Film
American Sniper

„American Sniper”, erfolgreichster Kriegsfilm aller Zeiten, hat in den USA eine erbitterte Debatte ausgelöst: Plakative Propaganda, ergreifendes Heldenepos oder gesellschaftskritischer Western, worum geht es hier wirklich?
Regisseur Clint Eastwood erzählt die Geschichte des Elitesoldaten Chris Kyle (Bradley Cooper). Der Scharfschütze gilt mit 160 bestätigten tödlichen Treffern als Legende. Er nahm an vier Kampfeinsätzen im Irak teil, erschossen wurde er am 2. Februar 2013 daheim in Texas von einem Kriegsveteranen. Die umstrittene Patrioten-Saga basiert auf der gleichnamigen Autobiographie des hochdekorierten Navy SEALs.

„Schafe, Wölfe und Schäferhunde”, so veranschaulicht der Vater dem kleinen Chris sein ideologisches Weltbild und das amerikanische Sendungsbewusstsein: Schafe sind die Naiven, unfähig, Gefahren zu erkennen. Wölfe, das sind die Bösen unter uns, sie wollen die Schwächeren ausbeuten, töten. Die Hütehunde, sie stellen sich den Wölfen entgegen, um die Schafe zu beschützen. Der Sohn lernt früh, Gott zu ehren und mit dem Gewehr umzugehen. Schon mit sieben Jahren begleitet er seinen Dad auf die Jagd. Später tingelt Kyle als Rodeo-Reiter durch die Staaten. Er fühlt sich als Cowboy, und ist doch eigentlich eher ein trauriger rauflustiger Clown, der zu viel trinkt und sich mit den falschen Frauen einlässt. Dann, 1998 nach den Anschlägen auf die US-Botschaften in Tansania und Kenia, verpflichtet er sich als Freiwilliger bei den Navy SEALs. Dort wird er zum Scharfschützen ausgebildet. Die richtige Frau trifft er nun auch, eine, die er zum Traualtar führen wird und die nicht ahnt, was es bedeutet mit einem Elitesoldaten wie Kyle verheiratet zu sein.

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Der 84jährige Clint Eastwood versteht sich auf gebrochene Charaktere, innerlich zerrissen, verwundet, ob im Krieg oder in der Kindheit. Er hat sie oft selbst verkörpert und als Regisseur in Szene gesetzt wie in „Erbarmungslos” (1992), „Flags of Our Fathers” (2006), „Letters from Iwo Jima” (2006) oder „J. Edgar” (2011), das Porträt von Edgar Hoover (Leonardo DiCaprio), Chef des FBIs und einer der mächtigsten Männer des Landes. Angetrieben von einer religiös-rigiden Mutter wird er zum autoritären skrupellosen Karrieristen, ein Mensch voller Widersprüche, unerbittlich gegenüber Anderen, aber auch sich selbst. Der Regisseur inszenierte das Leben des paranoiden eitlen Tyrannen nicht als spektakuläres Biopic sondern als subtiles Melodram. „Gran Torino” (2008) schildert das letzte mutige Aufbegehren von Walt Kowalski, einem polnisch-stämmigen verbitterten Veteran aus dem Koreakrieg. Einer wie Chris Kyle müsste eigentlich der perfekte Protagonist für Eastwood sein. Drehbuchautor Jason Dean Hall soll sich ursprünglich einen revisionistischen Western vorgestellt haben im Stil von dem, mit vier Oscar ausgezeichneten "Erbarmungslos". Doch als Kyle umgebracht wird, entschloss man sich zu einer mehr authentischen Version, die stärker auf die Beziehung zwischen den Eheleuten eingeht und vor allem von den Schwierigkeiten des Scharfschützen handelt, sich überhaupt noch daheim orientieren zu können.

Den ersten tödlichen Schuss aus weiter Ferne gibt Kyle auf einen kleinen irakischen Jungen ab, dem seine Mutter eine Granate reicht, die sie unter ihrer Abaya versteckt hat. Im Film bestehen nie Zweifel, dass der Sniper nur auf Terroristen oder Gegner zielt, um das Leben seiner Leute zu schützen. Die Kameraden fühlen sich sicher, wenn er irgendwo auf einem Dach mit seinem Präzisionsgewehr über sie wacht. Viele der Szenen finden ihre Entsprechung oder Erklärung in der Vergangenheit wie jene Lektion väterlicher Indoktrination. Dad, er hätte am Abendbrottisch daheim weder Schafe noch Wölfe geduldet, das macht er seinen Söhnen unmissverständlich klar. Latente Gewalt und eine heimliche Drohung schwingt in den wohlmeinenden Worten mit. Durch die Erzählstruktur, den Wechsel zwischen Krieg und Kindheit, Realität und Alptraum, hebt sich die Eindimensionalität der Kampfhandlungen auf. Der kräftige, stiernackige Scharfschütze strahlt eine unglaubliche Konzentration aus. Kyles darf sein Ziel nicht verfehlen. Wenn der Schuss losgeht, weiß der Feind, wo der Gegner auf der Lauer liegt und greift an. Kyle braucht in solchen Momenten die Unterstützung seiner Kompanie genau wie sie sonst die seine. Und doch muss er machtlos zuschauen, wie Freunde sterben, alle kann er nicht beschützen. Die schweren Panzer schieben sich unerbittlich knirschend durch die engen Straßen. Die Navy SEALs wirken riesig in ihren Monturen und Helmen fast wie eine außerirdische Übermacht. Die Gegner sind flexibler, schneller, oft unauffindbar. Der Zuschauer spürt, dies ist ein aussichtsloser Kampf. Jeder Hauseingang, jede Straßenecke kann ein Hinterhalt sein. Die Gründe für die Invasion bleiben im Dunkel, Politik außen vor. 9/11 war für die Elitesoldaten der Tag ihres Einsatzes und der reicht für die nächsten Jahrzehnte als Motivation.

