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Der Goldene Handschuh Film

„Der Goldene Handschuh”, jenes Hybrid aus Charakterstudie und Horrorfilm, polarisiert Kritiker wie Zuschauer: Regisseur Fatih Akin inszeniert wagemutig Heinz Strunks gleichnamigen Bestsellerroman als Plädoyer für den Voyeurismus, gibt Ekel und Würde eine neue tiefere Bedeutung.

Das klaustrophobische Kammerspiel über den Serienmörder Fritz Honka (grandios Jonas Dassler) entwickelt sich in seiner Radikalität zum ästhetisch atemberaubenden ungeschönten Gesellschaftspanorama der 70er Jahre, deutlich spürbar der Einfluss von Charles Bukowski und Rainer Werner Fassbinder.

Zeitgleich mit der 68er-Bewegung verlangte bundesdeutschen Regisseuren, Drehbuchautoren und Schauspielern nach Hässlichkeit, der Authentizität des Elends, man bestarrte die Tristesse nicht als Tourist sondern bezog unweit davon Quartier. Das Credo lautete: „Nie wegsehen”, der Nationalsozialismus durfte sich nicht wiederholen. Es war die Suche nach Identität, Abgrenzen vom blühenden Wirtschaftswunderland, selbst wenn man längst Teil dessen Kulturbetriebs war. Noch schien die Bundesrepublik unerträglich spießig, weit entfernt vom einstigen Metropolen-Glamour der Goldenen Zwanziger, irgendwie kümmerlich im Vergleich zu Rom, Paris oder New York. Kino und Theater waren desto mehr existenzieller Zufluchtsort der Kreativen.

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Die US-amerikanische Fotografin Diane Arbus (1923-1971) lehrte uns damals Einfühlsamkeit mit ihren schonungslosen Porträts von Exzentrikern und Randfiguren der Gesellschaft, sie gab dem Absonderlichen eine Würde, und ähnlich verfährt auch Faith Akin. Die enge dreckige versiffte Mansarde von Fritz Honka erinnert an die Installationen des in Fairfield, Washington geborenen Künstlers Edward Kienholz (1927-1994). Die Behausung unterm Dach spiegelt das Innenleben und die Vergangenheit des Protagonisten. Hunderte von stark vergilbten Pornofotos kleben überall an den Wänden. Hübsche junge Mädchen in nur leicht verruchten Posen, nichts Krasses, ihr Blick ist permanent auf uns gerichtet. Puppen und Püppchen thronen auf dem abgewetzten Sofa und der Kommode, manche halbnackt, einige heruntergefallen.

Hier füllt der dreißigjährige Serienmörder seine Opfer mit Alkohol ab, vergewaltigt sie, erschlägt und erwürgt die Frauen. Die zerstückelten Leichenteile verstaut er in den Abseiten der Mansarde, man glaubt den Gestank zu spüren, nicht nur weil Nachbarn und Besucherinnen darüber klagen Trotzdem behauptet sich inmitten ärgster Verwahrlosung noch ein Hauch von Sehnsucht nach Bürgerlichkeit und Normalität. Regisseur Akin komprimiert die Romanvorlage auf das Porträt Honkas, Zuschauer wie Protagonist können dem Horror nicht entrinnen. Hier im Film gibt es keine Gegenwelten, nur ein blondes hübsches, ob nicht erreichtem Klassenziel missgelauntes Teenie Mädchen und ein bebrillter höchst unattraktiver Mitschüler aus besserer Familie verirren sich in die Absturzkneipe am Hamburger Berg, „Der Goldene Handschuh”. Doch anders als die gelegentlichen Besucher aus der Künstler-Szene ahnen sie nicht, was sie hier erwartet.

Den bebrillten Außenseiter fasziniert anfangs das soziale Abseits, der obszöne Schlagabtausch zwischen den Stammgästen, auch wenn er gehänselt wird. Was dann unten im Pissoir geschieht mit ihm, geht nicht auf Honkas Konto, aber gehört gewiss zu einer der entsetzlichsten Momente des Films, wenn auch als Metapher und Relikt des nationalsozialistischen Gedankenguts grauenvoll genial, triffst es doch den Kern jener wahnwitzig perversen Ideologie von Machtgier und Erniedrigung. Der niedlichen Blonden ist der Protagonist schon mal begegnet vor einem Café, er hat ihr Feuer gegeben und zumindest hat sie ihn nicht mit einer vulgär abfälligen Bemerkung abgestraft, wie er es sonst gewohnt ist. Sie geistert von nun an als Idol durch seine Fantasie, macht ihm die Hässlichkeit seiner Begleiterinnen doppelt bewusst, Hass, Aggression und Lust wachsen ins Unerträgliche.

