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Jubelsturm für ein grandioses Theaterereignis mit Hindernissen: Gleich zweimal am Abend streikte die Technik bei „Agamemnon“ im Deutschen Schauspielhaus. Erst ging der Vorhang mit Verzögerung hoch, dann, mittendrin, wieder runter und unterbrach die schon fast hypnotische Intensität, die das Gastspiel des Residenztheaters München zu erzeugen vermochte.

 

Noch ist das Hamburger Theaterfestival nicht zu Ende, doch dieses Stück in der Regie von Ulrich Rasche ist zweifellos ein Höhepunkt.

 

„Fluch steht hier gegen Fluch, wer schlug, wird geschlagen und wer gemordet hat, fällt“. Wie Pfeile schießen die akustisch verstärkten und anfangs grässlich verzerrten Worte des Chores über die Rampe. Wann hat man zuletzt einen derart starken antiken Chor gesehen und gehört? Ganz in Schwarz zieht die Gruppe aus neun Schauspielerinnen und Schauspielern auf der leeren Bühne unermüdlich ihre Kreise um vier Musiker i(Sebastian Hausl, Felix Kolb, Cristina Lehaci, Fabian Strauß), die an ihren Marimbas, Vibraphonen und Trommeln mit unerhörter Wucht den treibenden, fast tranceartigen Soundtrack zu dieser ebenso mythischen wie zeitlos anmutenden Inszenierung schlagen. Wäre da nicht die Rampe, die Zuschauerraum klar von der Bühne trennt, man könnte sich in einem Techno Club wie dem Berghain wähnen.

 

Agamemnon Ensemble Foto Birgit Hupfeld

Agamemnon. Ensemble. Foto: Birgit Hupfeld

 

Die mitreißende Komposition von Nico van Wersch (musikalische Leitung) ist der Motor dieses aus Sprache, Rhythmus, Bewegung, Musik und Licht bestehenden Gesamtkunstwerkes, in das Regisseur Ulrich Rasche den ersten Teil der „Oestie“ verwandelte. Diese grandiose Theatermusik lässt in ihrer Energie und Vehemenz an die Techno-Version von Orffs „Carmina Burana“ denken. Was Wunder, dass der Chor von den Beats vollkommen durchdrungen wird, sein rhythmisches Marschieren - mal mit, mal gegen die permanent kreisende Drehbühne – in den graugrünen bis blutroten Nebelschwaden der Bühne ebenso martialisch wie tänzerisch wirkt.

 

Anfangs ist der Chor nur als Schattenriss in einem dunstigen Halbdunkel auszumachen, aus dem sich nach und nach einzelne Personen lösen: Die Boten (Niklas Mitteregger, Max Rothbart), Menelaos (Moriz Treuenfels) schließlich Agamemnon (stark Thomas Lettow), der gestützt und gebrochen heimkehrt, alles andere als ein strahlender Sieger, begleitet von seiner „Kriegsbeute“ Kassandra (Anna Bardavelidze, Barbara Horwath, Myriam Schöder) , die den nahen Tod voraussagt, ohne dass ihr jemand glaubt. Auch Iphigenie (Liliane Anmuat) tritt auf, ihr Opfertod und vergebliches Flehen an den Vater, sie zu verschonen, lässt der Chor Revue passieren. Mit ihrem Tod wiederholt sich der Fluch der Götter über das Geschlecht der Atriden. Über fünf Generationen ist Blutrache in der Familie vorherbestimmt. Ein Gemetzel, das man sich schrecklicher nicht ausmalen kann.

