Film
suburra

Ein kompromissloser Mafia-Thriller: rasant, laut, brutal, grell, obszön, abstoßend und dann wieder von unglaublicher majestätischer Schönheit.
Stefano Sollima inszeniert „Suburra” als biblische Chronik moderner Korruption. Es ist das Jahr 2011, sieben Tage noch bis zur Apokalypse. Es regnet in Strömen, der Tiber steigt unaufhörlich. Papst Benedikt XVI will abdanken. An der Strandpromenade von Ostia sollen wie in Las Vegas Betonburgen mit Kasinos entstehen. Der Regisseur von „Gomorrha” schildert die Verflechtungen der italienischen Gesellschaft im Schatten von organisiertem Verbrechen, marodem Staat und rücksichtslosen Politikern.

Suburra ist in der Antike das römische Stadtviertel mit dem übelsten Ruf. Hier lebten die Ärmsten der Armen, vor allem Prostituierte. Bordelle und Tavernen waren vom Palatin-Hügel aus leicht erreichbar. In den engen und berüchtigten Straßen trafen Reiche und Kriminelle aufeinander, zwei Welten nur auf den ersten Blick unvereinbar. Hier wurden Intrigen geschmiedet, Komplotte geplant und in die Tat umgesetzt. Ein Moloch, der als Mythos seine Spuren in der Geschichte Roms hinterließ. Suburra hat sich längst verselbstständigt, ist heute allgegenwärtig in der Ewigen Stadt.

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Die bildgewaltige Politparabel basiert auf dem gleichnamigen Roman von Giancarolo De Cataldo und Carlo Bonini. Nur im Film gibt es keinen Ermittler oder Kommissar mehr, man ist ganz unter sich, das Recht gehört allein dem Stärkeren. Der von korrupten Karrieristen unterwanderte Staatsapparat unter Führung des konservativen Abgeordneten Filippo Magradi (Pierfrancesco Favino) arbeitet eng mit kirchlichen Würdenträgern wie Kardinal Berchet (Jean-Hugues Anglade) zusammen, die wiederum enge Verbindungen zur Vatikan-Bank unterhalten. Die Interessen der Mafia-Familien vertritt ein ehemaliger Neo-Faschist, man kennt ihn nur unter dem Namen Samurai (Claudio Amendola). Das Ende der Ära Berlusconi nähert sich.

Hinter den Kulissen hat Malgradi dafür gesorgt, dass in der Sitzung des Parlaments das umstrittene Kasinoprojekt die notwendige Mehrheit erhält. Seinen Triumph feiert der attraktive Familienvater an diesem Abend wie so oft mit einer intimen kleinen Orgie im Hotel. Mit dabei: seine Lieblingshure Sabrina (Giulia Elettra Goretti), jede Menge Drogen und als extra Kick eine junge noch minderjährige Prostituierte. Nicht Sprache oder Herkunft charakterisieren die Akteure, es ist der Sex, nackt, gierig, selbstgefällig, roh, mit dem sich die Machos präsentieren. Sie fordern ein, was ihnen zusteht. Jeder auf seine ganz individuelle kaputte Art. Eros und Sinnlichkeit scheinen unwiderruflich verloren gegangen, vorbei die Zeiten von Federico Fellinis “Dolce Vita”, verzaubern können uns nur noch die golden angestrahlten Brücken über dem unheilvoll dunklen Tiber. Ein Mann stürzt sich von oben hinab in die Tiefe. Lieber hier und jetzt krepieren, als noch länger gejagt werden von den Geldeintreibern. 

Das junge Mädchen stirbt an einer Überdosis, der Politiker macht sich sofort aus dem Staub. Die Beseitigung der Leiche überlässt er Sabrina, die daraufhin ihren Freund Spadino (Giacomo Ferrara) um Hilfe bittet. Er ist Mitglied des von den italienischen Mafiafamilien wenig angesehenen Sinti-Clans der Anacleti und wittert hier seine große Chance. Die Tote endet im Tiber. Bewundernswert mit welcher Selbstverständlichkeit Spadino sie aus dem Hotel schafft, nichts wird versteckt, höchstens lächelnd entschuldigt: Eine Freundin, die sich sinnlos betrunken hat. Vor den Augen der Concierge schleifen er und Sabrina den leblosen Körper durchs luxuriöse Hotelfoyer. Den nächsten Tag schon taucht der ambitionierte Möchtegern-Gangster bei Malgradi auf, will ihn dazu zwingen, in Zukunft Drogen oder Prostituierte nur noch durch ihn zu beziehen. Aus Angst, die Öffentlichkeit könnte von dem Vorfall erfahren, wendet der Parlamentarier sich über einen Kontaktmann an Numero 8, den Mafiosi Aureliano Adami (Alessandro Borhi). Er soll sich des Erpressers annehmen und ihn einschüchtern. Die wohlmeinende Unterhaltung eskaliert, Spadino ist tot und Manfredi Anacleti (Adamo Dionisi), seines Zeichens Familienoberhaupt des Sinti-Clans, will die Tat nicht ungesühnt lassen.