A-Festivals in der Rangordnung von Berlinale oder den Filmfestspielen in Venedig wurden für die arrivierten deutschen Regisseure Akin und von Donnersmarck unerwartet zum unberechenbaren Minenfeld. Zu den wohlfeilen Kritikpunkten am „Goldenen Handschuh” gehörte, dass keine Gebrauchsanweisung mitgeliefert würde, wie umgehen mit diesem abstoßenden Anti-Helden, wo bleibt die Vorgeschichte oder Anamnese? Bewusst hat Akin psychologische Klischees ausgespart. Die Hauptfigur erklärt sich aus sich selbst heraus, das ist das Großartige an dieser drastischen wie unpoetischen Fabel über menschliche Abgründe. Honka umgibt nicht der Intellektuellen-Nimbus eines Serienkillers wie Hannibal Lecter aus „Das Schweigen der Lämmer” oder das vermarktbare Image von Ted Bundy in „Extremely Wicked, Shockingly Evil and Vile”. Deren Horror-Morde ob Fiktion oder Wirklichkeit werden zelebriert und glorifiziert. Die klägliche Gestalt vom Hamburg Berg erlangt nie den historischen Mitleidsbonus wie „Der Glöckner von Notre Dame”, und doch wurde auch er Teil der Populärkultur.

Sein Gesicht und sein Körper gleichem einem Schlachtfeld, das grauenvoll schielende Auge, die plattgedrückte Nase, die scheußlichen braunen Zahnstümpfe, der Rücken verkrüppelt. Silikonprothese und Linse helfen dem 23jährigen gutaussehenden Jonas Dassler sich in ein fragiles Monster zu verwandeln, den selbst die betrunkenen Gelegenheitsprostituierten mit gehässigen Obszönitäten verhöhnen. Von ihm wollen sie keinen Korn mit Fanta spendiert kriegen. So nah war der Zuschauer selten an der Erniedrigung. Honka gehört nirgendwo hin, ein Verlorener unter Verlorenen, Proletariat und Verzweiflung sind kein Garant für Loyalität, er lebt in einer Art Niemandsland, diffamiert allein weil er abstoßend ist, seine einzige Anlaufstelle ist jener Alkoholiker-Treff, 24 Stunden geöffnet, stolz erzählt der Barkeeper den Neulingen, dass einer unbemerkt zwei Tage tot am Tresen hing. Hässlichkeit als Maske kreiert, wird auf der Leinwand Auslöser für den Zorn auf Frauen, in der Wirklichkeit verstecken sich Gewalt, Machtanspruch und Sadismus meist hinter der Maske eines angenehmen Äußeren, vertrauenswürdig oder verführerisch. Und doch die Mechanismen der Frustration sind ähnlich, Verweigerung, das Lachen einer Frau, noch nicht einmal bös gemeint, sind Trigger, jede Art von weiblicher Widerstand muss gnadenlos gebrochen werden.

