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Der Moment der Wahrheit Film Trailer

Packender wortgewaltiger Politthriller über einen Medienskandal bei CBS.
Genau dort stößt das Regiedebüt des Drehbuchautors James Vanderbilt („Zodiac”), wie zu erwarten, auch auf heftige Kritik. Zu Recht?
New York, 2004. Fernsehredakteurin Mary Mapes (Cate Blanchett) ist auf dem Höhepunkt ihrer Karriere. Sie arbeitet Seite an Seite mit Moderator Dan Rather (Robert Redford) für das CBS Reportagemagazin ‚60 Minutes II’. Im April hat sie jene legendäre Sendung produziert, mit der die Folter im US-Militärgefängnis Abu Ghuraib weltweit öffentlich gemacht wurde. Der Wahlkampf John Kerry gegen George W. Bush läuft auf Hochtouren. Die Journalistin bekommt einen Tipp über die Geschäftsverbindungen zwischen dem Bush-Clan und der Bin Laden-Familie. Ein Thema, das Michael Moore polemisch publikumswirksam umsetzen wird in seinem Dokumentarfilm „Fahrenheit 9/11”. Mary jedoch lässt die Geschichte mangels konkreter Beweise fallen, aber ihr Interesse erwacht, als sie von den Gerüchten über die Militärakte des amtierenden Präsidenten hört.

Bush Junior konnte sich dank des Einflusses seines Vaters (damals Kongressabgeordneter im Repräsentantenhaus) erfolgreich vor dem Einsatz im Vietnamkrieg drücken. Er leistet nicht den obligatorischen Militärdienst in der Army, sondern ergatterte stattdessen 1968 einen weitab vom Kampfgeschehen sicheren Posten bei der Texas Air National Guard. Wohl ein Gefallen, so die Gerüchte, des Vizegouverneurs Ben Barnes (Philip Quast). Viele bezeichneten damals die Nationalgarde der Vereinigten Staaten abfällig als ”Champagne-unit” (Champagner-Truppe) oder „weekend warriors” (Wochenend-Krieger). Nun tauchen Dokumente aus den Jahren 1972 und 1973 auf, die beweisen sollen, dass Bush schon lange vor Ende seiner Dienstzeit auf Nimmerwiedersehen verschwand und ihn nie jemand dafür zur Rechenschaft zog. Als der Chefredakteur erfährt, dass bereits andere Medien der Sache auf der Spur sind, gibt er Mapes grünes Licht für ihre Reportage. Sie wittert einen Coup, grade weil es sich bei John Kerry, dem Gegner von Bush, um einen mit drei Purple Hearts ausgezeichneten Vietnam Veteranen handelt. Die Ironie: Kerry ist erklärter Kriegsgegner, darum aber geht es im Film nicht, auch nicht um die Wahrheit selbst, sondern um die Macht, sie zu enthüllen oder zu verschleiern.

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Es beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit, der Sendetermin wird vorgezogen auf den 8. September. Die Story schlägt wie eine Bombe ein, aber der Triumph ist von kurzer Dauer. Schon am nächsten Tag bricht ein Sturm der Empörung los. Im Internet werden die Enthüllungen von „60 Minutes II” als Lügen bezeichneten. Die sechs Memos von Bushs Kommandeur, dem inzwischen verstorbenen Lt. Col. Jerry B. Killian sollen Fälschungen sein. Hunderte von Bloggern analysieren das Format, die Typographie, die Zeilenabstände und behaupten, die Schrift auf den Dokumenten könne niemals von einer Schreibmaschine aus den Siebziger Jahren stammen. Sie sei ganz simpel auf einem Computer entstanden, Microsoft Word. Konservative Medien, Zeitungen wie Fernsehsender teilen die Auffassung. Manche halten Mapes Reportage bloß für schlampig recherchiert, andere unterstellen Böswilligkeit. Im Getöse um die Echtheit der Killian-Dokumente geht eins komplett verloren: Die Frage nach George W. Bushs Militärdienst. Regisseur James Vanderbilt ergreift ganz ungeniert und leidenschaftlich Partei für seine Protagonistin. Der Film basiert auf ihrem 2005 erschienen Buch „Truth and Duty: The Press, the President and the Privilege of Power” (Wahrheit und Pflicht: Die Presse, der Präsident und die Privilegien der Macht). Der Zuschauer erlebt „Memogate” oder „Rathergate”, wie der Skandal getauft wurde, allein aus ihrer Sicht. Mapes Integrität steht außer Zweifel.

