher, Sharif Andoura 

Produktionsland: Frankreich, 2023

Länge: 115 Minuten 

Kinostart: 1. Mai 2023

Verleih: Alamode Filmdistribution 

Fotos, Pressematerial & Trailer: Gaumont / Alamode Film

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