Giancarlo De Cataldo ist hauptberuflich Richter und Carlo Bonini investigativer Journalist. Sie verstehen sich auf das Abgründige der italienischen Gesellschaft, mischen wie James Ellroy Fakten und Fiktion. Die Figuren haben alle ihre Vorbilder in der Realität, jeder Römer erkennt sie sofort und das verlockende Ostia-Projekt existierte wirklich. „Suburra” ist  als Sittengemälde barbarischer Dekadenz das Gegenstück zu Paolo Sorrentinos „La Grandezza Bellezza”, es zeigt die dunkle abstoßende Seite der Tiber-Metropole, ein modernes opulentes Inferno aus Gier, Enttäuschung, Trostlosigkeit und Verzweiflung. Doch Gefühle können sich die Akteure nicht leisten, es gilt zu überleben, den Gegner auszuschalten, Gewalt gehört zum Geschäft. Bei Stefano Sollima wird nichts glorifiziert wie in anderen Mafia-Thrillern, der 50jährige Regisseur („ACAB - All Cops Are Bastards”) inszeniert die Welt seiner Anti-Helden mit der radikalen und ernsthaften Präzision eines Cormac McCarthy („Verlorene”). Das protzig-kitschige Anwesen Anacletis mit seinem ohrenbetäubenden Schreien und Kreischen unzähliger tobender Kinder reizt in dieser Minute den Clan-Chef zur Weißglut, er brüllt Ruhe und völlig verschreckt greifen die Mütter nach ihren ungezogenen Blagen. 

Es gibt sie noch, die Kirche. Wir sehen nur den Rücken des Papstes, er betet. Seine Haltung signalisiert Erschöpfung, Niedergeschlagenheit. Die Mahlzeit ist grade beendet, der Tisch wird abgeräumt. Ablenkung statt spiritueller Erleuchtung bieten die Diskotheken in Ostia, moderne Kathedralen in grell schillerndem Neonlicht. Las Vegas kündigt sich an: das Centro Vecchio, die Monumente der Antike, Palazzi und Kopfsteinpflaster, auch sie glitzern schon verdächtig bonbonfarben als wären sie infiziert vom korrupten Zeitgeist des 21. Jahrhunderts. Der elektronisch tranceartige Sound des französischen Duos M83 legt sich wie ein Schleier über Rom und sein Verderben. Kameramann ist wieder Paolo Carnera, der zusammen mit Sollima schon mehrere Folgen von „Romanzo Criminale” und „Gomorrha” gedreht hatte. Seine nächtlichen seltsam betörenden Stadtlandschaften erinnern daran, das Jüngste Gericht steht kurz bevor. Tagsüber ist das Novemberlicht unerbittlich, entlarvt die Gewalt in all ihrer Unerträglichkeit. Ein blutrünstiger Kampfhund springt knurrend immer wieder am Gitter seines Zwingers hoch, am Ende wird er seinen eigenen Herrn zerfleischen, der ihn aufs Töten abgerichtet hat.

Samurai, der Boss der Bosse muss seine Macht schon lange nicht mehr unter Beweis stellen, denn alle fürchten ihn und viele brauchen ihn. Er zeigt nie eine Regung, selbst wenn er seinen alten Freund überfahren lässt, für ihn zählen nur die milliardenschweren Investitionen, deswegen will er ein Bandenkrieg um jeden Preis verhindern. Sabrina ist gezwungen unterzutauchen, der junge Sebastiano (Elio Germano) nimmt sie bei sich auf. Er ist zuständig für die ausschweifenden Parties der High Society und muss nach dem Selbstmord seines Vaters für dessen Schulden aufkommen. Er spekuliert darauf, sich durch den Verrat Sabrinas freikaufen zu können. Manfredi hetzt einige Auftragkiller auf Aureliano und dessen drogenabhängige Geliebte Viola (Greta Scaranto). Es kommt zu einer furiosen Schießerei in einem Einkaufszentrum Roms. Der Clan-Chef prügelt den Namen Malgradis aus Sabrina heraus, mittlerweile fordert auch er eine Beteiligung am dem gigantischen Bauprojekt der Waterfront. Ohne Zustimmung des Samurai bricht er in die Wohnung des Parlamentariers ein und entführt den kleinen Sohn. Die Leiche der jungen Prostituierten wird von der Polizei aus dem Tiber geborgen. Als der Premierminister seinen Rücktritt erklärt, packt den Abgeordneten die Panik. Was, wenn er seine Immunität verliert? Und auch das Bauvorhaben ist gefährdet, wenn er nicht wiedergewählt wird.

Zuletzt beweist nur Viola Mut, grade ihr hätte es keiner zugetraut. Der Regisseur hat den Film seinem Vater Sergio Sollima gewidmet.

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Originaltitel: Suburra  
Regie: Stefano Sollima  
Darsteller: Pierfrancesco Favino, Elio Germano, Claudio Amendola
Produktionsland: Italien, Frankreich, 2015 
Länge: 135 Minuten
Verleih: Koch Films GmbH 
Kinostart: 26. Januar 2017

Fotos & Trailer: Copyright Koch Films GmbH

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