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Die Poesie des Unendlichen Film Trailer

Behutsam und mit großem Einfühlungsvermögen inszeniert Regisseur Matthew Brown sein Historiendrama über den faszinierenden indischen Mathematiker Srinivasa Ramanujan. Dessen Theorien gelten als bahnbrechend und er als Genie, aber das Ungewöhnlichste: Der Visionär war Autodidakt, gespielt wird er von Dev Patel. Grandios: Jeremy Irons in der Rolle seines Mentors und Freundes, durch ihn entwickelt „Die Poesie des Unendlichen” ihren unvergleichlichen melancholisch spröden Charme.

Indien, 1913. Der 25jährige Srinivasa Ramanujan arbeitet als einfacher Angestellter in der Buchhaltung des Hafenamtes von Madras. Seit langem schon ist die Mathematik seine Passion. Ein Notizbuch nach dem anderen füllt er mit seinen Ideen. Oft zieht er sich in den Tempel zurück, um mit Kreide Formeln auf den Boden zu zeichnen. Die Eingebungen sind für ihn ein Geschenk Gottes, ein direkter Draht zu einer höheren Macht. Er kommt aus einer verarmten, streng religiösen Familie. Ohne Abschluss hat er keinerlei Chance auf eine akademische Karriere. Seine heimliche Sehnsucht ist die Universität in Cambridge, das Epizentrum der Wissenschaft. Dafür ist er sogar bereit, seine junge Frau Janaki (Devika Bhise) und sein ganzes bisheriges Leben hinter sich zu lassen. Sir Francis Spring (Stephen Fry), Ramanujans Vorgesetzter, beeindrucken die unglaublichen Fähigkeiten des jungen Inders und er hilft ihm seine Arbeitsproben weiterzuleiten an den berühmten britischen Mathematiker G.H. Hardy (Jeremy Irons).

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Janaki ist eigentlich noch ein Kind, ohne Bildung aufgewachsen, Ramanujan versucht ihr seine Leidenschaft für die Mathematik und die Fremde zu erklären. Er zeigt auf den Boden: „Was siehst Du da?” „Sand?” „Stell Dir vor, wir könnten alles ganz genau sehen, jedes Teilchen, jedes Korn, bis Du die Muster dahinter erkennst.” Warum er weg muss? „Eine riesige Welt ist da draußen. England. Stell es Dir in Farben vor, die Du nicht sehen kannst.” „Wozu soll das gut sein?” „Vielleicht gibt es noch jemanden anders, der es sehen und verstehen kann wie ich.” Daheim in Cambridge will G.H. Hardy seinen Augen nicht trauen. Ein linkischer seltsamer Brief eines Buchhalters aus Madras, aber dessen Berechnungen sind frappierend wie genial. Der eigenwillige renommierte Mathematiker ist zunächst misstrauisch, aber gesteht seinem Kollegen John Littlewood (Toby Jones), dass er niemanden kennt, der sich all dies ausdenken könnte. Das Potenzial des jungen Inders ist einzigartig. Hardy lädt ihn ein zu sich ins Trinity College. Das Schiff zu besteigen, heißt für Ramanujan gegen die religiösen Traditionen und den Willen der Mutter handeln. Janakis Segen hat er. Obwohl sie sich vor der Einsamkeit fürchtet, unterstützt sie ihren Mann. Sie hat ein Gespür für seine ungeheure Begabung.

Ob Kettenbrüche oder unendliche Reihen, theoretische Mathematik taugt durchaus als Stoff, aus dem die Träume sind, das beweist Regisseur Matthew Brown. Vorlage für sein Drehbuch zu „Die Poesie des Unendlichen”, war die gleichnamige Biographie von US-Autor Robert Kanigel. Entstanden ist ein Klassiker in der Tradition von „The Imitation Game" (2015) und „Die Entdeckung der Unendlichkeit" (2014), nur hat dieser Protagonist noch nicht die Popularität eines Alan Turings oder Stephen Hawkings. Manche Kritiker bemängeln, dass die Lebensgeschichte des jungen Inders zum romantischen Underdog-Konstrukt mutiert. Der wirkliche Srinivasa Ramanujan wurde auf jeden Fall in seiner Heimat gefördert, verlor jedoch sein Stipendium, weil er sich nur auf sein Lieblingsfach konzentrierte und alles andere sträflich vernachlässigte. Im Gegensatz zu den Journalisten sollen die britischen Mathematiker von dem Biopic begeistert sein, weil die Umsetzung des Stoffes so authentisch und wissenschaftlich exakt ist. Keine Angst, Vorkenntnisse sind nicht notwendig zum Verständnis der Handlung. Im Gegenteil, gerade wer sich eigentlich immer schwer tat mit der Materie, wird hier vielleicht zum ersten Mal dessen besondere Magie begreifen, weil ihm ein völlig anderer Blickwinkel und Zugang eröffnet wird.