„Der Moment der Wahrheit” ist das Gegenstück zu dem preisgekrönten Newsroom-Drama „Spotlight”. Unterschiedlicher könnten zwei Filme nicht sein. Niederlage statt Gerechtigkeit: Der Beruf des Journalisten wird ad absurdum geführt. Er hat plötzlich keinen Heldenstatus mehr wie in Alan J. Pakulas Verschwörungsthriller „Die Unbestechlichen” (1976). Ein zutiefst beunruhigendes Gefühl, Demokratie ohne Vierte Gewalt? Cate Blanchett spielt Mary als ambitionierte kritische Journalistin mit einem ausgeprägten Jagdinstinkt. Selbstzweifel kann sie sich nicht erlauben, noch immer verfolgt sie überall hin der Hohn ihres aggressiven betrunkenen Vaters. Auch wenn sie ihre eigene kleine glückliche Familie hat, das Kindheitstrauma lässt sie nicht los. Es ist, als müsste die preisgekrönte CBS Produzentin jeden Tag ihren Wert von Neuem unter Beweis stellen. Eine Niederlage ist da nur schwer zu verkraften, Mary droht daran zu zerbrechen. Dan Rather verkörpert für sie mehr als nur den Mentor, eine Art Ersatzvater. Er war es, der sie zur Vorsicht mahnte, skeptisch blieb, mehr Fakten wollte, bevor die Sendung ausgestrahlt wird. Auch seine Karriere ist zerstört, die Schuld erdrückt Mary: „Ich hätte keine Fragen stellen sollen”, ihre Stimme ist tränenerstickt. Der Ehemann beharrt, „Du musst kämpfen”. Und das tut sie, auch wenn es eine verlorene Schlacht scheint. Mary hat manchmal die schwermütige Sinnlichkeit der Protagonistin in „Carol”, aber auch, trotz aller demonstrativen Stärke jene Fragilität der gescheiterten High Society Lady in Woody Allens „Blue Jasmine”.

Die Faszination des Films liegt in der Recherche selbst. Erschreckend überall die Mauer des Schweigens. George W. Bush kann sich ganz offensichtlich auf seine Bürger verlassen. Ob Freund oder Feind, keiner wagt die Karten auf den Tisch zu legen. Die Drahtzieher bleiben Phantome, der Coup, der die politischen Machenschaften entlarven sollte, vernebelt sie. Die Dokumente über Bushs Jahre bei der Texas Air National Guard sind unvollständig. Belegt ist nur eine Zeitachse vom Mai 1968 bis zum Frühjahr 1972. 1968 beginnt sein Training als Pilot auf der Moody Air Force Base in Georgia, anschließend war er in der 111. Fliegerstaffel in Houston. Mitte 1972 gab es dort eine Absenz-Meldung: Leutnant Bush war zu einem ärztlichen Check nicht erschienen. Es hieß, er sei nach Alabama versetzt worden, um dort mit einem Freund der Familie an einer Senats-Kampagne zu arbeiten. Für den Zeitraum Mai 1972 bis Mai 1973 findet sich allerdings kein Nachweis, dass Bush je im Alabama Stützpunkt der National Guard auftauchte- keine Dokumente, keine Augenzeugen, niemand erinnert sich daran, ob er dort tatsächlich den Dienst antrat. Im September 1973 beantragt Bush seine vorzeitige Entlassung aus dem Militärdienst, um an die Harvard Business School zu gehen.

Mapes kennt den früheren Vizegouverneur von Texas, Ben Barnes, einen umtriebigen Politiker. Jahrlang hatte er gern auf Dinner Partys die Anekdote erzählt, wie er 1968 gebeten wurde, den jungen George W. Bush schnell in die Texas Air National Guard zu bugsieren. Mapes versucht ihn zu überreden, diese Geschichte vor laufender Kamera zu wiederholen. Barnes weigert sich, einen solchen Verrat kann er sich nicht leisten. Die Journalisten telefonieren sich durch eine endlos lange Liste ehemaliger Kommandeure, die sich vielleicht an Einzelheiten aus Bushs Militärzeit erinnern könnten. Überall stoßen sie auf Stillschweigen oder die abweisende Auskunft: Für Bush gab es keine Sonderrechte. Doch dann findet Mitarbeiter Mike Smith (Topfer Grace) einen ehemaligen Oberstleutnant, der angibt, entscheidende Dokumente zu besitzen. Er heißt Bill Burkett (Stacy Keach) und ist schwerkrank. Mary und Mike treffen sich mit ihm und seiner Frau Nicki (Noni Hazlehurst). Nicki sorgt sich darum, was passieren könnte, wenn jemand erfährt dass die Dokumente von ihnen kommen. Mary verspricht, ihre Namen geheim zu halten. '60 Minutes II' hätte genug Macht, sie zu schützen.

