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Fritz Lang Film Trailer

Frappierend: ein düsterer expressionistischer Thriller in geheimnisvollem Schwarz-Weiß, als hätte ihn der legendäre Fritz Lang 1931 selbst gedreht.
Doch der Schöpfer von „Metropolis” und „Das Testament des Dr. Mabuse” ist nicht Regisseur sondern Protagonist dieser ungewöhnlichen Film-Collage aus Fiktion und Realität. Gordian Maugg präsentiert ihn als Getriebenen, verstrickt in eine unheile Vergangenheit, immer auf der Suche nach dem Ursprung des Verbrechens, von Schuld und Sühne. Ein ästhetisch-virtuoses Experiment, trotzdem, manche Kritiker schätzen es gar nicht, wie hier mit ihrer Leinwand-Ikone umgegangen wird und seinem Meisterwerk: „M- Eine Stadt sucht einen Mörder”.

Heino Ferch spielt Fritz Lang als elegant gekleideten, leicht verächtlich lächelnden Bonvivant. Dieser Mann ist wenig anschmiegsam, er bleibt uns fremd, weil er das auch so möchte. Man darf dem Künstler nicht zu nahe kommen, schon gar nicht Thea von Harbou (Johanna Gastdorf), seine Ehefrau. Ihn fasziniert das Böse mehr als die Liebe. Warum, das begreifen wir später. Sein teutonischer Charme ist gönnerhaft mit einer Spur von Herablassung. Ihm gefällt es, für ein paar Stunden im Mittelpunkt zu stehen, so einer wie er macht sich gut mit Monokel und weißer Hemdbrust zwischen Damen in Abendgarderobe. Arroganz kann halt auch unwiderstehlich sein, obwohl er den tyrannischen Herrenmenschen nicht ganz verleugnen kann. Eben noch war das Champagnerglas unverzichtbares Requisit, da verschwindet er plötzlich. Der Chauffeur kennt die sogenannte „Nachtroutine”. Es geht in die ärmeren Viertel von Berlin, dort wo die Prostituierten auf ihre Freier warten. Im Flur, von hinten, hastig, aggressiv, so will er es und nicht anders.

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Die Goldenen Zwanziger Jahre waren zu Ende, die Weltwirtschaftskrise erschütterte die Weimarer Republik, die Zahl der Arbeitslosen stieg sprunghaft an. Die Nationalsozialisten zeigen Präsenz auch in Gordian Mauggs Doku-Drama, aber im Zentrum von Berlin pulsiert Nachts weiterhin ungestört das Leben, es ist ein Tanz auf dem Vulkan. Vorbei die Zeit des Stummfilms und bombastischer Projekte wie der Heldensaga „Die Nibelungen” (1924) oder dem Science-Fiction Epos „Die Frau im Mond” (1929). Ungeduldig drängt der neue Produzent Thea von Harbou wegen des überfälligen Drehbuchs für den geplanten Tonfilm. Die Ehe ist längst ausschließlich Arbeitsbeziehung, Thea war die Autorin seiner großen Erfolge, doch Fritz Lang reagiert aggressiv auf jeden Vorschlag seiner Gattin. Er will weg von der Gigantonomie, dem Pathos, Menschenmassen und Maschinen, wahrscheinlich vor allem weg von ihr. Koks und Depressionen, eine fatale Mischung. Nichts scheint ihn mehr zu interessieren, da entdeckt er in der Zeitung einen Bericht über die Jagd auf den Serienmörder, der die Einwohner von Düsseldorf in Angst und Schrecken versetzt, die Polizei tappt im Dunkel. Der Regisseur scheint wie verwandelt, schnell packt er das Nötigste, dazu gehört nicht nur jener beeindruckende Vorrat an Monokeln sondern auch die Pistole aus seiner Militärzeit. Ohne eine Nachricht zu hinterlassen, reist er ab.

