„The Girl King”. Wenn Regisseur und Protagonistin rebellieren
- Geschrieben von Anna Grillet -
Mit seinem trotzigen Porträt barocken Feminismus unterläuft der finnische Filmemacher Mika Kaurismäki souverän die gängigen Erwartungen an ein historisches Melodram. "The Girl King" wechselt zwischen opulenter nordischer Bilderpracht, politischen Visionen und derber Posse, Wahnwitz, Liebeslust und Tragik.
Königin Kristina von Schweden war eine der schillerndsten Figuren des 17. Jahrhunderts. Malin Buska spielt sie sinnlich burschikos als eine, die keinen Widersacher fürchtet, ihre Macht genießt und später gern missbraucht. Im tiefsten Innern aber ist der exzentrische Teenager sehr verletzlich. Unerschrocken kämpft die jugendliche Monarchin für Frieden und gegen Konventionen jeder Art. Sie verweigert Heirat wie auch Mutterrolle, macht ihre Kammerzofe offiziell zur „königlichen Bettgefährtin”.
Herbst 1632, in Europa tobt ein erbitterter Krieg zwischen Katholiken und Protestanten. In der Schlacht von Lützen fällt König Gustav II. Adolf, das schwedische Heer verliert seinen Anführer. Entsetzen bei Hofe: Als Thronfolger gibt es nur ein Mädchen, Kristina, und das ist noch ein Kind, keine sechs Jahre alt. Sie ist klug und wissbegierig, doch ohne den Vater fühlt sie sich verloren, diese schmerzhafte Einsamkeit wird bleiben, das ganze Leben lang. Ihre Mutter, die psychisch schwer gestörte Maria Eleonora von Brandenburg (Martina Gedeck), will sich nicht vom Leichnam des Gatten trennen, rückt zwei Jahre lang den Sarg nicht heraus. Kanzler Axel von Oxenstierna (Michel Nyqvist) bereitet dem Spuk ein Ende, holt Kristina zu sich nach Stockholm. Er liebt die Tochter seines besten Freundes, als wäre es die eigene und führt die Staatsgeschäfte bis zur Volljährigkeit der Regentin.
Kristina erhält die Erziehung eines Kronprinzen, so hatte es der Vater entschieden: Reiten, Jagen, Fechten, Mathematik, Geographie, mehrere Sprachen. Besonderes Privileg: Sie darf lesen, was den anderen verboten ist: Wissenschaftliche Abhandlungen und philosophischen Texte. Die meisten der Autoren sind Katholiken und Schweden eine Hochburg der Protestanten, die kirchlichen Würdenträger dulden bei Hofe nicht das Gedankengut des Feindes. An ihrem 18. Geburtstag wird Kristina zur Königin gekrönt. Beim anschließenden Festessen verkündet sie ihre Regierungspläne. Sie will Schulen und Universitäten für alle, mehr Kunst und Kultur bei Hofe. Die größte Herausforderung des Landes aber ist der Friede, sie will den Krieg schnellstmöglich beenden. Mit ihren Reformen und extremen Ideen ruft sie bei den politischen Beratern Empörung hervor, macht sich viele Feinde, doch als Monarchin hat sie unbeschränkte Befehlsgewalt.
Regisseur Mika Kaurismäki („L.A. Without a Map”) sucht nach einer Ästhetik so radikal wie seine Protagonistin und erklärt den Stilbruch zum Programm. In permanenter Furcht vor historischem Pathos flüchtet er gelegentlich als Ablenkungsmanöver in eine Art Cartoon-hafter Farce. Wenn Maria Eleonora von Brandenburg mit orange gefärbten Haar der erwachsenen Tochter den königlichen Hintern versohlt, fühlt man sich an Ken Russel erinnert. Selbst der Heldentod verliert hier seine Würde und entlarvt sich selbst als Opfer eines sinnlosen Krieges. Kein bombastischer farbenfroher Pomp sondern nordisch winterlich puristische Töne prägen „The Girl King”, die Atmosphäre ist durchdrungen vom düsteren strengen protestantischen Reglement und gefährlichen Intrigen. Nur zu verständlich, dass die junge Königin ausbrechen will. Auch der Schein flackernden Kerzen gibt diesem klaustrophobischen Kosmos keine Wärme. Lebensfreude verkörpert allein die vor Energie sprühende Kristina, auch als Königin hat sie noch etwas von einem kindlichen Wildfang. Aber sie, die Respektlose, weiß sich Respekt zu verschaffen. Ihre Worte haben Gewicht unabhängig von der Machtposition. Als sie zur Welt kam, schallte ihr erster Schrei so kräftig durch die Gemächer, dass alle überzeugt waren, es müsse der lang ersehnte Prinz sein.
Die Protagonistin trennt sich nur selten von ihrem maskulin ledernen Reitdress, ungeniert legt sie die Stiefel auf den Tisch, gleichgültig wer ihr Gegenüber ist. Doch prächtige feminine Roben trägt sie mit ähnlicher Selbstverständlichkeit. Nichts was sie tut, wirkt forciert, aufgesetzt sondern völlig natürlich. Freiheit ist kein fernes Ziel sondern scheinbar Teil ihrer Persönlichkeit. Genau das fehlt Kaurismäkis historischer Spurensuche, die Selbstverständlichkeit. Aus guten Jugendfreunden wie Oxenstiernas Sohn Johan (Lucas Bryant) oder ihrem Cousin Karl Gustav (Francois Arnaud) werden nun Kavaliere, die um Kristinas Hand anhalten und auf die Krone spekulieren. Ein Heiratsantrag ist das sicherste Mittel, die Unnahbare zu erzürnen. „Virgin Queen” (jungfräuliche Königin) wird sie genannt. Als Kristina die Komtess Ebba Sparre (Sarah Gadon) zum ersten Mal sieht, verliebt sie sich unsterblich. Die Monarchin macht das quirlige junge Mädchen zu ihrer Kammerzofe und flirtet unbeholfen mit ihr. Trotz all dem Wissen, das die Regentin sich angeeignet hat, hat sie keine Ahnung vom Umgang mit Gefühlen. Heimlich korrespondiert sie mit dem französischen Philosophen René Descartes (Patrick Bauchau). Er soll ihr diesen emotionalen Aufruhr erklären.
