„God’s Own Country”. Das unerwartete Ende der Einsamkeit
- Geschrieben von Anna Grillet -
„Eine innige, aber zugleich schroffe Liebesgeschichte” nennt Francis Lee seinen Film. „God’s Own Country”, das sind große gewaltige Gefühle in Nahaufnahme, ein furioses packendes Drama.
Die stürmischen Hochmoore im nordenglischen Yorkshire waren schon Schauplatz von Emily Brontës „Wuthering Heights”. Jene zerklüftete raue Felslandschaft prägt die Menschen, wird Spiegel ihrer heimlichen Hoffnungen und Ängste. Der britische Regisseur ist hier aufgewachsen, er drehte nur zehn Minuten von der elterlichen Farm entfernt. In seiner Jugend schien er sich der archaischen wilden Schönheit der Gegend noch nicht bewusst, empfand sie als erdrückend, brutal und ging nach London, um Schauspieler zu werden.
Francis Lee hat sich später oft gefragt, wie seine Welt aussehen würde, wenn er daheim geblieben wäre. Das ist der Ausgangspunkt für „God’s Own Country”: Die Verantwortung überfordert Johnny Saxby (Josh O'Connor). Der 24-jährige hasst das entbehrungsreiche Leben und die harte Arbeit auf der abgelegenen Schafsfarm seiner Familie in den Penine Hills, er glaubt zu ersticken. Der Vater, Martin Saxby (Ian Hurt), ist krank und verbittert, weil ihn die Frau verlassen hat, der Hof nicht genug Geld bringt. Eine stoisch unfreundliche Großmutter (Gemma Jones) kümmert sich um den Haushalt. Wenige Worte werden nur gewechselt, grob, fast bösartig. Um seinen Frust zu betäuben, besäuft sich Johnny jeden Abend im Pub. Er ist mürrisch, feindselig, will mit niemandem sprechen, ab und zu hat er unverbindlichen Sex mit jungen Männern.
Der Vater beharrt auf einem Saisonarbeiter während des Frühjahrs, wenn die Lämmer geboren werden. Johnny fügt sich nur widerwillig. Misstrauen, Wut, Verachtung steckt in jeder seiner Gesten, in jeder verbalen Äußerung gegenüber dem attraktiven Fremden. Er verhöhnt den gleichaltrigen Rumänen als „Zigeuner”. Gheorghe Ionescu (Alec Secăreanu) ist im Gegensatz zu ihm mit Leidenschaft Farmer, packt gern zu, hat viel Erfahrung, der Zuschauer spürt vom ersten Moment an, welche Willenskraft und Zärtlichkeit in ihm stecken, er geht behutsam, liebevoll mit den Tieren um. Den Hohn, die Herablassung, Gheorghe kennt sie zur Genüge, noch wehrt er sich nicht dagegen, reagiert mit kühler Höflichkeit und bezieht den ungemütlichen Camper vor dem Haus, man wäre ja „kein Obdachlosenasyl”, erklärt die Großmutter. Die Kamera weicht den beiden Protagonisten nicht von der Seite. Aus flüchtigen Blicken werden erste Berührungen.
Regen, Sonnenschein, Schneeschauer wechseln ständig, der Zuschauer glaubt, die Kälte zu spüren. Die Natur ist unberechenbar wie die Emotionen der beiden Männer. Gheorghes Gegenwart verunsichert Johnny, er fühlt sich unterdrückt, eingesperrt, mehr Befehlsempfänger als Sohn, einer der den Ansprüchen seiner Familie nie genügt. Die Mutter flüchtete vor der Eintönigkeit des bäuerlichen Daseins, die Kindheit blieb ohne Wärme, Geborgenheit. Jetzt kann er nicht unterscheiden zwischen Aggression und Anziehung. Eine entlegene verfallene Ruine bei den Schafsherden wird das Quartier während der nächsten Wochen. Die harte Arbeit zwingt zum Miteinander, zur Nähe. Die Szenen sind von verstörender Eindringlichkeit und Intimität, manchmal erbarmungslos traurig, voll unausgesprochener Sehnsüchte. „Zigeuner”, dieses Wort lässt der Rumäne, Johnny nicht noch einmal durchgehen, er wirft den Unbezähmbaren zu Boden, demonstriert Überlegenheit. Aus der körperlichen Auseinandersetzung entwickelt sich wenig später ihre erste sexuelle Begegnung: ein Mix aus Schlamm, Schweiß, animalische Gier, Wut, mehr Kampf als Umarmung. Diese Explosion widersprüchlicher Emotionen ist atemberaubend, zutiefst berührend und schauspielerisch meisterhaft.
„God’s Own Country” erhielt in Sundance den Preis für die Beste Regie. Oft wird der Film mit „Brokeback Mountain” (2005) verglichen, es ist vielleicht als Kompliment gemeint, aber Franics Lee schätzt es trotzdem nicht. Zu Recht. Die Geschichte jener homosexuellen Liebesbeziehung zweier Cowboys in Wyoming über den Zeitraum von 20 Jahren mit Heath Ledger und Jake Gyllenhaal in den Hauptrollen ist eigentlich genau das Gegenteil. Ang Lees Drama beginnt Anfang 1963, schwul sein war ein Tabu für die Protagonisten und ihre Umwelt. Auch Johnnys Großmutter ist erzkonservativ genau wie der Vater, aber als die alte Frau die beiden per Zufall in zärtlicher Umarmung entdeckt, ohne dass die Männer etwas davon ahnen, ist sie vielleicht einen Augenblick lang perplex, begreift dann aber, dass ihr Enkel zum ersten Mal glücklich ist, zum ersten Mal Freude an der Arbeit verspürt. Und so weiß sie, Gheorghe ist der perfekte Partner für ihren Johnny, nur er konnte diesen verschlossenen Jungen aus seiner Isolation und Erstarrung herauslocken. Bei dem britischen Regisseur sind es Fremdenfeindlichkeit und Klassenschranken, welche die Menschen voneinander trennen. Nicht die Sexualität ist das Problem, sondern jene tragische Vereinsamung des Einzelnen, die Unfähigkeit zu lieben, überhaupt irgendetwas zu fühlen.