Die beiden Dokumente, um die es sich handelt, sind keine Originale. Darüber hinaus weigert sich Burkett seine Quelle zu benennen. Oberst Leutnant Jerry. B Killian schreibt in den Memos, dass er Druck von oben bekam, Bush bevorzugt zu behandeln. Unter anderem sollte er auch dessen Einstufungs-Report positiv bewerten, obwohl Bush schon gar mehr auf dem Stützpunkt war. Burkett faxt noch weitere Memos von Kilian. Eins davon trägt die Überschrift CYA (Cover Your Ass/ Rette Deinen Arsch)- die Schriftstücke waren offensichtlich als persönliche Absicherung gedacht, für den Fall, dass Bushs Abwesenheit auffliegen sollte. Schriftexperten werden beauftragt, die Dokumente zu analysieren. Da es sich aber nur um Kopien handelt, können sie weder über Papier noch Tinte urteilen, nur über das Schriftbild. Trotzdem ist der Experte Marcel Matley (Nicholas Hope) überzeugt, dass es sich nicht um Fälschungen handelt. Er vergleicht die vorliegende Unterschrift Killians mit dessen Originalunterschrift und findet keine Abweichungen. Er hält auch Text und Formate der Papiere für echt. Ein Video taucht auf, wo Ben Barnes bei einer Spendenparty für die Demokraten zu sehen ist: Er unterhält die Menge mit seiner üblichen Anekdote über Bush. Der ehemalige Vizegoverneur, der nicht wusste, dass er damals gefilmt wurde, erklärt sich bereit, jetzt doch vor der Kamera zu reden, da die Geschichte ohnehin publik sei.

Nach der desaströsen Reaktion auf die Sendung beginnen die CBS Vorstände zu paniken, sie wollen mit dem Mann reden, von dem Mary Mapes die Dokumente erhalten hat. Die Journalistin gibt entgegen ihrer Zusage die Quelle preis und holt den kranken Bill Burkett zu einem gemeinsamen Treffen. Dort erzählt Burkett, wie er an die Memos kam. Aber die Geschichte ist eine völlig andere als beim ersten Mal. Auf Nachfragen behauptet er, Mary angelogen zu haben, um sie loszuwerden. Rather überredet den alten Mann, vor der Kamera zu erklären, dass er gelogen habe. Eine tragisch-groteske Szene. Doch auch Dan Rather, in Amerika bis dahin eine Ikone der Medienbranche, wird gezwungen, sich in der nächsten Sendung für die fehlerhafte Berichterstattung zu entschuldigen. CBS stellt einen internen Ausschuss zusammen, der das Fiasko untersuchen soll. Nachdem George W. Bush die Wahl gewonnen hat, muss Rather zurücktreten. Mary unterstellt dem Ausschuss, sich politisch instrumentalisieren zu lassen. Im Januar 2005 wird sie entlassen. Der Verdacht liegt nahe, dass die falschen Dokumente bewusst lanciert wurden. Der Film ist überzeugend, wenn Mary Mapes und Dan Rather die Argumente ihrer Gegner Punkt für Punkt widerlegen. Beginnt man aber im Internet nachzulesen, was die Blogger schreiben, fühlt man sich von der Fülle nicht nachprüfbarer Informationen heillos überfordert. Es ähnelt einer Hexenjagd, und die Wahrheit hat sich längst in Nichts aufgelöst.

In Anbetracht der Grausamkeit amerikanischer Invasionen und Kriege, scheint es von geringer Bedeutung, ob sich der junge Bush vor dem Militärdienst an der Front gedrückt hat. Was würde es am Verlauf der Geschichte ändern, wenn er wie John Kerry ein hochdekorierter Vietnam Veteran wäre? Aber diese Art von Sensation bringen Quoten. Vandebilt erklärt: „Das Beste an meinem Film ist, dass er den Journalismus zeigt, wie er noch vor einer Dekade war- zu einer Zeit, in der sich alles gerade änderte. Damals entdeckte man das Internet als Machtinstrument. Man erkannte seine Möglichkeiten als Meinungsmacher – man konnte damit schnell und effizient Massen beeinflussen. Und darum geht in meinem Film. Ich will nicht beweisen, wer Recht hat, ob die Enthüllungen von Mapes und Rather stimmen oder nicht.” CBS erklärte, „Der Moment der Wahrheit” verzerre oder umgehe die Realität in vielen Fällen und zeige mehr haltlose Verschwörungstheorien, als man aufzählen könne. Es werde versucht, schwerwiegende journalistische Irrtümer oder falsche Urteile als heroische Taten darzustellen. Also wenig überraschend, dass der Fernsehsender sich weigerte, Werbespots zum US-Kinostart des Films auszustrahlen.

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Originaltitel: Truth
Regie /Drehbuch: James Vanderbilt
Darsteller: Cate Blanchett, Robert Redford, Dennis Quaid
Produktionsland: USA, 2015
Länge: 126 Minuten
Verleih: Universum Film GmbH
Kinostart: 2. Juni 2016

Fotos & Trailer: Copyright SquareOne/Universum

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