Immer neue Skandale zu provozieren, darauf versteht sich die rebellische Königin vortrefflich. Sie lässt Descartes an ihren Hof holen. Der Begründer des Rationalismus seziert in Anwesenheit des gesamten Klerus ein Gehirn, aus dem er die Zirbeldrüse entfernt. Seiner Ansicht nach ist das „der Sitz der Seele”. Die Lutheraner sind empört über dergleichen Ketzerei. Ein Theologiestudent versucht Kristina zu erschießen. Johann rettet ihr das Leben, aber als ihn auch das einer Heirat nicht näherbringt, entführt er mit Hilfe einer anderen Zofe Ebba Sparre. Kristina wird vor Liebeskummer fast wahnsinnig. Niemand, auch nicht Axel Oxenstierna, der sich nach wie vor rührend um sie kümmert, findet mehr Zugang zu ihr. Selbst Descartes ermahnt sie, ihre Leidenschaft zu zügeln und die Aufgaben als Regentin ernster zu nehmen. Wenig später wird der Philosoph von Katholiken mit Arsen vergiftet. Man hofft durch den Einfluss des französischen Botschafters Pierre Chanut, Kristina zum Katholizismus zu bekehren, was während der Glaubenskriege eine große politische Wirkung hätte. Descartes sollte nicht dazwischenfunken.
„The Girl King” ist eine multinationale Koproduktion. Das Drehbuch schrieb der Kanadier Michel Marc Bouchard („Tom à la ferme”), um dann aus dem Französischen ins Englische übersetzt zu werden. Die Kritiker maulen wegen der starken Akzente der Schauspieler, warum Mika Kaurismäki nicht auf Schwedisch gedreht habe. Der finnische Regisseur argumentiert zu Recht, dass bei Hofe damals nie Schwedisch gesprochen wurden sei, eher Französisch, Englisch schien da ein Kompromiss, ob ein guter bleibt dahingestellt. Das Historienmelodram mag vielschichtig sein, facettenreich, amüsant, ironisch, das Sujet ist grandios und doch könnte der Film nie konkurrieren mit Stanley Kubricks „Barry Lyndon” (1975), Sally Potters “Orlando” (1992), Martin Scorseses’ „Zeit der Unschuld” (1993), Jane Campions „Portrait of Lady” (1996), Shekhar Kapurs „Elizabeth: The Golden Age” (2007) oder gar Joe Wrights „Anna Karenina” (2013). Trotzdem, Mika Kaurismäki eröffnet einen völlig neuen Zugang zu jener mysteriösen jungen Königin, die als pragmatische Politikerin die treibende Kraft des Westfälischen Friedens war, der als Ausgangspunkt des modernen Völkerrechts gilt. Sie holte Künstler und Gelehrte aus ganz Europa nach Stockholm, kaufte Bibliotheken und Gemäldesammlungen. Aber sie nahm auch ohne Bedenken die Kunstschätze des Hradschin als Beute, nachdem die Schweden Prag noch während des Krieges erobert hatten. Malin Buska ist nie glamourös wie Greta Garbo in dem legendären Schwarz-Weiß-Film „Königin Christine” von 1933, sie will auch keine Göttliche sein, im Gegenteil: eine Frau mit all ihren Fehlern, Widersprüchen und Schwächen, und genau das ist die Stärke der schwedischen Schauspielerin.
Kristina ist verzweifelt, isoliert, da kommt unerwartet Ebba Sparre zurück. Allerdings nicht allein, Jakob de la Gardie wird sie heiraten und bittet um den Segen der Monarchin. Ebba ist sichtlich beschämt, die Regentin willigt resigniert ein. Der Vatikan macht Druck, Chanut hört nicht auf, sie überzeugen zu wollen, dass die Katholiken ihr größere Freiheit bieten als die Lutheraner. Zu konvertieren würde nicht leicht für Kristina. Sie wird die Krone abgeben, das Land verlassen, ihren Vater verleugnen müssen. Dafür bekäme sie die Chance, ihre tragische Liebe und alle politischen Zwänge hinter sich zu lassen. Das wäre, darin stimmt sie Chanut zu, vielleicht die einzige Möglichkeit, Frieden zu finden. Nur für ihr Volk würde sie dadurch zur Verräterin. Kristina besucht Karl Gustav und überredet ihn zu einem letzten Gefallen: Sie erklärt ihn zu ihrem Adoptivsohn und somit zum Thronnachfolger. Kristina ist 27 Jahre alt, als sie nach Rom zieht.
Originaltitel: The Girl King
Regie: Mika Kaurismäki
Darsteller: Malin Buska, Sarah Gadon, Michael Nyqvist, Martin Gedeck
Produktionsland: Finnland, Deutschland, Kanada, Schweden, 2015
Länge: 106 Minuten
Verleih: NFP marketing & distribution
Kinostart: 21. Juli 2016
Fotos & Trailer: Copyright NFP marketing & distribution
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