Das Porträt Fritz Honkas wird so zur Hardcore-Parabel in Zeiten von #MeToo. Diesen Film hätte eigentlich schon längst eine Frau drehen sollen, der Protagonist besitzt, wenn man genau hinschaut, durchaus exemplarischen Charakter. Wir begegnen ihm zum ersten Mal auf der engen steilen Holzstiege daheim, wie er mühevoll die gut verpackte Leiche einer Frau durchs finstere Treppenhaus schleift, eine Tür öffnet sich, die kleine niedliche Tochter der griechischen Nachbarn schaut heraus, der Anblick des entstellten Mannes lässt das Mädchen erstarren, dann knallt sie die Tür zu. Die Milieustudie verfügt auch über skurrile wie komisch surreale Momente, das pure stille Entsetzen, der Ekel aber überwiegt. Honka macht sich daran, die Leiche zu entkleiden, vom Fernsehen und Kino sind wir nackte Körper auf dem Seziertisch gewöhnt, dies grenzt ans Unerträgliche, das Tabu Hässlichkeit wird gebrochen anders als bei Ulrich Seidl, uns stockt der Atem, nicht weil wir wissen, dass gleich der Täter einen Arm absägen wird, wenn auch außerhalb unseren Blickfeldes, sondern es ist die Scham, die uns erschauern lässt, die unbewusst Angst vor dem eigenen Verfall. „Der Goldene Handschuh” und seine Akte der Zerstörung ähneln nichts, was wir je zuvor auf der Leinwand gesehen haben, nicht dass es so extrem wäre, aber von unglaublicher Intensität und an Kläglichkeit kaum zu überbieten ist und vor allem überragend inszeniert. Was in diesen 110 Minuten geschieht, hat die literarische Qualität von Cormac McCarthy und ist das absolute Gegenteil eines schillernden Splatter-Spektakels.

Was sich in blindem Hass entlädt, muss später zerstückelt und verpackt werden, ein mühseliges Geschäft. Auf dem Plattenteller dreht sich Adamos „Es geht eine Träne auf Reisen”, gegen den Gestank hilft kein Raumspray. Schlammige Brauntöne dominieren, aus diesem Sumpf kommt keiner mehr raus. Es ist Faith Akins stärkster Film, die Umkehrung einer Lovestory und doch träumen alle am Rande des Abgrunds davon. In der Jukebox der Kneipe plärren die Schlager, „Alles was Du willst, kannst Du nicht haben, buona notte.” Gefühle funktionieren hier nicht über Worte sondern durch die Bilder von Kameramann Rainer Klausmann. Fritz Honka findet dann doch immer wieder eine alte unansehnliche Gelegenheitsprostituierte, schon sturzbetrunken, die er mit einer Flasche Korn nach oben in seine Mansarde locken kann. Sie trotten ihm nach raus aus der Einsamkeit wie Gerda Voss, umwerfend gespielt von Margarethe Tiesel. Es sind unendlich schwierige Rollen für die Frauen, eine Psychologin stand ihnen am Set zur Seite. Sie müssen Menschen verkörpern, die die bürgerliche Gesellschaft längst entsorgte, Mitleid mit sich selbst und anderen haben sie verlernt, selbst der Gestank in der vom Tod verpesteten Wohnung vertreibt Garda nicht. Sie etabliert sich in der Trostlosigkeit, nach schlimmsten Demütigungen und Misshandlungen macht sie sich unaufgefordert daran, die Wohnung aufzuräumen, spült das klebrige Geschirr, genießt das, was sie als Normalität empfindet und ist dafür zu jeder weiteren Selbsterniedrigung bereit.

Die Frauen stehen für Abertausende entrechteter Kreaturen, schon jetzt verloren, keiner wird sie nach ihrem Tod vermissen. Sie flüchten, rächen sich auch mal, kämpfen wie die ehemalige Insassin eines KZs bis zum letzten Atemzug ums Überleben. Ekel bedeutet hier das Begreifen von Verfall, körperlichen wie seelischen. Akzeptieren wir Ekel als Reaktion bei uns selbst, nehmen wir ihn als Zeichen von Solidarität mit den Entrechteten, Unterdrückten, Verirrten, er kann uns aufrütteln, bewusst machen, wie andere leiden. Jenen Ekel werden wir vielleicht eines Tages empfinden beim Anblick unseres eigenen Körpers, wenn er sich auflöst.

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Originaltitel Film: Der Goldene Handschuh

Regie + Drehbuch: Fatih Akin (nach dem gleichnamigen Roman von Heinz Strunk)
Darsteller: Jonas Dassler, Margarethe Tiesel, Katja Studt, Marc Hosemann, Tristan Göbel, Uwe Rohde, Hark Bohm, Victoria von Trauttmansdorff
Produktionsland: Deutschland, 2019
Länge: 110 Minuten
Kinostart: 21. Februar 2019
Verleih: Warner Bros. GmbH

Fotos, Pressematerial & Trailer: Copyright
Warner Bros. GmbH

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