Schauspielerisch grandios der schlaksige Josh O'Connor („Peaky Blinders”), nur widerstrebend öffnet sich Johnny, jedes Wort muss er sich abringen, steht immer wieder sich selbst im Weg, es dauert, bis er Zärtlichkeit zulassen kann, nicht nur den harten schnellen Sex der Unverbindlichkeit. Er (und mit ihm der Zuschauer) lernt durch Gheorghe die Schönheit um sich herum bewusst wahrzunehmen. Der Rumäne vermisst seine Heimat. Er will nicht noch einmal wie dort zusehen, wie eine Farm zu Grunde geht, weil sie wirtschaftlich unrentabel geführt wird, er hat klar umrissene Vorstellungen davon, wie die Zukunft aussehen soll. Das alles erzählte Francis Lee ohne jede Sentimentalität, fast beiläufig. Das langsame Einander Verfallen der beiden Männer ist wie ein Teil der Natur, sie beherrscht den Film, ist rau, schwer zugänglich, von wilder Pracht, ihr muss alles abgerungen werden ähnlich den Protagonisten. Der Autorenfilmer sagt von sich selbst, er sei kein großer Fan von Dialogen, er bevorzugt Bilder, einen intensiven unerbittlich visuellen Stil, hier wird alles zum emotionsgeladenen Erlebnis: der undurchdringliche Nebel, in dem die Gestalten ihre Konturen verlieren, das Prasseln des Feuers in der Ruine, die karge Dosensuppe, jeder Felsvorsprung, das Aufschichten der Steinzäune. Es ist eine seltene kostbare Form der Authentizität, wenn Fiktion sich wie Realität anfühlt und doch reine Poesie ist.
Francis Lee drehte „God’s Own Country”, sein Regiedebüt in chronologischer Reihenfolge, so dass jede Szene die folgende beeinflussen konnte. Er probte lange mit den Schauspielern, nicht nur die psychologische Entwicklung der Figuren, sondern Josh O'Connor und Alec Secăreanu sollten auch den körperlichen Herausforderungen gewachsen sein. Die zwei Hauptdarsteller arbeiteten zur Vorbereitung für mehrere Wochen auf einer Farm mit Bauern aus der Region. Sie waren mit allen Pflichten konfrontiert, die auch den Alltag von Johnny und Gheorghe ausmachen: Die Aufzucht der Lämmer, die medizinische Versorgung der Tiere, das Trockenmauern, die Käseherstellung. Diese Tätigkeiten mussten beide so lange üben, bis sie völlig natürlich wirkten. „Ich wollte, dass sie sich wie Teile jener Umgebung fühlten, in der ihre Figuren leben und arbeiten”, schreibt Lee in der Director’s Note. „Beide Darsteller entwickelten dabei sehr enge Bindungen zu den Bauern, auf deren Höfen sie sich vorbereiteten. Diese Bindungen waren wichtig, weil nur so möglich war, dass Josh und Alec die Lebensbedingungen nicht nur körperlich und praktisch, sondern ganz persönlich und emotional verinnerlichten.” Und für den Zuschauer ist die Landschaft, das Blöken der Schafe, der Nebel, ebenso berührend wie die Liebesszenen und nicht voneinander zu trennen. Hinreißend, wenn Gheorghe ein totes Lämmchen häutet und das Fell einem anderen Neugeborenen wie ein Mäntelchen überzieht, damit das Muttertier es als das eigene akzeptiert.
Francis Lee über seinen Protagonisten: „Ich wollte zeigen, was eine solche Begegnung für jemanden bedeutet, der in seinem bisherigen Leben nicht nur geographisch und sozial isoliert war, sondern der sich auch emotional weitgehend verschließen musste. Johnny lebt in einer traditionsverbundenen Gemeinschaft von Arbeitern, in der man am Ende eines körperlich anstrengenden Tages vielleicht schlicht keine Ressourcen mehr hat, um herauszufinden, wer man eigentlich ist; in der die Verpflichtungen gegenüber der Familie über den individuellen Interessen stehen, in der sich niemand darum schert, mit wem man schläft, solange man Ende des Tages die Tiere gefüttert und sich um die Äcker gekümmert hat.“
Als sein Vater einen zweiten Schlaganfall erleidet, will der Farmersohn den Freund zum Bleiben überreden, der aber stellt ganz klare Bedingungen. Als beide abends einen Pub besuchen, wird Gheorghe von einem Betrunkenen als Ausländer bepöbelt, während der stark alkoholisierte Johnny auf der Toilette mit einem Unbekannten vögelt. Es ist, als hätten die letzten Wochen nie existiert. Zornig und enttäuscht verlässt Gheorghe den Hof der Saxbys. Doch das ist nicht das Ende des Films und der Liebe.
Originaltitel: God’s Own Country
Regie / Drehbuch: Francis Lee
Darsteller: Josh O'Connor, Alec Secăreanu, Gemma Jones, Ian Hart
Länge:104 Minuten
Produktionsland: Großbritannien, 2016
Kinostart: 26. Oktober 2017
Verleih: Salzgeber & Company Medien
Fostos, Pressematerial & Trailer: Copyright Salzgeber & Company Medien
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