 

Agamemnon Anna Bardavelidze Liliane Amuat Barbara Horvath Myriam Schroeder Foto Birgit Hupfeld

Agamemnon. Anna Bardavelidze, Liliane Amuat, Barbara Horvath, Myriam Schroeder. Foto: Birgit Hupfeld

 

Niemand hat den schicksalshaften Kreislauf von Mord, Rache und erneutem Mord mit einer derartigen Unerbittlichkeit beschrieben wie Aischylos in den ersten beiden Teilen der „Orestie“. „Agamemnon“, der erste Teil, beginnt mit dem Warten auf den Titelhelden und dessen Ankunft. Nach zehnjährigem Kampf gegen Troja kehrt der Griechenkönig heim, nichtsahnend, dass Klytämnestra, seine ihn vorgeblich so liebevoll empfangende Frau, den Tod des Gatten längst beschlossen hat. Nie hat sie Agamemnon verziehen, die gemeinsame Tochter Iphigenie geopfert zu haben, um die Götter gnädig zu stimmen und um „günstige Winde“ für die griechische Kriegsflotte zu bitten. Nun ist Agamemnon endlich zurück und sie kann Rache mit Hilfe ihres Geliebten Ägisth üben.

 

Man fragt sich, warum die Tragödie nicht „Klytämnestra“ heißt, denn die Griechenkönigin steht von Anfang an im Zentrum. Pia Händler verkörpert ihre Figur mit einer schon schmerzhaften Intensität. Sie ist die Einzige, die nicht mit dem Chor läuft - als Königin steht sie dem Volk allein gegenüber. Jeder Satz, jede Geste, jeder ihrer kräftig ausholenden Schritte, jede rhythmische Bewegung ihres Körpers scheint erfüllt von dem Hass und der Entschlossenheit, ihre Rache zu vollziehen. Die Unausweichlichkeit ihres Vorsatzes ist bis in die hinteren Zuschauerreihen zu spüren.

 

Zum Schluss, Agamemnon und auch seine „Hure“ Kassandra sind heimtückisch gemeuchelt, marschieren Klytämnestra und ihr Mordkomplize Ägisth (beeindruckend Lukas Rüppel) splitterfasernackt, die Bluttat rühmend, immer und immer weiter gegen die Drehbühne an und verkörpern mit jedem Trommelschlag den traurigen Kreislauf: Gewalt zeugt Gewalt zeugt Gewalt. Ein fast schon biblisches Bild, erinnert die Szene doch an „Adam und Eva“ von Cranach – nur nach dem Sündenfall.

Ulrich Rasche, Nico van Wersch und das gesamte Schauspielteam des Residenztheaters haben überwältigende, archaische Bilder für das Morden gefunden, das nicht von ungefähr an den Krieg in der Ukraine und an die entsetzliche Gewaltspirale im Nahen Osten denken lässt. 2500 Jahre nach Aischylos sind wir immer noch gefangen in dem entsetzlichen Kreislauf von Frevel und Blutrache. Das sich im dritten Teil der antiken Tragödien-Trilogie Blutrache in ordentliche – demokratische! – Gerichtsbarkeit verwandelt, ist leider nur ein schwacher Trost.


Hamburger Theater Festival

Noch bis zum 24. Juni 2024.

Weitere Informationen (Festival)

 

Aischylos: Agamemnon

Eine Produktion des Residenztheaters München mit dem Athens Epidaurus Festival, in einer Übersetzung ins Deutsche von Walter Jens

Im Rahmen des Hamburger Theater Festivals.

Im Deutsches Schauspielhaus, Kirchenallee 39, in 20099 Hamburg

Mit: Pia Händler, Thomas Lettow, Moritz Treuenfels, Niklas Mitteregger, Max Rothbart, Liliane Amuat, Anna Bardavelidze, Barbara Horvath, Myriam Schröder, Lukas Rüppel, Live-Musik: Sebastian Hausl, Felix Kolb, Cristina Lehaci, Fabian Strauss

Inszenierung und Bühne: Ulrich Rasche, Komposition und Musikalische Leitung: Nico van Wersch, Kostüme: Romy Springsguth, Chorleitung: Jürgen Lehmann, Licht: Gerrit Jurda, Dramaturgie: Michael Billenkamp

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