Wenn der Scharfschütze auf Heimaturlaub ist, scheint er verloren, ungelenk, abwesend. An seiner Seite eine Frau, die Aufmerksamkeit, Fürsorge fordert für sich und die beiden Kinder. Die Sorglosigkeit dieser Welt verstört ihn. Schüsse fallen, gellende Schreie, Granaten explodieren auch hier im Wohnzimmer, der Navy SEAL sitzt bewegungslos vor der schwarzen Mattscheibe des Fernsehers. In seinem Kopf geht der Krieg weiter. Er sieht Gefahren, Angreifer, wo keine sind, beim friedlichen Treffen mit Freunden stürzt er sich auf den Hund, mit dem der Sohn auf dem Rasen balgt. Er glaubt das Kind in Todesgefahr, will den Angreifer, die in seinen Augen blutrünstige Bestie töten. Die Umstehenden sind entsetzt. Nach den Bildern der Folterungen von Abu-Ghuraib und dem Grauen von Guantanamo schienen Kriegshelden kaum noch vorstellbar. Umso größer die Sehnsucht danach. Vielleicht erinnert Chris Kyle die Amerikaner an die Protagonisten ihrer Comics, die übernatürliche Kräfte besitzen, aus dem Nichts plötzlich auftauchen und sich der Gerechtigkeit verschrieben haben. „Autobiographie des tödlichsten Snipers in der Militärgeschichte der USA,” lautet der Untertitel des Bestsellers. Allein die Tatsache, sich des Todes von 160 Menschen zu rühmen, hat etwas Grauenvolles. In Wirklichkeit waren es mehr, das betont der Elitekämpfer, er liebte seinen Job, hat den Krieg genossen, schreibt er (oder der Ghostwriter), Reue oder Zweifel kennt er keine, nur das Bedauern, nicht mehr Feinde ausgeschaltet zu haben.

Eastwood und Hall hätten sich vielleicht strenger an die Vorlage halten sollen, nicht versuchen sollen den Scharfschützen milder, sympathischer zu zeigen, als er in Wirklichkeit war. Es fordert das Misstrauen dem Film gegenüber heraus. Die Figur brauchte jene Schärfe, bittere Verzweiflung, den durchgeknallten Stolz eines Verwirrten, den Hass des schwer Traumatisierten. Aber wahrscheinlich wäre „American Sniper” dann weniger erfolgreich an den Kinokassen gewesen: 428 Millionen Dollar, ein Rekord, der sonst meist nur Blockbustern wie „Guardians of the Galaxy” vorbehalten ist. Erstaunlich besonders bei den für amerikanische Verhältnissen niedrigen Produktionskosten von 58,8 Millionen Dollar. In sechs Kategorien war das Kriegsepos für den Oscar nominiert, am Ende gab es nur eine der begehrten Trophäen für den Tonschnitt. „Hast Du einen Retter-Komplex?” fragt  einer der Soldaten, als Kyle mit ihnen durch die Straßen ziehen will. Seine Leute brauchen ihn dort oben über den Dächern, versucht er dem Scharfschützen zu erklären: „...dann fühlen sie sich unbesiegbar”. „Das sind sie nicht”, sagt Kyle. “Wenn sie es glauben, sind sie es,“ entgegnet sein Kamerad trotzig. Der Film wird zum Glaubenskrieg des 21. Jahrhunderts, zur Projektionsfläche der Ängste, Hoffnungen und Überzeugungen einer zutiefst verunsicherten Gesellschaft.