Übrigens durfte zum ersten Mal im Trinity College gedreht werden, Kameramann ist Larry Smith („Only God Forgives”). Die Elite Universität erfüllt Ramanujan mit Ehrfurcht und bereitet ihm zugleich Unbehagen. Es gibt so viele Tabus und Vorschriften, das kalte Wetter macht ihm zu schaffen, der Kragen seines ungewohnten Anzugs stört ihn, die Schuhe schmerzen. Das Essen ist für einen vegetarisch lebenden Hindu indiskutabel, von nun an wird sich der Stipendiat seine kargen Mahlzeiten allein im Zimmer zubereiten. Aber für seine Forschungen ist die Universität ein Schlaraffenland, da ihn Hardy nach Kräften unterstützt. Eines kann aber auch er ihm nicht abnehmen, Ramanujan muss an den Vorlesungen teilnehmen, auch wenn sie ihn tödlich langweilen. Die Notwendigkeit kann er nicht begreifen, und als strahlender Überflieger macht er sich weder bei Professoren noch Mitstudenten beliebt. Der Film hat eine Vielzahl wundervoller ironischer Szenen. Noch schwieriger ist für den Protagonisten zu akzeptieren, dass seine – in einer Art intellektuellen Trance – notierten Ideen in diesem Umfeld nach streng definierten Vorgaben analysiert und bewiesen werden müssen. „Eine Gleichung hat für mich keinen Sinn, es sei denn sie drückt einen Gedanken Gottes aus,” erklärt der Inder seinem Mentor. Hier offenbaren sich die bei aller geistigen Übereinstimmung und persönlichen Sympathie, unleugbaren kulturellen Unterschiede zwischen den beiden Männern: Auf der einen Seite der Atheist und Verfechter akademischer Strukturen, auf der anderen das Genie mit den göttlich inspirierten Eingebungen.

Endlich muss Dev Patel („Slumdog Milionaire”) nicht mehr den eifrigen, etwas unterwürfigen und gutherzigen Trottel mimen wie in „Best Exotic Marigold Hotel” (2011). Srinivasa Ramanujan ist schüchtern, starrköpfig und mutig zugleich. Er verschweigt seine privaten Sorgen, Krankheit, Schmerzen, Hunger. Über seine Erniedrigungen würde er mit Hardy nie sprechen, manchmal schlägt ihm der blinde Hass eines Professors offen entgegen. Dass grade ein Inder aus den Kolonien, sie alle in den Schatten stellt, ist im snobistischen Großbritannien jener Zeit für manchen Akademiker nur schwer zu verkraften. Die adlige Herkunft, die Privilegien eines rigiden Klassensystems, eigentlich führt er sie ad absurdum. Bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs wächst die Fremdenfeindlichkeit in England, Ramanujan wird von Soldaten zusammengeschlagen, man macht ihm unmissverständlich klar, hier ist er unerwünscht. Aber ihn quält vor allem die Tatsache, kein Lebenszeichen von Janaki zu erhalten, er ahnt nicht, dass die Mutter alle seine Briefe an sie unterschlagen hat. Doch wenn es um die Mathematik geht, verliert unser Protagonist jedwede Scheu. Er hält nie mit Kritik oder seiner Meinung zurück, seine Offenheit verzaubert nicht nur Hardy sondern auch den Zuschauer. Was wir vielleicht manchmal für Naivität halten, ist eine Form der Weisheit. In seinem Mentor hat er nicht nur einen Ebenbürtigen oder Mitstreiter gefunden, jemanden, der seine Passion teilt, der sich überall und immer wieder rückhaltlos für ihn einsetzt, sondern auch einen wirklichen Freund.