Über den österreichisch-deutsch-US-amerikanischen Regisseur und Drehbuchautor existiert eine Unzahl von Legenden, Gerüchten und Anekdoten, brav Recherchiertes und rein Spekulatives. Fritz Lang ist ein Mythos, und diesen Mythos hat er manchmal auch ganz gezielt inszeniert. Dass er Cinemascope hasste, weil er fand, dass Breitwandformat allenfalls für Schlangen taugen würde, ist verbürgt (ein zauberhaftes Interview mit Jean-Luc Godard). Ob er nun ohne einen Pfennig von einem Tag zum anderen das Land verließ und den Zug nach Paris nahm, nachdem ihm der NS-Propagandaminister Goebbels 1933 die Leitung des deutschen Filmwesens offeriert hatte, oder ob er zwei Monate brauchte, um seine Koffer zu packen und ein Cutter für ihn später 100 000 Reichsmark aus dem Land schmuggelte. Es ist unerheblich, die meisten Deutschen entschieden sich fürs Bleiben, und vor allem solche, die Karriere machen konnten. Die Fiktion kommt der Wahrheit oft näher als die Fakten, und so hat sich Gordian Maugg („Der Olympische Sommer”) in letzter Instanz für die Phantasie entschieden, seiner künstlerischen Intuition vertraut, als er sich auf die Spurensuche des Phänomens Fritz Lang begab. Dass Leben und Werk bei ihm kaum zu trennen waren, wusste schon die Filmhistorikerin Lotte H. Eisner zu berichten, und wird immer wieder gern angeführt, auf dieser Prämisse basiert auch die Thriller-Collage.

Gordian Maugg verbindet auf höchst raffinierte Weise Archivmaterial, historische Wochenschau-Bilder und Ausschnitte aus Fritz Langs Filmen mit den, von ihm inszenierten Szenen. Alles ist durchsetzt mit Anspielungen, Zitaten, Querverweisen, Rückblenden und expressionistischen Stilelementen. Wo die Fiktion anfängt, die Realität aufhört, ist oft nur zu erahnen. In Düsseldorf angekommen erkennt der Protagonist des Thrillers, wie die Panik überall in der Bevölkerung wächst, eine unbedachte Geste genügt, um den Verdacht auf sich zu ziehen, die Gangstersyndikate sorgen sich ums Geschäft, immer höhere Belohnungen werden ausgesetzt. Auf dem Kommissariat trifft Lang auf einen alten Bekannten, Kriminalrat Gennat (Thomas Thieme). Der gewiefte Ermittler verhört gerne seine Täter bei Sahnetorte und Kaffee, stolz, aber nicht ohne süffisanten Unterton rühmt er sich einer 94-prozentigen Aufklärungsrate. Fritz Lang gehöre zu den restlichen sechs Prozent. Gennat spielt damit auf jenen blinden Fleck in der Biographie des berühmten Künstlers an: den nie wirklich geklärten Tod seiner ersten Ehefrau, Elisabeth Rosenthal. Zehn Jahre ist es her, sie hatte den Gatten in flagranti mit Thea Harbou ertappt. Suizid? Mord? Es wurde als Unglücksfall deklariert und zu den Akten gelegt. Die Waffe war jene Pistole aus Fritz Langs Militärzeit. Nie, auch nicht mit den engsten Freunden soll der Regisseur je darüber gesprochen haben. Hier im Film wird das Trauma zum zentralen Thema und in der Wirklichkeit begann der Regisseur von nun an akribisch paranoid eine Art Tagebuch zu führen, um jederzeit über jeden Moment seines Lebens Rechenschaft ablegen zu können. Kein Alibi zu haben, wurde für ihn zum Albtraum.