Das Leinwand-Epos verselbstständigt sich, avanciert zu einer Art Stellvertreterkrieg, wo jeder glaubt, Position beziehen zu müssen. Oft wütend, aggressiv, hysterisch. Oscar-Preisträger Michael Moore („Fahrenheit 9/11”) erklärt auf Twitter Scharfschützen zu Feiglingen, sein Onkel wurde im Zweiten Weltkrieg von einem erschossen („My uncle killed by sniper in WW2. We were taught snipers were cowards. Will shoot u in the back. Snipers aren't heroes. And invaders r worse“, 12:40 - 18 Jan 2015). Den nächsten Tag präzisiert er, dass wer im eigenen Land angegriffen wird und von seinem Dach auf die Invasoren schießt, natürlich kein Feigling ist, sondern ein tapferer Nachbar („But if you're on the roof of your home defending it from invaders who've come 7K miles, you are not a sniper, u are brave, u are a neighbor“, 17:35 - 19 Jan 2015) Aha, Selbstverteidigung zumindest ist legitim. Inzwischen hatte aber schon das Branchenblatt der Filmindustrie „The Hollywood Reporter” ihn zitiert und die Kritik auf den Film bezogen, alles ganz falsch. Im Gegenteil, der Waffengegner Moore hält zu Recht die schauspielerische Leistung von Bradley Cooper für eine der besten dieses Jahres („Awesome”). Im extremsten Fall wird das Kriegsdrama gleichgesetzt mit Propaganda im Stil der Nazifilme. Wer wie Seth Rogen („The Interview”) so etwas behauptet, hat wohl nie Leni Riefenstahls „Triumph des Willens” gesehen. Ein entscheidender Unterschied:man kann heutzutage sein Missfallen ungestraft an einem solchen Film äußern. Dass „American Sniper” genau wir “American Psycho” das, was er darstellt, nicht zur verbindlichen Message erklären will, sondern kritisch reflektiert, wird oft missverstanden. Clint Eastwood ist ein konservativer Moralist, aber für amerikanische Invasionskriege hat er sich nie ausgesprochen. Von jenem Faible demokratischer Nationen Diktaturen zu stürzen und die Bürger dem Chaos zu überlassen, hält er wenig. Der Regisseur schildert das Leben von Chris Kyle wie einst das von J.Edgar Hoover. Er denunziert seine Protagonisten nicht, gibt sie nie der Lächerlichkeit preis, zeigt, dass ihre Schwächen auch irgendwo unsere sind. Er entlarvt das Böse im Menschlichen und das Menschliche im Bösen. Wenn der Scharfschütze die Iraker “Savages”, Barbaren nennt, identifiziert sich der Regisseur damit bestimmt nicht.

Ein Protagonist, den die Republikanerin Sarah Palin zu ihrem persönlichen Protegé erklärte, kann nicht auf Sympathie bei der politischen Linken des Landes hoffen. Wenn dann Schauspieler Bradley Cooper vor laufender Kamera verkündet, es wäre ihm eine Ehre, diesen Mann zu verkörpern, kann man sich der Zweifel nicht mehr erwehren, also doch ein Heldenepos? The Guardian, Variety, Salon.com bemühen sich um Wahrheit, Objektivität, lassen Kriegsveteranen zu Worte kommen. Die Realität ist beschönigt, sowohl die Gestalt von Chris Kyle wie auch die Kampfeinsätze selbst. Wenn im Film ein Soldat den Scharfschützen daran erinnert, dass er die Verantwortung trägt, wenn er einen unschuldigen Zivilisten erschießt, soll dergleichen in Wirklichkeit kaum Probleme machen? Mit Michael Ciminos „Die durch die Hölle gehen” (1978), Francis Ford Coppolas „Apokalypse Now” (1979), Terence Malicks „Der schmale Grat” oder Steven Spielbergs „Der Soldat James Ryan” (1998) kann Clint Eastwoods „American Sniper” nicht konkurrieren. Intensiv, mitreißend ist er, atmosphärisch, technisch perfekt, könnte vielleicht selbst noch als revisionistischer Western durchgehen. Der Mittlere Osten als der neue Wilde Westen? Der politischer Aktivist und Pulitzer-Preisträger, Chris Hedges, vergleicht Israel mit ISIS (dergleichen Statements zu wiederholen wurde ihm von der New York Times untersagt) und bezeichnet das Porträt des Scharfschützen als “geschmacklose Werbung für die Verbrechen des Empires”. Andere sehen darin ein Psychogramm der amerikanischen Gesellschaft mit all ihren Schadstellen und vergleichen Kyle mit Ethan (John Wayne) in John Fords Western „Der schwarze Falke”, irgendwann vernichtet ihn die Gewalt, die er einst bekämpfen wollte.

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Originaltitel: American Sniper
Regie: Clint Eastwood
Darsteller: Bradely Cooper, Sienna Miller, Luke Grimes, Jake McDorman, Cory Hardrict, Navid Negahban, Sammy Sheik
Produktionsland: USA, 2015
Länge: 132 Minuten
Verleih: Warner Bros.
Kinostart: 26. Februar 2015

Fotos & Trailer: Copyright Warner Bros.

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