An der Universität wird ein Lazarett für verwundete Soldaten eingerichtet, das bald auch Ramanujan aufnehmen muss, er  ist zusammengebrochen, er hat hohes Fieber, hustet, offensichtlich Tuberkulose. Als Hardy ihn in einem Krankenhaus in Putney besucht, nimmt er für die letzte Strecke des Wegs ein Taxi. Es hatte die Nr. 1729, sie kommt dem Wissenschaftler ziemlich langweilig vor, wie er dem Patienten erklärt, und er hoffe nur, dass es kein schlechtes Omen sei. „Nein,” entgegnete ihm der Inder, „Es ist eine sehr interessante Nummer. Sie ist die kleinste natürliche Zahl, für die es genau zwei Darstellungen als Summe zweier positiver Kubikzahlen gibt: 1729 = 1³ + 12³ = 9³ + 10³.” Zahlen mit dieser Eigenschaft heißen seitdem Taxicab-Zahl oder Hardy-Ramanujan-Zahl. Die 1729 spielt in Science Fiction Filmen oft eine entscheidende Rolle. „Die Poesie des Unendlichen” ist irgendwo auch eine Liebesgeschichte, obwohl es nur zu einer einzigen kurzen unbeholfenen Umarmung beim Abschied kommt. Den beiden Männern wird in jenem Moment bewusst, wie viel sie einander verdanken und bedeuten. Ende Februar 1919 kehrt der Inder in seine Heimat zurück. Er stirbt am 26. April 1920. Ramanujan wurde nur 32 Jahre alt. Die Zusammenarbeit mit ihm bezeichnet Hardy später als das einzige „romantische” Erlebnis seines Lebens. Jeremy Irons („Lolita“) ist überzeugt, dass diese Bemerkung missinterpretiert wird: „Bei ‚Romantik’ denken wir sofort an Liebe, aber für mich muss es das nicht gleich sein Ein Romanze entsteht, wenn das Leben bunter, lebendiger, aufregender wird- Vielleicht hat Hardy das gemeint. Er hat seine Zeit mit Ramanujan als die bezeichnet, in der am glücklichsten und stolzesten auf seine Arbeit war.“

Hardy galt als scheu und exzentrisch, berühmt gerade bei Nicht-Mathematikern wurde er durch seinen Essay „The Mathematicians Apology“ (Die Rechtfertigung des Mathematikers). Irons sagt: „Beim Lesen erkannte ich, dass diese Wissenschaft, die mir immer seelenlos erschien, unendlich viele Wunder, Geheimnisse und Kunst enthielt. Das schien seine Fähigkeit zu sein: Etwas, das undurchdringlich ist, allmählich zu öffnen.“ Die geistige Übereinstimmung zwischen den beiden Männern beschreibt Robert Kanigel: „Ramanujan knüpfte Verbindungen zwischen Zahlen, sah Muster zwischen ihnen, konnte sie in der Sprache der Mathematik aufzeichnen. Fasziniert suchte Hardy nach dem Ursprung dieser Ideen. Als klassischer Wissenschaftler war er darauf konditioniert, Theorien, Verbindungen und Muster nicht nur anzunehmen, sondern ihre Richtigkeit in detaillierter Ausarbeitung zu beweisen. Das versuchte er auch Ramanujan beizubringen. Damit wollte er ihn weder entmutigen noch inspirieren – es war einfach die gängige Form der Forschung, ohne die es Ramanujan im Westen nicht zu Akzeptanz gebracht hätte. Parallel begriff Hardy, dass auch die schwierigsten Beweise fast der einfachste Teil der Mathematik waren. Der herausfordernde Part ist der, auf die Grundidee zu kommen. Und Ramanujan schien vor solchen Ideen überzusprudeln.“ Ken Onno, Professor an der Emory University in Atlanta, der als Berater für dem Film fungierte, sagt über den Protagonisten: „...Er schuf Annahmen und Formeln, die für Bereiche wichtig sind, die zu seiner Zeit noch nicht einmal existierten wie schwarze Löcher und Computersicherheit.“

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Originaltitel: The Man Who Knew Infinity
Regie / Drehbuch: Matthew Brown
Darsteller: Dev Patel, Jeremy Irons, Toby Jones, Stephen Fry
Produktionsland: USA, Großbritannien, Indien, 2015
Länge: 114 Minuten
Verleih: Wild Bunch Germany
Kinostart: 12. Mai 2016

Fotos & Trailer: Copyright WILD BUNCH GERMANY GmbH

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