Gennat lässt den Regisseur oft an den Ermittlungen teilhaben. Erstaunlich. Ist es ein Schachzug wie die Sahnetorte, damit der Gegner sich in Sicherheit wiegt? Neugier diesem seltsam snobistischen Alphatier gegenüber oder spürte er die Zerrissenheit des Künstlers? Vielleicht empfinden die beiden so gegensätzlichen Männer etwas wie Respekt für einander. Sie sind von Beruf aus versierte Beobachter. Fritz Lang recherchierte intensiv für seine Filme. Und jenen Gennat gab es wirklich, ein Vorreiter in Sachen moderner Kriminalistik und Vorbild für „Das Testament des Dr. Mabuse”. Der Protagonist versucht jeden Schritt des Mörders zu rekonstruieren, er sieht vor seinem geistigen Auge den Täter bei seinem teuflischen Werk. Der Mörder entkommt wieder einmal. “Satanisches Glück”, nennt es der behäbige Kriminalrat. Die Gespenster der Vergangenheit verfolgen Fritz Lang. Wild feuert er im Wahn mit seiner Pistole um sich. Dass niemand getötet wird, purer Zufall. Genau wie der Zuschauer kann er nicht mehr die Grenze erkennen zwischen Wirklichkeit und Phantasie, Lebenden und Toten, aus dem Jäger wird ein Gejagter, die Spurensuche zur Obsession. Nachts lauert er in der Dunkelheit an der Straßenbahnhaltestelle, wenn die Dienstmädchen aus dem Kino heimkommen mit der letzten Tram. Die Freundin eines Opfers führt er in das Gartenlokal, wo das Mädchen mit ihrem Mörder zusammen saß. Am selben Tisch will er Platz nehmen, dieser Fritz Lang, alles von ihr wissen, wie er aussah der Täter. "Fein gekleidet, zuvorkommend, grade so wie Sie". Beneidet hat sie die Freundin. Und was haben sie gegessen? Der Regisseur bestellt das Gleiche, Bier, Wurst und Kartoffelsalat. Erst scheint seine Begleiterin befremdet, entsetzt müsste sie sein, denkt der Zuschauer. Nein, sie ist erleichtert, hatte solchen Hunger und beißt glücklich in ihre Wurst.

Die atmosphärisch starke Film-Collage hat viele schillernde Facetten wechselnde Schauplätze. Das magere Dienstmädchen, es erklärt dem unnahbaren Herrn, nein eine Prostituierte wäre die Freundin nicht gewesen. Nur wenn man eben auch mal ins Kino wollte, das Leben für einen Augenblick genießen, da brauche man einen Kavalier. Die Armut ist erschütternd und Heino Ferch grandios als Künstler am Abgrund, Kreativität als Identifikation mit dem Bösen par excellence. Das Töten hat Lang im Krieg gelernt, gesteht er später dem Täter Peter Kürten (Samuel Finzi). Nicht auf Befehl, nein, er wollte mehr sein als nur Kundschafter. „Augenmensch“ nannte ihn ein Kritiker, und nun nennen ihn alle so. Wir sehen die Welt mit seinen Augen, fühlen uns an Ödön von Horváth erinnert. Eine solche Gesellschaft musste zerbrechen. "Bestie in Menschengestalt, entartete Kreatur, gesundes Volksempfinden", die Terminologie ist schon die der Nationalsozialisten. Thea von Harbou trifft in Düsseldorf ein, Fritz Lang weigert sich mit ihr zu sprechen, die fertigen Manuskriptseiten schiebt er unter der Tür des Hotelzimmers durch. 1931, zwei Monate nach der Premiere von „M“ wird Peter Kürten hingerichtet. „Der Tod ist keine Lösung”, sagt Fritz Lang in Jean-Luc Godards Film „Verachtung“ (1963).

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Originaltitel: Fritz Lang
Regie: Gordian Maugg
Darsteller: Heino Ferch, Thomas Thieme, Samuel Finzi, Johanna Gastdorf
Produktionsland: Deutschland, 2016
Länge: 104 Minuten
Verleih: W Film
Kinostart: 14. April 2016

Fotos & Trailer: Copyright Belle EpoqueFilms – Fotograf Tim Fulda, Fotograf Steve Brookland, Fotograf Roland Breitschuh

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